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ROTFUCHS/149: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 195 - April 2014


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

17. Jahrgang, Nr. 195, April 2014




Inhalt

  • Ein gutes Buch über die Nelkenrevolution:
    Urte Sperlings engagierter Report
  • Die Großtat der roten Buchenwald-Kapos
  • Wie die DDR mit Kriegs- und Nazi-Verbrechern verfuhr
  • Warum ich auf meinen Enkel stolz bin
  • Keine "Fußnote der Geschichte"
  • Merkels Kriegsministerin
  • Quo vadis, DKP?
  • Sinkt der Stellenwert von Religionen?
    Über Glauben und Wissen
  • Zur Geschichte des DDR-Freidenkerverbandes
  • Das persönliche Beispiel zählt
  • Wer im Merkel-Kabinett bestimmt
  • Die Klingers aus Oppurg
  • Erlebnisse eines erfahrenen DDR-Diplomaten (1)
    Heinz Birch erzählt
  • Ein nicht Vereinnehmbarer: Wolfgang Harich
  • "RotFuchs"-Wegbereiter (11): Dr. Ernst Heinz
  • Hut ab vor einem mutigen Sozialdemokraten!
  • Würdigung eines Würdigen: Heinz Düx zum 90.
  • Wortmeldung aus dem Allende-Viertel
  • RF-Extra - Zwei Seelen in einer Brust
  • RF-Extra - Rede des Häuptlings Seattle
  • Faschistischer Umsturz in der Ukraine
  • CELAC-Gipfel tagte in Havanna
  • Erklärung Kommunistischer und Arbeiterparteien Europas
  • Südkorea: Eisenbahner durchkreuzten Privatisierungspläne
  • Türkei: Gülen sägt an Erdogans Ast
  • Kuba: Zur Sonderwirtschaftszone Mariel
  • Die Hungerlöhne der Filipinos
  • NSA-Opfer: Fliegen auf einem Klebeband
  • Spasibo bolschoje, Sotschi!
  • Weltkriegsopfer: Erinnern an Carl Böhm-Hennes
  • USA: Hochkonjunktur der Gefängnisindustrie
  • Philatelistische Visitenkarte der DDR (11)
  • Griff in die literarische Schatztruhe (18)
  • Einbahnfrei
  • Gisela Steineckert: Hand aufs Herz
  • Leserbriefe

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Grândola, vila morena ...

In der Nacht des 25. April 1974 übertrug der Lissabonner Sender Radio Clube Português ein von der Zensur des faschistischen Caetano-Regimes auf den Index gesetztes Lied José Afonsos: Grândola, vila morena. Trotz strikten Verbots war diese Komposition zuvor schon bei den Landarbeitern des südportugiesischen Alentejo in aller Munde. Gefeiert wurde mit ihr das widerständische Städtchen Grândola.

Doch an jenem Tag vor nunmehr 40 Jahren hatte die Ode einen ganz besonderen Klang: Sie galt als Signal für die zur Erhebung gegen die faschistische Diktatur bereiten Teile der kolonialkriegsmüden Armee. Noch in der Stunde des Aufstands eilten ihnen die von einer Handvoll Kommunisten der PCP inspirierten Arbeiter- und Volksmassen zu Hilfe. Plötzlich steckten in unzähligen Gewehrläufen von Soldaten und Matrosen rote Nelken. Sie gaben der Revolution ihren Namen.

Am 25. April 1974 wurde der 1926 von Salazar errichteten und unter Caetano aufrechterhaltenen faschistischen Diktatur ein Ende bereitet. Daß im Verlauf eines revolutionären Prozesses unter Führung der bis 1976 von 3000 auf 200.000 Mitglieder anwachsenden Portugiesischen Kommunistischen Partei Álvaro Cunhals eine tiefgreifende soziale Umwälzung stattfinden würde, erwarteten in jener frühen Phase des Geschehens wohl nicht einmal die größten Optimisten.

Als ich Anfang Mai 1974 ohne Visum auf Lissabons Flughafen Portela eintraf und dank der Hilfe eines Majors aus der Bewegung der Streitkräfte die Sperre passieren durfte, wußte ich noch nicht, daß mir fünf ereignisreiche und wechselvolle Jahre von Revolution und Konterrevolution bevorstehen würden.

Eines meiner ersten Erkundungsziele war Grândola. Wie überall im Alentejo konnte man auch dort wichtige Auskünfte in Kneipen erhalten. Diese waren von Beginn an unter den verschiedenen Parteien aufgeteilt.

In Grândola hatte ich Glück, als ich - ohne jegliche Ortskenntnis - den "Picapau" (Klopfspecht) auswählte. Er war schon damals das Stammlokal der Kommunisten. Dort traf ich auf Pedro - einen von fünf zur PCP gehörenden Brüdern der Familie Costa, die bereits unter dem Faschismus das Netz der Partei geknüpft hatten. In der Stunde erster Umarmungen konnte ich nicht ahnen, daß mir die Frau des Uhrmachers und Parteisekretärs Pedro Costa nur drei Jahre später als Grândolas kommunistische Bürgermeisterin die in heimischen Kork gebettete Erinnerungsmedaille dieser Stadt - meine höchste Auszeichnung - überreichen würde.

Im Frühsommer 1974 fuhr ich wieder gen Süden. Es gab einen freudigen Anlaß, der mich nach Grândola aufbrechen ließ. Dort fand Anfang Juni die erste legale Kundgebung der örtlichen PCP statt. Beim Eintreffen stellte ich fest, daß der Marktplatz jetzt den Namen von Catarina Eufémia trug. Diese proletarische Märtyrerin - eine junge Landarbeiterin aus Baleizão und Mutter dreier Kleinkinder - war kurz vor einer erneuten Niederkunft im Mai 1954 als Streikführerin durch einen faschistischen Gendarmen erschossen worden. Auf Grândolas Pflaster standen die Worte eines bekannten Alentejo-Liedes: "Wer sah, wie Catarina starb, wird ihren Mördern nicht verzeihen."

Viele hundert Grândolaer strömten an jenem Tag zum Ort des Meetings. Die meisten von ihnen waren bestenfalls Halbanalphabeten, deren sicherer Klasseninstinkt sie jedoch manchem gebildetem Bourgeois deutlich überlegen erscheinen ließ. Der alte Landarzt, der Salazars KZ Tarrafal auf den Capverden durchlitten hatte, sprach als erster. Seine warmherzigen Worte rührten die Menge zu Tränen. Als zum Abschluß aus dem Lautsprecherwagen die Internationale ertönte, hoben etliche Teilnehmer instinktiv die geballte Faust, auch wenn sie Text und Melodie nie zuvor vernommen hatten.

Im Hochsommer besuchte ich Grândola erneut. Abermals gab es einen triftigen Grund: die Eröffnung des örtlichen Arbeitszentrums der PCP. Das Gebäude hatte den Faschisten als Gefängnis gedient. Viele Standhafte waren dort von ihnen gequält worden. So genoß ich den Augenblick, als Polizisten vor der Fahne mit Hammer und Sichel salutierten.

Die portugiesische Revolution erwies sich als der bisher weitreichendste antikapitalistische Vorstoß im Westen Europas. In ihrem Verlauf verstaatlichte die Regierung des lauteren Generals Vasco Gonçalves im Frühjahr 1975 sämtliche inländischen Konzerne, Banken und Versicherungen, während das Agrarproletariat im Alentejo und in Teilen des Ribatejo 1,2 Millionen Hektar Gutsherrenland besetzte, um 550 ausbeutungsfreien Kollektivgütern und Kooperativen den Weg zu bahnen.

Diese grandiosen Errungenschaften der demokratischen Revolution ließen sich auf Dauer weder behaupten noch ausweiten, weil die Grundfrage jeder Revolution - die Frage der politischen Macht - nicht zugunsten der in Richtung Sozialismus Drängenden entschieden werden konnte. Die Revolutionäre besaßen zwar Verbündete an Schalthebeln der Staatsgewalt, vermochten diese aber insgesamt nicht zu erobern. Während die Landarbeiter des Südens und die Proletarier in den Industriegürteln um Lissabon, Setúbal und Porto zur Revolution bereit waren, blieben weite Teile Mittelportugals, des Nordens und des Landesinneren in den Händen klerikalfaschistischer Kräfte. Diese konnten sich auf Franco-Spanien als Hinterland und die 6. Flotte der U.S. Navy vor den Küsten des NATO-Mitbegründerstaates ebenso verlassen wie auf Ströme von Geld und Armeen von Diversanten aus westlichen Ländern. Eine besonders üble Rolle spielte Williy Brandt als damaliger Chef der Sozialistischen Internationale. Er machte die 1973 auf dem Gelände der Friedrich-Ebert-Stiftung bei Bonn in der Retorte der SPD gezeugte Sozialistische Partei von Mário Soares zur Sturmspitze gegen das Portugal des April. Die USA waren noch unverfrorener: Sie schickten ihren künftigen CIA-Vizedirektor Frank Carlucci 1975 als Botschafter nach Lissabon.

Auch wenn der kühne Vorstoß in Portugal nicht zum Ziel führte, überdauerten zwei wichtige Errungenschaften den Sieg der Konterrevolution: die definitive Aufhebung der Kolonialherrschaft in Ländern Afrikas und Asiens sowie die bürgerlich-demokratische Ordnung im einstigen Mutterland. Zu deren Kriterien gehört die Legalität der in den Massen fest verankerten PCP.

Das Europa der Monopole hat auf das Geschehen am Tejo mit dem forcierten Auf- und Ausbau der EU sowie mit der Formierung einer eigenen Eingreiftruppe geantwortet. Denn die Angst der Bourgeoisie vor neuen antikapitalistischen Ausbruchsversuchen auf dem europäischen Kontinent ist trotz des sie derzeit begünstigenden Kräfteverhältnisses nicht gewichen.

Weder Griechen noch Portugiesen lassen sich - wie ganze Serien von Generalstreiks bewiesen - durch Merkel oder Brüssel zu Sklaven machen. Die Tatsache, daß in diesen beiden Staaten weiterhin intakte Abteilungen der marxistisch-leninistischen Weltbewegung operieren, die ihr ideologisches Pulver trockengehalten haben, dürfte dabei besonders ins Gewicht fallen.

Im Alentejo ist das einst signalgebende und zu einer internationalen Hymne gewordene Lied José Afonsos nicht verstummt. Grândola bleibt rot. Bei den Kommunalwahlen im Herbst 2013 wurde die vorübergehend an die Sozialisten gefallene symbolträchtige Stadt von der PCP zurückerobert.

Klaus Steiniger


Vor drei Jahren erschien als Neuausgabe
Klaus Steiniger: Portugal im April. Chronist der Nelkenrevolution. Verlag Wiljo Heinen, Berlin-Böklund 2011, 468 S., 14 €, ISBN: 978-3-939828-62-4

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Ein gutes Buch über Portugals Nelkenrevolution

Urte Sperlings engagierter Report

Urte Sperling hat in Marburg Soziologie und Politikwissenschaften studiert. Ihre Doktorarbeit schrieb sie über Portugals Nelkenrevolution. Sie hat das Land zwischen 1974 und 1985 fest im Auge behalten, es viele Male bereist und ihr Erfahrungswissen durch intensives Quellenstudium ergänzt.

Doch das allein garantiert noch nicht den Erfolg einer Publikation. Es kommt vor allem auch darauf an, mit welchen Augen und Gedanken ein historischer Prozeß betrachtet und begleitet wird.

Urte Sperlings jetzt bei PapyRossa erschienenes Buch ist eine Kombination faktenbetonter Exaktheit und leidenschaftlicher Parteinahme für ein Volk, dessen bewußter Teil zum Akteur historischer Ereignisse von großer Tragweite geworden ist. Als Journalist, der das Geschehen in Portugal von Anfang an aktiv begleitet hat, vermag ich Urte Sperlings Buch ein hohes Maß an Sachkenntnis und Bewertungsvermögen zu bescheinigen.

Die Autorin bietet auf Informationen und Quellen bedachten Lesern einen aus kompromißlos linker Sicht exakt recherchierten und treffend kommentierten Überblick. Ohne sich wie andere "Portugal-Kenner" zwischen den Fronten zu verlieren oder ins ideologische Niemandsland abzudriften, wählt sie die richtige Farbe: das Rot der Nelken. Plastisch schildert sie Akteure und Abläufe der Aprilrevolution und des darauf folgenden Geschehens. Dabei grenzt sie sich ebenso von rechtsopportunistischen wie von scheinradikalen Kräften ab, die der Konterrevolution in die Hände gespielt und letztlich zum Sieg der Allianz aus NATO, Sozialistischer Internationale und westlichen Geheimdiensten beigetragen haben. Beeindruckend ist auch die gewissenhafte Darstellung des taktischen und strategischen Geschicks der Kommunisten unter Führung des überragenden Álvaro Cunhal und des Wirkens eines so unbestechlichen Revolutionärs wie General Vasco Gonçalves, der an der Spitze von vier aufeinanderfolgenden Provisorischen Regierungen stand.

Bei der Lektüre des Buches störte mich - einen entschiedenen Gegner jeglicher Diskriminierung von Frauen - allein die aus meiner Sicht überflüssige und manchen Leser irritierende Feminisierung der deutschen Sprache.

K. S.


Urte Sperling: Die Nelkenrevolution in Portugal. PapyRossa-Verlag, Köln 2014, 130 Seiten, 9,90 €, ISBN 978-3-89438-541-5

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Die Großtat der roten Buchenwald-Kapos

Auszüge aus einem Artikel von Gisela Karau
erschienen im "Neuen Deutschland" vom 8./9. April 2000

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Wie die DDR mit Kriegs- und Nazi-Verbrechern verfuhr

"Verordneter Antifaschismus"?

Als sachkundige Autoren des Buches "Im Namen des Volkes" versuchen wir - Dieter Skiba, letzter Leiter der MfS-Hauptabteilung IX/11, und ich als ehemaliger Untersuchungsführer in MfS-Ermittlungsverfahren gegen Täter faschistischer Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit - die im Titel dieses Beitrags gestellte Frage zu beantworten. Dabei weisen wir die Behauptung westdeutscher Geschichtsrevisionisten zurück, in der DDR habe es einen "verordneten Antifaschismus" gegeben. Von der Gauck-Birthler-Jahn-Behörde und den Leitern der damit synchronisierten "Gedenkstätten" in ehemaligen Untersuchungshaftanstalten des MfS wird behauptet, die DDR-Staatssicherheit habe Nazitäter instrumentalisiert, vor Strafverfolgung geschützt und nur dann zur Ahndung ihrer Verbrechen freigegeben, wenn durch Schauprozesse der Nachweis habe geführt werden können, daß die BRD Nazi- und Kriegsverbrecher weiter verwende und vor Sühne bewahre. Tatsächlich sollte auf die BRD Druck ausgeübt werden, die in großer Zahl dort unbehelligt lebenden Mittäter, Anstifter und Dienstvorgesetzten durch uns Beschuldigter der strafrechtlichen Verantwortlichkeit zuzuführen. Dazu leisteten wir der BRD-Justiz Rechtshilfe, die jedoch nur äußerst zögerlich angenommen wurde. Im Vordergrund stand für das MfS die Erfüllung des Ersuchens der Alliierten und aller von den deutschen Faschisten überfallenen Völker, Nazi- und Kriegsverbrecher nicht ungeschoren zu lassen.

Ab Mai 1945 begannen die sowjetische Besatzungsmacht und die in der SBZ geschaffenen antifaschistisch-demokratischen Polizei- und Justizorgane mit der intensiven Suche nach Nazi- und Kriegsverbrechern sowie Aktivisten des faschistischen Unterdrückungsapparats. Sie wurden zügig abgeurteilt.

Personen hingegen, die das Hitlerregime lediglich unterstützt hatten, wurden nach erfolgter Entnazifizierung in den Aufbau der neuen Gesellschaft einbezogen. Das geschah auch mit Nazitätern, die ihre Strafen verbüßt hatten. Ein großer Teil der aktiven Faschisten war jedoch in die damaligen Westzonen geflohen, wo sie sich nicht grundlos vor Strafverfolgung weitgehend geschützt wähnen konnten.

Die sowjetische Besatzungsmacht entließ Anfang der 50er Jahre in ihren Internierungslagern festgehaltene Naziaktivisten und bis 1956 auch einen Großteil von ihren Gerichten Verurteilter in die DDR und die BRD. Einige wurden der DDR-Justiz unter Auflagen im Zusammenhang mit noch ausstehender Strafverfolgung übergeben - nicht selten allerdings mit unzureichenden Beweisunterlagen. Daraus resultierten z. B. die "Waldheim-Verfahren". Sämtliche in diesem Zusammenhang gefällten Urteile wurden von der BRD-Siegerjustiz ab 1990 als angeblich rechtsstaatswidrig aufgehoben. Man rehabilitierte die Nazitäter und verurteilte statt dessen die beteiligten Richter und Staatsanwälte der DDR.

Mitte der 50er Jahre war nach Amnestien und Gnadenerweisen der DDR-Regierung bereits ein großer Teil verurteilter Nazitäter aus dem DDR-Strafvollzug entlassen worden, teilweise mit erheblichem Straferlaß.

Natürlich waren sich die zuständigen Organe dessen bewußt, daß auch eine unbestimmbare Zahl von Nazi- und Kriegsverbrechern getarnt oder unerkannt in der DDR lebte. Die intensive Suche nach solchen Personen, über die auch immer mehr Archivmaterialien aus der UdSSR, Polen und der Tschechoslowakei übergeben wurden, erfolgte ab 1965. Während bis dahin die Mehrzahl der Ermittlungsverfahren dieser Art durch die Kripo bearbeitet worden war, hatte sich das MfS nur dann eingeschaltet, wenn zugleich auch staatsfeindliche Verbrechen gegen die DDR vorlagen. Von nun an bearbeiteten die Untersuchungsabteilungen IX des MfS alle noch nicht abgeschlossenen Fälle von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Die Beschuldigten saßen in den Untersuchungshaftanstalten des MfS in Berlin-Hohenschönhausen und in denen der Bezirke ein. Gauck, Birthler, Jahn sowie deren "Gedenkstätten"-Chefs, Merkels Kulturstaatsminister Neumann und Hubertus Knabe haben diese Naziverbrecher stets als "Opfer des Kommunismus" gewürdigt. Neumann verstieg sich sogar zur Infamie der Gleichsetzung von faschistischer Gewaltherrschaft und angeblicher DDR-Diktatur.

In unserem Buch haben wir auch zur operativen Arbeit von Diensteinheiten des MfS mit ehemaligen Angehörigen faschistischer Einrichtungen und Behörden Stellung genommen, soweit uns dies aus der Sicht ehemaliger Untersuchungsführer möglich war. Hervorzuheben ist, daß die Anwerbung von Personen, die zur Agenturbasis der BRD-Geheimdienste und anderer Feindorganisationen gehörten, ausschließlich dem Schutz der DDR vor gegnerischen Angriffen dienen sollte. Das führte indes nicht immer zu den erhofften Ergebnissen. Die Behauptung, das MfS habe Nazi- und Kriegsverbrecher geschützt, ist lediglich darauf gerichtet, die ehrliche Arbeit unserer Genossen und der DDR-Justizorgane zu diskreditieren. Uns lag zur Prüfung und Bewertung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit ehemaliger Angehöriger faschistischer Einheiten, Dienststellen und Formationen eine Vielzahl von Archivmaterialien und Dokumenten vor. Wir konnten auch den Aufenthalt etlicher Täter in der DDR ermitteln. Leider gelang es in vielen Fällen trotz intensiver Bemühungen nicht, den Nachweis individueller Schuld als Voraussetzung für strafrechtliche Verantwortlichkeit zu erbringen. Dem MfS waren Archive der BRD und der westlichen Alliierten nicht zugänglich. Die Fälle, in denen wir von bundesdeutschen Stellen Belastungsmaterial zu Nazitätern erhielten, lassen sich buchstäblich an den fünf Fingern einer Hand abzählen. Andererseits verschwanden noch nicht abgeschlossene Vorgänge des MfS zu Nazitätern ab 1990 im damaligen DDR-Staatsarchiv, da sich niemand mehr für deren Verfolgung zuständig fühlte.

Von der BRD-Siegerjustiz konnte nur ein geringer Teil der DDR-Urteile gegen faschistische Verbrecher aufgehoben werden. Den DDR-Gerichten und dem MfS wurde von sachkundigen BRD-Juristen und Historikern eine gewissenhafte und exakte Arbeit auf diesem Gebiet bescheinigt. Davon erfuhr die Öffentlichkeit jedoch kaum etwas. Noch im Strafvollzug befindliche Nazitäter wurden als "resozialisiert" oder aus Gesundheits- und Altersgründen vorzeitig entlassen und konnten danach ihre Renten und Pensionen ganz ungeniert genießen.

Reiner Stenzel, Berlin


Dieter Skiba/Rainer Stenzel: Im Namen des Volkes. Alle Ermittlungs- und Gerichtsverfahren in der DDR gegen Nazi- und Kriegsverbrecher. Edition Ost, Berlin 2014, 400 Seiten, 17,99 €, ISBN 978-3-360-01850-2

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Warum ich auf meinen Enkel stolz bin

Als Großmutter von sechs Enkeln im wehrfähigen Alter heißt es für mich, wachsam zu sein. Es war 1998, als meine Tochter angeheult kam. Sie erzählte mir, daß sich mein ältester Enkel freiwillig zum Auslandseinsatz im Kosovo verpflichtet habe. Er käme am Wochenende ein letztes Mal vom "Bund" auf Urlaub.

Als Kind mußte ich den Zweiten Weltkrieg miterleben. So weiß ich, was Krieg bedeutet. Deshalb war ich über seinen Entschluß entsetzt.

Damals wußte ich vor Schreck nicht gleich, wie ich mich verhalten sollte. So bat ich meine Tochter, mir den Jungen am Wochenende einmal vorbeizuschicken. Er kam auch ganz fröhlich zu mir und fragte mich: "Na Oma, was haste denn mit mir zu meckern?" Wütend fauchte ich ihn an und fragte, ob er denn noch bei Sinnen sei. Er lachte mich aus und erwiderte nur: "Ach Oma, ich bekomme für diese Zeit 25.000 DM, davon kann ich mir vieles kaufen, auch ein Motorrad. Du weißt doch, daß das mein großer Wunsch ist."

Nun fragte ich ihn, was er mache, wenn er da unten auf eine Mine träte oder eine Granate ihm Arme und Beine wegrisse. Seine Antwort war unbekümmert: "Mensch Oma, reg Dich nur nicht auf, so schlimm wird es schon nicht werden."

Ich merkte, daß ich auf diese Weise an meinen Enkel nicht herankam. Bei Kaffee und Kuchen erzählte ich ihm dann ein Erlebnis, das ich 1944 als achtjähriges Kind hatte, als ich mich mit meiner Mutter in Stuttgart aufhielt. Von deren Freundin waren wir für den Nachmittag eingeladen worden. Weil es damals aus Gründen der Verdunkelung wegen drohender Luftangriffe keine Straßenbeleuchtung gab, bat uns die Freundin, doch bei ihr zu bleiben.

In dieser Nacht mußte ich den ersten schweren Luftangriff auf die Stadt miterleben. Wir Kinder saßen im Keller, hörten die Bomben fallen und hatten große Angst. Alle weinten, auch unsere Mütter. Als dann ein Volltreffer das Haus erwischte, versperrten Trümmer sämtliche Ausgänge. 24 Personen waren unter der Erde eingeschlossen, darunter fünf Kinder.

Als die Luft stickig und knapp wurde, brach Panik aus. Es war sehr schlimm. Nach mehrstündiger mühevoller Arbeit hatten drei beherzte ältere Männer einen Spalt freigelegt, so daß wir unter großer Anstrengung rauskriechen konnten. Doch es empfing uns ein Inferno. Kilometerweit standen Gebäude und Anlagen in Flammen. Es gab kaum Luft zum Atmen, beißender Qualm, einstürzende Häuserwände, links und rechts Tote und um Hilfe schreiende Verletzte, dazwischen verzweifelte Menschen. Heute bin ich 77, aber niemals werde ich diese Bombennacht vergessen.

Als ich all das meinem Enkel geschildert hatte, wurde er sehr nachdenklich und sagte auf einmal: "Oma, das habe ich so bisher nicht gesehen. Am Bildschirm spielt sich alles ganz anders ab."

Er bereute seinen Entschluß, sich freiwillig gemeldet zu haben. Alles andere ging dann recht schnell. Er kehrte in seine Einheit zurück, meldete sich krank, so sehr, daß man ihn sofort nach Zschopau brachte. Im Krankenhaus wurde er gründlich untersucht, wobei man ihm auf die Schliche kam. Sein Flunkern hatte zur Folge, daß er bei seinem Kompaniechef und bei Kameraden in Ungnade fiel.

Er wurde in Unehren aus der Bundeswehr entlassen. Ein halbes Jahr lang bekam er keine Arbeit. Meinem Enkel geht es heute gut. Er ist gesund und hat sich auf Kredit ein Motorrad gekauft.

Ich bin stolz auf ihn!

Erna Ziegler, Chemnitz

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Keine "Fußnote der Geschichte"

Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher", schrieb Brecht im "Galilei".

Bei der Erarbeitung eines heimatgeschichtlichen Buches "Bildungsstadt Ilmenau" mußte ich oft an diese Worte denken. Kapitel 7 lautete z. B. "Die Entwicklung des Bildungssystems der DDR", Kapitel 8 "Entwicklung des Bildungswesens seit der Wende".

Lange habe ich über die inhaltliche Darstellung beider Kapitel nachgedacht, um die Wahrheit aufschreiben zu können. Dabei gelangte ich zu folgender Erkenntnis:

Das DDR-Bildungssystem war wissenschaftlich-pädagogisch durchdacht - von der Vorschulerziehung bis zur Berufslenkung. Es bot fast jedem Bürger die Möglichkeit, sich unabhängig vom elterlichen Geldbeutel seinen Fähigkeiten und Kenntnissen entsprechend zu entwickeln. Dabei bestimmte in allen Phasen die Einheit von Bildung und Erziehung, die einheitliche Orientierung von Elternhaus und Schule die Ausbildung.

Rita Süßmuth, Professorin für Erziehungswissenschaft und spätere Staatssekretärin, bemerkte 1990: "Man hätte im Bildungswesen von der DDR eine Menge lernen können." Zwei Jahre später fügte sie hinzu: "Die haben zwar im Osten ein ideologisiertes Schulsystem gehabt, aber im Prinzip ein richtiges."

Bei der Vorstellung meines Buches vor mehr als 60 Ilmenauer Bürgern vermittelte ich die Erkenntnis, daß das derzeitige BRD-Bildungssystem äußerst reparaturbedürftig sei. Diese These untersetzte ich mit der Feststellung, unter dem föderalistischen System betreibe jedes Bundesland seine eigene Politik auf diesem Gebiet, wobei Stoffvermittlung und Erziehung strikt getrennt werden. Die PISA-Studien beweisen den Mangel an wissenschaftlicher Erkenntnis und die Nichteinhaltung pädagogischer Grundprinzipien.

Im Herbst 2011 lernte ich auf einer Schweden-Reise einen Kollegen aus der Pfalz kennen, der über 40 Jahre als Biologie- und Physik-Lehrer an einer Realschule tätig war. Er sagte mir unumwunden: "Fast niemand von uns ist mit dem Bildungssystem zufrieden - es gab viele Reformen, die aber nicht dazu führten, daß man als studierter Lehrer seine Kenntnisse und Erfahrungen voll und ganz so auf die Schüler übertragen konnte, wie man es gewollt hätte."

Vor Jahren begab sich eine Delegation des Bundestages nach Finnland, um die dortige Volksbildung kennenzulernen. Man tat dabei so, als ob es die DDR nie gegeben hätte, obwohl doch die Finnen in den 80er Jahren wesentliche Erfahrungen in der DDR gesammelt und von ihr übernommen haben.

Der Vergleich zwischen den Bildungssystemen beider deutscher Staaten zeigt, wie notwendig es ist, bei der Beschäftigung mit der DDR-Vergangenheit komplexer und objektiver die 40jährige Existenz eines sozialistischen deutschen Staates zu schildern. Dabei müssen natürlich auch begangene Fehler und offensichtliche Selbstherrlichkeiten genauso sachlich dargestellt werden wie die positiven Ergebnisse. Das sollte auch im Geschichtsunterricht vermittelt werden, damit vier Jahrzehnte DDR in der Vorstellung der Schüler nicht nur zu einer "Fußnote" degradiert werden.

Horst Winter, Ilmenau

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Ein blonder Engel, der teuflische Pläne hegt

Merkels Kriegsministerin

Diesmal wollen CDU/CSU und SPD von Beginn an in Afrika dabeisein. Während Hitlers Feldmarschall Rommel nur bis El Alamein kam, hat man jetzt weitergesteckte Ziele im Auge. Man will nicht wieder wie in Tunesien oder Libyen bloß Zaungast des Geschehens sein, sondern weiß: Wer an Kriegen und dem folgenden Wiederaufbau, der Lieferung neuer Waffen und Prothesen für Versehrte, der Ergatterung von Lizenzen für die Ausbeutung von Ressourcen und am massenhaften Ankauf extra billiger Sklavenarbeiter verdienen will, muß vorne sein, wo die Musik spielt.

Nach Jugoslawien, Somalia oder Syrien dachte man schon, den bundesdeutschen Profiteuren würden die Konflikte ausgehen. Und schlimmer: In bezug auf Afghanistan muß man das Wahlversprechen einhalten, den Schwanz einziehen und gehen, obwohl am Hindukusch keineswegs Schluß ist, zumal nach dem Abzug der Besatzer die Taliban zurückkehren, um für die Morde an ihren Leuten Rache zu üben und mit den Kollaborateuren der ISAF-Interventen abzurechnen. Haben wir deren Chef Mullah Omar etwa vergessen: "Den Besatzern gehören die Uhren, uns aber gehört die Zeit." Wer allerdings annimmt, Marionettenpräsident Karsai würde eines Tages wie der gelynchte linke Staatschef Nadschibullah an einer Kabuler Straßenlaterne hängen, dürfte fehlgehen. Er und sein Bruder, dem die Opiumherstellung in Afghanistan untersteht, verfügen über ein geschätztes Privatvermögen von umgerechnet 3,1 Milliarden Dollar. Natürlich in der Schweiz sicher deponiert.

Karsai dürfte dann ein gern gesehener Gast bei dem unerträglichen Markus Lanz sein und von Talkshow zu Talkshow weitergereicht werden. Mit Tränen in den Augen denken heute noch die Rüstungslobbyisten in den USA an Vietnam, Laos und Kambodscha zurück. Denn der "Kampf gegen den Kommunismus", für "Frieden und Freiheit" ermöglichte der US-Rüstungsindustrie und deren Bilanzen immer neue Höhenflüge. Auch in Frankfurt am Main wurde bei der Hoechst AG getrauert, hatte man doch mit Herstellung und Absatz von Agent Orange die Verkaufsidee des Jahrtausends. Aus 40 Millionen Litern hochgiftigen Dioxins machte man 80 Millionen Liter der noch die nachkommenden Generationen verkrüppelnden "Entlaubungschemikalie".

Einen solchen kommerziellen Einfall hatte bisher nur die katholische Kirche mit ihrem Ablaßhandel - den Leerverkäufen des Mittelalters.

Doch man kann auch mit Gefälligkeiten zu viel Geld kommen. So zahlte die US-Regierung 15 Millionen Dollar an Polen für die Bereitstellung streng geheimer Foltergefängnisse. Der Flug dorthin erfolgte über Ramstein und Frankfurt am Main. Auch diese bisher stets bestrittene Tatsache deckte Edward Snowden auf.

Den Imperialisten gehen die Kriege nicht aus. Auf kleiner Flamme kocht der Tod im Südsudan und in Mali sein Süppchen, stets wissend, daß er immer gewinnt, wer auch der Sieger ist. Jetzt hat sich in der Zentralafrikanischen Republik ein weiteres "Betätigungsfeld" aufgetan, um den Krieg mit dem Krieg zu besiegen.

Damit Deutschland mit seiner christlich-sozialdemokratischen Regierung dabei mitmachen kann, haben Merkel und Gabriel einen blonden Engel als Kriegsministerin aus dem Hut gezaubert: die ehemalige Sozialministerin Ursula von der Leyen. Sie soll und will der Furie Krieg ein ganz neues Image verschaffen: Kinderbetreuung, Teilzeitdienst, Standortnähe. Bei Einsätzen gegen beliebige Feinde können die Kinder der Soldaten dann in der Kaserne abgegeben werden und dort während der Abwesenheit ihrer Väter schon mal an kleinkalibrigen Waffen altersgerecht üben. Papa und Mama kommen ja jetzt eher nach Hause, weil man humaner tötet, was bei Teilzeiteinsätzen ja allemal schneller geht, zumal dann, wenn man in der Nähe des Einsatzortes wohnt.

Wurden bisher die "Auslandsmissionen" der Bundeswehr mit dem Argument bedient, man töte "für Frieden und Freiheit außerhalb des vom Grundgesetz gestatteten Rahmens", so erklärte Merkels neue Kriegsministerin am 26. Januar via N-TV: "Deutschland muß mehr Auslandseinsätze wagen, wenn man Gründe für eine humanitäre Notsituation erkennt. Das gleiche gilt, wenn Deutschlands wirtschaftliche Interessen gefährdet sind." Das ist Klartext! Eine bloße Andeutung dieser Art hatte Horst Köhler noch das Amt des Bundespräsidenten gekostet. Jetzt darf man die Katze aus dem Sack lassen. Wer hätte Frau von der Leyen eine solche Wandlungsfähigkeit zugetraut!

Joachim Augustin, Friesland

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Der Kommunist Heinz Keßler - er war nacheinander Chef der Luftverteidigung/Luftstreitkräfte, Leiter der Politischen Hauptverwaltung der Nationalen Volksarmee und Verteidigungsminister der DDR - wurde von den Hitlerfaschisten in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Als Frontbeauftragter des Nationalkomitees Freies Deutschland rief er die Nazisoldaten aus der vordersten Linie der Roten Armee zur Beendigung des Blutvergießens auf. Die BRD-Rachejustiz warf ihn, dessen Truppe die einzige deutsche Armee war, welche niemals Krieg führte, auf Jahre ins Gefängnis. Besaß die Bundesrepublik Deutschland jemals einen Verteidigungsminister mit einer so sauberen Biographie?

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Reformisten und Liquidatoren wollen eine Zerreißprobe herbeiführen

Quo vadis, DKP?

Seit dem 20. Parteitag befindet sich die DKP in einer Zerreißprobe. Eine Gruppe um den früheren stellvertretenden Parteivorsitzenden Leo Mayer hat begonnen, die Partei gezielt auseinanderzudividieren und damit zugrunde zu richten. Nicht nur, daß mit großen Mehrheiten gefaßte Beschlüsse des Parteitags in Frage gestellt werden, es wird ihnen direkt zuwidergehandelt. Das betrifft sowohl die Kandidatur der DKP zur EU-Wahl als auch das UZ-Pressefest. Parallel dazu wird versucht, einen eigenen reformistischen Jugendverband aus dem Boden zu stampfen, um der mit der DKP verbundenen marxistischen SDAJ zu schaden. Daß dies alles in eklatanter Weise gegen Statut und Programm der DKP verstößt, ist offensichtlich; gewünscht scheint eine Lähmung der Partei, die an notwendigen Aktionen und Diskussionen gehindert werden soll.

Dreh- und Angelpunkt Mayers ist sein "Zukunftsprojekt": eine "rot-rot-grüne Koalition", für die eine "Reformallianz" aufgebaut werden müsse, um einen "Politikwechsel durchzudrücken". Alle Erfahrungen der ersten Regierung aus SPD und Grünen ignorierend will Mayer eine solche Koalition wieder aufleben lassen - unter Einbeziehung der Linkspartei. Die wird bekanntlich erst dann "regierungsfähig" sein, wenn sie sich vollends angepaßt und ihrer bisher antimilitaristischen Positionen entledigt hat. Marxsche Erkenntnisse wie "Die moderne Staatsgewalt ist nur ein Ausschuß, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisklasse verwaltet", spielen hier keine Rolle. Wie die "Neuerer" vor 25 Jahren halluziniert man ein "friedensorientiertes 'anderes Europa'" innerhalb der imperialistischen EU. Begründet wird der radikale Kurswechsel mit dem Zustand der DKP: Die Partei leide an Mitgliederschwund, sei überaltert, isoliert und "keine attraktive organisationspolitische Alternative".

Diese Einschätzung ist bitter, aber teilweise berechtigt. Nur muß gefragt werden: Wer hat die DKP zu dem gemacht, was sie heute ist? Es sind genau jene PV-Mitglieder um Leo Mayer, die in den vergangenen 25 Jahren die Verantwortung trugen.

Der DKP ist es gelungen, nach der Niederlage des Sozialismus, die für uns wegen der Verbundenheit mit der DDR/SED besonders schmerzlich war, als kommunistische Partei zu bestehen.

Ein latenter Reformismus war aber schon in den 90er Jahren spürbar. Deutlich wurde dies im Wahlkampf 1998, als die politischen Aussagen inhaltlich kaum über ein "Kohl muß weg!" hinausreichten. In Gießen hatten wir damals übrigens die auch von anderen aufgegriffene Losung: "Ob Kohl, ob Schröder, ganz egal, in Deutschland herrscht das Kapital!"

Als dann Kohl weg war und die damalige stellvertretende Parteivorsitzende Bruni Steiniger die neuen Möglichkeiten, die sich nun angeblich ergeben würden, in ihrem Referat nicht gebührend würdigte, wurde der Bericht vom PV "verworfen" - ein meines Wissens bisher einmaliger Vorgang.

Die neue Politik von Schröder und Fischer ließ Deutschland erstmals wieder Krieg führen, und mit der Agenda 2010 wurde ein Sozialabbau ohnegleichen eingeleitet. Beides hätte Kohl gegen den Widerstand der Gewerkschaften nicht durchsetzen können, die nun durch eine SPD-geführte Regierung paralysiert waren. Zu einer Richtigstellung oder Rücknahme der "Mißbilligung" sah sich der PV jedoch nicht veranlaßt.

Auch danach hatten die reformistischen Kräfte Oberhand. Kommunisten wie Klaus von Raussendorf oder Klaus Steiniger wurden als in der DKP unerwünscht bezeichnet. Es wurde zur Solidarität mit den Kollaborateuren aus der KP Iraks aufgerufen. Leo Mayer konnte 2005 auf einer Bezirksmitgliederversammlung der DKP Baden-Württemberg behaupten: Die DKP war noch nie eine marxistisch-leninistische Partei.

2006 wurde auf dem 17. Parteitag nach gründlicher und streitbarer Diskussion das bis heute gültige Parteiprogramm von etwa zwei Dritteln der Delegierten beschlossen. Es stellte einen tragfähigen Kompromiß zwischen den kontroversen Linien dar - der revolutionären marxistisch-leninistischen und der reformerisch/revisionistischen - und blieb daher unterschiedlich interpretierbar. Aber es war ein gemeinsamer Nenner, auf dessen Grundlage Politik entwickelt werden konnte.

Dieser Konsens wurde spätestens vor dem 19. Parteitag mit den unsäglichen "Thesen", die das Parteiprogramm in wesentlichen Teilen revidieren sollten, aufgekündigt. Obwohl das Papier eindeutig zurückgewiesen und festgestellt wurde, daß die "Thesen" zumindest teilweise nicht in Übereinstimmung mit dem Programm stehen, wurden und werden sie dennoch bis heute weiterverbreitet.

Nachdem der 20. Parteitag mit der Wahl des neuen Parteivorstandes und des Vorsitzenden Patrik Köbele zu einer klaren kommunistischen Politik zurückgefunden hat, gehen die gleichen Kräfte daran, einen Spalt in die Partei zu treiben. Sie konstruieren Scheinwidersprüche zum Programm und unterstellen dem mit großer Mehrheit gewählten Parteivorstand eine linkssektiererische Politik: in der Wahlpolitik, im internationalen Bereich und in der Gewerkschaftsfrage, wo sie versuchen, einzelne Gewerkschafter auf ihre Seite zu ziehen.

Diese Auseinandersetzung scheint von langer Hand vorbereitet zu sein. Für den Fall, daß die ideologische Entwaffnung der DKP scheitern würde, war bereits alles für den Aufbau eigener Strukturen vorbereitet: Die Internetseite kommunisten.de, die Mayer bisher mit seinem Namen, aber im Auftrag des PV führte, wurde von ihm unter Ausnutzung formaljuristischer Eigentumstitel der Partei entzogen und faktisch privatisiert. Sie ist heute eine Plattform gegen die DKP.

Ursache für den Einfluß, den die Reformisten gewinnen konnten, ist einmal die jahrelange Vernachlässigung einer planmäßigen marxistischen Bildungsarbeit und Schulung anhand der Klassiker. Zum anderen ist es der teilweise Reformismus der DKP, der sich bis heute in einigen UZ-Beiträgen niederschlägt. Dadurch konnte die Mayer-Ideologie auf fruchtbaren Boden fallen und von vielen nicht durchschaut werden. Es stellt sich nicht nur die Frage: Wem nützt das alles? Die ist leicht zu beantworten. Man muß auch fragen: Warum soll die DKP liquidiert werden?

Wie die Zerreißprobe ausgeht, wird von der Überzeugungs- und Tatkraft der Kommunisten in der DKP abhängen sowie davon, wie weit die UZ - als kollektiver Organisator, Propagandist und Agitator - ihrem Anspruch als kommunistische Zeitung in Zukunft wieder gerecht wird.

Erika Beltz, Gießen

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Sinkt der Stellenwert von Religionen?

Über Glauben und Wissen

In den Medien wird oft sehr allgemein von Religion gesprochen. Häufig wird bewußt eine Definition vermieden. Offensichtlich meinen die Menschen schon immer irgendwie zu "wissen", was Religion ist. Ist von ihr die Rede, schwappen die Gefühle hoch, negativ wie überschwenglich positiv. Religion gehört eben mit zu den am stärksten emotional besetzten Erfahrungen der Menschen.

Wollte eine Definition wissenschaftliche Allgemeingültigkeit besitzen, so müßte sie so weit gefaßt sein, um auch jene Phänomene mit einbeziehen zu können, die außerhalb der institutionalisierten Religionen anzutreffen sind. Also nicht nur in Jahrtausenden gewachsene Religionen und Volksfrömmigkeit. Sind ohne Widerspruch Christentum, Islam, Buddhismus, Schamanismus und Bahai als Religionen zu definieren, so müßten auch Phänomene wie Astrologie, New Age, neue Innerlichkeit, Sinnsuche, Okkultismus, Tischrücken, Scientology, Wahrsagerei, Telepathie oder Zivilreligion in diese Begrifflichkeit mit einbezogen werden. Eine derartige Definition muß uns zugleich aber auch verdeutlichen, was Religion nicht ist. Nur so sind wir dann in der Lage, sie zum Beispiel von Philosophie, Kunst oder Literatur methodisch korrekt zu differenzieren.

Grob vereinfacht unterscheidet man in der Religionssoziologie zwischen einer "substantiellen" und einer "funktionalen" Definition von Religion. Die erste bestimmt Religion durch ihren Inhalt. So kann man zum Beispiel anhand von Lehraussagen, durch Heilige Schriften und Glaubensbekenntnisse Unterscheidungen zwischen religiösen Phänomenen treffen: die Heilige Dreieinigkeit im Christentum - Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist - im Unterschied zum alleinigen Gott Allah im Islam. Oder es sind elementare Erfahrungen, die das Leben von Menschen bestimmen, die sie für wahr halten und über die sich Mitglieder einer religiösen Gemeinschaft definieren und voneinander abgrenzen.

Die funktionale Definition hingegen fragt danach, was Religion jeweils zur Lösung eines bestimmten Problems beitragen kann. Sie will zum Beispiel wissen, wie Religion gesellschaftlichen Zusammenhalt erzeugt, Ereignisse deutet, dazu Mut macht, Unterdrückung abzuschütteln oder persönlichen Trost spendet. Indem diese Methode Religion in ihrer konkreten Wirkungsweise beobachtet und darauf sieht, was sie gesellschaftlich oder für den einzelnen Menschen leistet, wird es ihr möglich, die "Funktion" von Religion zu erkennen. Im Licht dieser Alternativen entsteht die Möglichkeit des soziologischen Vergleichs: Sie entdeckt, wie Religion dadurch, was sie bewirkt, zu einem Angebot neben anderen wird, um Probleme zu lösen. Was hilft mir mehr, mich zu beruhigen - in meiner höchsten Not im Gebet die Hände zu falten, buddhistisch zu meditieren oder nervös an meinen Nägeln zu kauen? Was aber ist das generelle Bezugsproblem von Religion? Die moderne Religionssoziologie spricht hier von der Sinnhaftigkeit und der Kontingenz (Zufälligkeit) allen Daseins.

Zunächst: Kontingenz, also etwas nicht notwendigerweise Eintretendes, kann in jedem Weltereignis erscheinen. "Daß ich meine Handschuhe verliere, ist ebenso kontingent wie die Möglichkeit, daß morgen mein Haus einstürzt." Kontingenz meint, daß etwas logisch oder gesetzmäßig durchaus möglich ist, daß es aber nicht unbedingt so sein muß, wie es ist. Es könnte immer auch ganz anders sein. Daher provoziert Kontingenz die existentielle Frage nach dem "Warum?": Warum ist etwas so, wie es ist? Warum ist es nicht anders? Und warum bin gerade ich betroffen?

Dabei ist nicht die Kontingenz selbst religiös. Um mit persönlich erfahrener Kontingenz umzugehen, kann ich mich zum Beispiel genausogut in Arbeit stürzen, mich zum Psychotherapeuten begeben oder zur Flasche greifen. Die speziell religiöse Form, das Kontingenzproblem zu lösen, ist die Unterscheidung von Immanenz und Transzendenz. Die Unerreichbarkeit der Transzendenz, im Christentum ist es die Rede von Gott, überführt alles Unbestimmte und Unbestimmbare der Welt in die gewisse Bestimmbarkeit. "Gott" ist das Ende der "Warum?-Frage". Die Religion sagt, es geschieht alles nach dem Willen Gottes, er ist furchtbar in seinem Zorn und unergründlich in seiner Gnade, niemals aber ist er rein willkürlich in seinem Handeln. Religiöse Rituale, Gebete und Heilige Schriften haben die Aufgabe, diese unüberbietbare Gewißheit im Glauben herzustellen.

Unsere Definition von Säkularisierung will alle Erscheinungsformen von Religion beschreiben: religiöse Institutionen, verbindliche Weltdeutung und öffentlich vollzogene Rituale ebenso wie individuelle Ideen, Gefühle und Erfahrungen, aber auch das, was unter Zivilreligion verstanden wird.

Religiöse Phänomene dürfen keinesfalls auf das Institutionelle begrenzt und Religion gar mit Kirche gleichsetzt werden.

Die Kernthese der Säkularisierungstheorie ist, daß Prozesse der Modernisierung einen letztlich negativen Einfluß auf die Bedeutung der Religion in der Gesellschaft ausüben. Sie nimmt an, daß sich das gesellschaftlich bedeutsame Gewicht von Religion in modernen Gesellschaften im Vergleich zu früheren Zeitepochen abschwächt, mag es auch immer wieder gegenläufige Bewegungen geben. Die Säkularisierungsthese setzt voraus, daß in vormodernen Gesellschaften und Kulturen Religion und Kirchen einen höheren Stellenwert hatten als in der modernen Welt. Sie grenzt mit diesem Maßstab neuzeitliche Epochen von früheren ab.

Die wachsende Fähigkeit der Menschen, ihre natürliche Umwelt zu erkennen und Kontrolle über sie auszuüben, führt dazu, daß der magische "deus ex machina" (der rettende Gott aus der Höhe) an den Rand der Welt zurückgedrängt wird. Wo Naturwissenschaften praktiziert werden, ist kein Platz für Wunder. Beten dafür, "daß es gelingen möge", ist im Ablauf der Fertigung einer Fabrik nicht das adäquate Steuerungsinstrument. Die Effektivität der mit Hilfe von Forschung und Technik erfundenen Werkzeuge und Maschinen führt dem Menschen vor Augen, daß er selbst Herr der Dinge ist. Eigenleistungen, gründend auf wissenschaftlicher Erkenntnis und praktischer Erfahrung, bringen den Menschen dazu, fromme Traditionen, Routinen, Gewohnheiten und gemeinschaftliche Bindungen aufzugeben.

Im Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft spielt bei der Beschlußfassung die Frage der göttlichen Inspiration der Heiligen Schrift keine Rolle, wohl aber der aktuelle Börsenkurs und die Frage nach der Eigenkapitalrendite. Funktionieren die Systeme der Sozialversicherungen, erübrigt sich das Almosen des Frommen, der sich damit den Himmel verdienen will.

Herkunft und Milieu legen nicht mehr ausschließlich fest, was der einzelne Mensch denkt, fühlt und glaubt. War bis in die frühe Neuzeit ein Überleben des Individuums außerhalb der für ihn bestimmten Gesellschaft und Klasse so gut wie unmöglich und damit praktisch ausgeschlossen, nicht an Gott zu glauben, so ist für die moderne Person heute die Gesellschaft durchlässiger geworden und sie kann ihren Glauben frei wählen. Die neuzeitliche Gesellschaft erlebt die Pluralisierung kultureller Identitäten. Es gibt den Markt der religiösen Möglichkeiten. Heute kann keine Glaubensgemeinschaft mehr selbstverständlich die Gültigkeit ihrer Ideen behaupten. Sie muß es sich gefallen lassen, hinterfragt zu werden. Den eigenen Absolutheitsanspruch durchzuhalten, fällt immer schwerer. Aus einer Glaubensgemeinschaft wieder auszutreten ist ebenso verbrieftes Recht der Religionsfreiheit.

Karl-Helmut Lechner, Norderstedt


Unser Autor ist Theologe, war evangelischer Pastor und ist inzwischen konfessionell ungebunden.

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Zur kurzen Geschichte des DDR-Freidenkerverbandes

Lüftung eines Lügenschleiers

Die Geschichte der DDR-Freidenker (Verband der Freidenker - VdF) währte nur gut eineinhalb Jahre - von der Initiierung im Herbst 1988 über die offizielle Verbandsgründung im Juni 1989 zu ihrem organisatorischen Ende im Sommer 1990. Danach verlieren sich die Spuren ihrer etwa 12.000 Mitglieder und lokalen Organisationen im Nirgendwo.

Im Frühjahr 1990 wurde am "Runden Tisch" von klerikal inspirierten "Bürgerrechtlern" über die DDR-Freidenker das Verdikt "Stasi- Organisation" verhängt. Mit verhängnisvollen Folgen bis heute, sowohl für die ehemaligen VdF-Mitglieder und auch für die Verbände, in die viele von ihnen nach 1990/91 eingetreten sind. Mehr als 20 Jahre nach dem Ende dieser wenig bekannten und zumeist fehlinterpretierten Organisation haben Horst Groschopp und Eckhard Müller ein sparsam kommentiertes Lesebuch mit dem Titel "Versuch einer Offensive" vorgelegt, in dem sie über 70 zeitgenössische Dokumente für sich sprechen lassen, wobei die Archive des VdF weitgehend verschollen sind.

Zunächst skizziert Horst Groschopp die schwierige Neugründung und Entwicklung der Freidenker in Deutschland-West und -Ost nach 1945 und stellt kurz die verschiedenen Organisationen in den westlichen Besatzungszonen, der BRD und Westberlin vor.

Er geht auch darauf ein, warum es in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR zu keiner Wiedergründung des Deutschen Freidenker-Verbandes kam und räumt dabei auch mit dem Fehlurteil auf, es habe hierfür ein Verbot gegeben. Nein, die politische Führung sah dafür keine Notwendigkeit mehr, weil die Kernthemen der Freidenker (Trennung von Staat und Kirche, Trennung der Schule von der Kirche) hier realisiert worden seien. In der DDR wirkten letztlich Verabredungen mit Klerikern aus der Zeit des Nationalkomitees Freies Deutschland nach. Dabei ging es um einen "religiös-weltanschaulich neutralen Staat", der sich weder für noch gegen eine Religion oder Weltanschauung ausspräche ...

Warum aber kam es dann - nach Jahrzehnten ohne organisierte Freidenker - Ende 1988 völlig unerwartet zu einem SED-Politbüro-Beschluß, einen DDR-Freidenkerverband zu gründen? Groschopp geht dieser Frage in seinem Beitrag "Notgeburt per vertrauliche Schlußsache" nach und versucht hier Antworten zu finden. Ausführlich untersucht er die sich schon in der Gründungsvorbereitung auftuenden Probleme: Was sollte der Verband sein und was nicht? Welche Erwartungen hegte die politische Führung, welche hatten durchaus interessierte Bürger, die Kirchenleitungen und bereits damals aktive westdeutsche Institutionen? Welche Prognosen stellten gerade die beiden letztgenannten Stellen?

Ausführlich befaßt sich der Autor mit den Folgen des "Runden Tisches" vom 12. März 1990. Seither gelten die DDR-Freidenker als Kirchenfeinde, ja schlechthin als "Stasi". Diese Saat ging auf: Westdeutsche säkulare Organisationen griffen dieses Verdikt unkritisch auf und distanzieren sich bis heute von den DDR-Freidenkern. Groschopp dazu: "Urteile in der 'Wende' haben sich tradiert bis in die Gegenwart. Alle den VdF betreffenden Vorgänge, seine Aktivitäten entziehen sich seit diesem 12. März 1990 oft jedem sachlichen Urteil. Nahezu jede Erwähnung wird mit tiefem Mißtrauen bedacht, auch innerhalb der 'Szene' selbst. Freidenker werden stärker verurteilt als die ganze DDR."

Warum wohl? Darüber kann man aus heutiger Sicht nur Vermutungen anstellen. Möglicherweise, weil westdeutsche Politiker und Kirchenführungen in organisierten Freidenkern die einzig reale Widerstandskraft gegen ihre Klerikalisierungs- und Missionierungsbemühungen im säkularisierten Osten sahen, weil der Freidenkerverband ein echtes Hindernis auf dem Wege der kirchlichen Monopolisierung bisher kommunaler sozialer Einrichtungen hätte sein können.

Groschopp resümiert: "So zu tun, als habe es auch hier die DDR nie gegeben, behindert strategische Überlegungen, zu denen immer auch historische Verortungen gehören." Die Autoren bitten in diesem Zusammenhang ihre Leser, ihnen bei der Suche nach regionalen und lokalen VdF-Dokumenten zu helfen oder sich als Zeitzeugen zur Verfügung zu stellen.

Ergänzt werden die Materialien durch Groschopps eigene Papiere aus VdF-Zeiten, z. B. zur Kulturarbeit, Fest- und Feiergestaltung. Er wie auch Prof. Dietrich Mühlberg zogen sich bereits im Sommer 1990 aus der VdF-Arbeit zurück.

Und was hat es nun mit dem Stasi-Verdikt, dem aus dem Hut gezauberten "Stasi-Befehl" auf sich? Wenn man dieses im vollen Wortlaut abgedruckte Dokument (Brief an alle Diensteinheiten des MfS: Bildung des Verbandes der Freidenker in der DDR) unvoreingenommen und vor allem im Kontext mit fast gleichlautenden und früher datierten Briefen der Zentrale an die 1. Sekretäre der SED-Bezirksleitungen liest, dann geht daraus klar und eindeutig hervor: Der angebliche MfS-Befehl ist nichts anderes als eine interne Information über einen zuvor gefaßten Parteibeschluß, der übrigens nicht vom Politbüro-Mitglied und Staatssicherheitsminister Erich Mielke eingebracht worden war.

Nach der Lektüre aller Dokumente über den VdF und ihrer Analyse durch die Autoren kann man deren Schlußfolgerung durchaus zustimmen: "Dessen Gründung stellt sich als letzter Versuch der SED dar, zu einer innenpolitischen Offensive zu kommen - zwischen antikirchlichem Stoßtrupp und Organisation von Lebenshilfe."

Wobei sich wohl die wenigsten seinerzeitigen VdF-Mitglieder (zu denen auch der Rezensent gehört) als "antikirchlicher Stoßtrupp" verstanden haben ... Dennoch, dieses Lesebuch unterbreitet erstmals ein fundiertes Angebot, die damaligen Vorgänge ohne Scheuklappen zu bewerten und ihren Platz in der deutschen Freidenkergeschichte zu finden.

Siegfried R. Krebs, Weimar


Horst Groschopp u. Eckhard Müller: Letzter Versuch einer Offensive. Der Verband der Freidenker der DDR (1988-1990). Ein dokumentarisches Lesebuch. Schriftenreihe der Humanistischen Akademie Berlin-Brandenburg, Alibri-Verlag, Aschaffenburg 2013, 264 S., 22 Euro, ISBN 978-3-86569-171-2

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Über den Wert vorgelebter Standpunkttreue und Unverbiegbarkeit

Das persönliche Beispiel zählt

Eine von alten Kommunisten leergefegte Zeit wird kommen; wir lesen fast in jeder Ausgabe des RF von Verstorbenen. Gelingt es jungen Kommunisten, sie zu ersetzen? Gibt es die überhaupt? Sie können so schlecht nachwachsen in diesem Deutschland. Wenige stellen sich bekennend und mutig gegen den Makel, in dieser Republik des Geldes Kommunist zu sein! Oder sehe ich sie nur nicht? Man verlangt ja viel: Es muß einer Hetzjagd widerstanden werden, fast einem Pogrom, das hierzulande die von Wirtschaftsinteressen gekauften Regierenden, ihre Medien und Historiker allumfassend inszenieren. Eine Paranoia scheint sie zu peinigen, und die Furcht vor bolschewistischen Gleichmacherbestien macht sie besessen, so sehr bekämpfen sie alles, was auch nur nach Kommunismus riecht. Wer will da eigentlich den Jungen verdenken, wenn sie diesem Bombardement erliegen und - wohl erkennend, daß Widerstand geleistet werden muß - sich aufmüpfigen Gruppen anschließen, die dezentralisiert herumtappen und wenig ausrichten?

In diesem Deutschland darf ja jeder (fast) alles und sich dabei fühlen und wiegen wie Gott in der Freiheit, wenn und solange er eben nicht an bestimmten tragenden Pfosten rüttelt. Damit er es läßt, prügeln ihm hörige Herrscher und Medien so viel Müll in den Kopf, wie dazu nötig ist. Sie schreiben sogar die Bibel um, von der sie behaupten, sie sei Wiege des kapitalistischen Wirtschaftens, weil ein Papst es gewagt hat, gegen die Verelendung der Massen zu wettern und öffentlich festhielt, daß die derzeitige Art, Ökonomie zu betreiben, töte. Wie sollen unter diesen Umständen Kommunisten entstehen, wie Anwärter Verantwortung erkennen und tragen?

Auch in der DDR gab es Tücken auf dem Weg der Kommunistwerdung. Ich war damals parteiloser Meister in einem Zeitungsbetrieb der SED. Eine Weile war die Nachtversorgung, besonders sonntags, miserabel. Eines Abends schlug ich mit einem zölligen Nagel eine grüne Bulette an die mit rotem Fahnentuch bespannte Wandzeitung zwischen die Planerfüllungsdaten. Am nächsten Tag war die Chefetage des Hauses empört über diese Schweinerei. Ja, das war die Freiheit der Andersdenkenden, nämlich der Rotationer, genauso wie es Rosa Luxemburg gemeint hatte, nicht wie es im Januar 1988 mitten im Demonstrationszug zu ihrer und Karl Liebknechts Ehrung zu sehen war: aus dem Zusammenhang gerissen und sinnentstellt.

Ja, ich wollte immer den Sozialismus auf meine Weise und mit der Brechstange! Natürlich war ich nach dieser Tat bei der "Stasi" Mode. Später habe ich regelmäßig berichtet, wer und was mich beeinträchtigte, meine Abteilung möglichst reibungslos zu führen. Den Begriff inoffizieller Mitarbeiter kannte ich nicht. Diese Gespräche bereue ich bis auf den jetzigen Tag nicht, weil ich vorwärts wollte und nicht stehenbleiben oder gar zurück.

Heute betreibe ich einen kleinen Verlag. Ich zögerte keinen Augenblick, als eine Dame aus Berlin, mit der ich übereingekommen war, ein Buch herzustellen, wobei ich schon erhebliche Kopfarbeit in das Manuskript gesteckt hatte, mich fassungslos anrief, sie habe von meinen Sympathien für den "RotFuchs" erfahren. Distanzierte ich mich nicht, könnte sie unser Buchprojekt nicht mehr fortführen. Sie sehen, liebe Leser, ich hege noch immer Sympathien für den "RotFuchs", und das Buch ist nie entstanden.

Ähnlich verhielt es sich bei einem Autor, der ein Manuskript über seine Haftzeit aus politischen Gründen in der vernichteten Republik brachte und dabei die DDR in Anführungszeichen setzte. Ich sagte ihm, natürlich müsse auch über diese wenig ehrenvolle Seite der DDR berichtet werden, doch gehe das bei mir nur dann, wenn ich seinem Buch einen Essay voranstellen dürfe, in dem ich seine Erlebnisse in den Kontext der Geschichte stelle, und die DDR in Anführung sei bei allem Haß schlicht historisch falsch. Das wollte er nicht. So entstand auch dieses Buch nicht bei mir. Auf diese Konsequenz bin ich ein wenig stolz, aber sie fiel nicht vom Himmel.

Jeder Mensch braucht ein Vorbild, einen Berater, einen Mentor, einen, der durch sein Beispiel überzeugt. Wer den nicht hat, ist arm dran. Ich hatte und habe einen: den Schweriner Journalisten Günter Jaffke. Nicht nur, daß er rigoros meine Texte von Überflüssigem befreite und mir sagte, es gäbe kein kleines Kämmerlein - denn ich saß nie in einem Hörsaal, außer in dem großen des Lebens. Er bekannte auch einmal, er beneide mich, denn ich sei ein Dichter und er nur Journalist. Diese gegenseitige Achtung und Anregung zwischen Menschen zweier Generationen fehlt heute oft. Vorgelebte Werte wie Gradlinigkeit, Standpunkttreue, Unverbiegbarkeit werden seltener Bestandteil von Freundschaften.

Andere, unverbindliche Dinge haben Vorrang, es ist auch so gewollt. Und Kommunisten passen in diese Zeit nun gar nicht. Ihre angeblich zynische Mordlust wird an Stalin, Pol Pot und den Mauertoten festgemacht.

Ich erlebe den Kommunisten Günter Jaffke völlig anders, und in ihm fand ich einen der wertvollsten Menschen, denen ich in meinem Leben begegnen durfte. So wie Günter mir den Kommunismus beibrachte - ohne Zwang, allein durch sein Beispiel - und ihn gleich in Gestalt seiner Person beweist, ist diese Option für Gerechtigkeit mir etwas Edles und Erstrebenswertes.

Auch ich will Kommunist sein, wenn ich es kann. Ich habe während meiner Lebensspätzeit vieles gelernt, u. a., daß es falsch war, eine neue Partei mitbegründet zu haben. Es sollte nur eine einzige linke Partei geben, in der sich alle Gleichgesinnten verbünden. Jede Vereinzelung der Kräfte führt zu ihrer Vernichtung. Das ist eigentlich gar nichts Neues, und dennoch anscheinend vielen aus dem Sinn. Vielleicht ist Sozialismus doch möglich, irgendwann nach uns, wenn die Folgenden begriffen haben, daß es an ihnen selbst liegt. Aber wir müssen doch den Boden bestellen für sie!

Günter Jaffke, den ich wegen meiner Dankbarkeit nicht ohne Selbstsucht im "RotFuchs" ehren möchte, ist nun im fünfundachtzigsten Lebensjahr, hellwach, und doch wird man in diesem Alter ein wenig müder. Ich bin noch jünger, und natürlich werde ich den Staffelstab weitergeben so gut ich kann. Aber reicht das aus? Wird die Lücke, von der ich zu Beginn schrieb, geschlossen werden können? Wenn eines Tages all die Standhaften nicht mehr sind? Was können wir tun, damit trotz der verordneten Untugenden Gier, Raffsucht, Konsumterror und flächendeckende Manipulation aufrechte Menschen heranwachsen? Laßt uns darüber einmal in dieser Zeitschrift reden!

Rainer Stankiewitz, Crivitz

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Der Schwanz wedelt nicht mit dem Hund

Wer im Merkel-Kabinett bestimmt

Auf 185 Seiten Koalitionsvertrag ist festgeschrieben, wie die Beteiligten aus Unionsparteien und SPD "Deutschlands Zukunft gestalten" wollen - einer Koalition, die ermöglichen solle, daß es "uns" morgen noch besser gehe als heute. Das jedenfalls gaukelte die CDU-Vorsitzende Merkel dem Wählervolk vor. Ein Vertrag "für die kleinen Leute", meinte SPD-Vorsitzender Gabriel. Ja, er verkündete gar: "Die SPD steht für einen Politikwechsel." Man sei wieder an der Macht. Diese Auslegung konnte Unionsfraktionschef Kauder so nicht stehen lassen. Weshalb er der SPD-Führung klar machte: "In dieser Regierung wedelt der Schwanz nicht mit dem Hund." Schließlich liege die Richtlinienkompetenz bei der Kanzlerin.

Nun ist das allerdings mit dieser Lesart der "Machtfrage" so eine Sache. Marx und Engels haben nämlich vor mehr als anderthalb Jahrhunderten den Charakter des kapitalistischen Staates bloßgelegt: "Die moderne Staatsgewalt ist nur ein Ausschuß, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisklasse verwaltet." An dieser Realität hat sich seitdem nichts geändert. Wie bisher nehmen die Spitzenverbände der Konzerne und Banken ihre Richtlinienkompetenz wahr. Nach der Wahl gaben sie den Mitgliedern ihres Verwaltungsausschusses - der Bundesregierung - Eckpunkte des Koalitionsvertrages vor. Zur Installierung der GroKo hatten bereits am Wahlabend der Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände, Hundt, und andere Bosse grünes Licht gegeben. Für die "großen Aufgaben der Zukunft" brauche das Land eine große Koalition.

Hundt erteilte dann während der Koalitionsverhandlungen einem gesetzlich verankerten flächendeckenden Stundenlohn von 8,50 Euro eine Absage. "CDU/CSU und SPD stehen für die gemeinsame Euro-Stabilisierungspolitik der letzten Jahre, und es liegt aus meiner Sicht nahe, diese vom Wähler bestätigte Politik gemeinsam fortzusetzen", forderte er.

Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Grillo, verlangte: "Es muß Schluß sein mit dem 'Wünsch-dir-was-Konzert' und immer neuen Ausgabenplänen." Und er verkündete: "Die zentrale Frage lautet, wie wir in Europa und in Deutschland unsere Wettbewerbsfähigkeit sichern können. Löhne müssen wettbewerbsfähig sein und bleiben, Arbeitsmärkte flexibel, Energie bezahlbar, Sozialabgaben leistbar ..." Das sei mit Steuererhöhungen für die Unternehmer unvereinbar. Die Steuern müßten vielmehr gesenkt werden.

Auch die wirtschaftsnahen Forschungsinstitute RWI, IWH, DIW und das Ifo-Institut warnten "dringlich" vor einem flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro und vor Steuererhöhungen.

In diesem Bunde durften die sogenannten Wirtschaftsweisen nicht fehlen. Demonstrativ in ihrer Position von Hundt bestärkt, unterbreiteten sie den künftigen Koalitionspartnern ein "Horrorszenario", genannt "Gutachten". Darin empfahlen sie: "Weiterentwicklung der Reformen der Agenda 2010, Deregulierung des Arbeitsmarktes, Lockerung des Kündigungsschutzes, weitere Anhebung des Renteneintrittsalters, keine Wiedereinführung der Vermögenssteuer, Senkung der Erbschaftssteuer, flächendeckende Erhebung von Studiengebühren.

Die Koalitionspartner fühlten sich von den Richtlinien der Unternehmerverbände und dem "Gutachten" der "Wirtschaftsweisen" tief beeindruckt. Frau Merkel erklärte, das "Gutachten" komme "zur rechten Zeit". "Wir werden die Hinweise ernst nehmen." Die damalige SPD-Geschäftsführerin Nahles tat kund: "Das Geld ist knapp. Es ist klar, daß nicht alles realisiert werden kann."

Und so sieht denn auch der Koalitionsvertrag aus.

Was den Mindestlohn angeht, so soll ab 1. Januar 2015 ein flächendeckender Mindestlohn von 8,50 Euro gelten. Aber: Bis 2017 bleiben die Tarifentgelte unter 8,50 Euro. Von 2011 bis 2013 waren 41 Tarifverträge abgeschlossen worden, die Stundenlöhne unter 8,50 Euro vorsehen. Es existieren rund 500 Lohngruppen, die unter 8,50 Euro liegen.

Berücksichtigt man die Inflationsrate bis 2017, so bleiben von den 8,50 Euro bestenfalls 7,80 Euro übrig. Und, was oft übersehen wird, es handelt sich um einen Bruttolohn, dessen Empfänger mit ihrem Monatsverdienst unter der offiziellen Armutsgrenze von 980 Euro liegen. Kommentar von Kauder: "Der Union ist es zu verdanken, daß die deutsche Wirtschaft bis 2017 Zeit hat, sich auf den Mindestlohn einzurichten." Im übrigen bleiben befristete Beschäftigung und Teilzeitbeschäftigung unter 21 Stunden sowie Minijobs, Zeit- und Leiharbeit der Wettbewerbsfähigkeit des Kapitals erhalten.

Nicht beseitigt wird der versprochene Abbau der sogenannten kalten Progression, wonach Beschäftigte bei Lohnerhöhungen infolge steigender Steuerlast netto weniger haben als zuvor.

Die Bürgerversicherung wurde von der SPD aufgegeben. Die paritätische Krankenversicherung - mit gleichen Teilen von Unternehmen und Mitarbeitern - wurde 2005 von der Schröder-Regierung liquidiert. Seitdem bleibt der Beitrag für Unternehmen bei 7,3 Prozent eingefroren.

Arbeiter und Angestellte müssen dagegen während der Legislaturperiode mit Beitragserhöhungen rechnen, weil die Mütterrente und die Rente mit 63 für Beschäftigte mit 45 Beitragsjahren aus den Sozialkassen und nicht aus Steuermitteln finanziert werden. Beitragserhöhungen sind unausbleiblich. Die Beiträge für die Pflegeversicherung werden spätestens zum 1. Januar 2016 erhöht. Die vielgepriesene Rente mit 63 bei 45 Beitragsjahren wird nur für einen relativ kleinen Kreis von Anwärtern - rund 350.000 - wirksam.

Um die SPD-Forderung nach einer Bürgerversicherung war es schon vor der Wahl still geworden. Und längst war nicht mehr von Steuererhöhungen für Reiche, für die Konzerne oder der Wiedereinführung einer Vermögenssteuer die Rede gewesen. Die Reformen der Agenda 2010 sollen vielmehr, wie die "Wirtschaftsweisen" darlegten, "weiterentwickelt" werden. Damals, bei Schröder, waren den Konzernen Steuervergünstigungen in Höhe von 60 Milliarden per Gesetz zugeschanzt worden.

Für die Gehälter von Managern wurde - der Wahlkampfpropaganda zuwider - keine Grenze gesetzt. Ob in der Hinsicht überhaupt etwas geschieht, ist den Hauptversammlungen überlassen, insofern der Aufsichtsrat entsprechend entscheidet.

Die Energiewende wurde gedrosselt. Hundt hatte verlangt: "Die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen darf nicht durch den weiteren unkontrollierten Ausbau erneuerbarer Energien und die damit verbundene Kostenexplosion gefährdet werden." Und Grillo forderte, es gehöre "eine bezahlbare und sichere Energieversorgung auf Platz eins der Prioritätenliste". Den Profitinteressen der vier großen Energiekonzerne mit ihren Atom- und Kohlekraftwerken wurde entsprochen. Im Koalitionsvertrag wurde ein "Ausbaukorridor" geschaffen. Er soll lästige Konkurrenz, nämlich das Wachstum der erneuerbaren Energie, drosseln. Betroffen sind die Solarindustrie und die preiswerte Windkraft-Land-Industrie sowie die privaten Haushalte, während die Konzerne weiterhin Preisabschläge erhalten.

Prof. Dr. Georg Grasnick

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Eine Landgenossenschaft mit tiefen Wurzeln in der LPG-Geschichte

Die Klingers aus Oppurg

Am 10.12.2013 führte die 3163 Hektar große Landgenossenschaft Oppurg eG im thüringischen Kreis Schleiz eine Generalversammlung durch. Sie zählt 122 Mitglieder und Beschäftigte sowie sechs Lehrlinge. In der Versammlung wurde der Diskussionsbeitrag des Ehepaares Klinger, den der 89jährige Ortschronist Herbert auch im Namen seiner Frau Annelies vortrug, gehalten. Beide sind aktive Mitglieder der Partei Die Linke und engagierte "RotFuchs"-Leser. Herbert hatte schon vor über 40 Jahren als Parteisekretär der seinerzeitigen LPG im gleichen Saal am Rednerpult gestanden.

Hören wir den Klingers zu:

Wir gingen 1990 in Altersrente, blieben aber ideell immer eng mit unserer LPG Oppurg verbunden. Die Felder sind eingebracht, zu Hause halten wir nur noch Kaninchen und Hühner. Ich habe die Geschichte der landwirtschaftlichen Genossenschaftsbewegung bei uns und im Kreisgebiet seit 1952 in zwei inzwischen vorliegenden Bänden aufgezeichnet. Viele Gespräche mit den Oppurger LPG-Schrittmachern sind vor 60 Jahren durch mich protokolliert worden. Außerdem besitze ich Hunderte Fotos, die unser Genossenschaftsleben widerspiegeln. Diese Dokumente berichten über menschliche Leistungen in der Pflanzen- und Tierproduktion, im Gartenbau, durch die Baubrigade und in der Kulturarbeit - auch in unserem Ferienzentrum Neumannshof an der Saale. Hier in diesem Saal trat unsere LPG-Frauentanzgruppe Oberoppurg auf. Die Gesichter der Tänzerinnen waren originell als Larven nach hinten gerichtet.

Vermerkt habe ich auch die Spitzenleistungen der Oppurger Kühe, die in 16 Jahren 100 Millionen Liter Milch an den Milchhof Scheßlitz bei Bamberg zur Herstellung allerbester Frischmilch und von Extrakäse - auch zum Export nach Italien - lieferten. Die Auszeichnung für Spitzen-Braugerste ist von mir ebenso festgehalten worden wie der uns in DDR-Tagen verliehene Karl-Marx-Orden, den wir bis heute in Ehren halten.

Die bisherigen Vorstände der LPG und die Leitung der Kooperationsgemeinschaft "Orlatal" Oppurg sowie zahlreiche fleißige Genossenschaftsbäuerinnen und Bauern werden in meinen Büchern erwähnt.

Ein großer Teil unserer LPG wurde schon vor Jahren von ihr abgeteilt, um eine Extra-Agrargenossenschaft Ludwigshof entstehen zu lassen, die sich mit spezieller Arzneidrogenproduktion befaßt. Heute wirtschaftet sie auf 755 Hektar mit Trocknungsanlage - eine der größten Einrichtungen dieser Art in der BRD. Unsere ehemalige Oppurger LPG-Hauptbuchhalterin Louise Hauke wurde deren Vorsitzende.

Durch meine Niederschriften kann jeder erfahren, wie sich damals die Entwicklung in den Dörfern unserer Region vollzog. In einigen Orten gab es zwei landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften - eine vom Typ I, wo nur das Land gemeinsam bewirtschaftet wurde, und eine andere vom höheren Typ III, in welche auch die Viehwirtschaft einbezogen war.

Jahrelang unterhielten wir enge Partnerschaftsbeziehungen zur LPG Korten in Bulgarien. Es handelte sich dabei um einen fachlich-kulturellen Austausch, bei dem auch Urlauber hin und her reisten. Unvergessen sind mir sowjetische Soldaten und vietnamesische Helfer bei der Lagergetreideernte sowie im Gartenbau, aber auch die intensive Mithilfe von Einwohnern aus dem Ort. Wir haben Berufskollegen aus Pskow bei Leningrad, aus Norwegen, Zypern, Polen, Frankreich und der CSSR empfangen.

In der Chronik sind örtliche Höhepunkte beschrieben und im Bild festgehalten worden. Dazu gehörte zweifellos das Wiedereinsetzen von Wildpferden nach 12.000 Jahren in der Döbritzer Schweiz. Ganz wichtig war mir auch die Erinnerung an das 50jährige Bestehen der Oppurger Arztpraxis Dr. Büttners. Ihr neues Gebäude wurde 1969 fertiggestellt, wobei den Löwenanteil der Arbeit unsere LPG-Baubrigade bewältigte, die auch alle anderen Häuser im Umfeld der Praxis errichtet hat.

Selbst im hohen Alter drängt es Annelies und mich, noch ein bißchen mitzumachen. Von den Fenstern unserer einstigen Bodenreform-Wirtschaft, die mein Großvater, mein Vater und ich gebaut haben und die 1951 von Menschen mit Tieren bezogen wurde, können wir zuschauen, was auf den großen Feldern zwischen Rehmen und der Döbritzer Schweiz heute in der Feldwirtschaft geschieht.

Ich halte es für sehr unklug, daß die Brüsseler EU-Zentrale landwirtschaftliche Großbetriebe weniger als bisher unterstützen und besonders die Genossenschaften in Ostdeutschland, die ganz überwiegend aus großen LPGs hervorgegangen sind, bei der finanziellen Förderung zurückschrauben will. Diese Aktion betrifft auch unsere Landgenossenschaft Oppurg eG. Sie richtet sich gegen größere Schläge und Ställe, propagiert unter Öko-Vorwänden die Rückkehr zum Kleinbetrieb. Würde sich diese Linie durchsetzen, gäbe es auf unserer Erde nicht nur 842 Millionen Hungernde, sondern einige hundert Millionen mehr. Dagegen gilt es gemeinsam aufzutreten.

Annelies und Herbert Klinger, Oppurg


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Dieses Foto vom Erntetag des Lagerroggens dokumentiert die Hilfe von sowjetischen Soldaten der Garnison Saalfeld/Saale und Einwohnern Oppurgs. Die Männer mit dem roten Stern kamen der LPG jahrzehntelang zu Hilfe, um ausgeackerte Steine zu beseitigen, Kartoffeln und Zuckerrüben zu ernten und selbst bei 10 Grad minus Rosenkohlpflanzen für die Versorgung der Bevölkerung abzuhacken.
Hier erklärt Oppurgs inzwischen verstorbener Bürgermeister Gerhard Reißig (mit Gabel) den Arbeitsablauf.

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Erlebnisse eines erfahrenen DDR-Diplomaten (1)

Heinz Birch erzählt

Ganz gleich welche Arbeit oder Aufgaben man im Leben zu erfüllen hat, eines sollte man dabei immer bedenken: Man darf sich niemals zu wichtig nehmen. Man ist eben stets nur ein Rädchen im großen Getriebe der Gesellschaft oder der Welt. Ich trete bei dieser Geschichte ins Bild, doch vorerst nur in einer Nebenrolle. Jedem anderen hätte diese Rolle ebenfalls zugedacht worden sein können. Allerdings wird hier deutlich, mit welchen Mitteln die USA und deren Bündnispartner die Entwicklung der DDR zu stören, ihre Ausstrahlungskraft zu verhindern suchten. Erklärtes Ziel war immer die Blockierung jeglicher sozialistischen Entwicklung oder deren Rückgängigmachung, was ihnen in Europa leider auch gelungen ist.

Das war allerdings in jenem Jahr, als ich zum ersten Mal einem gewissen Mr. Meyer begegnete, noch nicht abzusehen. Lange Zeit habe ich nicht an das mehrmalige "zufällige" Zusammentreffen mit diesem Mann gedacht. Erst als ich mit Aufzeichnungen über meinen Lebensweg begann, kam er mir plötzlich wieder in Erinnerung. Bevor ich jedoch zur eigentlichen Geschichte vordringe, bedarf es noch einiger Bemerkungen. Während meiner Tätigkeit in der Abteilung Internationale Verbindungen des ZK der SED kam ich mit vielen Genossen der KP Großbritanniens zusammen, die im Rahmen der Parteibeziehungen die DDR besuchten.

Zu einigen von ihnen entwickelten sich enge freundschaftliche Kontakte. Die SED war bestrebt, den britischen Genossen trotz begrenzter eigener finanzieller und materieller Möglichkeiten maximale Unterstützung zu gewähren, sei es durch die Bereitstellung von Urlaubsplätzen oder Hilfe bei Erkrankungen. Auch die Zusammenarbeit mit der Londoner Marx-Gedenkbibliothek und die Pflege der letzten Ruhestätte von Karl Marx auf dem Highgate-Friedhof gehörten dazu. Obwohl in der DDR westliche Valuta knapp war, wurden für Restaurierungen am Grabmal von Marx Mittel bereitgestellt. Die weitere Pflege erfolgte nach Etablierung einer Mission der Kammer für Außenhandel in London durch die Kinder der Mitarbeiter. Bei Besuchen führender Genossen der KP Großbritanniens erhielt das ZK der SED wiederholt Einladungen zur Entsendung einer Delegation. Sie wurden mit Dank angenommen, da es reges Interesse dafür gab, an Ort und Stelle die Kampfbedingungen der Bruderpartei zu studieren.

Leider waren die Bemühungen zunächst vergebens. Bis zum Anfang der 70er Jahre existierte in Berlin das sogenannte Allied Travel Office. Es war eine typische Institution des Kalten Krieges. Wer als DDR-Bürger ins westliche Ausland reisen wollte, mußte sich dort eine Reisebescheinigung - den Travel-Paß - besorgen. Darin wurde nicht etwa bestätigt, der Bürger XYZ wolle und dürfe nach Frankreich, Großbritannien, in die USA oder einen anderen westlichen Staat reisen. Für das Travel Office existierte die DDR-Staatsbürgerschaft nicht. Bekam man von ihm ein Reisedokument, so stand unter der Rubrik Staatsangehörigkeit stets "presumed German". Das hieß soviel wie: mutmaßlich Deutscher.

Schließlich wurde vom Politbüro beschlossen, eine SED-Delegation zum Erfahrungsaustausch nach London zu entsenden. Nun begannen für mich endlose Laufereien. Mehrmals begab ich mich mit dem Auftrag nach Westberlin, Visa für die Mitglieder der Delegation einzuholen, zu der auch ich gehören sollte. Mein erster Weg führte mich zum britischen Konsulat. Dort erklärte mir der Konsul, daß ich mich zunächst zum Allied Travel Office begeben müßte, um von dort entsprechende Pässe beizubringen. In die Reisedokumente der DDR wollten die Briten kein Visum stempeln, da sie in ihren Augen nicht existierte. Es war die Zeit der Hallstein-Doktrin, also der Alleinvertretungsanmaßung der BRD. Da durfte das Konsulat keinen Schritt tun, der auch nur vage einer Anerkennung der staatlichen Existenz der DDR nahe gekommen wäre.

Was sollte ich tun? Wohl oder übel mußte ich das Travel Office aufsuchen. Das war allerdings gar nicht so leicht. Bei meinen Fahrten nach Westberlin bekam ich nämlich nur 5 DM in die Hand gedrückt. Der in unserer Abteilung für "Reisekosten" zuständige Genosse erwartete, daß man nach einem "Ausflug in westliche Gefilde" möglichst den vollen Betrag zurückerstattete. Wenn es zu keinen außergewöhnlichen Ereignissen kam, wurde das von den "Reisenden" auch so gehandhabt.

Im Travel Office angekommen, konnte ich mein Anliegen vorbringen. Doch ein Erfolg war mir nicht beschieden. Mein Hinweis auf den britischen Konsul brachte mich nicht weiter. Der Beamte im Travel Office empfahl mir, zum britischen Konsulat zurückzugehen und dem Konsul mitzuteilen, daß ich für die Ausstellung des Passes auf alle Fälle erst ein Visum beibringen müßte. Also tat ich, was mir empfohlen worden war. Der Konsul beharrte indes darauf, daß er zur Ausstellung der Visa die Travel-Pässe benötige. So hätte ich tagelang hin- und herpendeln können, ohne einen Schritt weiterzukommen.

Mehrfach mußte ich den Versuch zur Erlangung der Einreisevisa nach Großbritannien wiederholen. In meiner Abteilung wurde ich schon ein wenig belächelt. Vielen war es bereits gelungen, in Länder wie Dänemark, Belgien, Holland oder Finnland zu fahren. Daher ging der gutgemeinte Spruch um, ich sei ein weitgereister Weltenbummler, wenn es auch nur bis Westberlin gereicht habe.

Kurz vor der weltweiten Anerkennungswelle der DDR konnte dann 1970 eine SED-Delegation unter der Leitung von Kurt Seibt, der ich als Sekretär angehörte, doch nach London reisen. Das Visum wurde zu dieser Zeit jedoch noch immer nicht in die DDR-Pässe gestempelt: Man bekam es auf einer Einlage. Schon die Überschrift war bezeichnend für die damalige Phase des Kalten Krieges: DECLARATION OF IDENTITY FOR VISA PURPOSES (Identitätsbescheinigung für Visazwecke). Damit besaß ich zwar ein Papier, mit dessen Hilfe ich mich als Heinz Birch ausweisen konnte, aber weder Staatsangehörigkeit noch Nationalität waren darauf vermerkt. Meinen Paß nahm bei der Einreise in London auch niemand zur Kenntnis. Für die Grenz- und Zollkontrolle war allein die mit einem Foto versehene DECLARATION maßgeblich. Mit solchen Lächerlichkeiten meinte man, die weltweite Anerkennung der DDR aufhalten zu können.

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Zum politisch-moralischen Format Wolfgang Harichs

Ein nicht Vereinnehmbarer

Die Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde (GBM) führte am 19. Dezember 2013 ein Kolloquium anläßlich des 90. Geburtstages des Philosophen Wolfgang Harich durch. Wir veröffentlichen einen Auszug der einleitenden Bemerkungen des stellvertretenden GBM-Bundesvorsitzenden Oberst a. D. Klaus Eichner.

Die Organisatoren hatten sich in der Vorbereitung des Kolloquiums geeinigt, heute Wolfgang Harich nicht nur als Philosophen und Geisteswissenschaftler zu würdigen, sondern vorrangig als politischen Akteur in den Jahren nach der von ihm auch so empfundenen Konterrevolution 1989/90. Dazu gehört in erster Linie seine Initiative zur Bildung der Alternativen Enquetekommission Deutsche Zeitgeschichte (AEK) - als politisches Gegengewicht zur Enquetekommission des Deutschen Bundestages unter Leitung von Pfarrer Eppelmann.

Ich verbinde diese Einleitung mit ganz persönlichen Erinnerungen an eine bemerkenswerte Persönlichkeit. In den Jahren der Gründung und der Arbeit der AEK habe ich oft bei Wolfgang Harich in der Friedensstraße gesessen - und wir waren uns nicht immer einig!

Es war ja auch eine etwas sonderbare Situation: Da sitzt ein Mensch, der vom MfS als Mitglied einer staatsfeindlichen Gruppe "bearbeitet" und 1957 von einem DDR-Gericht verurteilt wurde - und ihm gegenüber als akzeptierter Partner ein ehemals verantwortlicher Mitarbeiter des MfS.

Aber gerade deshalb drängte Wolfgang Harich auf die Durchführung von Veranstaltungen der AEK, in denen ein objektives Bild der Geheimdienstarbeit im Kalten Krieg und auch eine schonungslose Offenlegung von Fehlentwicklungen und Fehlentscheidungen in der Sicherheitspolitik der DDR im Zentrum standen ... Besonders beeindruckt war ich durch seine Haltung, sich nie und nimmer für einen Rachefeldzug gegen Personen, die direkt oder indirekt für Repressionen gegen ihn verantwortlich waren, vereinnahmen zu lassen.

Dazu erklärte er in einem offenen Brief an den Generalstaatsanwalt beim Kammergericht Berlin, der vom ND am 27. Juli 1993 abgedruckt wurde, daß er das Erscheinen zu einer Vernehmung bei einer Staatsanwältin der Zentralen Ermittlungsgruppe Regierungs- und Vereinigungskriminalität grundsätzlich ablehne. Die ZERV wollte Wolfgang Harich als Zeugen für Ermittlungen gegen Akteure des Gerichtsprozesses von 1957 vernehmen. Harich ging sogar weiter und stellte seinerseits Strafanzeige gegen die Staatsanwältin M., da sie ihn mit der Vorladung zur Vernehmung unter Androhung von Nachteilen zu einem Verstoß gegen geltendes Recht genötigt hatte.

Diese Haltung beruhte auf einem tiefgehenden Verständnis von Solidarität unter Linken. Er hatte dazu auf einer Konferenz der Abgeordnetengruppe PDS/Linke Liste im Bundestag im November 1993 zum Thema "Lebenselixier Solidarität" gesprochen ("junge Welt" vom 11. März 2010).

Wolfgang Harich formulierte seinen Standpunkt folgendermaßen: "Es kann Genossen was auch immer vorzuwerfen sein. Sobald die Schergen des Klassenfeindes sich ihrer bemächtigen, darf es ihnen gegenüber nur noch Solidarität geben. Ohne Wenn und Aber." Er schloß in diese Haltung auch die verurteilten Mitglieder der alten SED-Führung ein.

Weiter sagte Wolfgang Harich in diesem Referat: "Ich wende mich gegen den berüchtigten MfS-Offenlegungsbeschluß der PDS für Genossen, die Funktionen übernehmen wollen. Die Stasi war nun einmal Schild und Schwert der Partei, die einst SED hieß. Jeder, der ihr gedient hat, offiziell und inoffiziell, mußte sich darauf verlassen können, daß die PDS eisern zu ihm hält. ...

Es ist aber besonders die Verlogenheit zu verdammen, einen derartigen Beschluß zu fassen und im Einzelfall sich selbst davon auszunehmen, weil man sich für so unentbehrlich hält, daß da über einen selbst gar nichts zu finden sein könnte."

Als ich diese Zeilen jetzt noch einmal gelesen hatte, wurde ich nachdrücklich an das Agieren führender Vertreter der Linkspartei in Brandenburg, vor allem zu Beginn ihrer Koalition mit der SPD, erinnert!

Wir ehren heute diese außergewöhnliche Persönlichkeit mit all ihren Ecken und Kanten.

In einem Beitrag zum 75. Geburtstag von Wolfgang Harich merkte Peter Feist zum Beispiel an: "In den zu seinem Tode 1995 zahlreich erschienenen Nachrufen finden sich die unterschiedlichsten Wertungen, die von seltsamer Dissident, Wunderkind der jungen DDR über kämpferischer Philosoph, eigenwilliger Nonkonformist, deutscher Patriot, brillanter Literaturkritiker bis Ökostalinist reichen. Er sei aufsässig, spritzig-intelligent, dogmatisch, verbohrt, selbstkritisch, fanatisch, eloquent, unangepaßt, stur, unhöflich und begabt gewesen ­...

Peter Feist schließt seine Würdigung des "charmanten Querdenkers" mit den Worten: "Wenn Harich etwas als notwendig angesehen hatte, konnte ihn nichts und niemand abhalten, sich dafür rückhaltlos einzusetzen. Sein aus tiefstem philosophischem Grund gespeister moralischer Rigorismus verschaffte ihm nicht wenig Feinde, und machte es zuweilen auch seinen Genossen nicht leicht, ihm beizustehen. Freund und Feind aber sind sich einig: Wolfgang Harich war einer der bedeutendsten kommunistischen Intellektuellen der Nachkriegszeit."

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"RotFuchs"-Wegbereiter (11): Dr. Ernst Heinz

Mitglied der Linkspartei und ihrer Kommunistischen Plattform, saß Ernst Heinz schon Ende der 90er Jahre mit vielen anderen Genossen in "RotFuchs"-Veranstaltungen, als unsere Zeitschrift noch von der DKP-Gruppe Berlin-Nordost herausgegeben wurde. Mit Interesse verfolgte er damals, wie sie bis zu ihrer parteipolitischen Abkoppelung im Juli 2001 marxistisches gegen weniger marxistisches Gedankengut verteidigte.

Ernst wurde 1934 in Berlin-Moabit geboren, erlebte die Bombenteppiche der Westalliierten und den Einmarsch der Roten Armee. In Mecklenburg wurde er dann Zeuge und ganz junger Beteiligter der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung. Schon 1948 gehörte er einem FDJ-Kreisvorstand an. 1950 wurde er Mitglied der SED.

Sein Arbeitsleben widmete er zunächst dem Jugendverband und dann der Partei. Nach Absolvierung des 1. Einjahreslehrgangs der Jugendhochschule "Wilhelm Pieck" war Ernst Heinz in verantwortlichen FDJ-Funktionen tätig. 1961 wurde er, der die Abiturreife autodidaktisch erlangt, an der Humboldt-Universität Philosophie studiert und am Institut für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED den akademischen Grad eines Dr. phil. erworben hatte, hauptberuflicher Parteiarbeiter. Von 1971 bis 1984 war er 1. Kreissekretär der SED im Berliner Arbeiterbezirk Prenzlauer Berg, anschließend bis 1989 Sekretär der hauptstädtischen SED-Bezirksleitung. Nach 1990 arbeitete Ernst als Dozent für Erwachsenenbildung.

Seit 12 Jahren leitet er umsichtig und engagiert die Berliner RF-Regionalgruppe, bei deren monatlichen Veranstaltungen inzwischen viele prominente und auskunftsfähige Redner aufgetreten sind.

Ernst Heinz, der verwitwet und Vater zweier Söhne ist, gehört dem Vorstand des RF-Fördervereins seit vielen Jahren an. Er hat sich auch als Autor etlicher solider und mit Herzblut geschriebener Beiträge in unserer Zeitschrift profiliert.

In der PDL-Basisorganisation trägt seine aktive Mitarbeit dazu bei, marxistische Positionen unter den Genossen zu bewahren und zu verteidigen.

RF

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Warum Georg Kurtze nicht in Gabriels Partei passen würde

Hut ab vor einem mutigen Sozialdemokraten!

Als ich vor einiger Zeit für den RF einen Artikel über einen falschen "Helden" meiner neuen Heimatstadt Strausberg schrieb - nämlich über Michael Gartenschläger - erwähnte ich darin bereits den Sozialdemokraten Georg Kurtze. Über dessen Leben und Sterben las ich zuerst in einer Strausberger Stadtchronik. Ich war von seinem Schicksal sehr bewegt und beschloß, über diesen wahren Helden zu berichten. Ein weiterer Grund dafür ist mein Eindruck, daß das Wirken aufrechter Sozialdemokraten in der Zeit des Faschismus in unserer Zeitschrift unterrepräsentiert ist.

Georg Kurtze wurde am 9. November 1872 in Strausberg geboren. Schon sehr früh las er die Schriften von Ferdinand Lassalle und August Bebel. Er begann eine Tuchmacherlehre in seiner Heimatstadt, die damals noch über eine florierende Textilindustrie verfügte. Viele Jahre lang prägten die Färberei und die Gerüste zum Trocknen der Tücher das Ufer des Straussees.

Man weiß, daß Kurtze 1897 eine Zeitlang in Berlin Feuerwehrmann und Lagerarbeiter war. 1910 trat er der SPD bei. Bald darauf wurde er auch Mitglied der Textilarbeitergewerkschaft und des Arbeiterturnvereins "Vorwärts". Im Ersten Weltkrieg, den die Reichstagsfraktion seiner Partei 1914 - mit der rühmlichen Ausnahme Karl Liebknechts - durch ihre Zustimmung zu den Kriegskrediten moralisch mit getragen hatte, diente Georg Kurtze als Sanitäter an der russischen Front. Als er 1918 nach Strausberg zurückkehrte, war er in einer Schuhfabrik und als Straßenbahnkontrolleur tätig. Bei der ersten Wahl nach der niedergerungenen Novemberrevolution gewann Georg Kurtze ein SPD-Mandat in der Stadtverordnetenversammlung. Im Mai 1919 wurde er in den Oberbarnimer Kreistag gewählt. Diesen Sitz verteidigte er zweimal erfolgreich. 1924 und 1929 wurde er als ehrenamtlicher Stadtrat bestallt und leitete den Ausschuß für Feld, Wirtschaft und Verschönerung.

Schon 1921 fiel er dadurch auf, daß er eine Hindenburg-Feier der Deutschnationalen Volkspartei als reaktionäre Veranstaltung attackierte. 1924 gehörte er zu den Unterzeichnern des Strausberger Gründungsaufrufs für die SPD-Selbstschutzorganisation Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. 1932 übermalte Georg Kurtze im Vorfeld der Reichspräsidentenwahl faschistische Parolen und schrieb die Thälmannsche Losung "Wer Hitler wählt, wählt den Krieg!" an Mauern seiner Stadt.

Ein Mann dieser Art konnte bei denen, die am 30. Januar 1933 mit Hilfe und im Auftrag des deutschen Kapitals die Macht übernahmen, nicht auf Gnade hoffen. Als die Faschisten auf dem Strausberger Rathaus ihre Hakenkreuzfahne hißten, trat Georg Kurtze von seinem Stadtratsamt zurück. Am 24. Juni 1933 wurde er mit drei weiteren Sozialdemokraten der Stadt in "Schutzhaft" genommen. Man brachte die Arretierten in das KZ Oranienburg. Georg Kurtze blieb dort bis zum 30. August. Während der kurzen Haftdauer wurde er schwer mißhandelt. Sein Freund Richard Hauschildt kehrte als gebrochener Mann zurück, wurde aus Strausberg vertrieben und nahm sich 1934 das Leben.

Georg Kurtze traf sich weiter heimlich mit widerstandsbereiten Sozialdemokraten bei ausgedehnten Waldspaziergängen. Als ihm im Rahmen der "Aktion Gewitter" eine erneute Verhaftung drohte, versteckte er sich bei Freunden im nahen Petershagen. Beruflich fand er während der faschistischen Gewaltherrschaft nur schwer Arbeit. Er half bei Bauern in den umliegenden Dörfern aus, war Lagerarbeiter in einer Sägemühle. 1938 starb seine Frau Hedwig.

Als sich das Ende der Hitlerdiktatur auch in Strausberg durch den Geschützdonner der nahenden Front ankündigte, wollte Georg Kurtze die Zerstörung seiner Heimatstadt verhindern. Er wünschte sich ihre kampflose Übergabe an die Rote Armee. Am 20. April 1945 hißte er die weiße Fahne auf dem Rathaus. Obwohl Strausberg einige leichtere Zerstörungen erfuhr, blieb ihm das Schicksal von Seelow oder Küstrin erspart. Am 21. April rückten die Soldaten mit dem roten Stern in die Stadt ein.

Georg Kurtze wurde an jenem Tag zweimal beim Betreten der sowjetischen Kommandantur gesehen. Was danach geschah, ist heute nicht mehr zu ermitteln. Anfang Mai wurde er am Ufer des Straussees tot aufgefunden. Der 72jährige war durch einen Kopfschuß regelrecht hingerichtet worden. Die Täter konnten nie ermittelt werden, doch sicher gab es in jenen Tagen noch genügend Nazis, die ihm die "verräterische" Übergabe von Strausberg nicht verzeihen wollten.

Bürgermeister Otto Langenbach (KPD), dem das Amt nach der Befreiung der Stadt kommissarisch anvertraut worden war, verfügte bereits am 9. September 1945, daß Strausbergs Ritterstraße, in der Georg Kurtze gewohnt hatte, seinen Namen erhalten sollte. Sie trägt ihn noch heute. Sein Grab wird als Ehrengrab gepflegt. Man wünschte sich eine Gedenktafel an seinem Haus.

Oft frage ich mich, wie sich dieser wackere Mann 1946 beim Zusammenschluß von SPD und KPD zur SED wohl verhalten hätte, wäre er nicht ermordet worden. Keiner kann das mit Bestimmtheit sagen, aber ich glaube, daß man sich als Kommunist neben ihm durchaus wohl gefühlt hätte. Leben und Bekenntnis dieses aufrechten Sozialdemokraten lassen darauf schließen, daß er in Gabriels SPD ganz bestimmt nicht passen würde. Es sind Leute wie er, die dieser Partei fehlen. Als Kommunist aus einer ganz anderen Generation fällt es mir nicht schwer, in ihm das zu sehen, was er immer sein wollte: ein Genosse!

Ulrich Guhl

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Er war Untersuchungsrichter im Auschwitzprozeß

Würdigung eines Würdigen: Heinz Düx zum 90.

Im April wird Heinz Düx 90 Jahre alt. Mehr als zwei Drittel seiner Lebensjahre - nicht weniger als 68 - widmete er der Entlarvung deutsch-faschistischer Verbrechen, ihrer juristischen Bewältigung und der Rehabilitierung ihrer Opfer. Die gesammelten Schriften dieses engagierten Mannes hat Dr. Friedrich-Martin Balzer unlängst bei Pahl-Rugenstein herausgebracht.

Geboren in der Familie eines Marburger Mechaniker-Meisters, wegen Lungenkrankheit nicht zur faschistischen Wehrmacht eingezogen, studierte Heinz Düx in den ersten Jahren nach 1945. Er arbeitete als Anwalt, Richter und Sachverständiger, gehörte zeitweilig der KPD an, war Gewerkschafter, SPD-Mitglied, vor allem aber in der VVN/BdA und der Vereinigung demokratischer Juristen aktiv. Immer wieder trat er an die Öffentlichkeit - sowohl, um Nazi-Richter und -Staatsanwälte, die in der BRD-Justiz wieder aktiv wurden, zu demaskieren, als auch, um die Frage zu beantworten: Was für ein Staat ist die BRD? Er entlarvte den Mythos von der Fortexistenz des Deutschen Reiches und erklärte: Über eine natürliche Person, die sich mit einem verblichenen Massenmörder zu identifizieren wünsche, könne man nur den Kopf schütteln. Daher sei es unbegreiflich, wie ein neugegründeter Staat für sich in Anspruch nehme, der Rechtsnachfolger einer faschistischen Diktatur zu sein, deren hervorstechendstes Merkmal die Begehung von Völkermord gewesen sei.

Ob als Untersuchungsrichter im Auschwitz-Prozeß oder bei der Aufklärung der Euthanasie-Verbrechen, als Sachverständiger im Entschädigungssenat - Heinz Düx stritt überall für die juristische Verfolgung der Schuldigen und die Rehabilitierung ihrer Opfer. Angefeindet von den Wortführern der Reaktion, auf CDU-Antrag mit Disziplinarverfahren überzogen, kämpfte er, der 1970 Vorsitzender eines Zivilsenats am Oberlandesgericht Frankfurt am Main wurde, standhaft gegen die bundesdeutsche Berufsverbotspraxis, die Diskriminierung von Wehrdienstverweigerern und die Verfolgung von Mitgliedern der illegalisierten KPD. Er wurde so zu einer Ausnahmeerscheinung unter Juristen der BRD. Scharf kritisierte Heinz Düx auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wonach die DDR nicht als Ausland zu gelten habe. Er verglich die Behandlung von Naziverbrechern und deren Karrieren in der BRD mit ihrer Aburteilung in der DDR.

Die Gesammelten Schriften von Heinz Düx enthalten einleitend eine bewegende Würdigung dieses Verteidigers demokratischer Rechte und aufrechten Antifaschisten durch den renommierten Herausgeber Friedrich-Martin Balzer. Es folgen seine Veröffentlichungen zur juristischen Aufarbeitung der Naziverbrechen, kritische Kommentare zur Geschichte der BRD, Äußerungen zur Friedenspolitik und zum Völkerrecht sowie autobiographische Texte. Alles in allem: ein hochinteressanter Rückblick, der zugleich brandaktuell ist.

Dr. Ernst Heinz


Heinz Düx: Justiz und Demokratie - Anspruch und Realität in Westdeutschland nach 1945. Ges. Schriften (1948-2013). Herausgegeben von Friedrich-Martin Balzer. Pahl-Rugenstein-Verlag, Bonn 2013, 984 Seiten, 39,99 €, ISBN 978-3-89144-467-2

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Wortmeldung aus dem Allende-Viertel

Der Beitrag "Eine Ehrung Allendes" im RF 193 veranlaßt mich zu einer Wortmeldung. Der Umsetzung der Allende-Büste in die angebliche Mitte des Allende-Viertels ohne Not und ihrer "Erhaltung" ging die Bilderstürmerei an einem anderen DDR-Kunstwerk voraus: den "Drei Stelen". Die Allende-Büste des Bildhauers D. Rohde befand sich nach dem Verlust des Venceremos-Flachreliefs von Prof. W. Nerlich durch Diebstahl allein auf dem Schulhof. Deshalb wurde sie unserer Ansicht nach durch Mitarbeiter des Bezirksamtes (BA) wirkungsvoll vor die "Drei Stelen" mit dem Schriftzug Salvador-Allende-Oberschule in den schon bestehenden kleinen Ehrenhain vor dem Schulgebäude umgesetzt.

Die nach dem "Anschluß" der DDR an die BRD im Gebäude der Salvador-Allende-Oberschule neu entstandene und benannte Salvador-Allende-Gesamtschule wurde später aufgelöst, und ein Gymnasium zog dort ein. Es deutete sich an, daß die Schulleitung den Namen Salvador Allende nicht weiterführen wollte. Als neue Namenspatronin wurde Emmy Noether, eine angesehene deutsch-jüdische Mathematikerin, die 1933 in die USA emigrierte und kurze Zeit später dort starb, auserkoren und der Name Allende gelöscht.

In der Folge der Namensgebung wurde auch der Schriftzug an den "Drei Stelen" entfernt. Im 40. Jahr des Putsches in Chile unterbreitete die SPD in der Absicht, den Namen des Sozialisten Allende endlich ganz vom Schulbau zu lösen, den Vorschlag, die Büste in nur schlecht kontrollierbare Räume an der Peripherie des Viertels zu verbringen. Allein mit den Stimmen der SPD wurde die Umsetzung vom öffentlich-rechtlichen Gelände der Schule auf ein Terrain der privaten Wohnungsbaugesellschaft DEGEWO beschlossen. Zu deren Absicherung unterzeichnete das BA mit der DEGEWO, die das Projekt unterstützte, einen zivilrechtlichen Vertrag.

Unsere Bürger wurden zu dieser Sache nie befragt. Die Umsetzung erfolgte trotz einer fachlich fundierten Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Kunst im öffentlichen Raum und des Büros gleichen Namens, die sich für den Erhalt des alten Standortes im historischen Kontext und die Restaurierung der Kunstwerke aussprachen.

Unserer Auffassung nach war das Allende-Ensemble schon bei der Einfahrt ins Viertel ein Blickfang. Zugleich wurde der Gedenk- und Denkort "Savador-Allende-Oberschule" kenntlich gemacht, der als Symbol für die Solidarität mit den nach dem blutigen Militärputsch in Chile in die DDR geflohenen Chilenen steht und bis in die 80er Jahre ein wichtiger Treff mit dem chilenischen Exil war.

Als Dank für die erwiesene Solidarität wurde die Allende-Büste 1983 anläßlich des zehnten Jahrestages des Putsches und des Todes von Salvador Allende durch den chilenischen PS-Politiker Sepulveda an die Schule übergeben. Um das Schlimmste zu verhüten, hatte ich Anfang 2013 einen Antrag zur Prüfung der Schutzwürdigkeit der Kunstwerke im Allende-Viertel an das Landesdenkmalamt mit dem Gedanken gestellt, insbesondere das Allende-Ensemble vor der Schule zu erhalten.

Die Allende-Büste wurde jedoch an den neuen, unserer Meinung nach völlig ungeeigneten Standort umgesetzt und mit höchster bezirklicher Weihe am 11. September 2013 der Öffentlichkeit übergeben. Somit wurden das alte Ensemble zerstört und die persönlichen Eitelkeiten jener Herren befriedigt, die das Projekt in der Folge der BVV-Entscheidungen zielstrebig vorangetrieben hatten. Nun beabsichtigt Bürgermeister Igel gemeinsam mit den anderen Herren die vollständige Beseitigung der "Drei Stelen", da sie angeblich schon nicht mehr standsicher seien.

Torsten Postrach, Vorsitzender des Bürgervereins Allende-Viertel Köpenick e.V.

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RF-Extra

Der "Tag des Bergmanns" und das "Wunder von Bern"

Zwei Seelen in einer Brust

Aus der Geschichte des Sports und vor allem von Wettkämpfen sind außergewöhnliche Ereignisse bekannt, die kaum in Vergessenheit geraten können. In diesem Jahr - es findet in Brasilien die Fußball-Weltmeisterschafts-Endrunde statt - dürfte mit unterschiedlicher Akzentuierung einmal mehr an das Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft zwischen Ungarn und der BRD erinnert werden, das vor 60 Jahren in Bern ausgetragen wurde. Hier soll im Rückblick davon die Rede sein, wie ich als junger Bürger und Sportler der DDR dieses Spiel erlebt habe.

Im Februar 1945 kam es für mich damals Zehnjährigen zu einem ungewollten, vom faschistischen Staat befohlenen Ortswechsel, den man als "Flucht" bezeichnete. Wir gelangten von Breslau in das Dorf Lipprechterode im Kreis Nordhausen, der zu Thüringens Südharzgebiet gehört. Der Ort liegt nur etwa zwei Kilometer von Bleicherode entfernt, einem Städtchen mit rund 10.000 Einwohnern, wo sich ein sehr bekanntes Kalibergwerk befindet. Die berufstätige männliche Bevölkerung der Region bestand ganz überwiegend aus Fachkräften des Bergbaus und anderer handwerklicher Berufe, die unter oder über Tage tätig waren.

In den 50er Jahren hatte sich in Bleicherode die leistungsfähige Betriebssportgemeinschaft "Aktivist" entwickelt, deren Trägerbetrieb das Kalibergwerk war. 1951 schloß ich mich der Sektion Fußball an, spielte zunächst in der B- und A-Jugend und gehörte 1953/54 zur 1. Fußballmännermannschaft.

Um die Trainingsmöglichkeiten optimal wahrnehmen zu können, die das Werk seinen Sportlern bot, hatte ich eine Arbeit als Grubenzimmermann im Trägerbetrieb der BSG aufgenommen. Ich war praktisch von diesem Zeitpunkt bis Mitte September 1954 Bergmann.

Mit dem Hineinwachsen in das Jugendalter und durch den Einfluß des Trainers, der Spieler und Arbeitskollegen, die überwiegend mehr als zehn Jahre älter als ich waren, erweiterte sich mein Blick für das sportliche Geschehen über das Territorium hinaus. Die Entwicklung des Fußballsports in der DDR, der BRD und im internationalen Rahmen wurde nun intensiver verfolgt und mit Sportfreunden wie Arbeitskollegen diskutiert. Große Teile der männlichen Bevölkerung von Bleicherode und der umliegenden Dörfer waren sehr fußballbegeistert. Bei Heimspielen der Männermannschaft, die in der Landesliga spielte, waren nicht selten mehr als 1000 Zuschauer anwesend.

So rückte in der ersten Hälfte des Jahres 1954 auch das bevorstehende Endrundenturnier der Fußball-Weltmeisterschaft im Juni/Juli in der Schweiz mehr und mehr in den Mittelpunkt vieler Gespräche. Die BRD-Mannschaft hatte sich qualifiziert, gehörte aber nicht zu den von der Weltfußballorganisation (FIFA) gesetzten, leistungsmäßig besseren Mannschaften.

Warum die DDR an den Qualifikationsspielen für die WM 1954 nicht teilnahm und damit in der Schweiz auch nicht präsent war, konnte sich damals in meinem Umfeld niemand erklären. Erst Jahre später, als ich mich während des Studiums auch für sportpolitische Hintergründe interessierte, erfuhr ich, daß die damalige Sektion Fußball der DDR zu einem Zeitpunkt in die FIFA als Vollmitglied aufgenommen worden war, als die Gruppeneinteilung für die Qualifikationsspiele zur WM bereits stattgefunden hatte. Westdeutsche Sportfunktionäre folgten der berüchtigten Alleinvertretungsanmaßung des Bonner Staatssekretärs Hallstein und hatten durch ihren Einfluß in der FIFA nicht unwesentlich zu den Verzögerungen bei der 1952 erfolgten Aufnahme der DDR in diese beigetragen. Der damalige Präsident des westdeutschen Fußballbundes (DFB) Bauwens erhielt beispielsweise von der FIFA mitgeteilt: "Es ist selbstverständlich, daß Deutschland bei den Weltmeisterschaften nur durch eine Mannschaft vertreten werden kann."

Die BRD-Nationalmannschaft hatte bis zum Zeitpunkt des WM-Endrundenturniers keine überdurchschnittlichen Leistungen bei Länderspielen gezeigt. Während des Turnierverlaufs steigerte sie sich aber von Spiel zu Spiel und kam überraschend in das Finale, das man für den 4. Juli 1954 im Berner Wankdorf-Stadion angesetzt hatte. Endspielgegner war Ungarn. Gegen diese Mannschaft hatte das Team der BRD schon in der Vorrunde gespielt und dabei 8:3 verloren. BRD-Trainer Herberger setzte mehrere Reservespieler ein, um Stammkräfte zu schonen, und rechnete selbst mit einer Niederlage. Er ging davon aus, daß beide Mannschaften im Endspiel wieder aufeinandertreffen könnten, was dann ja auch geschah.

Die Ungarn wurden in diesen Jahren als eine der weltbesten Fußball-Nationalmannschaften bezeichnet. Sie hatten in 32 vorangegangenen Länderspielen nicht ein einziges Mal verloren. Ungarn wurde Fußball-Olympiasieger 1952 in Helsinki und gewann am 25. November 1953 im Londoner Wembley-Stadion gegen England sensationell mit 6:3. Dieses Kräftemessen wurde als "Spiel des Jahrhunderts" bezeichnet, da die Briten bis dahin im eigenen Land noch nie von einer europäischen Mannschaft bezwungen worden waren. Auch im Rückspiel, das am 23. Mai 1954 in Budapest nur wenige Wochen vor der WM stattfand, wurde England mit einem Ergebnis von 7:1 durch die ungarische Mannschaft geradezu deklassiert. Im Endrundenturnier in Bern hatte sich das Puskas-Team gegen die hoch eingeschätzten Brasilianer und den Titelverteidiger Uruguay durchgesetzt. Die Vorzeichen, Weltmeister zu werden, standen also für die Mannschaft aus Budapest sehr gut.

Im Kreis der Sportfreunde und Arbeitskollegen wurde lebhaft über den vermuteten Ausgang gesprochen. Überwiegend gehörte die Sympathie der ungarischen Mannschaft, zumal ihr Land zur sozialistischen Staatengemeinschaft zählte und auch aus diesem Grunde nicht wenig Zuneigung besaß. Eine solche Einordnung bei sportlichen Vergleichen spielte während des Ost-West-Konflikts im Denken größerer Teile der Bevölkerung eine gewisse Rolle. Andererseits war der Gegner der Ungarn ja nicht irgendeine Mannschaft, sondern das Team des anderen deutschen Staates. Deshalb zeigte sich im Kontakt mit Bergleuten, Kollegen und Sportfreunden, daß nicht wenige von ihnen den deutschen Spielern zuneigten, obwohl diese eigentlich chancenlos sein mußten. So schlugen bei dem Fußballsport Verbundenen zwei Herzen in einer Brust.

Der 4. Juli 1954 war ein Sonntag. Nach Festlegungen der Regierung der DDR galt jeweils der erste Sonntag dieses Monats als "Tag des Bergmanns". 1954 fiel das Endspiel um die Fußball-Weltmeisterschaft also mit ihm zusammen. Für das Bergarbeiter-Städtchen Bleicherode erfuhr der Tag noch dadurch eine besondere Aufwertung, daß die zentrale Festveranstaltung diesmal im Kulturhaus des Kaliwerkes stattfand. Eine offizielle Delegation unter Leitung des Ministerpräsidenten Otto Grotewohl sowie Vertreter anderer Bergarbeiter-Städte der DDR waren eingetroffen. Grotewohl hielt die Festansprache. Aus Gesprächen in Bleicherode konnte man entnehmen, daß sich die Kumpel und Einwohner über den hohen Besuch aus Berlin freuten. Mit einem Marsch der Bergleute, den Spielmannszüge anführten, begab man sich am Nachmittag auf den großen Festplatz. Das Motto lautete: "Ich bin Bergmann, wer ist mehr?" Als solcher gehörte ich natürlich ebenfalls zu den Eingeladenen. Man hatte das Gefühl, daß sich die Mehrheit der Anwesenden durchaus mit der Politik von Partei und Regierung identifizierte. Schließlich ging es in diesen schweren Nachkriegsjahren mit der DDR wirtschaftlich für alle spürbar aufwärts.

Am Nachmittag verfolgten besonders die Männer an mitgebrachten kleinen Radios die Übertragung aus Bern. An Imbißständen, wo größere Empfangsgeräte standen, waren die Berichte vom Endspiel nicht zu überhören. Die Atmosphäre schien angespannt, doch ruhig zu sein. Als die BRD dann aber nach einem 0:2-Rückstand 3:2 gewann, brachen die Anwesenden in Jubel aus. Viele riefen: "Wir sind Weltmeister." Ob die Gruppe, zu der ich mich gestellt hatte, die Übertragung des BRD-Reporters Herbert Zimmermann oder den Kommentar von DDR-Reporter Wolfgang Hempel hörte, vermag ich nicht mehr zu sagen.

Die Namen der Weltmeister-Elf waren von nun an in aller Munde. Das Nichterwartete war eingetreten. Die BRD-Mannschaft hatte ein "Wunder" vollbracht, das westdeutsche Journalisten sofort als "Wunder von Bern" bezeichneten. Einige Jahre nach dem legendären Spiel, als ich mich unter sportpolitischer Sicht nochmals dem Thema zuwandte, erfuhr ich, daß die leitenden Funktionäre des Fußballverbandes der DDR Glückwünsche an den Kapitän der BRD-Mannschaft Fritz Walter und die anderen Spieler geschickt hatten. Die Berichterstattung der DDR-Medien war von Sachlichkeit und Anerkennung der sportlichen Leistung der BRD-Nationalmannschaft geprägt, wie man auch aus westdeutschen Presseorganen erfahren konnte. Ungarn erwies sich als fairer Verlierer.

Nach meiner Erinnerung wurde die Niederlage der ungarischen Mannschaft von vielen DDR-Bürgern als enttäuschend betrachtet und bedauert. Leider verlor der Fußball der Magyaren dann in der Leistungsspitze Schritt für Schritt an Bedeutung. Bekannte Spieler des Vize-Weltmeisters wie Puskas verließen ihr Land und wurden Profis in kapitalistischen Staaten. Für die BRD-Mannschaft empfand man berechtigte Anerkennung ihrer sportlichen Leistung. Sie betraf eine Elf, die den anderen deutschen Staat vertreten hatte. So wurden an jenem Tag von demselben Personenkreis - Bergleuten, Einwohnern Bleicherodes und deren Gästen - zwei völlig unterschiedliche Ereignisse gefeiert: der politisch würdevoll gestaltete "Tag des Bergmanns" der DDR und der Sieg der BRD-Nationalmannschaft in der Weltmeisterschaftsendrunde.

Wie beide Ereignisse von den Teilnehmern am Bergmannsfest wahrgenommen und kommentiert wurden, widerspiegelte recht anschaulich das uneinheitliche Stimmungsbild und das Denken einer Mehrheit der DDR-Bevölkerung während der 50er Jahre, als die Gründung des deutschen Arbeiter-und-Bauern-Staates erst kurze Zeit zurücklag. Eine differenziertere und exaktere Bewertung der Politik von DDR und BRD erfolgte in dieser frühen Periode nur ansatzweise. Politische Debatten endeten damals nicht selten mit dem Satz: Wir sind doch alle Deutsche.

Das war auch nach dem Schlußpfiff und dem überraschenden Sieg der bundesdeutschen Mannschaft nicht anders. Die Staatsangehörigkeit spielte zu diesem Zeitpunkt bei vielen noch eine eher ungeordnete Rolle. Zwar fühlte man sich im Alltag mit der Politik der DDR, die eine antifaschistisch-demokratische und dann sozialistische Gesellschaftsordnung unter den Losungen "Nie wieder Krieg!" und "Von deutschem Boden darf nur noch Frieden ausgehen!" verfolgte, in besserer gedanklicher Übereinstimmung. Andererseits ging man hinsichtlich der Politik der BRD, die zur Restauration militaristischer und revanchistischer Kräfte führte und eine Alleinvertretung aller "Deutschen" - auch in den internationalen Sportbeziehungen - durchzusetzen suchte, mehr auf Distanz.

Es gab aber in den 50er Jahren auch nicht wenige, die einer in zwei selbständige souveräne Staaten geteilten deutschen Nation skeptisch gegenüberstanden. Damals unterbreitete die DDR-Regierung der politischen Führung der BRD wiederholt Vorschläge zu einer Wiedervereinigung beider deutscher Staaten auf demokratischer Grundlage. Sie fanden in dem Aufruf "Deutsche an einen Tisch!" ihren Niederschlag. Die Adenauer-Regierung beantwortete solche Angebote nicht oder lehnte sie ab. Auch die Zusammenarbeit mit den westdeutschen Sportverbänden war noch nicht völlig zum Erliegen gekommen. In einigen Disziplinen gab es bis Mitte der 50er Jahre noch gesamtdeutsche Meisterschaften. So fand am Tag des Berner Endspiels in Bad Kreuznach ein solches deutsch-deutsches Kräftemessen im Gewichtheben statt.

Die Begeisterung für die Weltmeistermannschaft der BRD wich indes bald wieder den Realitäten. Das Sportgeschehen und die Entwicklung der DDR standen erneut im Mittelpunkt der Gespräche. Doch die Fußball-Nationalmannschaft und die Clubmannschaften der DDR wurden von nun an stets an den Leistungen der westdeutschen Weltmeistermannschaft und den Ergebnissen der Vereinsmannschaften in europäischen Wettbewerben gemessen.

Leider konnte der DDR-Fußball das Leistungsniveau der BRD nicht erreichen. Der unerwartete Sieg der DDR-Nationalmannschaft gegen das Team der BRD mit 1:0 während der Weltmeisterschaftsendrunde 1974 in Hamburg und einzelne beachtliche Resultate der Clubmannschaften von Magdeburg, Jena und Leipzig entkräften diese Einschätzung zum Niveau des DDR-Fußballs nicht. Darin liegt insofern eine gewisse Tragik, weil der DDR-Leistungssport bekanntlich in vielen anderen Disziplinen über Jahrzehnte hinweg, vor allem seit 1972, dem der BRD bei Olympischen Spielen, Weltmeisterschaften und im internationalen Wettkampfgeschehen deutlich überlegen gewesen ist. Die Maßnahmen zur Förderung des Leistungssports in der DDR konnten aus unterschiedlichen Gründen beim Fußball nicht greifen.

Um den Gewinn der WM 1954 durch die westdeutsche Mannschaft ranken sich bis heute die verschiedensten Mythen und Legenden. "Wir sind wieder wer", verkündeten schon damals die Medien der Bourgeoisie. Völlig aus der Deckung kamen jene revanchistischen Kräfte, die vom "verspäteten Endsieg", von der "auferstandenen Nation" und vom "Symbol unzerstörbarer deutscher Tugenden" sprachen. Die Spieler wurden zu Helden hochstilisiert, obwohl sie es selbst gar nicht sein wollten.

Mit der Teilnahme an den Feierlichkeiten zum "Tag des Bergmanns" verabschiedete ich mich 1954 von meinem Umfeld als Kumpel und von meiner aktiven Zeit als Fußballspieler der BSG "Aktivist" Bleicherode. Ich hatte bereits mehrere Wochen zuvor die Bestätigung erhalten, das Abitur an der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät nachholen und anschließend ein Direktstudium an der Deutschen Hochschule für Körperkultur und Sport aufnehmen zu können. Anfang September 1954 reiste ich nach Leipzig. Es war der Beginn einer neuen Phase meiner beruflichen Qualifizierung auf dem Gebiet des Sports - als künftiger Dozent an der DHfK.

Dr. Norbert Rogalski, Leipzig

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Rede des Häuptlings Seattle, gerichtet an US-Präsident Franklin Pierce (1855)

Wir sind ein Teil der Erde

Der Staat Washington, im Nordwesten der USA, war die Heimat der Duwamish, eines Volkes, das sich - wie alle Indianer - als einen Teil der Natur betrachtete, ihr Respekt und Ehrerbietung erwies und seit Generationen mit ihr in Harmonie lebte.

Im Jahre 1855 machte der 14. Präsident der Vereinigten Staaten, der Demokrat Franklin Pierce, den Duwamish das Angebot, ihr Land weißen Siedlern zu verkaufen; sie selbst sollten in ein Reservat ziehen. Die Indianer verstanden das nicht. Wie kann man Land kaufen und verkaufen?

Chief Seattle, der Häuptling der Duwamish, antwortete dem "großen Häuptling der Weißen" auf dessen Angebot mit einer Rede, deren Weisheit, Kritik und bescheidene Hoffnung uns heute, fast 150 Jahre später, mehr denn je betrifft und betroffen macht. Sein Volk hat nicht überlebt, seine Worte wurden nicht gehört.


Der große Häuptling in Washington sendet Nachricht, daß er unser Land zu kaufen wünscht.

Er sendet uns auch Worte der Freundschaft und des guten Willens. Das ist freundlich von ihm, denn wir wissen, er bedarf unserer Freundschaft nicht. Aber wir werden sein Angebot bedenken, denn wir wissen, wenn wir nicht verkaufen, kommt vielleicht der weiße Mann mit Gewehren und nimmt sich unser Land. Wie kann man den Himmel kaufen oder verkaufen - oder die Wärme der Erde? Diese Vorstellung ist uns fremd.

Wenn wir die Frische der Luft und das Glitzern des Wassers nicht besitzen - wie könnt ihr sie von uns kaufen? Wir werden unsere Entscheidung treffen.

Was Häuptling Seattle sagt, darauf kann sich der große Häuptling in Washington verlassen, so sicher wie sich unser weißer Bruder auf die Wiederkehr der Jahreszeiten verlassen kann.

Meine Worte sind wie die Sterne, sie gehen nicht unter. Jeder Teil dieser Erde ist meinem Volk heilig, jede glitzernde Tannennadel, jeder sandige Strand, jeder Nebel in den dunklen Wäldern, jede Lichtung, jedes summende Insekt ist heilig, in den Gedanken und Erfahrungen meines Volkes. Der Saft, der in den Bäumen steigt, trägt die Erinnerung des roten Mannes.

Die Toten der Weißen vergessen das Land ihrer Geburt, wenn sie fortgehen, um unter den Sternen zu wandeln. Unsere Toten vergessen diese wunderbare Erde nie, denn sie ist des roten Mannes Mutter. Wir sind ein Teil der Erde, und sie ist ein Teil von uns. Die duftenden Blumen sind unsere Schwestern, die Rehe, das Pferd, der große Adler sind unsere Brüder. Die felsigen Höhen, die saftigen Wiesen, die Körperwärme des Ponys - und des Menschen -, sie alle gehören zur gleichen Familie.

Wenn also der große Häuptling in Washington uns Nachricht sendet, daß er unser Land zu kaufen gedenkt, so verlangt er viel von uns. Der große Häuptling teilt uns mit, daß er uns einen Platz gibt, wo wir angenehm und für uns leben können. Er wird unser Vater, und wir werden seine Kinder. Aber kann das jemals sein? Gott liebt euer Volk und hat seine roten Kinder verlassen. Er schickt Maschinen, um dem weißen Mann bei seiner Arbeit zu helfen, und baut große Dörfer für ihn. Er macht euer Volk stärker, Tag für Tag. Bald werdet ihr das Land überfluten wie die Flüsse, welche die Schluchten hinabstürzen nach einem unerwarteten Regen.

Mein Volk ist wie eine ablaufende Flut - aber ohne Wiederkehr. Nein, wir sind verschiedene Rassen. Unsere Kinder spielen nicht zusammen, und unsere Alten erzählen nicht die gleichen Geschichten. Gott ist euch gut gesinnt, und wir sind Waisen. Wir werden euer Angebot, unser Land zu kaufen, bedenken. Das wird nicht leicht sein, denn dieses Land ist uns heilig. Wir erfreuen uns an diesen Wäldern. Ich weiß nicht - unsere Art ist anders als die eure.

Glänzendes Wasser, das sich in Bächen und Flüssen bewegt, ist nicht nur Wasser, sondern das Blut unserer Vorfahren. Wenn wir euch das Land verkaufen, müßt ihr wissen, daß es heilig ist, und eure Kinder lehren, daß es heilig ist und daß jede flüchtige Spiegelung im klaren Wasser der Seen von Ereignissen und Überlieferungen aus dem Leben meines Volkes erzählt. Das Murmeln des Wassers ist die Stimme meiner Vorväter. Die Flüsse sind unsere Brüder, sie stillen unseren Durst. Die Flüsse tragen unsere Kanus und nähren unsere Kinder.

Wenn wir unser Land verkaufen, so müßt ihr euch daran erinnern und eure Kinder lehren: Die Flüsse sind unsere Brüder - und eure -, und ihr müßt von nun an den Flüssen eure Güte geben, so wie jedem anderen Bruder auch. Der rote Mann zog sich immer zurück vor dem eindringenden weißen Mann - so wie der Frühnebel in den Bergen vor der Morgensonne weicht. Aber die Asche unserer Väter ist heilig, ihre Gräber sind geweihter Boden, und so sind diese Hügel, diese Bäume, dieser Teil der Erde uns geweiht. Wir wissen, daß der weiße Mann unsere Art nicht versteht. Ein Teil des Landes ist ihm gleich jedem anderen, denn er ist ein Fremder, der kommt in der Nacht und nimmt von der Erde, was immer er braucht. Die Erde ist sein Bruder nicht, sondern Feind, und wenn er sie erobert hat, schreitet er weiter. Er läßt die Gräber seiner Väter zurück - und kümmert sich nicht. Er stiehlt die Erde von seinen Kindern - und kümmert sich nicht. Seiner Väter Gräber und seiner Kinder Geburtsrecht sind vergessen. Er behandelt seine Mutter, die Erde, und seinen Bruder, den Himmel, wie Dinge zum Kaufen und Plündern, zum Verkaufen wie Schafe oder glänzende Perlen. Sein Hunger wird die Erde verschlingen und nichts zurücklassen als eine Wüste.

Ich weiß nicht - unsere Art ist anders als die eure. Der Anblick eurer Städte schmerzt die Augen des roten Mannes. Es gibt keine Stille in den Städten der Weißen. Keinen Ort, um das Entfalten der Blätter im Frühling zu hören oder das Summen der Insekten. Aber vielleicht nur deshalb, weil ich ein Wilder bin und nicht verstehe. Das Geklappere scheint unsere Ohren zu beleidigen. Was gibt es schon im Leben, wenn man nicht den einsamen Schrei des Ziegenmelkervogels hören kann, oder das Gestreite der Frösche am Teich bei Nacht? Ich bin ein roter Mann und verstehe das nicht. Der Indianer mag das sanfte Geräusch des Windes, der über eine Teichfläche streicht - und den Geruch des Windes, gereinigt vom Mittagsregen oder schwer vom Duft der Kiefern. Die Luft ist kostbar für den roten Mann, denn alle Dinge teilen denselben Atem - das Tier, der Baum, der Mensch -, sie alle teilen denselben Atem. Der weiße Mann scheint die Luft, die er atmet, nicht zu bemerken; wie ein Mann, der seit vielen Tagen stirbt, ist er abgestumpft gegen den Gestank. Aber wenn wir euch unser Land verkaufen, dürft ihr nicht vergessen, daß die Luft uns kostbar ist - daß die Luft ihren Geist teilt mit all dem Leben, das sie enthält. Der Wind gab unseren Vätern den ersten Atem und empfängt ihren letzten. Und der Wind muß auch unseren Kindern den Lebensgeist geben. Und wenn wir euch unser Land verkaufen, so müßt ihr es als ein Besonderes und Geweihtes schätzen, als einen Ort, wo auch der weiße Mann spürt, daß der Wind süß duftet von den Wiesenblumen.

Das Ansinnen, unser Land zu kaufen, werden wir bedenken, und wenn wir uns entschließen anzunehmen, so nur unter einer Bedingung: Der weiße Mann muß die Tiere des Landes behandeln wie seine Brüder.

Ich habe tausend verrottende Büffel gesehen, vom weißen Mann zurückgelassen - erschossen aus einem vorüberfahrenden Zug. Ich bin ein Wilder und kann nicht verstehen, wie das qualmende Eisenpferd wichtiger sein soll als der Büffel, den wir nur töten, um am Leben zu bleiben. Was ist der Mensch ohne die Tiere? Wären alle Tiere fort, so stürbe der Mensch an großer Einsamkeit des Geistes. Was immer den Tieren geschieht, geschieht bald auch den Menschen: Alle Dinge sind miteinander verbunden.

Ihr müßt eure Kinder lehren, daß der Boden unter ihren Füßen die Asche unserer Großväter ist. Damit sie das Land achten, erzählt ihnen, daß die Erde erfüllt ist von den Seelen unserer Vorfahren. Lehrt eure Kinder, was wir unsere Kinder lehren: Die Erde ist unsere Mutter. Was die Erde befällt, befällt auch die Söhne der Erde. Wenn Menschen auf die Erde spucken, bespeien sie sich selbst. Denn das wissen wir, die Erde gehört nicht den Menschen, der Mensch gehört zur Erde - das wissen wir. Alles ist miteinander verbunden, wie das Blut, das eine Familie vereint. Was die Erde befällt, befällt auch die Söhne der Erde. Der Mensch schuf nicht das Gewebe des Lebens, er ist darin nur eine Faser. Was immer ihr dem Gewebe antut, das tut ihr euch selber an. Nein, Tag und Nacht können nicht zusammen leben. Unsere Toten leben fort in den süßen Flüssen der Erde, kehren wieder mit des Frühlings leisem Schritt, und es ist ihre Seele im Wind, der die Oberfläche der Teiche kräuselt.

Das Ansinnen des weißen Mannes, unser Land zu kaufen, werden wir bedenken. Aber mein Volk fragt, was will denn der weiße Mann? Wie kann man den Himmel oder die Wärme der Erde kaufen - oder die Schnelligkeit der Antilope? Wie können wir euch diese Dinge verkaufen - und wie könnt ihr sie kaufen? Könnt ihr denn mit der Erde tun, was ihr wollt - nur weil der rote Mann ein Stück Papier unterzeichnet - und es dem weißen Manne gibt? Wenn wir nicht die Frische der Luft und das Glitzern des Wassers besitzen - wie könnt ihr sie von uns kaufen? Könnt ihr die Büffel zurückkaufen, wenn der letzte getötet ist?

Der weiße Mann, vorübergehend im Besitz der Macht, glaubt, er sei schon Gott - dem die Erde gehört. Wie kann ein Mensch seine Mutter besitzen?

Tag und Nacht können nicht zusammen leben - wir werden euer Angebot bedenken, in das Reservat zu gehen. Wir werden abseits und in Frieden leben.

Unsere Kinder sahen ihre Väter gedemütigt und besiegt. Unsere Krieger wurden beschämt. Nach Niederlagen verbringen sie ihre Tage müßig - vergiften ihren Körper mit süßer Speise und starkem Trunk. Es ist unwichtig, wo wir den Rest unserer Tage verbringen. Es sind nicht mehr viele. Noch wenige Stunden, ein paar Winter - und kein Kind der großen Stämme, die einst in diesem Land lebten oder jetzt in kleinen Gruppen durch die Wälder streifen, wird mehr übrig sein, um an den Gräbern eines Volkes zu trauern - das einst so stark und voller Hoffnung war wie das eure.

Aber warum soll ich trauern über den Untergang meines Volkes, Völker bestehen aus Menschen - nichts anderem. Menschen kommen und gehen wie die Wellen im Meer. Selbst der weiße Mann, dessen Gott mit ihm wandelt und redet, wie Freund zu Freund, kann der gemeinsamen Bestimmung nicht entgehen. Vielleicht sind wir doch - Brüder. Wir werden sehen. Eines wissen wir, was der weiße Mann vielleicht eines Tages erst entdeckt - unser Gott ist derselbe Gott. Ihr denkt vielleicht, daß ihr ihn besitzt - so wie ihr unser Land zu besitzen trachtet -, aber das könnt ihr nicht. Er ist der Gott der Menschen - gleichermaßen der Roten und der Weißen. Dieses Land ist ihm wertvoll - und die Erde verletzen heißt ihren Schöpfer verachten.

Auch die Weißen werden vergehen, eher vielleicht als alle anderen Stämme. Fahret fort, euer Bett zu verseuchen, und eines Nachts werdet ihr im eigenen Abfall ersticken. Aber in eurem Untergang werdet ihr hell strahlen - angefeuert von der Stärke des Gottes, der euch in dieses Land brachte und euch bestimmte, über dieses Land und den roten Mann zu herrschen. Diese Bestimmung ist uns ein Rätsel. Wenn die Büffel alle geschlachtet sind - die wilden Pferde gezähmt - die heimlichen Winkel es Waldes schwer vom Geruch vieler Menschen - und der Anblick reifer Hügel geschändet von redenden Drähten -wo ist das Dickicht - fort, wo der Adler - fort, und was bedeutet es, Lebewohl zu sagen dem schnellen Pony und der Jagd?

Das Ende des Lebens und der Beginn des Überlebens. Gott gab euch die Herrschaft über die Tiere, die Wälder und den roten Mann aus einem besonderen Grund - doch dieser Grund ist uns ein Rätsel. Vielleicht könnten wir es verstehen, wenn wir wüßten, wovon der weiße Mann träumt, welche Hoffnungen er seinen Kindern an langen Winterabenden schildert und welche Visionen er in ihre Vorstellungen brennt, so daß sie sich nach einem Morgen sehnen. Aber wir sind Wilde - die Träume des weißen Mannes sind uns verborgen. Und weil sie uns verborgen sind, werden wir unsere eigenen Wege gehen. Denn vor allem schätzen wir das Recht eines jeden Menschen, so zu leben, wie er selber es wünscht - gleich wie verschieden von seinen Brüdern er ist.

Das ist nicht viel, was uns verbindet.

Wir werden euer Angebot bedenken. Wenn wir zustimmen, so nur, um das Reservat zu sichern, das ihr versprochen habt. Dort vielleicht können wir unsere kurzen Tage auf unsere Weise verbringen. Wenn der letzte rote Mann von dieser Erde gewichen ist und sein Gedächtnis nur noch der Schatten einer Wolke über der Prärie, wird immer noch der Geist meiner Väter in diesen Ufern und diesen Wäldern lebendig sein. Denn sie liebten diese Erde wie das Neugeborene den Herzschlag seiner Mutter.

Eingesandt von Brigitte Thel, Halle (Saale)

Erstmals am 29. Oktober 1887 im "Seattle Sunday Star" veröffentlicht.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Im Frühjahr 1972 fand in Kaliforniens Hauptstadt Sacramento der Prozeß gegen Stammesangehörige der Pit River-Indianer statt. Sie waren angeklagt, ihre Landrechte gegen einen Ölkonzern und die Staatsmacht verteidigt zu haben. ND-Sonderkorrespondent Klaus Steiniger erwies den Angeklagten - hier mit Häuptling Ross Montgomery (2. v. r.), dessen jüngstem Sohn und Stammesratsmitgliedern vor dem Gerichtsgebäude - die Solidarität der DDR.

Ende RF-Extra

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Politiker aus NATO und EU an der Seite der Putschisten

Faschistischer Umsturz in der Ukraine

Was westliche Medien als bloße Fortsetzung der "Orangenen Revolution von 2004" - einer schon damals durch die Konrad-Adenauer-Stiftung der CDU angeleiteten konterrevolutionären Umwälzung zur restlosen Liquidierung jeglicher Überreste aus sowjetisch-ukrainischen Tagen - und gerechtes Streben des Volkes nach Anschluß an die EU bezeichnen, ist im Kern ein faschistischer Putsch. Die Aktionen rund um den Kiewer Maidan wurden längst durch die Nachfolger einstiger Nazikollaborateure aus den Reihen der Swoboda-Partei angeführt und koordiniert. Die Insignien ihrer Kohorten waren allenthalben sichtbar.

Diese offen faschistische Formation, deren Gefolgsleute sich mit der Wolfsangel-Rune der SS-Division "Das Reich" in der Öffentlichkeit zeigen, hat in der Westukraine bei den letzten Parlamentswahlen rund 40 % der Stimmen erhalten. Sie ist mit der U.D.A.R.-Partei des aus dem Boxgeschäft hervorgegangenen Multimillionärs und Trägers des Bundesverdienstkreuzes Vitali Klitschko ein parlamentarisches und außerparlamentarisches Bündnis eingegangen.

Nicht zufällig zählte zu den ersten Operationen der in der ukrainischen Hauptstadt amoklaufenden, Regierungsbehörden verwüstenden und Nazigegner ermordenden Swoboda-Faschisten die Enthauptung und anschließende Zerstörung des Kiewer Lenin-Denkmals. Hunderte andere folgten. Das unter der Parole, man müsse den "russischen Putinismus" genauso auslöschen wie den "Kommunismus", inszenierte Komplott von NATO-Kräften und ukrainischen Rechtsradikalen trägt strategischen Charakter: Es geht nicht nur darum, die Ukraine als selbständigen, in seinen Entscheidungen ungebundenen Staat auszulöschen, sondern vor allem auch um den Versuch, Rußland von entscheidenden Ressourcen wie Kohle und Erz, aber auch den Schwarzmeerhäfen der Krim abzuschneiden.

Allenthalben werden jetzt nicht nur die Symbole der Swoboda-Faschisten, sondern auch die Insignien der mörderischen, einst aus Westukrainern rekrutierten SS-Division "Galizien" öffentlich gezeigt. Auf dem Maidan beherrschten sie ebenso das Bild wie bei zynischen Gedenkfeiern für im Zweiten Weltkrieg zu Tode gekommene Mordbrenner aus ihren Reihen. Während die Medien der Bourgeoisie seinerzeit in Wehgeschrei über die Ablehnung des von Brüssel und Berlin angestrebten Kooperationsabkommens mit der EU durch eine deutliche Mehrheit des gewählten ukrainischen Parlaments ausbrachen, wurde ein anderer Aspekt in der Nachrichtengebung einfach unterschlagen: die Tatsache, daß die KP der Ukraine vier Millionen Unterschriften für ein Referendum über das erwähnte Abkommen gesammelt und der Öffentlichkeit präsentiert hatte.

Unterdessen demonstrierten führende Politiker Frankreichs, der BRD und der USA unter eklatantem Bruch des Völkerrechtsgebots der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten ihre Mißachtung für die Souveränität der Ukraine. So produzierte sich z. B. der damals noch amtierende BRD-Außenminister Guido Westerwelle auf Kiews Straßen zwischen Vitali Klitschko und Swobodas Nazihäuptling Oleg Tjagnibok.

Auch Westerwelles Nachfolger Frank-Walter Steinmeier zeigte sich demonstrativ an der Seite dieses Faschisten, der sogar in die BRD-Botschaft eingeladen worden war. Frankreichs gleichfalls an der Seite dieses Mobs aufgetauchter delegierter Minister für Europäische Angelegenheiten Thierry Repentin erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur France-Inter, er habe in der Ukraine "eine ernsthafte Bewegung gesehen", die er als "Träger des Verlangens nach den Werten der Demokratie in diesem Land" empfinde.

Auch der einst über Vietnam abgeschossene US-Bomberpilot und heutige republikanische Senator John McCain, der gegen Obama glücklos für die Präsidentschaft der Vereinigten Staaten kandidiert hatte, durfte da nicht fehlen. Auf einer der zahllosen Zusammenrottungen aufgeputschter Kiewer Gewalttäter nahm er an der Seite von Tjagnibok das Wort zu einer "Solidaritätsadresse".

Die BRD hatte Swobodas Koalitionspartner Klitschko von Beginn an eine führende Rolle zugedacht, zumal Julia Timoschenko damals "nicht zur Verfügung" stand. Nach Aussagen des CDU-Europaabgeordneten Werner Jostmeier wurde Klitschko bereits zu Zeiten der Orangenen Revolution von zwei CDU-nahen Einrichtungen - dem National-Demokratischen Institut und dem International-Republikanischen Institut - aufgebaut und finanziert. Beide waren schon vor Jahren darauf bedacht, in der Ukraine eine christlich-konservative Partei ins Leben zu rufen. Am 8. Dezember 2013 ließ der "Spiegel" wissen, daß Angela Merkel entschieden habe, Klitschko zum "wichtigsten Oppositionsführer und Gegenkandidaten Präsident Januschenkos" zu bestimmen.

Der kommunistische Abgeordnete des Kiewer Parlaments Aleksandr Golub nannte die wahren Hintergründe der massiven Einmischung des Westens in die inneren Angelegenheiten der Ukraine: Es gehe darum, der EU Zugang zu Rohstoffen und gut ausgebildeten, dabei aber relativ billigen ukrainischen Arbeitskräften zu verschaffen.

"Wir sind mit dem ukrainischen Volk, das seine Zukunft in Europa sieht", hatte US-Unterstaatssekretärin Victoria Nuland, die später durch ihren Ausspruch "Fuck the EU!" von sich reden machte, am 5. Dezember 2013 mit großer Geste in Kiew so verkündet, als ob die Ukraine geographisch nicht zu Europa gehöre.

Gemeint ist in der Tat nicht der Kontinent, sondern das Europa der Monopole unter Führung des deutschen Imperialismus, der dabei ist, den Zweiten Weltkrieg mit nichtmilitärischen Mitteln nachträglich zu gewinnen. Auch in der Ukraine.

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel, und "Initiative Communiste", Paris

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Diplomatischer Durchbruch für die Insel der Freiheit

CELAC-Gipfel tagte in Havanna

Am 29. Januar ging in Havanna das zweite Gipfeltreffen der Gemeinschaft Lateinamerikanischer und Karibischer Staaten (CELAC) zu Ende. Der regionale Verband zählt 33 Mitgliedsstaaten und wurde 2011 auf Initiative des verstorbenen venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez gegründet. Er soll eine Alternative zur US-dominierten Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) werden, von der Kuba seit 52 Jahren ausgeschlossen ist. Die CELAC zählt übrigens nur zwei Mitgliedsstaaten weniger als die OAS, da ihr die USA und Kanada nicht angehören. Neben UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon und anderen ausländischen Gästen waren 29 Regierungschefs angereist. Durch den Gipfel wurde Kubas Hauptstadt für einige Tage zum politischen Zentrum des amerikanischen Kontinents.

"Im Rahmen der CELAC haben wir die Möglichkeit, ein eigenes und an unsere Verhältnisse angepaßtes Modell zu entwickeln, das auf den Prinzipien des Gemeinwohls und der Solidarität basiert", sagte Präsident Raúl Castro in seiner Eröffnungsrede, nachdem die Teilnehmer des Gipfels mit einer Schweigeminute des CELAC-Mitbegründers Hugo Chávez gedacht hatten. Wichtigste Themen des Treffens waren der Kampf gegen Unterernährung, Armut und soziale Ungleichheit.

Castro hob die Fortschritte der letzten Jahre hervor, gab aber zu bedenken, daß es für den Kontinent noch einiges auf dem Gebiet der Armutsbekämpfung zu tun gebe. Die Teilnehmer der Beratung auf höchster Ebene erklärten, daß die OAS immer nur den Interessen der USA gedient habe. Deren Generalsekretär José Insulza war übrigens als Beobachter in Havanna erschienen. Erstmals hatte damit ein OAS-Abgesandter kubanischen Boden betreten.

"Je stärker die CELAC, desto stärker die Vereinten Nationen", bemerkte UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon.

Doch der Gipfel hatte noch mehr zu bieten: Am zweiten Tag wurde Lateinamerika durch Raúl Castro zur "Zone des Friedens" erklärt, womit sich die Gemeinschaft gegen die Nutzung von Atomwaffen und mit Gewalt ausgetragene regionale Konflikte engagierte. Äußerer Einmischung, wie durch die USA in der Vergangenheit immer wieder praktiziert, wurde damit eine kollektive Absage erteilt. Trotz der erheblichen politischen und ökonomischen Unterschiede der teilnehmenden Länder gelang die Erarbeitung einer gemeinsamen "Erklärung von Havanna", welche die wichtigsten Aspekte der beschlossenen Agenda zusammenfaßt. Sie sieht unter anderem die regionale Kooperation bei der Armutsbekämpfung, die Stärkung der CELAC-Institutionen sowie die Zusammenarbeit mit der UNO vor. Der Binnenhandel soll gefördert werden, um die soziale Entwicklung der Länder voranzubringen.

Obwohl einige Staaten, wie Mexiko, Kolumbien und Honduras, heute von rechtsgerichteten Regierungen geführt werden, unterschrieben auch sie das gemeinsame Bekenntnis. Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos würdigte Kubas Rolle beim Friedensprozeß in seinem Land.

Neben den inhaltlichen Beratungsthemen des Gipfels ist auch manch anderes außerhalb des offiziellen Ablaufs der Tagung durchaus von Interesse. So hatte Fidel Castro sein wohl umfangreichstes Arbeitsprogramm seit Jahren, als er mit zahlreichen Regierungschefs der CELAC-Länder persönlich zusammentraf, so mit Rafael Correa (Ecuador), Evo Morales (Venezuela), Dilma Rousseff (Brasilien) und Daniel Ortega (Nicaragua). Ban Ki-Moon war in der "Casa de Fidel" ebenfalls zu Gast.

Auch in wirtschaftlicher Hinsicht gab es am Rande des Gipfels einige Neuigkeiten: Die Präsidenten etlicher Länder nahmen ihren Kuba-Aufenthalt zum Anlaß, der Eröffnung des Container-Terminals in Mariel beizuwohnen. Dieses soll künftig Kubas Hauptumschlagplatz für Waren werden und verfügt über eine Kapazität von 824.000 Containern (TEU) pro Jahr, ab 2015 sogar über 1 Million. Mariel wird damit zu den vier größten Häfen der Region gehören. Ein Vergleich: Der alte Hafen Havannas kann maximal 350.000 Container im Jahr abfertigen.

Auch die EU hat inzwischen die Überarbeitung ihres "gemeinsamen Standpunkts" von 1996 in Auftrag gegeben - einen Normenkatalog, der die Kooperation mit dem sozialistischen Inselstaat weithin zum Erliegen gebracht hat. Die Konzerne Europas und der USA wittern bereits neue Profite, doch diesmal werden die Investitionsbedingungen von den Kubanern diktiert.

Mit dem CELAC-Gipfel ist Kuba ein spektakulärer diplomatischer Durchbruch gelungen. Die Anwesenheit fast aller Regierungschefs Lateinamerikas und der Karibik sowie des UN-Generalsekretärs verdeutlicht, wie sehr sich die Zeiten seit der Isolierung des Landes durch die US-Blockade geändert haben. Auch die Tatsache, daß Lateinamerika geschlossen gegen das Embargo aufgetreten ist, liefert den Beweis, wie sehr sich die USA mit ihrer aggressiven Politik selbst isoliert haben.

Der Kontinent wächst zusammen - und zwar in Havanna bei Abwesenheit der Vereinigten Staaten. Auf dem nächsten OAS-Treffen in Panama 2015 wird Washington seine Haltung gegenüber Kuba vor den anderen Staaten des Kontinents nicht mehr rechtfertigen können. Lateinamerika arbeitet heute Hand in Hand. Dieses Signal hat der CELAC-Kongreß in alle Welt ausgesandt. Die Vision Simón Bolívars, des ersten Vordenkers der subkontinentalen Einheit, ist damit ein Stück Realität geworden.

Marcel Kunzmann

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Erklärung Kommunistischer und Arbeiterparteien Europas

Hundert Jahre nach dem Beginn des Ersten Weltkrieges erleben wir eine erneute Debatte darum, wer das Feuer an die Lunte gelegt hat. Bei dieser Infragestellung der Hauptverantwortung des deutschen Imperialismus an dem über vier Jahre dauernden Völkergemetzel geht es selbstverständlich nicht um historische Wahrheit. Es geht um die theoretische und politische Legitimierung heutiger imperialistischer Politik. Der Erste Weltkrieg erwuchs aus den Expansionsinteressen der imperialistischen Großmächte Europas, er war auf Eroberung neuer Märkte und Ressourcen und die Neuaufteilung der vorhandenen gerichtet: ein "kapitalistischer Angriffs- und Eroberungskrieg", wie Karl Liebknecht, Mitgründer der Kommunistischen Partei Deutschlands, früh feststellte. Gleichzeitig war der Krieg eine Gelegenheit für die Herrschenden, in ihren Ländern das Bewußtsein der Arbeiterklasse mit dem Gift des Opportunismus, des Nationalismus und Chauvinismus zu verseuchen. Im Sommer 1914 standen sich in Europa zwei feste Militärblöcke gegenüber: der "Dreibund" Deutschland, Österreich-Ungarn und Italien und die "Entente" England und Frankreich, mit der sich Rußland jetzt verbündete. Italien trat 1915 auf der Seite der Entente in den Krieg.

Das Attentat von Sarajevo war die willkommene Gelegenheit für die kriegslüsternen Großmächte, ihre strategischen Konzepte zu verwirklichen. Was folgte, war ein Krieg, der erstmals in der Geschichte alle Kontinente erfaßte.

38 Länder waren an ihm beteiligt, ohne die damaligen Kolonien zu rechnen. Erstmals wurde ein Krieg auch industriell geführt. Dem Schlachten fielen sieben Millionen Menschen zum Opfer, die Zivilbevölkerung wurde in bisher nicht gekanntem Maß Opfer von Hunger und Seuchen. Zwanzig Millionen Menschen wurden verwundet oder verkrüppelt, unvorstellbare materielle Werte zerstört.

Das Gemetzel endete mit der militärischen Niederlage der Aggressoren. Die Novemberrevolution in Deutschland, die Revolutionen in Österreich, Ungarn und anderen Ländern wurden abgewürgt durch die Rolle, welche die rechtssozialdemokratischen Führungen in der Niederwerfung der Revolution übernahmen. In Deutschland wurde zwar die Monarchie gestürzt und die Republik gegründet, aber die Generale und die Kräfte des Monopolkapitals blieben - deren politisches Überleben machte später den Zweiten Weltkrieg möglich. Die Sozialdemokratie wurde im Zuge des Ersten Weltkriegs gespalten, die revolutionären Kräfte trennten sich von der 2. Internationale und gründeten weltweit kommunistische Parteien.

Die Große Sozialistische Oktoberrevolution in Rußland ebnete den Weg für den ersten Arbeiter-und-Bauern-Staat der Geschichte der Menschheit. Aus dem Weltkrieg erwuchs so eine neue Hoffnung für die Welt - die Hoffnung auf den Sozialismus. Dafür stehen die unterzeichnenden Parteien bis heute.

  • KP Britanniens
  • KP Dänemarks
  • KP in Dänemark
  • Französische KP
  • Pol der Kommunistischen Wiedergeburt in Frankreich
  • KP Finnlands
  • Vereinte KP Georgiens
  • KP Griechenlands
  • KP Irlands
  • Partei der Italienischen Kommunisten (PdCI)
  • Neue KP Jugoslawiens
  • Partei der Kommunisten Kataloniens
  • Sozialistische Arbeiterpartei Kroatiens
  • KP Maltas
  • Neue KP der Niederlande
  • Partei der Arbeit Österreichs
  • KP Polens
  • Portugiesische KP
  • KP der Russischen Föderation
  • KP Schwedens
  • Partei der Arbeit der Schweiz
  • Partei der Kommunisten Serbiens
  • KP Spaniens
  • KP der Völker Spaniens
  • KP Böhmens und Mährens
  • KP der Ukraine
  • Ungarische Arbeiterpartei (Munkaspart)
  • Fortschrittspartei des Arbeitenden Volkes Zyperns (AKEL))

Sowie die Initiatoren:

  • Partei der Arbeit Belgiens
  • Deutsche Kommunistische Partei
  • KP Luxemburgs

Quelle: "Unsere Zeit", Essen

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Und endlich ist kein anderer Krieg für Preußen-Deutschland mehr möglich als ein Weltkrieg, und zwar ein Weltkrieg von einer bisher nie geahnten Ausdehnung und Heftigkeit. Acht bis zehn Millionen Soldaten werden sich untereinander abwürgen und dabei ganz Europa so kahlfressen, wie noch nie ein Heuschreckenschwarm. Die Verwüstungen des Dreißigjährigen Kriegs zusammengedrängt in drei bis vier Jahre und über den ganzen Kontinent verbreitet; Hungersnot, Seuchen, allgemeine, durch akute Not hervorgerufene Verwilderung der Heere wie der Volksmassen; rettungslose Verwirrung unsres künstlichen Getriebs in Handel, Industrie und Kredit, endend im allgemeinen Bankerott; Zusammenbruch der alten Staaten und ihrer traditionellen Staatsweisheit, derart, daß die Kronen zu Dutzenden über das Straßenpflaster rollen und niemand sich findet, der sie aufhebt; absolute Unmöglichkeit, vorherzusehn, wie das alles enden und wer als Sieger aus dem Kampf hervorgehen wird; nur ein Resultat ist absolut sicher: die allgemeine Erschöpfung und die Herstellung der Bedingungen des schließlichen Siegs der Arbeiterklasse.

Friedrich Engels, 1887


Im Unterschied zu dem, was in der kommunistischen Bewegung bei anderer Gelegenheit vertreten wurde, gibt es keinen Gegensatz zwischen diesen beiden Elementen in der Orientierung und Aktion kommunistischer Parteien. Jede Partei ist solidarisch mit den Parteien, den Werktätigen und den Völkern der anderen Länder. Aber sie ist - mit Überzeugung - auch eine Verteidigerin der Interessen und Rechte des eigenen Volkes und Landes. Der Ausdruck "internationalistische und patriotische Partei" besitzt am Ende dieses 20. Jahrhunderts seine volle und ganze Bedeutung. Man kann als internationalistischen Wert den Kampf im Innern eines Landes und als Wert des inneren Kampfes die Beziehungen der Solidarität mit den Werktätigen und den Völkern der anderen Länder einschließen.

Álvaro Cunhal (1913 - 2005)
Aus "Initiative Communiste", Paris

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Südkoreas Eisenbahner blockierten Privatisierungspläne

Eine rote Schärpe an der Märtyrer-Statue

Während sich die Medien der Bourgeoisie unablässig mit der tendenziösen Berichterstattung über Ereignisse im Norden der koreanischen Halbinsel - der KDVR - beschäftigen, suchen sie von fundamentalen Vorgängen im Süden des geteilten Landes abzulenken: der Tatsache nämlich, daß dort seit Jahr und Tag erbitterte Klassenauseinandersetzungen zwischen den Vertretern von Kapital und Arbeit stattfinden. Sie sollen im Mittelpunkt unserer Untersuchung stehen.

Unlängst haben die südkoreanischen Eisenbahner den größten, längsten und härtesten Streikkampf seit Jahren bestanden. Er richtete sich gegen die von massivem Einsatz der Staatsgewalt begleiteten Bestrebungen der südkoreanischen Präsidentin Park Geun-Hye, die Strecke von der Metropole Seoul bis zur Hafenstadt Pusan in Privathand zu überführen.

Zwischen dem 9. und dem 30. Dezember 2013 ruhte in Südkorea der Schienenverkehr. 8700 Eisenbahner hielten sich diszipliniert an die Gebote des von ihnen beschlossenen Ausstandes. Ihre Gewerkschaft gehört zum Dachverband KCTU.

Das Privatisierungsvorhaben stieß schon in seiner Ankündigungsphase auf heftigen Widerstand - nicht nur beim Bahnpersonal, sondern auch in wichtigen Bereichen der südkoreanischen Öffentlichkeit. So schrieb z. B. die bürgerliche "Korea Times", man befürchte, daß eine Überführung der Staatsbahn in Privathand ähnlich negative Auswirkungen wie vorangegangene Schritte in Großbritannien nach sich ziehen werde: Tariferhöhungen, sich häufende Unglücke, ein Ansteigen von Subventionen aus öffentlicher Hand und die Stillegung unrentabler Strecken.

Die Regierung bestritt, daß ihr Projekt nur die erste Etappe einer durchgängigen Privatisierung des gesamten Schienenverkehrsnetzes darstelle, das ja hervorragend funktioniere. Die Tatsache, daß man eine neue Institution zu schaffen beabsichtige, habe absolut nichts mit der Privatisierung der Staatsbahn Korail zu tun. Die erwogene Agentur solle vielmehr dieser gehören und dürfe niemals an private Investoren weiterveräußert werden.

Doch bald darauf bestätigte der Korail-Präsident höchstpersönlich, daß "die Zeit gekommen" sei, "radikale Reformen einzuführen und eine starke Konkurrenz beim Schienenverkehr zu schaffen".

Präsidentin Park suchte ihrem Idol Margaret Thatcher in puncto Arbeiterfeindlichkeit nachzueifern und erklärte der Gewerkschaftszentrale KCTU wie deren Eisenbahner-Verband den Krieg. Nachdem sie mit zunächst eingesetzten Streikbrechern gescheitert war, untersagte sie offiziell den Ausstand und ließ finanzielle Sanktionen gegen die an ihm beteiligten Mitglieder der Gewerkschaft verhängen.

Höhepunkt der brutalen Repression war am 22. Dezember der Überfall auf das Hauptquartier der 677.000 Mitglieder zählenden KCTU im Zentrum von Seoul, an dem über 600 Polizisten teilnahmen. Nach der zweistündigen Besetzung des Gebäudes wurden 119 Mitglieder und Funktionäre des Verbandes arretiert. Gegen weitere 35 Gewerkschaftsführer - darunter den KCTU-Präsidenten Kim Myun-hwan - erging Haftbefehl, weil sie sich geweigert hatten, das Polizeilokal zur Vernehmung aufzusuchen.

Madame Park erklärte nach Beendigung des Streiks am 30. Dezember, sie bleibe bei der Verfolgung der durch Repressalien Betroffenen, da der Ausstand "illegal" gewesen sei.

Nach der Polizeiattacke auf den zentralen KCTU-Sitz rief die Gewerkschaft Südkoreas Arbeiter zu einer nationalen Mobilisierung auf. Am 28. Dezember erlebte das Land die größte Manifestation seit Jahren. In Seoul überfluteten mehr als 100.000 Menschen die Hauptstraßen, auch in Pusan, Gwangju, Deajon und Daegu marschierten die Kolonnen unter der Losung "Nein zur Privatisierung von Korail!" Der Streik endete nicht eher, bis eine Übereinkunft zur Schaffung einer parlamentarischen Untersuchungskommission erzielt worden war. Diese soll sich bis Ende März zur Glaubwürdigkeit von Regierungsgarantien für eine neue nichtprivate Behörde äußern.

Angesichts der Tatsache, daß die Repressalien gegen Gewerkschaftsfunktionäre bis heute weder zurückgenommen noch eingestellt worden sind, kündigte die KCTU an, ihren Kampf bis zur Demission der Präsidentin Park fortsetzen zu wollen.

In diesem Zusammenhang rief eine symbolische Aktion erhebliches Aufsehen hervor: Die Statue der jungen Gewerkschaftsaktivistin Chun Tae-il, die sich in den 70er Jahren aus Protest gegen die erbärmlichen Arbeitsbedingungen in Südkorea selbst verbrannt hatte, wurde mit einer roten Schärpe geschmückt.

Während der Wahlkampagne sah sich Madame Park gezwungen, das ihr verhaßte Denkmal aufzusuchen, um der unter dem Regime ihres Vaters Umgekommenen ihre Referenz zu erweisen.

Die Entscheidung, das schlichte Monument mit einer roten Banderole zu versehen, ist in einem der repressivsten Staaten Ostasiens einer Kriegserklärung gleichzusetzen.

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel

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Türkei: Gülen sägt an Erdogans Ast

Zehn Monate nach den Eruptionen des Massenprotests am Bosporus zeichnen sich deutliche Verschiebungen in der politischen Landschaft der Türkei ab. Während der Widerstand aktiver Teile der Bevölkerung nicht erlahmt und erloschen ist, suchen mit Premier Erdogan und seiner islamistisch-neoliberalen AKP unzufriedene Gruppierungen des einheimischen Großkapitals, vor allem aber maßgebliche Kreise in den USA, offensichtlich nach einer Lösung ohne den derzeitigen Regierungschef. Erdogan wehrt sich heftig gegen eine solche Bedrohung aus dem eigenen sozialen Lager, indem er scheinbar in die Offensive geht. Am 17. Dezember entließ er Knall auf Fall etwa 80 einflußreiche Personen, darunter etliche Minister seines Kabinetts. Unter Korruptionsvorwürfen wurden sie ihrer Posten enthoben. Seitdem nimmt die "Säuberung" vor allem des Polizei- und Justizapparats ihren Fortgang.

Ausgangspunkt der jüngsten Krise waren die vorjährigen Ereignisse im Istanbuler Gezi-Park unweit des Taksim-Platzes. Aus scheinbar ökologischem Protest gegen die geplante Abholzung kostbaren Stadtgrüns zugunsten von Neubauten entstand Ende Mai 2013 binnen weniger Tage das bislang machtvollste Aufbegehren gegen das Erdogan-Regime. Die Revolte breitete sich rasch auf andere Landesteile aus. Im Juni flammte der Widerstand in mehreren Regionen auf.

Hauptforderung war das Verlangen nach Rücktritt des Diktators. Zugleich wurde die Brutalität der "Ordnungskräfte" angeprangert. Die Protestierenden trotzten tagelang der Gewalt. Erst am 15. Juni wurde der Taksim nach massiven Tränengas-Einsätzen geräumt.

Der Rückzug verschaffte den Regimegegnern eine Atempause und ermöglichte eine Umgruppierung ihrer Kräfte. Seitdem heißt die Losung: "Der Taksim ist überall, der Kampf auch!"

Nach zuverlässigen Schätzungen waren etwa 3,5 der rund 80 Millionen Türken an den Aktionen gegen das Erdogan-Regime aktiv beteiligt, viele von ihnen zum ersten Mal. Landesweit fanden etwa 5000 Manifestationen und Protestaktionen statt. Unüberhörbar war das Verlangen nach Abtreten der in Korruptionsskandale verstrickten AKP.

Die Machenschaften der Regierungspartei wurden vor allem durch die 8 Millionen zählende Gülen-Gemeinde aufgedeckt, obwohl diese ihre Rolle bewußt in Abrede stellte. Der Gülen-Clan ist keine politische Partei, sondern eine in den 70er Jahren entstandene Strömung mit geheimgehaltener Struktur. Sie trägt ihren Namen nach dem des Gründers Fethullah Gülen, eines gemäßigten islamistischen Predigers, der seit Jahrzehnten in den USA lebt. Ein Eckpfeiler seiner Aktivitäten sind Schulen in mehr als 40 Ländern. Im Laufe der Jahre formierte Gülen eine türkische Elite, die auf ihn hört und ihm folgt. Sie verfügt mit "Zaman" über die auflagenstärkste türkische Tageszeitung, besitzt zwei Fernsehsender und betreibt ein Internetportal. Auch der Unternehmerverband Tucson steht zu Gülens Werk.

Bei Erdogans Aufstieg zum AKP-Führer und Ministerpräsidenten spielte der Prediger die Rolle des Königsmachers. Er sorgte dafür, daß dessen Partei die bewaffneten Kräfte des Landes unter ihre Kontrolle bekam. Lange Zeit schien es so, als seien Gülen und Erdogan ein geradezu ideales Paar. Allerdings war von Beginn an klar, daß sich die Gülen-Gemeinde einige Schlüsselpositionen, die bestimmenden Einfluß vor allem auf die Medien ermöglichten, gesichert hatte. Von dort ging dann auch die Kampagne zur gezielten Diskreditierung wichtiger Personen des Erdogan-Lagers aus.

Vor elf Jahren betrachtete man in den USA und anderen westlichen Staaten die Installierung der AKP und Erdogans als die vorteilhafteste Variante bei der Wahrung der Interessen Washingtons und der NATO in der Türkei. Man versprach sich davon eine verläßlichere Gefolgschaft als unter den Vorgängern. Längere Zeit profilierte sich Erdogan als brauchbarer Sachwalter der Interessen des türkischen Großkapitals. Die Gülen-Gemeinde installierte mit ihm einen islamistischen Regierungschef, der ihre Positionen national wie international stärkte. Dabei handelte Gülen keineswegs im Alleingang, sind doch seine Verbindungen zur CIA nicht nur in der Türkei ein offenes Geheimnis.

Unterdessen ist der Status Erdogans als eines zuverlässigen Vollstreckers amerikanischer Vorgaben ins Wanken geraten.

Bei den Protesten hat er Schwäche gezeigt, andererseits aber eine Reihe von Schritten zur Untergrabung des Gülen-Lagers eingeleitet. Überdies sind die Hauptverbündeten der AKP in der Region - vor allem die ägyptischen Moslembrüder und Tunesiens islamistische Ennahda-Partei - inzwischen wieder abserviert worden.

Alles in allem: Erdogan hat heute schlechtere Karten als am Beginn seiner Regierungszeit. Die Türkische Kommunistische Partei (TKP) bewertet die aktuelle Krise im Land am Bosporus als einen Bruch im Block der führenden Kräfte. Bis vor kurzem habe das internationale Kapital uneingeschränkt die AKP unterstützt, jetzt fordere es von Erdogan, er solle zurückweichen. Über ihre Kader in Polizei und Justiz ist es der Gülen-Gemeinde im Bunde mit den USA gelungen, Teile des Machtapparats gegen den Regierungschef aufzubringen und seine politische Handlungsfähigkeit einzuschränken. Das Ziel besteht in der Schwächung der AKP bei Stärkung systemtreuer Kräfte anderer Art.

So streckt die Gülen-Gemeinde bereits ihre Fühler zur CHP - der republikanischen Oppositionspartei - aus. Nach Umfragen steht fest, daß die AKP im Falle von Neuwahlen etwa ein Zehntel ihrer Stimmen einbüßen würde.

Es ist nicht unwahrscheinlich, daß sich das AKP-Regime dem Ende seiner Möglichkeiten nähert. Doch erscheint die CHP, von Gülens Leuten flankiert, als Alternative zu Erdogan? Kaum, verteidigen doch auch diese Formationen nicht die Interessen des Volkes, sondern in erster Linie jene der USA und des türkischen Großkapitals.

So ist der vor zwei Jahren von der TKP ins Spiel gebrachte Wahlslogan "Boyum EGME! - Gebt nicht auf!" inzwischen zur Hauptlosung der türkischen Volksbewegung geworden.

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel

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Kuba will kein Paradies für ausländische Unternehmen werden

Zur Sonderwirtschaftszone Mariel

In Kuba wird derzeit an der lange angekündigten Neufassung des Gesetzes über ausländische Investitionen gearbeitet. Pedro San Jorge, Leiter der wirtschaftspolitischen Abteilung beim Ministerium für Außenhandel und Investitionen, erklärte unlängst einer Gruppe britischer Geschäftsleute: "Auslandsinvestitionen werden jetzt über eine rein ergänzende Funktion zu den heimischen Investitionen hinausgehen, ihnen wird eine wichtige Rolle in Sektoren wie der Landwirtschaft zukommen, wo ausländische Direktinvestitionen bislang selten waren." In der kubanischen Zeitschrift "Opciones" hatte San Jorge zuvor angekündigt, daß das kubanische Parlament auf einer Sondersitzung das neue Gesetz beschließen werde.

Das bislang gültige Gesetz für Auslandsinvestitionen stammt aus dem Jahr 1995 und sieht eine Staatsquote von mindestens 51 Prozent bei Joint-ventures vor. Auch sind bestimmte Sektoren der Wirtschaft für ausländische Investitionen gesperrt. Diese konzentrierten sich bislang vor allem auf den Tourismus. "Es wurde entschieden, das neue Gesetz deutlich tiefergehend zu gestalten und an die aktuellen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Landes anzupassen", sagte der führende Ökonom der Zeitschrift.

Bereits auf der Sitzung des kubanischen Parlaments im Dezember hatte Präsident Raúl Castro angekündigt, daß ausländische Investitionen eine Schlüsselrolle bei der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung des Landes spielen werden. San Jorge sagte jetzt, daß sich ein Teil der neuen Investitionsbedingungen in Übereinstimmung mit den Regeln der Sonderwirtschaftszone Mariel befinden werde. Diese sehen unter anderem vor:

  • Bis zu 100 Prozent ausländischer Anteil an den Unternehmen
  • niedrige Export- und Importzölle
  • Befreiung von lokalen Abgaben sowie der Lohnsteuer
  • 14 Prozent Sozialabgaben
  • 12 Prozent Gewinnsteuer (Befreiung in den ersten zehn Jahren)
  • 1 Prozent Steuer auf Verkäufe und lokale Dienstleistungen
  • Einzahlung von 0,5 Prozent des Gewinns an einen Fond zum Erhalt und Ausbau der Zone.

Insbesondere im Bereich der Landwirtschaft sind Auslandsinvestitionen in jüngster Zeit besonders erwünscht. Der Sektor ist seit Jahrzehnten unterkapitalisiert und ineffizient, weshalb Lebensmittelimporte in Milliardenhöhe eine schwere Bürde für Kubas Staatshaushalt darstellen. Aus diesem Grund wurde bereits 2012 eine Zuckermühle von der brasilianischen Firma Odebrecht übernommen und mit einer Anfangsinvestition von 60 Millionen US-Dollar modernisiert. Der kubanische Staat verfügt auch in vielen anderen Bereichen derzeit nicht über das notwendige Kapital, um bestehende Fabriken aufzurüsten oder neue zu errichten und ist deshalb auf ausländische Investitionspartner angewiesen.

"Wir müssen die Kapazitäten des Landes erhöhen, um Produkte selbst herzustellen, die wir derzeit importieren müssen", faßt Jorge das Ziel dieser Investitionen zusammen. Obwohl bisher bevorzugt befreundete Länder wie Venezuela, Brasilien und China zum Zuge kommen, zeigten auch britische Unternehmer und EU-Staaten wie die Niederlande in jüngster Zeit Interesse daran, in Kuba zu investieren.

Dabei ist die absolute Zahl der Joint-ventures seit Jahren rückläufig. Nach der wirtschaftlichen Erholung im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts setzte man in Havanna verstärkt auf Kooperation mit Venezuela, das nicht nur Öl zu Vorzugskonditionen liefert, sondern sich auch an der Modernisierung wichtiger Raffinerien beteiligt hat. Wohl auch aufgrund der ungewissen Situation Venezuelas nach dem Tod von Hugo Chávez dürfte sich Kuba in Zukunft stärker auf eine Erweiterung des Kreises seiner Handelspartner orientieren. Brasilien, China, Rußland und Weißrußland sind derzeit die wichtigsten Newcomer auf der Liste, aber auch Länder wie Angola und Iran haben ihre Wirtschaftsbeziehungen mit Kuba in den letzten Jahren ausgedehnt.

Mariel wird dabei eine Schlüsselrolle zukommen. Mit dem Ausbau des Hafens 45 Kilometer westlich von Havanna, wird das Land über einen der leistungsfähigsten Containerports der gesamten Karibik verfügen, durch die Erweiterung des Panamakanals werden ab 2015 auch die weltweit größten Containerschiffe in Mariel anlegen, wodurch es sein volles Potential entfalten kann. Die zugehörige Sonderwirtschaftszone soll befreundete Länder und potentielle Handelspartner zur Eröffnung neuer Fabriken und Betriebe motivieren. Sie umfaßt eine Fläche von 466 Quadratkilometern und lockt mit den (für kubanische Verhältnisse) guten Investitionsbedingungen und hervorragender Infrastruktur. Das 900 Millionen-Dollar-Projekt stellt das größte Bauvorhaben seit Beginn der Revolution dar und wird ebenfalls von Odebrecht ausgeführt. Brasilien gewährte Kuba hierfür einen Kredit von 640 Millionen Dollar.

Die Zuteilung von Arbeitskräften an die Joint-ventures erfolgt allerdings wie bisher ausschließlich durch kubanische Agenturen, mit deren Hilfe der Staat auch weiterhin den Großteil der Löhne direkt abschöpfen wird. Inzwischen ist die Sonderwirtschaftszone (ZEDM, Zona Especial de Desarrollo) offiziell eröffnet worden. Yanet Vázquez, Beamtin in der Verwaltung der Zone, gab Auskunft über deren Struktur. Obwohl nicht bekannt ist, wie viele Firmen sich seit Freigabe der Einschreibungen im vergangenen November um einen Platz in Mariel beworben haben, sind 38 Prozent der Projekte der Industrie zuzuordnen, 21 Prozent der Agrarindustrie und 13 Prozent der Firmen sind im Bereich Infrastruktur und Telekommunikation angedacht. Gute Neuigkeiten für Kuba! Denn genau diese Sektoren nehmen eine Schlüsselstellung für die weitere Entwicklung des Landes ein.

Um die richtigen Rahmenbedingungen für einen effizienteren Außenhandel zu schaffen, wird jetzt auch das dazugehörige Ministerium einer Umstrukturierung unterzogen. Der Handelskatalog soll verbreitert werden. Man wird Staats- und Betriebsfunktionen einer Trennung unterziehen. Ziel ist eine Steigerung und Diversifizierung der Exporte. Durch zusätzliche Joint-ventures kann Kubas Importbedarf weiter sinken: Konsumgüter, Lebensmittel, Baumaterialien, Elektronik und anderes, was bisher teuer aus dem Ausland bezogen werden muß, könnte fortan im Land selbst produziert werden. Allerdings birgt die Öffnung für ausländisches Kapital auch Risiken. Insbesondere war die Korruption unter ausländischen Geschäftsleuten und kubanischen Partnern schon immer ein Problem.

Möglicherweise wurde auch wegen Schwierigkeiten, die sich aus dem dualen Währungssystem ergaben, so lange mit der Überarbeitung des Investitionsgesetzes gewartet, denn bereits 2012 war eine baldige Neufassung angekündigt. Durch die laufende Kampagne gegen Korruption sowie zahlreiche Prozesse versuchte Raúl Castro in den vergangenen Jahren das Haus aufzuräumen, bevor er die Tür öffnet. Daß alle in Mariel geltenden neuen Regeln auf das gesamte Land ausgedehnt werden, ist sehr unwahrscheinlich. Kuba will nicht zu einem Paradies für ausländische Unternehmer werden, sondern versucht vielmehr, durch gezielte Investitionen seine eigene Wirtschaft zu modernisieren und Know-how aus dem Ausland zu erwerben. Es geht auch darum, neue Handelspartner ins Boot zu holen, um weitere Branchen zu erschließen und zusätzliche Exportprodukte zu entwickeln. Daß Kuba seine Tore für ausländisches Kapital mit Augenmaß öffnen wird, steht fest. Flächendeckender Bedarf wie in China ist bei der überschaubaren und stark konzentrierten kubanischen Volkswirtschaft allerdings nicht gegeben. Deshalb dürften auch Vergleiche wenig sinnvoll sein.

Marcel Kunzmann

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Wo 40 Familien ein Fünftel des nationalen Reichtums besitzen

Die Hungerlöhne der Filipinos

Alexia Fouarge, die im Auftrag der Menschenrechtsorganisation "Medizin für die Dritte Welt" an einer Konferenz auf den Philippinen teilgenommen hat, schilderte der belgischen PTB-Zeitung "Solidaire" ihre Wahrnehmungen in dem südostasiatischen Inselreich, das im Vorjahr von einer schweren Naturkatastrophe heimgesucht wurde. Nach ihrem Urteil schaffen das massive Elend der meisten Landesbürger und die ins Auge springende politische Unterdrückung ein erschreckendes Panorama.

Was Alexia Fouarge am meisten schockierte, sind die soziale Kälte und die ökonomische Ungleichheit. In Manila befänden sich ausgedehnte Elendsviertel in unmittelbarer Nachbarschaft zu Fünf-Sterne-Hotels.

Die Regierung werde nicht müde, das zweifellos beachtliche Wirtschaftswachstum von 6,6 % zu preisen. Doch 2012 kamen den 40 reichsten Familien unter 94 Millionen Filipinos nicht weniger als 21 % des Bruttoinlandsprodukts zugute - 47,4 Milliarden US-Dollar. Staatlicherseits beziffere man den Anteil der offiziell Armen mit 28 bis 30 %. Bei dieser Rechnung würden allerdings nur jene Menschen einbezogen, die am Tag weniger als 52 Pesos - knapp einen Euro - zur Verfügung hätten. Damit könne man auf den Inseln 1 Kilo Reis und 3 Eier erwerben.

Der Bergbausektor widerspiegele auf besonders krasse Weise Ungleichheit und Machtmißbrauch in der philippinischen Gesellschaft. Seit Inkrafttreten des Gesetzes über die Förderung von Bodenschätzen im Jahre 1995 habe ein regelrechter Run auf Gold und andere kostbare Metalle wie Silber, Nickel und Kupfer eingesetzt. Während sich internationale Konzerne um möglichst große Anteile dieses lukrativen Marktes stritten, zumal die dafür erhobenen Steuern die niedrigsten der Welt und gesetzliche Regelungen äußerst vage seien, bekomme der philippinische Staat, der all das ermutige, von den exorbitanten Profiten kaum etwas ab. Die Steuern, die er für die Förderungsgenehmigung einziehe, stellten nur 0,61 % des von den Konzernen erzielten Gewinns dar.

Ein anderes Problem der Philippinen sei die forcierte Privatisierung der öffentlichen Dienste - vor allem des Bildungs- und Gesundheitswesens sowie der Wasserversorgung. 1997 habe man das gesamte Trink- und Brauchwassernetz zwei privaten Unternehmen - Manila Water und Maynilad - ausgeliefert. Sie forderten von den Durchschnittsbeziehern Preise ab, die ihnen den Zugang zu Wasser außerordentlich erschwerten. Allein die "Grundgebühr" sei nahezu unerschwinglich. Sie wurde durch Maynilad von 4,96 % auf 33,97 % heraufgesetzt. 2013 hätten weitere 26 Krankenhäuser verschiedener Regionen auf der Privatisierungsliste gestanden.

Um den multinationalen Konzernen die uneingeschränkte Erzielung von Maximalprofiten zu ermöglichen, würden Proteste der Bevölkerung brutal unterdrückt. Zwischen Juli 2010 und Dezember 2012 - so berichtete Alexia Fouarge - hätten auf den Philippinen 137 Hinrichtungen ohne Gerichtsurteil stattgefunden. Immer wieder verschwänden Widersacher des Regimes spurlos oder erfolgten willkürliche Verhaftungen aus politischen Gründen. Im Oktober 2012 sei z. B. die 27jährige Yuvy Capion gemeinsam mit ihren zwei Söhnen von Militärs umgebracht worden, weil sie zur Familie eines Aktivisten gehörte, der den Widerstand gegen einen ausländischen Bergbaukonzern organisiert hatte. Wenige Monate später habe man auch den Schwager der jungen Frau ermordet.

RF, gestützt auf "Solidaire"

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NSA-Opfer: Fliegen auf einem Klebeband

Seit den ersten Enthüllungen des früheren NSA-Mitarbeiters Edward Snowden über die Bespitzelungspraktiken seines Brotherrn - der Regierung der Vereinigten Staaten - vergeht kaum ein Tag, an dem die Welt nicht durch neue Horrormeldungen in Aufregung versetzt wird.

Dabei sollte man stets im Hinterkopf behalten, daß alle Bloßstellungen nur die Spitze des Eisbergs erkennen lassen. Seit Kenntnis US-amerikanischer Neugier habe ich das Entsetzen derer vermißt, die das Hauptanliegen ihrer Arbeit so lange und so vehement im "Kampf gegen staatliche Repression und Bespitzelung in der DDR" sahen. Jene, welche die einstigen DDR-Bürger vom Trauma der angeblich totalen Überwachung befreien wollten, halten sich jetzt in Sachen NSA eher peinlich bedeckt. Vor allem die Kammerjäger der eigens für Ossis geschaffenen Büßerbehörde zur "Aufarbeitung der Stasi-Unterlagen" geben sich angesichts der kalten Dusche aus Übersee derzeit eher wortkarg. Offenbar fürchtet man um die eigene Existenzberechtigung.

Betrachtet man die professionellen "Stasi"-Jäger, dann erlebt man, wie sie die NSA-Affäre herunterzuspielen und abzumildern oder die BRD-Bürger für blöd zu verkaufen suchen. In einem Interview philosophierte Roland Jahn am 29. August 2013 über seine Sicht auf die Unterschiede zwischen der Freiheit in einer Diktatur und in der bürgerlichen Demokratie, wobei er den Eindruck zu erwecken suchte, daß es zwei völlig konträre Freiheiten gäbe.

Die Tatsache, daß deutsche Bürger durch die NSA gläsern gemacht worden seien, müsse als ein Kavaliersdelikt unter Freunden bewertet werden, beteuern unsere Politiker. Alles sei halb so wild, schließlich kenne doch jeder auch aus seinem Privatleben genügend Leute, die einen beschnüffeln, bespitzeln und ausspionieren.

Was da in der mormonischen Wüste von Utah aus dem Sandboden gestampft worden ist, muß rein technisch als ein Monstrum betrachtet werden, das unsere Vorstellungskraft übersteigt. Die Fläche der NSA-Abhörzentrale umfaßt rund 50 Fußballfelder, der jährliche Stromverbrauch des Komplexes beträgt etwa 65 Megawatt und kostet geschätzte 45 Millionen Euro. Das entspricht dem Bedarf einer Stadt mit 40.000 Einwohnern. Allein für die Kühlung der Anlage veranschlagt "Wired"-Autor James Bamford pro Tag 450.000 Liter Wasser.

Angestrebt ist vorerst eine Speicherkapazität von fünf Zettabyte - das ist, um die Sache zu verdeutlichen, eine Eins mit 21 Nullen. Sie reicht aus, um die gesamte Kommunikation, jeden Computer, das Inter- und Intranet, das Bewegungsverhalten bei Google und anderen Suchmaschinen, alle E-Mails und SMS, Eingaben in Smartphones, Handys, Telefon und netzfähigen TV, sämtliche Bankdaten incl. Angaben über Steueraufkommen, Eigentumsverhältnisse, Arztbesuche, Krankenhausaufenthalte und Einkäufe im bevorzugten Supermarkt für jeden Erdenbürger über einen Zeitraum von 100 Jahren zu speichern. Natürlich auch Bewegungsdaten, die durch moderne Autos oder per Handy und Smartphone geliefert werden.

Wer meint, daß ein so gigantischer Überwachungsapparat nötig wäre, um sich auf alle Zeiten seine zweifelhafte Existenz als Gesellschaftsordnung zu sichern, sieht nicht gut aus. Eine Regierung, die Edward Snowden politisches Asyl verweigert, ist letztlich auch dazu verdammt, die Bürger des eigenen Landes wie Fliegen auf einem Klebeband dem vermeintlichen "Freund" auszuliefern.

Jan Bischoff, Neustrelitz

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Die Olympischen Winterspiele waren vorbildlich organisiert

Spasibo bolschoje, Sotschi!

Die Olympischen Winterspiele in Sotschi sind jüngste Geschichte. Für die 98 ausgeschriebenen Wettbewerbe in 15 Sportarten bewarben sich knapp 3000 Athleten aus 88 Ländern. Die BRD war mit 153 Olympioniken vertreten. 30 Medaillen, wie in Vancouver, so lautete die Zielstellung, wurden nicht erreicht. Nur 19 Medaillen kommen auf das magere Konto. Am Ende reichte es nur für den sechsten Platz in der Nationenwertung. Beeindruckend waren die sportlichen Leistungen der dreifachen Olympiasiegerin im Biathlon, Daria Domratschewa (Belarus), der Eisflitzer der Niederlande und die des "Seniors" im Biathlon, Ole Einar Björndalen, der zum erfolgreichsten Sportler bei Winterspielen wurde.

Bevor Putin die Olympischen Spiele für eröffnet erklärt hatte, erlebten wir eine stolze Selbstdarstellung des Gastgeberlandes, getragen von einem hohen künstlerischen und sportlichen Niveau, von Emotionen und Traditionen. Diese Präsentation der Geschichte Rußlands und der UdSSR übertraf wohl all unsere Erwartungen. Eindrucksvoll war auch der Weg der olympischen Flamme, die in 123 Tagen durch zehn Zeitzonen - von Kamtschatka, in das Weltall und nach Sotschi - 65.000 km zurücklegte. Vorbildlich organisiert wurde die Austragung der Wettbewerbe für die Teilnehmer, Zuschauer und auch für das russische Sotschi. Sportler, Trainer und Offizielle äußerten sich anerkennend über die Wettkampfstätten und die kurzen Wegezeiten zu ihnen sowie zu der sprichwörtlichen Gastfreundschaft und Herzlichkeit der Veranstalter.

Schon kurz nach der Vergabe der Olympischen Winterspiele an Sotschi wurde das Störfeuer eröffnet. Politiker wie Journalisten suchten nach Schmuddelecken, um gezielte Propaganda gegen Rußland und Putin zu führen. Als Repräsentanten der deutschen Herrenvolkdemokratie surften Golineh Atai und Udo Lielischkies durch Rußland. Sie sollten Moskau im Auftrag der ARD belehren, was in den russischen Zeitzonen vernachlässigt werde. Wir hätten uns eine Berichterstattung gewünscht, die dem Anliegen der Olympischen Spiele Rechnung getragen hätte. Oder sollte die Welt nicht erfahren, was Rußland zu leisten imstande ist?

Die Sotschi-Abwertung war eindeutig politisch motiviert. Im "Berliner Kurier" vom 25. Januar las man: "Putins Spiele: Korruption, Bausünden, Terrorgefahr, Verletzung von Menschenrechten prägen die Winterspiele von Sotschi." Wer kann Menschenrechte einfordern, wenn man sie im eigenen Land mit Füßen tritt? Erinnert sei nur an das KPD-Verbot und die Berufsverbote in der BRD, die Strafrenten sowie das widersinnige Lohn- und Rentengefälle zwischen Ost und West.

Unerwähnt soll nicht bleiben, daß Bundespräsident Gauck kommentarlos eine Reise nach Sotschi absagte. Auch Regierungsvertreter der BRD fehlten bei der Eröffnung der 22. Olympischen Winterspiele. Steinmeier und von der Leyen bevorzugten statt dessen Besuche auf Kriegsschauplätzen.

Die Kommerzialisierung des Weltsports zeigt sich immer ausgeprägter. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) entwickelt sich zunehmend zu einem Milliarden-Wirtschaftsunternehmen. Das US-Fernsehen kaufte für 775 Millionen Dollar die TV-Rechte, um die Bürger der Vereinigten Staaten 16 000 Sendestunden beflimmern zu können. Mit diesen Rechten bestimmten sie Inhalt und Zeitplan der Spiele, wie das seit Jahrzehnten praktiziert wird. In diesen Modus ordnet sich auch die Aufnahme solcher artistischen Wettbewerbe wie Freestyle-Ski, Shorttrack oder Buckelpiste ein. Das IOC wäre gut beraten, sich stärker auf die traditionellen Wintersportarten zu orientieren.

Erhard Richter

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Für "Kaiser, Volk und Vaterland" gefallen

Erinnern an Carl Böhm-Hennes

Am Rennsteig, in der Nähe des kleinen Ortes Ernstthal mit seiner großen Skitradition, steht seit 1921 ein Gedenkstein des Thüringer Wintersportverbandes. Er ist "Seinen tapferen Gefallenen 1914-1918" gewidmet. Besonders viele junge Athleten haben den 1. Weltkrieg nicht überlebt. Zu ihnen gehörte auch der erste deutsche Weltklasse-Skisportler Carl Böhm-Hennes aus Ernstthal. Er starb im November 1914 bei Lódz.

Mit einem 17-Meter-Sprung auf der Oberhofer Schanze am Wadeberg begeisterte er schon 1908 die Sportwelt. Seit 1909 reihte er Erfolg an Erfolg. Vierfacher Thüringer Skimeister bis 1914 bei den Wintersportfesten in Oberhof, Sächsischer Skimeister, 1911 Deutscher Skimeister in Oberwiesenthal und Österreichischer Skimeister in Mitterndorf. Seine beste internationale Plazierung erreichte er 1912 mit einem 4. Rang in der Nordischen Kombination am Holmenkollen. Die Norweger feierten ihn.

Wofür sind Carl Böhm-Hennes und seine Sportkameraden im 1. Weltkrieg gestorben? Wer hat ihn angezettelt und den Glasbläser aus dem Thüringer Wald an die Front befohlen? Angeblich seien die verantwortlichen Politiker und Militärs wie Schlafwandler in die Katastrophe des Krieges hineingestolpert, wird behauptet. Eine großangelegte Kampagne der bürgerlichen Medien versucht gegenwärtig, die deutsche Kriegsschuld kleinzureden. Das große Gemetzel wurde von allen imperialistischen Mächten durch eine gigantische Aufrüstung vorbereitet. Die deutschen Kriegsziele sahen eine Neuaufteilung der Welt vor.

Die jungen Sportler starben 1914 bis 1918 nicht für das Vaterland, sondern für fremde Interessen. Die Kriegerdenkmale sollten uns heute zum Nachdenken über die gegenwärtige Militärpolitik Deutschlands anregen. Seit 1990 ist der Krieg nach Europa zurückgekehrt. Die Bundeswehr wird zielgerichtet zu einer Söldnerarmee für weltweiten Einsatz gemacht. Militärische Intervention deklariert man als "Engagement". Eine konsequente Antikriegshaltung - unser Nein zu allen Auslandseinsätzen der Bundeswehr -, das ist die Lehre aus dem Jahr 1914 und sollte Maßstab zur Beurteilung aller Parteien und Politiker dieses Landes sein.

Jan Knapp


Unser Autor war langjähriger Leiter des Oberhofer Wintersportmuseums.

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Warum in den USA immer mehr Kleinkriminelle eingeknastet werden

Hochkonjunktur der Gefängnisindustrie

In den USA saßen 2012 knapp 2,5 Millionen Gefangene in Haftanstalten ein. Nach UNO-Angaben war das ein Viertel aller Gefangenen der Welt. Kein Staat steckt derzeit mehr seiner Bürger in den Knast, weder in absoluten Zahlen noch im Verhältnis zur Bevölkerung. Diese Angaben suggerieren den Eindruck, daß in den Vereinigten Staaten die meisten Schurken beheimatet sein müßten. Sind die Menschen dort mit denen anderer Staaten nicht vergleichbar?

Die Entwicklung spricht Bände. Zählte man 1974 in USA-Gefängnissen ungefähr eine halbe Million Insassen, so waren es nur zehn Jahre später bereits 1,5 Millionen. Die aktuelle Zahl haben wir bereits genannt.

Zwar stimmt es, daß das kapitalistische System immer mehr Menschen kriminalisiert, doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Der zeitgenössische Kapitalismus ist nämlich an der Potenzierung vermeintlicher Kriminalität interessiert, da die private Gefängnisindustrie ständig Nachschub benötigt. Deshalb besitzt das System die perverse Eigenschaft, die Zahl angeblicher Täter vervielfachen zu können.

Derzeit bedeutendster "Anbieter" im Lager der Gefängnisindustriellen ist die Corrections Corporation of America (CCA), der die "Frankfurter Rundschau" bescheinigt, 17.500 Angestellte und 90.000 "Kunden" zu haben. Der Jahresumsatz des Unternehmens belief sich 2010 auf 1,7 Milliarden Dollar. Ein boomendes Geschäft, das allein von Bestrafung lebt! Je mehr Menschen hinter Gittern sind und je länger sie dort bleiben, desto mehr Kasse macht die CCA. Man nennt sie spöttisch auch das "Hilton der privaten Gefängnisindustrie".

Im Gegensatz zu dieser Hotelkette hat sich die CCA aber die durchgängige Ausbuchung gesichert. In den Verträgen ist die Bettenkapazität festgeschrieben, die Belegung garantiert. Mit den Verwaltungsbehörden wurde geregelt, daß ständig genügend Gefangene angeliefert werden, sogar dann, wenn die offizielle Kriminalitätsrate sinken sollte.

Parallel zum stetigen Rückgang der Sozialausgaben erhöhten sich die im Bereich Überwachung, Gefängnisbau und Anstaltspersonal eingesetzten Mittel. Der Zuwachs im Polizei- und Justiz-Etat geht fast immer zu Lasten von Programmen zur Verbrechensvorbeugung und Betreuung von Menschen in sozialer Not.

Die Zahl der Gewaltverbrechen, welche oftmals Menschenopfer zur Folge haben, ist über die Jahrzehnte hinweg nahezu konstant geblieben. Heute sitzt die Hälfte der US-Gefangenen wegen anderer Delikte ein. Doch seit 1990 ist die Zahl der Insassen in privaten Haftanstalten des Komplexes der Gefängnisindustrie um 1600 Prozent gestiegen! Solche "Dienstleister" träumen von Massenarretierungen und maßlos überzogenen Strafen für nichtgewalttätige Delikte, um im Geschäft zu bleiben.

So fordert das Gesetz, bei Drogenmißbrauch auf jeden Fall Freiheitsstrafen zu verhängen. Dadurch ist die Zahl der aus diesen Gründen Inhaftierten seit dem Beginn des "War on drugs" um sage und schreibe 1000 Prozent gestiegen!

Die Verlierer in diesem Krieg benennt Angela Davis, die sich seit Jahren dieser Thematik besonders zugewandt hat, folgendermaßen: "Die Überwachung wird auf Schwarze, Einwanderer, Arbeitslose, Schulabgänger ohne Abschluß, Obdachlose und generell all jene konzentriert, welche einen immer kleineren Anspruch auf die sozialen Ressourcen geltend machen können."

Die Situation in der BRD ist vorerst mit der in den USA, Großbritannien oder Australien nicht zu vergleichen. Doch die ersten privaten Knäste stehen auch hier, wobei neben zivilen Angestellten staatliche Beamte Dienst tun.

Begonnen hat man mit teilprivatisierten Abschiebeknästen. So in Büren, wo die psychologische Betreuung der Häftlinge nicht mehr vom Deutschen Roten Kreuz, sondern von einer privaten Firma durchgeführt wird. Es folgten ebenfalls partiell privatisierte Einrichtungen dieser Art in Neustrelitz (Mecklenburg-Vorpommern), Glasmoor (Schleswig-Holstein) und Wuppertal (Nordrhein-Westfalen).

2005 wurde die erste teilprivatisierte Justizvollzugsanstalt im hessischen Hünfeld in Betrieb genommen. In Unternehmerregie liegen dort Reinigung, Verpflegung, medizinische Betreuung und berufliche Ausbildung von Häftlingen. Die staatlichen Vollzugsbeamten sind nur noch für hoheitliche Aufgaben wie die Bewachung der Insassen zuständig.

Im Januar 2013 wurde nach Burg, Offenburg und der JVA Heidering bei Berlin in Bremervörde eine weitere in Teilen private Knastfabrik eingeweiht.

Doch unabhängig davon, wer das jeweilige "Haus" betreibt, lassen sich die Gefangenen generell zu für die Unternehmer traumhaften Sonderkonditionen ausbeuten: keine Streiks, keine Gewerkschaften, keine Kranken- und Arbeitslosenversicherung. Die von den Betrieben gezahlten Löhne sind derart niedrig, daß sie mit denen in sogenannten Billiglohnländern ohne weiteres konkurrieren können.

Langfristig wäre auch in Deutschland eine Situation denkbar, in der die Justiz für hinreichend Nachschub zur Aufrechterhaltung privater Knäste sorgen müßte.

Schon heute sitzt in der Berliner JVA Tegel ein Drittel der Gefangenen wegen nichtbezahlter Mietrechnungen oder Fahrscheingebühren ein. Wenn mit Gefängnissen Geld verdient werden soll, muß es auch genügend Gefangene geben.

Bernd Gutte

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Briefmarken offenbaren den Charakter eines Staates

Philatelistische Visitenkarte der DDR
(11 und Schluß)

Nur sehr hartnäckige Sozialismus-Hasser können der DDR ein ihr tausendmal gebührendes Prädikat verweigern: das kinderfreundlichste Land in der deutschen Geschichte gewesen zu sein.

In erster Linie hat sich der sozialistische deutsche Staat diesen Ehrentitel wohl dadurch verdient, daß von seinem Boden niemals Krieg, sondern immer nur Frieden ausgegangen ist. Diese Tatsache hätte für eine Alleinstellung genügt.

Doch auch in ganz alltäglichem Sinne war die DDR, in der niemand hungrig zu Bett gehen mußte, keiner ohne ein Dach über dem Kopf oder ärztlich unterversorgt blieb, ein Kinderparadies ohnegleichen. Nehmen wir als Kontrastprogramm nur das Gezeter und Gezerre um die in der BRD ewig fehlenden Kita-Plätze, die in der DDR jahrzehntelang zur Normalität gehörten. Sie werden durch Merkel & Co. lauthals, aber auf Sparflamme als erst- und einmalige Errungenschaften aus deren eigener Denkwerkstatt angeboten. Krippen- und Kindergartenplätze entsprangen im deutschen Arbeiter-und-Bauern-Staat nicht Opportunitätserwägungen oder der Phantasie plötzlich kinderfreundlicher Politiker und Parteien, sondern waren Ausdruck einer zutiefst humanistischen Weltanschauung und der auf ihr beruhenden Gesellschaftsentwicklung.

Während in den völlig uneinheitlichen, bei der Auswahl vom Geldbeutel der Eltern abhängigen Schulen der BRD nur reine Stoffvermittlung, nicht aber allseitige Erziehung angesagt ist, hatten die Pädagogen der DDR einen anderen Auftrag. Er bestand darin, im Zusammenwirken mit Elternhaus, Pionierorganisation und Jugendverband charakterlich integre, gebildete, urteilsfähige und gesellschaftlich engagierte Menschen heranzubilden.

Eine große Rolle spielte dabei nicht zuletzt das DDR-Kinderfernsehen, dessen von Millionen kleinen Zuschauern geliebte Märchenwald-Gestalten zugleich auch hochbefähigte Pädagogen waren, die zur Ausprägung positiver Charaktereigenschaften beitrugen.

Die Post der DDR unterstützte das gesellschaftliche Anliegen der Kindererziehung und der Förderung kreativer Fähigkeiten bei den Heranwachsenden durch die Herausgabe immer neuer eindrucksvoller Briefmarkenserien zu einer auch die Kleinsten berührenden Thematik.

Wir beenden unsere philatelistische Reise in die DDR mit zwei Kinderserien, die aussagekräftiger als jeder noch so gelungene Kommentar sind. Auch sie werden noch in Jahrhunderten von der Existenz eines deutschen Staates künden, dessen höchster Wert vier Jahrzehnte gelebter Humanismus war.

Rainer Albert, Zwickau

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Griff in die literarische Schatztruhe (18)

Einst erfolgreiche DDR-Schriftsteller dem Vergessen entreißen

Der Urberliner Helmut Meyer übte in den Jahren der Weltwirtschaftskrise ein halbes Dutzend Berufe aus. Die Lust und der Drang zum Schreiben erfaßten ihn sehr früh. Er wirkte als Arbeiterkorrespondent und Herausgeber von Betriebszeitungen. Meyer verfaßte das 300 Seiten umfassende Manuskript "Die Hundeperspektive", in dem er sich mit dem aufkommenden Faschismus auseinandersetzte. 1933 mußte er in die Illegalität gehen und sah sich gezwungen, sein Manuskript zu vernichten.

Nach Kriegsende leitete Helmut Meyer wiederholt "Zirkel schreibender Arbeiter". In seinem Roman "Herz des Spartakus" (1959) gestaltete er wesentliche Etappen aus der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung zwischen 1900 und 1919, wobei er das Berlin der Novemberrevolution auferstehen ließ. Sein Kinderbuch über Marx "Franziska und der Student von Trier" (1973) wurde mit mehr als 20 Auflagen ein großer Erfolg und konnte neben "Mohr und die Raben von London" von Ilse und Vilmos Korn durchaus bestehen. Meyer hatte zehn Jahre aufwendigen Quellenstudiums betrieben und etwa dreieinhalb Jahre daran geschrieben. Im Mittelpunkt standen Franziska aus dem Eulengebirge und Michael aus Berlin-Stralau. Sie heirateten, nahmen an Barrikadenkämpfen teil und lernten den Studenten Karl Marx kennen.

Die Literaturkritik nahm das Buch sehr positiv auf. Georg W. Pijet bemerkte: "Der Schlichtheit seines Stils gelingen oft Partien von tiefer Bewegung und schöner Bildhaftigkeit." Meyer beabsichtigte, dem noch zwei Bände folgen zu lassen: "Die Rosenjungfern und der Bombardier" und "Die Weber vom Frankfurter Tor". Er konnte seinen Plan indes nicht mehr verwirklichen, da ihm der Tod am 23. Juli 1983 die Feder aus der Hand nahm.

Zu verweisen ist nicht zuletzt auch auf Helmut Meyers Frauenroman "Lena in Berlin" und seine Kinderbücher "Geheimauftrag für Kaspar B." und "Kaspar B. in Gefahr".

Dieter Fechner

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Einbahnfrei
[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Gisela Steineckert: Hand aufs Herz

Das Schöne an den Frauen ist
wie sie mit dem Groschen knausern
und mit dem Herzen verschwenden
sie treiben sich immer zur Eile
und dann wieder können sie
unendlich lange und sogar vergeblich einfach warten
in der Arbeit kommen sie schnell auf den Punkt
in ihren Irrtümern ewig nicht
Frauen haben andere Zeiten als Männer
anderen Druck und also
eine andere Vorstellung vom Glück
von Hirngespinsten wenden sie sich ab
nicht ohne sie in ihrer Phantasie zu genießen
Kampfhandlungen zu Boden, zu Wasser oder in der Luft
das bringt Frauen nichts
fremde Gebiete besetzen und dabei das eigene
gänzlich aus dem Auge verliern
Frauen sind keine zu klein geratenen Männer
auch keine Sklaven
und zum Helden taugen sie nicht
Frauen kehren auf herzzerreißendem Umweg
weiser, faltiger, ein bißchen dicker oder dünner
gelassener, manchmal härter
zurück zu dem Wesen jenes Mädchens
das sie einmal waren oder sein wollten
oder nun endlich werden können
und fangen wieder an, zu sticken, zu backen
überall reinzureden, alles besser zu wissen
vielleicht sogar eine Nacht durchzuschlafen

ein Stück ihres eigenen Lebens zeigen sie dann nur noch
ihren Enkeln, die sie lieben
so, daß ihre Kinder ihre Kinder beneiden
so war sie zu uns nie

Frauen können sich gelingen
wenn man sie läßt
wenn man sie im Frieden läßt

(1987)


Wir sind einen langen Weg gegangen. Die einzelne fand sich vielleicht die Freundin, die Weggefährtin, aber näher lag der Frau, Konkurrentin zu sein.

Neue Gesetze, die uns von der vielfältigen Vormundschaft durch den Mann freisprachen, haben die meisten von uns zunächst überfordert. Auch ich habe gezaudert. Auch bei mir kam die Erkenntnis lange vor dem kühlen Mumm, aufzubrechen in das Wagnis, selber die Verantwortung zu übernehmen, mich unabsehbaren Risiken auszusetzen. Es hat dann weniger Kraft gekostet, als vordem die Rechtlosigkeit. Ich habe Unterdrückung und Entmutigung erfahren. "Durch den Mann", das hatte meine Generation leicht auf der Zunge, aber es ist Teil unserer Lebenslüge. Wir Kriegskinder hätten es früher besser wissen können. Unsere Mütter hatten eben bewiesen, daß sie den Männern an Geschicklichkeit nicht nachstehen, sie hatten sie ersetzt, die fernen Soldaten.

Die Mär vom schwachen Weib hatte ausgedient, als sie nicht mehr nützlich war. Wir Töchter nutzten unsere Chance. Sicher zunächst auch, weil wir in der Arbeit gebraucht wurden. So kamen wir in die Lehrstellen, an die Universitäten, hier in der DDR zur Gültigkeit der eigenen Unterschrift, zum Recht auf ein eigenes Leben.

Die Bereitschaft zur Unterwerfung trugen wir in unseren Genen, sie wartete nur auf einen Anlaß. Was haben wir uns nicht bieten lassen! Was wir als Niederlage fürchteten, haben wir uns immer wieder bereitet.

Ich lebe seit langem anders und nehme die andere Frau so ernst, daß ich für sie auch unbequem bin. Frauen sind nicht die besseren Menschen. Nicht als Herrin zur Magd, als Chefin zum Lehrmädchen, als Mutter zu ihrem Eigentum, den Kindern. Wieviel Dummheit und Anmaßung lag im Verhalten der Konkurrentinnen.

Wir haben als Frauen den Männern zu wenig entgegengesetzt. Aber wie sollten Frauen großzügig sein, wo sie kaum Einfluß auf die Entwicklung ihres Verstandes, ihres Herzens, oder gar ihrer Talente hatten. Erstaunlich, wie viele von ihnen es dennoch als Politikerin, als Künstlerin oder als lebendes Beispiel für Menschlichkeit geschafft haben - zur Ehre unseres Geschlechtes. Sie hatten jenes Selbstbewußtsein, jene Haltung zum Leben, die zum Eingreifen zwingt.

Das Gehirn der Frau ist ein wenig leichter als das des Mannes. Wir sollten uns nicht davor fürchten, daß wir zuwenig Grips haben. Mehr Nachdenklichkeit scheint mir angebracht, wenn ich beobachte, wie sich erfolgreiche Frauen verhalten. Frauen sind nicht die besseren Menschen, nur weil sie gebären, weil sie uns rühren mit ihrer Mütterlichkeit, ihrer möglichen Güte, ihrer durch Erfahrung und Weitergabe verständlichen Friedensliebe. Solche edlen Eigenschaften habe ich bei emanzipierten Männern auch gesehen.

Aber ich bin dankbar: Wir Frauen wurden gebraucht und gefordert. Wir lernten unser Ja und unser Nein, und für aufhaltende Konkurrenz gab es in der DDR keinen wirklichen Grund. Ich kann mich nicht erinnern, daß mir je ein Angebot streitig gemacht worden wäre, denn es gab immer mehrere.

Und ich hatte Glück, es waren Frauen, die mich ermutigt haben: Christa Wolf und Eva Strittmatter, später Maxi Wander und Irmtraud Morgner. Wir mochten uns und halfen uns gegenseitig.

Über die Jahrtausende war der fernfernen Schwester beizustehen. Immer hat mich das Leben von Maria beschäftigt, die nach dem Tod des Sohnes in den Falten der Geschichte verschwunden ist. Was hätte sie tun können, um das Schicksal des einzigen Mannes, dem ihr Herz und ihre Seele gehörten, abzuwenden? Wie hat sie unter dem Kreuz gestanden, was hat ihr die Kraft gegeben, seinen Tod zu begleiten, ihn unschuldig zu wissen und ihn zu bergen? In den Kirchen sehe ich sie immer mit gesenktem Kopf und verhülltem Haar. Hat sie den Sohn auf dem Schoß, dann ist sie nur Mutter, nicht auf andere Art weibliches Wesen.

Ich möchte Olga Benario in den Arm fallen, ihr den Tod ersparen, der ihr schon 1928 sicher war, als sie ihren Geliebten mit einer Schußwaffe aus dem Gefängnis befreite. Sie wurde später von Brasilien an Nazi-Deutschland ausgeliefert und umgebracht. Sie hatte keine Chance.

Haben wir als Menschheit genügend gelernt aus den Erfahrungen so vieler Generationen? Wissen verbreitet sich weitaus langsamer als Illusionen.

Was haben wir denn gelernt? Daß es für Waffen heute keinen Sieg gibt?

Haben wir gelernt, daß Mann und Frau auf Augenhöhe miteinander leben müssen, weil sie sich nur so wirklich erfahren und lieben können?

Wir wissen nicht, ob Kassandra gelebt hat. Sie gehört zu den edelsten Gestalten der Geschichte, warnt vor Rache und Mord - und kann nichts verhindern.

War unser Weiberweg lang genug, das eigene Recht in Anspruch zu nehmen und es gemeinsam mit den Männern einzubringen in unseren Versuch, auf dieser Erde in Frieden zu leben?

Frauen sind nicht die besseren Menschen. Eine Frau als Verteidigungsministerin - wer bedroht uns? Derzeit niemand, also jucken uns wohl die Sporen, dorthin zu eilen, wo gefährliche Entwicklungen und Konflikte stattfinden? Geht es um seltene Erden oder um das Stück Erde? Um Besitz oder Besatzung?

Frauen an der Macht sind in Gefahr, so zu werden, wie wir die Männer nicht mehr wollen. Frauen, die ihre Persönlichkeit aus der Unterdrückung anderer beziehen. Wir sollten uns vor solchem Erfolg hüten. Ob Kanzlerin, Ministerin, Abgeordnete, oder betucht genug, um andere "unter sich" zu haben.

Es wird schwierig, denen ins Wort zu fallen, die gerade das Sagen haben, wissen wir doch, daß ihnen die Hörfähigkeit abhanden kommt, sobald sie gewählt sind.

Ja, aber es gibt neue Wahlen, es gibt Bewegungen, es gibt aufklärende Stimmen in der Presse - und es gibt immer den einzig richtigen Augenblick: Gerade jetzt.

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Leserbriefe an RotFuchs

Am 31. Januar hielt Gauck - als erstes deutsches Staatsoberhaupt - vor etwa 350 Teilnehmern der "Münchener Sicherheitskonferenz" eine Rede "über die Rolle Deutschlands in der Welt". Verstehen kann man sie allerdings nur, wenn man ihre Sprachnebel auflöst, ihre Codes entschlüsselt.
Einige von ihnen lauten, in Klardeutsch übersetzt, so: "Überdurchschnittlich globalisiert": auf Kosten anderer Völker leben; "Ordnungsgefüge": Die NATO ordnet - die Nicht-NATO-Länder fügen sich; "offene Weltordnung": Eure Länder stehen uns offen; "ressourcenschonende Zukunft": Wir wollen Eure Ressourcen; "Schutzverantwortung": Selbstermächtigung zur Intervention bei Nichtgefügigen; "Garant": militärischer Stabilisator des "nordatlantischen Ordnungsgefüges"; "deutsche Initiativkraft": die deutsche Kraft, das Militär ungebeten einzusetzen; "Frühwarnsysteme": global ausspähen und aushorchen; "substantiell einbringen": Frühwarnsysteme und militärische Initiativkraft finanzieren; "Einsatz von Soldaten": Krieg führen!
An Gaucks Rede fiel auf, daß sie eine Reihe von "grundlegenden" und "europäischen Werten" sowie sonstigem "Schützenswerten" aufzählt - der sonst so gerne benutzte Begriff der "Freiheit" kam in ihr aber nicht vor. Die versammelten Militärs und Waffenproduzenten vernahmen gern, was ihnen über "globale Ordnungspolitik" nach Gauckschem Verständnis gesagt wurde, die - leider, leider - "im äußersten Falle" erfordere, Schwerter eher zu "Flugkörpern" als zu "Pflugscharen" umzuschmieden.

Dr. Hermann Wollner, Berlin


Bundespräsident Gauck hat in seiner Eröffnungsrede in München erklärt, Deutschland müsse bereit sein, "mehr für die Sicherheit zu tun". Die Bundesrepublik sollte sich als guter Partner "früher, entschiedener und substantieller einbringen". Dann ließ er die Katze aus dem Sack. "Eines haben wir in Afghanistan gelernt: Der Einsatz der Bundeswehr war notwendig."
Gauck steht als Pfarrer in der Tradition der Kirche. Von einem Christen sollte man mehr Respekt vor dem Leben erwarten. Aber er ist ja nicht allein. Auch die Christin und siebenfache Mutter Ursula von der Leyen stößt als Merkels Kriegsministerin in das gleiche Horn.

Jürgen Darmer, Rostock


In München verlangten sowohl Herr Gauck als auch Frau von der Leyen, aber auch Steinmeier als Vertreter der deutschen Sozialdemokratie ein stärkeres "Engagement" in anderen Teilen der Welt. Das wurde mit solchen Formulierungen wie "Deutschland muß mehr Verantwortung übernehmen" oder "Wenn Menschenrechte verletzt werden, können wir nicht nur zuschauen", umschrieben.
Wenn man diese Äußerungen ihrer Phraseologie entkleidet, kommt dabei zweierlei heraus: Erstens muß sich die BRD künftig noch stärker an internationalen Kriegseinsätzen beteiligen. Zweitens beansprucht sie das Recht, sich in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten, deren Führer der BRD nicht ins Konzept passen, auch weiterhin einzumischen. Der damals noch amtierende Außenminister Westerwelle brachte es sogar fertig, in Kiew unter Bruch des Völkerrechts in einer regierungsfeindlichen Demonstration mitzumarschieren. Man stelle sich nur einmal vor, in Berlin käme es zu Massenprotesten, um eine amtierende BRD-Regierung aus dem Amt zu jagen, und Rußlands Außenminister befände sich unter den Demonstranten.

Gottfried Fleischhammer, Leipzig


Frau von der Leyen ist - kaum, daß sie das Amt übernommen hat - über den Zustand in der Bundeswehr voll im Bilde und korrigiert sogar den Wehrbeauftragten, wenn der seine berechtigten Sorgen anmeldet. Diese Frau schafft alles und das in kürzester Frist, wobei es ihr völlig egal ist, welches Ressort sie gerade übernimmt. Sollte der Heilige Vater eine Vertretung benötigen - Frau von der Leyen wäre sofort bereit, in Rom einzuspringen.

Marianne Wuschko, Hoyerswerda


Die imperialistische Lobby Deutschlands tritt zum Generalangriff an. Dabei wurde eine Marktlücke entdeckt: "Frauen können es besser!"
Die männliche Spitze des Verteidigungsministeriums mit dem adligen Bayern, dem der erschwindelte Doktortitel zum Verhängnis wurde, und dem ins Innenressort abgeschobenen Drohnenlügner hat abgewirtschaftet.
Ursula von der Leyen als neue Amtsinhaberin führt den Achtstundentag bzw. Teilzeitarbeit in den Kasernen ein. Dazu Dienst am Wohnort, Kinderkrippen und Kitas im Objekt, Regenschirme für Soldaten bei der Übung - so wirbt sie für die Bundeswehr, die sie zum attraktivsten "Arbeitgeber" Deutschlands machen will, um Kriegspolitik appetitlicher erscheinen zu lassen.

Karl und Gerda Kossakowski, Rostock


Als Vorkämpfer für das seit 1871 gehegte Ziel, aller Welt das "teutsche Wesen" mit seinen immensen Vorzügen einzubleuen, wurde eine besonders geeignete Figur gefunden, die mit einer schwülstigen Rhetorik ausgestattet ist. Die Verwendbarkeit des Herrn Gauck wurde von maßgeblichen Führungskräften des deutschen Imperialismus sehr früh erkannt. Deshalb erkor man ihn, nach der Konterrevolution die "Stasi" - bis zur letzten Toilettenfrau - ans Kreuz zu nageln.
Seine jüngste Großtat vollbrachte er in München, das einst die "Hauptstadt der Bewegung" war. Dort verkündete er, die Zeit sei reif für mehr Taten und Verantwortung für das wiedererwachte, größer gewordene Deutschland.

Dr. Günter Freudenberg, Bernburg


Was uns in der Kindheit eingeimpft wurde, ist nicht aus dem Kopf verschwunden, auch wenn man es heute besser weiß. So mußte ich 1943 in der 4. Klasse ein Lied lernen, von dem ich noch den Refrain im Ohr habe: "... Wir werden weiter marschieren, bis alles in Scherben fällt, denn heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt."
Joachim Gauck - vom Jahrgang 1940 - kann solche Sätze nicht mehr gelernt haben. Leitfigur und ständige Bezugsperson in seiner Kindheit aber war Onkel Gerhard Schmitt, Absolvent der SA-Hochschule, SA-Gruppenführer und bereits 1931 Mitglied der NSDAP.

Klaus Wegner, Berlin


Eine unheilige Allianz hat sich gefunden und fordert, wenn man die unaufrichtigen Friedensbeteuerungen und scheinheiligen Demokratieappelle einmal beiseite läßt, nichts anderes als die Durchsetzung ihrer globalen politisch-ökonomischen Interessen über Kriegseinsätze der Bundeswehr. Auch die SPD sitzt wieder mit im Regierungsboot und glaubt nun, "im Namen der Freiheit" losschlagen zu können. Deutschland müsse endlich seine Verantwortung wahrnehmen, trommelt der pseudochristliche Bundespräsident verbal für staatlich sanktioniertes Töten auf allen Kontinenten. Stellen wir uns dieser unseligen Entwicklung entgegen! Nicht der Adler oder das Eiserne Kreuz, sondern die Taube sollte endlich Symbol dieser Republik werden!

Raimon Brete, Chemnitz


Die Veröffentlichungen im "RotFuchs" zu China im Januar und Februar werfen Zweifel und Fragen auf. Zur Korrektheit der Wiedergabe von Veröffentlichungen anderer Publikationen möchte ich mich nicht äußern, aber hat die Korrektur der KP Chinas 1978 nicht zu einer Wende in der chinesischen Entwicklung, zur Überwindung der schlimmen Zustände der Kulturrevolution geführt? Hat sich das Lebensniveau des chinesischen Volkes in den Jahren seit 1978 nicht grundlegend verbessert? Ist China nicht zu einem wichtigen, unverzichtbaren Faktor normaler internationaler Beziehungen geworden? All das ist verbunden mit dem Bekenntnis zur sozialistischen Entwicklung in diesem großen Land. Empfiehlt man denn die Rückkehr zur Kulturrevolution, zu den Volkskommunen und dem Großen Sprung oder die Wiederholung des der Konterrevolution anheimgefallenen sowjetischen Weges des Sozialismus? Der Weg zum Sozialismus muß neu gedacht werden, und das erfolgt in China und wird praktiziert.
Von der Ignoranz der offiziellen Veröffentlichungen über das 3. Plenum des XVIII. ZK der KP Chinas und falschen Zitaten möchte ich hier absehen. Aber objektive und solidarische Berichte sollten das Markenzeichen des "RotFuchs" bleiben.

Rolf Berthold, Berlin


Oft denke ich: Hätten wir nicht die DDR schon 1918 haben können? Der Menschheit wäre unendlich viel Elend erspart worden. Der eigentliche Verrat wurde 1914 begangen. Werden wir je wieder so geniale Köpfe wie "Charly" und "Iljitsch" haben? Dabei bringt die sensationelle Astrophysik gegenwärtig Materialismus und Dialektik wie nie zuvor zur Geltung! Und die Digitalisierung des Alltags, technischer Fortschritt jeder Art - alles stößt doch ständig auf den Widersinn des Privateigentums, das eigentlich gar nichts Privates mehr an sich hat. Riesige Konzerne wandern von einer Hand in die andere und mit ihnen die produzierenden Menschen. All das geschieht unvergleichlich brutaler und heimtückischer als in der Sklavenhaltergesellschaft. Wohin führt es? Peking ist doch wohl keine Alternative.

Peter Wiese, Berlin


Im RF Nr. 192 bewegte mich der Beitrag "Vom Gulag Karl-Marx-Stadt zur Hauptstadt des Grauens". Man will also das Chemnitzer Kaßberg-Gefängnis in eine "Gedenkstätte" umwandeln und es als "Tor zur Freiheit" betrachtet wissen. Zu welcher Freiheit und für wen eigentlich? Für ein paar tausend aus DDR-Haftanstalten in die "Freiheit" Entlassene oder "Freigekaufte"! Es wäre interessant zu erfahren, wie viele von ihnen inzwischen die Freiheit der Arbeitslosigkeit oder von Hartz IV genießen konnten. Ich kenne dieses angebliche "Tor zur Freiheit" auf dem Kaßberg aus einem völlig anderen Zusammenhang. Mein Vater und mein Onkel wurden Weihnachten 1935 dort wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" inhaftiert. Für beide verschloß sich damals das "Tor zur Freiheit" auf Jahre. Als es sich wieder öffnete, führte die erlangte "Freiheit" geradewegs in den Krieg. Für meinen Onkel endete die Haft in Chemnitz mit der Verlegung zu den Moorsoldaten in das Emsland und von dort zur Strafkompanie 999 nach Albanien, wo er zu Tode kam. Oft hat mir mein Vater berichtet, wie schwer er auf dem Kaßberg mißhandelt wurde.

Reiner Neubert, Chemnitz


Ich bin sehr froh darüber, daß sich die Schriftstellerin Gisela Steineckert dem "RotFuchs" so fest angeschlossen hat. Ihre Art zu schreiben, ihre Liebe zu Berlin, ihr Haß auf den Faschismus - begründet durch Eigenerleben! - und die Tatsache, daß sie in der DDR geblieben ist, um "von innen heraus" einen besseren Sozialismus aufbauen zu helfen - das hat mir schon immer an dieser Dichterin imponiert. Wir sind uns zwar nie begegnet, ich habe aber (fast) alle ihre Bücher gelesen - sie ist mir also sehr vertraut. Was für sie die Ackerstraße, die Linienstraße und die Schönhauser Allee bedeuten, sind für mich die Ebelingstraße, die Petersburger Straße und die Frankfurter Allee - eben Kieze, in denen in unserer Kindheit das Arbeitermilieu, also viel, viel Elend zu Hause war.
Wer sich dieser Autorin nähern will, sollte vor allem ihre wunderschöne Geschichte "Schönhauser Allee" in dem Buch "Einfach Zuneigung" lesen. Aber auch der Vierzeiler "Meine Kindheit schmeckt nach Hinterhof und Kohl / schmeckt nach Tränen und nach Vierfruchtmarmelade / meine Kindheit riecht nach Vaters Alkohol / alten Betten und nach billjer Schokolade" aus dem Buch "Spuren" läßt erkennen, welch großer Gewinn Gisela Steineckert für den "RotFuchs" ist.

Helmuth Hellge, Berlin


Im Leitartikel "Viel Feind, viel Ehr" weist Herr Steiniger darauf hin, daß die Zeitschrift "viele erreichen will, die Sektierer niemals in ihr Boot holen würden". Das finde ich gut. Eigentlich müßte der Anspruch doch sogar lauten, so viele wie möglich erreichen zu wollen!
In diesem Zusammenhang verstehe ich nicht, warum Sie sich als "Tribüne für Kommunisten und Sozialisten" bezeichnen. Ich würde mich beiden nicht zugehörig fühlen.
Die Welt ist bunt, und die Wege, an Informationen zu gelangen, sind vielfältig. Etliche Menschen werden Sie durch die selbstgewählten Schubladen "Kommunist - Sozialist" vielleicht eher vom Lesen abhalten. Ich kann einerseits verstehen, daß Sie es wichtig finden, sich zu "bekennen", andererseits aber wirken diese Begriffe verbraucht. Wozu sich immer wieder selbst bestätigen, in Schubladen pressen und angreifbar machen, wenn es Ihnen doch darum geht, Ihre Ideen und Informationen wirklich unter die Leute zu bringen.
Da heute die wenigsten ein Buch von Marx durchackern, braucht es Menschen wie Sie, die diese Dinge aufarbeiten, mit aktuellen Problemlagen verknüpfen und in "konsumierbaren" Happen verbreiten. Mein Eindruck ist, daß sich manche Linken selbst im Weg stehen, wenn sie die Mauer von Ignoranz, Uninformiertheit und Desinteresse mit Formulierungen aus dem 19. Jahrhundert einreißen wollen. Diese Ideen müssen für die Menschen und die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts "übersetzt" werden.

Bianka Krüger, E-Mail


Was Ernst Heinz im Februar-"RotFuchs" zum Denken und Tun Stefan Liebichs ("Brückenschlag zur Wall Street") schreibt, findet meine volle Zustimmung. Das hat mit "links" absolut nichts zu tun. Bei aller schöpferischen Vielfalt linker Ideen und politischer Konzeptionen erinnert mich Liebichs Haltung an die bekannten Worte "... Wes Brot ich eß', des Lied ich sing." Seine Haltung stellt das Aufgeben linker Positionen dar.
Der Beitrag von Ernst Heinz ist für mich eine Mahnung, solchen Auffassungen keinen Fußbreit Boden zu geben und in unseren marxistischen Positionen fest zu bleiben.

Egon Bethge, Berlin


Ich finde, daß die Zeitschrift immer besser wird. Die Februar-Ausgabe hatte gleich drei Highlights: zunächst den Leitartikel Klaus Steinigers mit seinem sehr menschlichen und zugleich scharfsichtigen Appell für toleranten, undogmatischen und dennoch klassenbewußten Umgang mit Andersdenkenden. Daraus spricht die Weisheit des Alters und die Einsicht, daß sich Kommunisten keinen Zacken aus der Krone brechen, wenn sie Nichtkommunisten ernst nehmen und ihnen zuhören. Das schließt ja die Kritik falscher Auffassungen überhaupt nicht aus, schafft aber eine Atmosphäre von Respekt, Gleichheit und Sympathie. Zum Zweiten möchte ich den Artikel "Gründe für Stolz und Schmerz" im "RotFuchs"-Extra erwähnen. Dank an Peter Elz für diese präzise und ehrliche Zusammenfassung! Ich habe den Beitrag gleich kopiert und an Freunde wie Kollegen verteilt. Drittens noch die Leserbriefe, die wie immer für mich eine Fundgrube wertvoller Einsichten, aktueller Debattenbeiträge und zeitgeschichtlichen Kompaktwissens sind.

Kay Strathus, Weimar


Bei der "RotFuchs"-Lektüre kommen zuerst immer die Leitartikel dran, es folgen die Leserzuschriften, und dann geht es in der Reihenfolge der Seiten weiter. Warum ich so verfahre, kann ich rational nicht erklären. Ich nehme an, es liegt daran, daß Leitartikel wie Leserbriefe in mir einen besonderen Reiz auslösen. Was mir in der Februar-Ausgabe besonders gefallen hat, war der Beitrag über Bemühungen Gregor Gysis, den Springer-Konzernchef Döpfner salonfähig zu machen.
Der Leitartikel trifft genau den Kern: Das Sektierertum unter Linken war und ist ein Virus, der oft in Form von Besserwisserei und Unverständnis für die Meinungen redlicher Andersdenkender auftritt. Er hat unsere Bewegung schon oft befallen und ihr großen Schaden zugefügt.

Carsten Hanke, Lambrechtshagen


Zur Zeit arbeiten wir an dem Dokumentarfilm "Comrade, where are you today?" (Genosse, wo bist du heute?) Er ist sicher auch für viele Ihrer Leser interessant.
Kurz zum Inhalt: 1988 reist die 20jährige Finnin Kirsi Liimatainen in die DDR, um an der Jugendhochschule "Wilhelm Pieck" Marxismus-Leninismus zu studieren. Im Sommer 1989 endet das Studienjahr, und wenige Monate danach fällt die Mauer. 24 Jahre später begibt sich Kirsi auf eine filmische Reise nach Nicaragua, Südafrika, Chile, Bolivien, Libanon, Deutschland und Finnland, um ihre damaligen Kommilitonen wiederzutreffen. Was ist heute übrig von ihrem Traum der Befreiung aller Unterdrückten?
Die Dreharbeiten sind abgeschlossen, und der Film befindet sich in der Endproduktion.

Jenny Orgis, Berlin


In Saint Michel (Brétagne) besitze ich Freunde, die im vergangenen Jahr ein Buch publiziert haben, das sich um örtliche Ereignisse rankt. Dort las ich das Zeugnis von Madame Zusanne Latapie: "... und am Nachmittag des 5. Mai 1945 ... kam die tschechische Polizei, um uns die Abreise ... zu verkünden, die bevorstehende Ankunft der Russen, die Befreiung. Endlich! Das Ghetto Theresienstadt, wo wir uns befanden, sollte vor deren Ankunft niedergebrannt werden. Doch die Russen hatten einen Schwenk nach Norden gemacht, bevor sie nach Prag marschierten, was von den Nazis nicht vorausgesehen worden war. ... Ich erinnere mich zu Violette gesagt zu haben: 'Stalins Soldaten sind großartig.' Am nächsten Tag gab es die offizielle Verkündung der deutschen Kapitulation. Wir begrüßten sie mit der Marseillaise."
Das ist eine Anerkennung der Tatsache durch Autoren des 21. Jahrhunderts, daß die Rote Armee eine antifaschistische Befreiungsarmee war. Ich halte es für wert, das den RF-Lesern mitzuteilen.

Francesc Arnau i Arias, Barcelona


Als in Peißen bei Bernburg aufwachsender Schuljunge wurde ich bis zum 13. April 1945 fast täglich damit konfrontiert, daß Kolonnen Gefangener in gestreifter Kluft durch unseren Ort getrieben wurden. Es erschütterte mich, als ich sah, wie die Menschen von den Wachposten mißhandelt wurden. Die Kolonne führte immer einen Leiterwagen mit, der von Gefangenen gezogen werden mußte. Jene, welche nicht mehr laufen konnten, wurden von ihren Kameraden darauf geworfen.
Ich fragte meinen Großvater, was für Menschen das seien. Er erwiderte knurrend, es handle sich wohl um Schwerverbrecher, die zur Arbeit erzogen würden. Die Großmutter reagierte genauso: "Besser ist, mein Junge, Du hast nichts gesehen und weißt von nichts."
Ich erfuhr damals nicht, wohin diese Menschen zogen. Es herrschte höchste Geheimhaltung. Viel später wußte ich dann, daß im Nachbarort Leau ein KZ eingerichtet worden war.
Diese Erlebnisse aus Kindheitstagen habe ich zeitlebens nicht vergessen. So war ich bei allen Veranstaltungen zugegen, die in der DDR im Gedenken an jegliche Formen faschistischer Verbrechen stattfanden.
Wenn die BRD es mit dem Erinnern an die Opfer des Faschismus ernst meinte, würde sie den terroristischen Verbrechen der heutigen Nazis mit aller Schärfe begegnen.

Klaus Hilmar Luckau, Aschersleben


Für Martin Sabrow, Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam und Professor für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte an der Berliner Humboldt-Universität, sind "Reinigungskampagnen" zu Straßennamen", "wenn sie nach historischen Umbrüchen wie etwa 1945 oder 1989 erfolgen", legitim. ("Spiegel", 6/2014)
Er stellt damit die Umbenennung einer "Göringstraße" nach der Niederlage des deutschen Faschismus mit der Tilgung des Namens von Georgi Dimitroff, dem Helden des Reichtagsbrandprozesses, durch die antikommunistischen Schilderstürmer auf eine Stufe. Nach dem Anschluß der DDR an die BRD wurden in Dresden die Georgi-Dimitroff-Brücke und der gleichnamige Platz in Augustusbrücke und Schloßplatz umbenannt. In Magdeburg heißt die Georgi-Dimitroff-Allee jetzt Schleiufer, die Rostocker Georgi-Dimitroff-Straße Schulenburgstraße. Das Leipziger Dimitroff-Museum wurde kurzerhand geschlossen.
Kämpfer gegen den Faschismus wie Anton Saefkow, Bernhard Bästlein, Richard Sorge, Ernst Schneller, Etkar André, Julius Fucik, Herbert Blochwitz, Herbert Bochow, John Schehr, Kurt Schlosser, Werner Seelenbinder und Wilhelm Firl waren in Dresden Namensgeber für Straßen. Diese wurden nach der Annexion der DDR allesamt umbenannt.

Dr. Klaus Emmerich, Edertal-Mehlen


Vor einigen Wochen kam es in der Stendaler Comenius-Sekundarschule zum Eklat. Der Schriftsteller Roman Gräfe las den Schülern aus seinen Werken vor und ließ wissen, wie wir im Osten angeblich gelebt haben sollen. Die Stendaler Lehrerin widersprach dieser DDR-Darstellung des Herrn Gräfe, was heute keinesfalls selbstverständlich ist.
Aus pädagogischer Verantwortung und in Kenntnis der Geschichte der Ostdeutschen möchte ich dieser leider anonym gebliebenen Lehrerin meinen Respekt für die Wahrnehmung ihrer menschlichen und beruflichen Verantwortung aussprechen. Sie ist allerdings hierzulande die bisher einzige mir bekanntgewordene Pädagogin, die es gewagt hat, ihrem Gewissen auf solche Weise Ausdruck zu geben.

Wilfried Meißner, Blankenburg


Ich habe bis heute nicht verstanden, warum 17 Millionen DDR-Bürger ihren Staat so einfach aufgegeben haben. Man nahm damals an, die schweigende Mehrheit sitze zu Hause und warte darauf, daß irgend etwas geschehe. Gerade weil niemand bereit war, sich der Entwicklung entgegenzustellen, hat man der DDR das letzte Fünkchen Hoffnung genommen. Die Tatsache, daß es wirtschaftlich nicht gereicht hat, war subjektiv wie objektiv bedingt. Die USA hatten unter Reagan ja verkündet, daß sie die Sowjetunion totrüsten wollten. Politisch suchte man sich zunächst das schwächste Kettenglied der sozialistischen Staaten aus - Polen. Walesas Gdánsker Werftarbeiterstreik bildete den Auftakt. Er war im Prinzip der Anfang vom Ende.

W. Grabowski, Schwerin


Von dem Buch "Überwachtes Deutschland" aus der Feder Joseph Foschepoths wurde in den Medien viel berichtet. Auch im RF Nr. 181 stand ein Artikel. Uns Alt-BRDlern wurde diese Überwachung - ich nenne sie Bespitzelung - nie von Politikern und Medien mitgeteilt. Als gebürtiger Niederbayer und - bis 1981 - Strauß-Fan war ich der festen Überzeugung, "die da drüben überwachen den gesamten Telefonverkehr von West nach Ost".
Ich besorgte mir Foschepoths Buch. Mich interessierte besonders das Kapitel "Die Überwachung des eigenen Staates" (1949-1968). Dabei stieß ich auf den Satz: "Millionen und Abermillionen Propagandabroschüren erreichten die Bundesrepublik, die sich derer nicht anders als durch massive Eingriffe in das Brief- und Postgeheimnis zu erwehren wußte."
Ich bin 1951 geboren und kann mich nicht erinnern, daß in meinem Elternhaus, bei meinen Großeltern, in meinem Verwandtenkreis oder unter uns Jugendlichen jemals über eine DDR-Propagandaschrift geredet worden ist. Ich bin mir sicher, daß im antikommunistisch geprägten Bayern solche Broschüren wie in keinem anderen Altbundesland auf das heftigste bekämpft worden wären. Der Besitz von DDR-Broschüren war höchst unerwünscht.
Unter Adenauer, Erhard und Kiesinger wurden viele verfolgt, angeklagt und zu Gefängnisstrafen verurteilt, die sie weiterverbreiteten. So viel zur Frage der Meinungsfreiheit.

Johann Weber, Ruhstorf (Niederbayern)


Es gab einmal eine Zeit, da konnte man sich freuen, im Osten zu wohnen. Besucher nicht nur aus München oder Mainz warfen neidische Blicke auf unsere Balkone, massiven und schönen Gartenlauben sowie Miet- oder Pachtabrechnungen. "So wenig zahlt Ihr", wurden wir gefragt, Quadratmeterpreise in neuen Wohnungen von 0,79 Mark und ein symbolischer Pachtpreis von 1 Pfennig pro Quadratmeter Gartenland galten die ganze Zeit über. Sucht man heute aber in Großstädten nach einer Wohnung, dann wird man des Lebens nicht mehr froh. Während sich in Dresden oder Leipzig die Wohnungsuchenden bei Besichtigungen bis zur Straße schlängeln, reißt man in kleineren Städten und ländlichen Gegenden einmal mühsam geschaffenen Wohnraum bedenkenlos ab. Im "neudeutschen" Sprachgebrauch heißt das "Rückbau".

Dipl.-Ing. Hermann Ziegenbalg, Riesa-Weida


Die DDR realisierte ein gigantisches Wohnungsbauprogramm. Der zurückgekehrte Kapitalismus hat sich bemüht, diese politische, ökonomische, soziale und kulturelle Riesenleistung wieder zunichte zu machen. Hunderttausende intakte Wohnungen samt Schulen, Kindergärten, Gaststätten und sonstiger Infrastruktur wurden in Schwedt, Frankfurt (Oder), Eisenhüttenstadt, Cottbus, Hoyerswerda, Dresden, Chemnitz, Leipzig, Gera, Jena, Erfurt, Halle, Magdeburg, Wittenberge, Velten, Brandenburg/Havel und Berlin gezielt zerstört.

Horst Jäkel, Potsdam


Die von Beginn an schlechte wirtschaftliche Ausgangslage von SBZ und DDR hing nicht nur damit zusammen, daß dieses Gebiet 98 % aller Reparationsleistungen an die UdSSR zu erbringen hatte, sondern auch mit einem enormen Fehler der sowjetischen Führung: der weitgehenden Demontage unserer Betriebe und des jeweils zweiten Gleises der Bahn. Es ist bekannt, daß die abtransportierte Technik in der UdSSR oftmals völlig ungenutzt verrostete. So sind riesige Kapazitäten sinnlos zerstört worden. Hätten die Betriebe mit den hier vorhandenen qualifizierten Facharbeitern weiterproduzieren können, wäre das für beide Länder von Vorteil gewesen.

Reinhard Melzer, Moritzburg OT Boxdorf


Es ist unzweifelhaft, daß mit dem Untergang der UdSSR auch das Schicksal der einstigen Bruderstaaten besiegelt wurde, obwohl das zeitlich nicht übereinstimmt. Richtig geht Hermann Jacobs deshalb von der zunehmenden Schwäche der Sowjetunion aus. Darin bin ich weitgehend mit ihm einverstanden. Doch dann fragt er: "Ist Rußland als Staat ... liquidiert worden?"
Festzuhalten bleibt: Die UdSSR ist wie die DDR zusammengebrochen. Ihre Bruchstücke sind jetzt die früheren Unionsrepubliken - kapitalistische Staaten, die mehr oder weniger die Nähe zum Westen suchen und teilweise sogar NATO-Mitglieder geworden sind. Es war doch gerade das Gewaltige, daß bei allen Ecken und Kanten mit der Gründung der UdSSR aus dem zaristischen Völkergefängnis freundschaftlich verbundene Nationen wurden.
Rußland ist ein kapitalistischer Staat und somit auch den Bewegungsgesetzen dieser Gesellschaft unterworfen. Illusionen aus zurückliegender Zeit sind da fehl am Platze.

Harry Pursche, Leipzig


Seit längerem gilt in der BRD neben vielen anderen Varianten verschärfter Ausbeutung auch die Praxis, daß Universitätsabsolventen nach ihrem Studium in verschiedenen Branchen, so bei Touristikunternehmen oder in medizinischen Einrichtungen, unentgeltlich (!) in der Hoffnung arbeiten, nach Erreichen des Rentenalters oder im Falle des Todes eines Mitarbeiters eine Festanstellung zu erhalten. Diese Art von "höherer Arbeitsproduktivität" im Kapitalismus ist nicht zu überbieten.

Brigitte Queck, Potsdam


In Leserbriefen, Schreiben an Behörden und im April 2011 auch in Gestalt einer Petition an den Deutschen Bundestag habe ich ein Gesetz zur Abschaffung des Bildungsföderalismus und zur Errichtung eines einheitlichen Schulsystems in ganz Deutschland gefordert. Der Petitionsausschuß des Parlaments hat meinen Vorschlag am 16. Mai 2013 mit folgender Begründung abgelehnt: "Es wird befürchtet, daß eine bundeseinheitliche Bildungspolitik vor allem zu einer Nivellierung der Schulbildung auf niedrigerem Niveau führt." Diese Ansicht vertritt auch Herr Kraus vom westdeutschen Lehrerverband: "Nach unserer Auffassung würde Zentralismus statt Föderalismus im Bildungssystem in der Tat zu einem generellen Absenken der Anforderungen und des Bildungsniveaus führen."
Daraufhin schrieb ich an Herrn Kraus: "Ich kann mich dieser Auffassung nicht anschließen, weil sie durch die Geschichte längst widerlegt ist. Ehemalige Schüler und Studenten aus der DDR sind Zeugen für die Wegbereitung ihres Bildungswesens. Nur einige Beispiele aus dem Bereich der Politik: Frau Merkel, Frau Wanka, Frau Schwesig, Frau Göring-Eckhardt oder Herr Gauck, Herr Thierse und Herr Tillich ..."
Voraussetzung für die Schaffung eines einheitlichen Schulsystems in ganz Deutschland ist allerdings die Gründung einer Akademie der Pädagogischen Wissenschaften (APW), die Fragen der Bildung und Erziehung erforscht und koordiniert. In der DDR gab es eine solche Akademie. Ihre Arbeitsergebnisse waren Grundlage für die Erarbeitung der Lehrpläne, der Unterrichtshilfen und der Schulbücher. Die Auflösung der APW war ein Fehler.

Dr. Ernst-Ludwig Hischer, Rostock


Aus der Tatsache, daß vom Erfurter Bezirksblutspende-Institut Erythrozyten-Konzentrate verkauft wurden und der Abnahme von 37 Blutkonserven in der Strafvollzugsanstalt Gräfentonna (die absolut nichts mit dem MfS zu tun hatte) wurde die Behauptung konstruiert, Zwangsblutspenden von Häftlingen der DDR seien gegen Devisen in den Westen verscherbelt worden. Im Bezirk Erfurt wurden 1987 zum Beispiel 60 472 Blutspenden genommen. Da sage mir einer, daß bei dem Verkauf ausgerechnet diese Spenden extra herausgesucht wurden. Übrigens sind zum gleichen Zeitraum von westdeutschen Blutspende-Diensten die genannten Konzentrate in ganz anderen Größenordnungen in USA-Großstädte geliefert worden. Bei der Strategie der Blutversorgung in der DDR fielen sie in größeren Mengen an und konnten einer sinnvollen Verwendung zugeführt werden. Wer behauptet, es hätte im Lande selbst Engpässe an Erythrozyten-Konserven gegeben, ist entweder uninformiert oder böswillig.
Jeder Blutspende-Dienst der Welt finanziert sich durch Verkäufe. Warum sollte die DDR das nicht tun? Zu meiner Kompetenz: Ich habe 35 Jahre in Transfusionsdiensten der DDR gearbeitet und kenne das Metier, bin also ein sachkundiger Zeuge.

Dr. med. habil. Gerd Machalett, Siedenbollentin


Zunächst meinen Dank an die Herausgeber und Akteure dieser lesenswerten Publikation. Wenn ich die Entwicklung in den letzten Jahrzehnten mit Blick auf die Gegenwart betrachte, frage ich mich: Wie konnte es dazu kommen? Die "Sächsische Zeitung" veröffentlichte am 30. Januar eine Mitteilung der Nachrichtenagentur DPA unter der Überschrift "So will Brüssel Banken zügeln". Für mich war das der Anlaß, einen dann nicht veröffentlichen Leserbrief an die SZ zu schreiben. Darin hatte ich u. a. folgendes ausgeführt:
"Nach EU-Vorstellungen sollte das Geld ihrer Sparer vor Zockergeschäften von Großbanken mit risikoreichen Wertpapieren ihrer Kunden künftig geschützt werden. Das Programm wurde jüngst vom finnischen Notenbank-Chef den 8000 europäischen Banken in Brüssel vorgestellt.
Die Branche wehrte sich mit Erfolg. Die EU verzichtet nun auf allzu harte Vorgaben, die eine Zerschlagung großer Geldhäuser anvisierten. Soziale Marktwirtschaft schließt den Steuerzahler als rettenden Engel für die Banken ein. Über Zwangsversteigerungen kommen diese wieder zu ihrem Geld, gesetzestreu und marktwirtschaftlich sozial.

Dr.-Ing. Peter Heinze, Dresden


Über 20 Jahre suggeriert man uns das Märchen von der sozialen Marktwirtschaft. Seit wann ist der Kapitalismus sozial? Wenn dem so wäre, dürfte es wohl kaum Profite in Milliardenhöhe geben!
Frau Merkel ist nur eine Marionette, die sich so bewegen muß, wie das Großkapital die Fäden zieht.

Thomas Platz, Hohen Neuendorf


In einer MDR-Sendung der Reihe "Fakt ist" stand das Thema "Der Adel verlangt sein Eigentum zurück" zur Debatte. Da fragt man sich, was denn eigentlich aus unserem Volkseigentum geworden ist. Wo sind z. B. die einst von Herrn Krause feierlich versprochenen Anteilsscheine geblieben, die jeder DDR-Bürger bekommen sollte? Wer hat sich das Vermögen der Parteien und Massenorganisationen unter den Nagel gerissen, wer die Liegenschaften der Volkseigenen Betriebe und Kombinate eingeheimst?
1990 traten die "Einheitsmacher" mit der Parole "Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion" an. Der Schwerpunkt lag auf Union, was soviel wie Zusammenschluß ohne Wenn und Aber heißt. Tatsächlich liefen die Dinge ganz anders. Werden wir auf ewig die "Kolonie" der BRD bleiben? Was muß erst noch geschehen, bis wir wach werden und uns gegen diese Behandlung wehren?
Zum Adel sei gesagt: Er hat schon genug an sich gerissen und bei Versteigerungen versilbert.

Werner Orztschig, Zwickau


Eine Ergänzung zum Artikel "Erinnern an den Klassenfeind" im Februar-RF.
Die Äußerung von Warren Buffett ("Es herrscht Klassenkrieg, richtig, aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die den Krieg führt, und wir gewinnen ihn, wir besitzen die finanziellen Massenvernichtungsmittel") fiel im Zusammenhang mit einer Initiative, die Superreichen (zu denen Buffett gehört) sehr viel höher zu besteuern als andere Bürger. Diesem Ansinnen sollten wir keineswegs "eine Abfuhr erteilen".

Thomas Movtchaniouk, Düsseldorf


Eine Bemerkung zum Beitrag "Angst vor Fidel" im Februar-RF. Ich war bereits im Oktober/November 2013 amüsiert über die Dünnhäutigkeit der Lausitzer Kulturoberen. Daraufhin habe ich Fidel an Ort und Stelle besucht und auch ein bißchen Geld in Hoyerswerda gelassen. Übrigens: Ein paar Meter von Fidels Revier entfernt gibt es ein Gehege mit einem noch namenlosen Wüstenfuchs.
Wenn man den jetzt "Rommel" nennen würde, flössen sicher wieder mehr Gelder aus der Kulturförderung an den Tierpark. Man könnte das dann sicher damit begründen, daß es sich immerhin um eine "historische Persönlichkeit" handele.

Steffen Czubowicz, Ludwigshafen am Rhein

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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Mai 2014