Schattenblick → INFOPOOL → MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE


ROTFUCHS/159: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 205 - Februar 2015


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

18. Jahrgang, Nr. 205, Februar 2015



Inhalt

  • Erinnern an Gestern - Erschrecken vor dem Heute
  • Konträre "Karrieren" im Rechtsstaat BRD
  • Zu den Sanktionen gegen Rußland: Völkerrechtsbruch par excellence
  • Was ich in Leningrad empfand
  • Mein ältester Sohn kam in Moskau zur Welt
  • Rotes aus Schwarzenberg
  • Zum 95. Geburtstag Heinz Keßlers: Die Lauterkeit in Person
  • Antikommunistische "Aufarbeiter" haben sich festgefahren - Wo die Gehirnwäsche versagt ...
  • Wortmeldung authentischer Zeitzeugen
  • Des Pudels Kern - Das finanzpolitische Knäuel des Kapitals läßt sich entwirren (2)
  • Ex-Gesundheitsminister Bahr sahnt bei Allianz ab
  • Freihandelsabkommen gegen freien Handel
  • Zum Kuschelkurs regierungsgeiler "Linker"
  • Lügen haben kurze Beine
  • Düstere Prognosen des "Club of Rome"
  • Ein übles Unterfangen: Hartz IV
  • Mein Großvater war SPD-Urgestein
  • RF-Extra - Dresden: Hiroshimas Schicksal knapp entronnen
  • RF-Extra - Peter Scholl-Latours letztes großes Interview
  • Wir schließen Kubas Helden in die Arme
  • Tobias Krieles "Die Kraft der Schwachen"
  • Putin: Rußland wird kein zweites Jugoslawien!
  • Belgiens Peter Mertens (PTB) beim "RotFuchs"
  • Solidarisch mit "Charlie Hebdo"
  • Waterboarding - ein "Hobby" der CIA
  • USA: Ferguson ist ein Fanal
  • Mexiko: Rekordhalter bei ungeklärten Morden
  • Brandstifter und Brandbeschleuniger
  • Ein ermutigender Zukunftsblick Klaus Blessings
  • Werner Wüste - Erinnern an starke Menschen
  • Im Stechschritt für eine Reichsmark
  • Über Goethe und China
  • Arnold Zweig zur Vorgeschichte des Staates Israel
  • Gisela Steineckert: Hand aufs Herz
  • Leserbriefe

*

Keinen Fußbreit den Faschisten!

Im Dezember vergangenen Jahres bot sich in Dresden ein bizarres Bild: Menschen, die eben noch ausländerfeindliche Parolen skandiert hatten, stimmten auf einmal vertraute Weihnachtslieder an. Es handelte sich um ein Spiel mit verteilten Rollen: Während die einen ihre zum Draufschlagen bereiten Pranken zeigten, bereiteten andere eine Lockspeise vor, um möglichst viele Unbedarfte, Unwissende oder ihnen Vertrauende damit einzufangen. Schlagringe und Glacéhandschuhe gehören gleichermaßen zu den Requisiten. Wer sich am geschicktesten tarnt, kann in der neuen Konjunktur scharf rechts gerichteter Ideologie mit der größten Gefolgschaft rechnen. Von den Regisseuren der organisierten Ausländerfeindlichkeit werden vor allem "Wutbürger" als Massenkulisse gebraucht.

Während die Schlägertrupps von HOGESA ("Hooligans gegen Salafisten") auf eine pseudodemokratische Maskerade verzichten und nach alten Straßennazi-Mustern verfahren, übernehmen die "Patrioten Europas gegen Islamisierung des Abendlandes" (PEGIDA) das Herrenrassen-Konzept des im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozeß zum Tode verurteilten hitlerschen Chefideologen Alfred Rosenberg, dessen "Mythos des 20. Jahrhunderts" den Genozid geistig mit vorbereitete.

Zum "Ensemble" der BRD-Faschisierer, die europaweit vernetzt sind, gehören auch die für "gehobene Ansprüche" bereitgehaltene Allianz für Deutschland (AfD), die sich überwiegend aus vormals rechten Flügelleuten von CDU und FDP rekrutiert, aber auch Teile der CSU. NPD und Republikaner hingegen sind nur noch als Wurmfortsatz der heute tonangebenden Macher zu betrachten.

Die Skala reicht von Totschlägern im Stil von SA und SS bis zu Nadelstreifen-Nazis in Konzernzentralen, Amtsstuben höherer Ebenen und Regierungskanzleien. Die von ihnen und den dafür nutzbaren Medien erzeugte Haßkampagne dient der Abwehr der vom Magnetismus der reichsten kapitalistischen Staaten angezogenen Opfer der eigenen Raubstrategie: Kriegs- und Hungerflüchtlingen, gegen deren Zuwanderung man die "Festung Europa" gnadenlos abschotten will.

Das Spiel der neuen Nazis aller Schattierungen ist das alte, wobei sich das Feindbild inzwischen erweitert hat. Während die Hitlerfaschisten an Juden, Sinti und Roma sowie zu Untermenschen erklärten Angehörigen slawischer Völker historisch beispiellose Genozid-Verbrechen begingen, werden jetzt auch generell zu "Islamisten" gestempelte Moslems sowie weniger qualifizierte Zuwanderer aus Südosteuropa als neue Hauptfeinde ins Visier genommen.

Die innenpolitische Entwicklung im wieder Weltmachtambitionen verfolgenden Staat des deutschen Kapitals nähert sich - legt man das Zeitmaß der Weimarer Republik an - in bedrohlichem Maße der Ära von Brüning und Papen. Mit anderen Worten: Es ist nahezu fünf vor zwölf.

Während sich die Regisseure von HOGESA und PEGIDA unter Benutzung braunen Vokabulars auf "gesundes Volksempfinden" berufen, mit dem Vernunft und Augenmaß ersetzt werden sollen, schwenkt auch die offizielle Politik der BRD weiter nach rechts. Im Unterschied zu den späten 20er und frühen 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts stehen heute aber nicht jene antifaschistischen Gegenkräfte mit Masseneinfluß bereit, die Hitler hätten Paroli bieten können, wäre die Aktionseinheit der Arbeiterparteien nicht vor allem am Widerstand rechter sozialdemokratischer Führer gescheitert.

Mit dem schockierenden Vormarsch der ihre Tarnkleidung wechselnden oder auch gänzlich abwerfenden Faschisierer konfrontiert, kommen mir unwillkürlich Geschehnisse in den Sinn, die bereits nahezu sechs Jahrzehnte zurückliegen.

Im August 1955 nahm ich an den V. Weltfestspielen der Jugend und Studenten in Warschau teil. Zu den Höhepunkten meines Aufenthalts in der Weichselmetropole gehörte ein durch dortige Freunde ermöglichter gemeinsamer Kinobesuch mit der Witwe Pawel Finders, des 1944 von den Hitlerfaschisten ermordeten ersten Generalsekretärs der Polnischen Arbeiterpartei (PPR). Im Lichtspielhaus an der Marszalkowska sahen wir das antifaschistische DDR-Epos "Stärker als die Nacht".

Tags darauf wurde in Warschau ein Sonderzug bereitgestellt. Er brachte Abgesandte aller am Festival teilnehmenden Delegationen nach Auschwitz. Im Abteil waren wir zu dritt: der Grafiker und Schriftsteller Peter Edel, der das Vernichtungslager selbst überlebt hatte, während Esther, seine junge Frau, grausamen Experimenten der dortigen KZ-Ärzte zum Opfer gefallen war; die namhafte britische Grafikerin Elizabeth Shaw; und ich als Nachkomme einer Familie mit vielen Auschwitz-Toten. Im größten Menschenschlachthaus Europas erschütterten uns die Berge von ermordeten Kindern zurückgelassener Stofftiere ebenso wie das meterhoch aufgeschichtete Haar ins Gas getriebener Frauen. Neben unbeschreiblichem Horror erlebten wir aber auch eine Sternstunde menschlichen Glücks: Die internationalistische Verbrüderung schwarzer, brauner, gelber und weißer Kämpfer für eine bessere Welt.

Mit dem Ungeist nationalistischen oder rassistischen Größenwahns wurde in beiden deutschen Staaten konträr umgegangen. Während Auschwitzüberlebende wie Kurt Goldstein in der DDR hohes Ansehen genossen und politischen Einfluß besaßen, stand Dr. Hans Globke, Kommentator der Nürnberger Rassegesetze und damit ein ideologischer Wegbereiter zu den Gaskammern von Auschwitz, als graue Eminenz an der Seite Konrad Adenauers. Der Kanzler der deutschen Spaltung stützte sich nicht nur auf seinen schwerstens belasteten Staatssekretär, sondern beließ auch Zehntausende Offiziere, Geheimdienstler, Juristen und Staatsbeamte aus Nazitagen auf ihren Posten. Während Hitlers Generale Heusinger und Speidel die Bundeswehr aufbauten, brachte Reinhard Gehlen, Geheimdienst-General des "Führers", den BND "in die Gänge".

Aus einer diametral entgegengesetzten Tradition erwuchs im Osten der anfangs staatlich verordnete, von den meisten aber im Laufe der Zeit auch verinnerlichte Antifaschismus, während im Westen die alten Denkmuster das Ende des Dritten Reiches überdauerten. Mit gutem Grund bezeichnet sich die BRD als dessen Rechtsnachfolgerin. Ist es da ein Wunder, daß sie neue Nazis samt ihres Parteienfächers hervorbrachte, deren Ideologie und Organisation nach dem "Anschluß" der DDR landesweit ins Kraut schossen?

Noch lassen die Wölfe im Schafspelz in ihre Fänge Geratene auch fromme Weihnachtslieder singen. Sie tarnen sich wie einst Hitlers "Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei" mit scheinbar unverfänglichen Attributen. Um Christenmenschen gezielt zu erreichen, stimmen die PEGIDA-Drahtzieher das alte Lied von der "Verteidigung des Abendlandes" an.

Für ein "Wehret den Anfängen!" ist es bereits zu spät. So übernehmen wir die Losung jener, welche einst als Interbrigadisten in der großen Abwehrschlacht gegen Franco, Hitler und Mussolini auf Spaniens Erde verkündeten: Keinen Fußbreit Boden den Faschisten!

Klaus Steiniger

*

Erinnern an Gestern - Erschrecken vor dem Heute

Die vom neuen NATO-Generalsekretär Stoltenberg - den Platz, den zuvor der scharf rechtslastige Däne Rasmussen innehatte, nimmt jetzt ein norwegischer Sozialdemokrat ein - in Auftrag gegebene Formierung einer 4000 Mann starken zusätzlichen Eingreiftruppe des imperialistischen Kriegspaktes läßt in Europa einmal mehr die Alarmglocken läuten: Das Interventionskorps für "besondere Fälle" soll in Polen und den baltischen Staaten - drei früheren Sowjetrepubliken - stationiert werden. Mit anderen Worten: Es handelt sich um eine explizit gegen Rußland gerichtete Drohgebärde.

Die neue Formation für rasches und dreistes Zuschlagen soll überwiegend aus Angehörigen der Bundeswehr bestehen. Diese besitzen ja inzwischen nicht nur hinreichend moderne Kampferfahrung von den NATO-Kriegsschauplätzen Jugoslawien und Afghanistan, sondern können sich auch auf weit in das 19. Jahrhundert zurückreichende "Traditionen des Waffenhandwerks" in Deutschland berufen. Zu ihnen gehört neben Triumphgebrüll zweifellos auch der Geschmack der Niederlage - die bedingungslose Kapitulation des vor allem von der Roten Armee niedergeworfenen faschistischen deutschen Mörderstaates.

RF

*

Konträre "Karrieren" im Rechtsstaat BRD

Zu jenen, welchen unter Konrad Adenauer, dem ersten Kanzler der BRD, kein Haar gekrümmt wurde, gehörte auch der als Massenmörder überführte SS-General Heinz Reinefarth. Der in Polen als "Henker von Warschau" bezeichnete Ultrafaschist hatte bei der Niederschlagung der militärischen Erhebung in der Weichselmetropole, die als Warschauer Aufstand in die Geschichte einging, Zehntausende Angehörige der Wehrmacht, der SS, der Polizei sowie weiterer Nazi-Formationen gegen die zahlenmäßig weit unterlegenen polnischen Kämpfer geworfen. Allein beim Massaker am 5. August 1944 wurden 40.000 Männer, Frauen und Kinder regelrecht abgeschlachtet.

Dieser Teil seiner Biographie hinderte SS-General Reinefarth wie unzählige andere schwerbelastete Funktionsträger des faschistischen Dritten Reiches indes nicht an der erfolgreichen Fortsetzung seiner Karriere im Adenauer-Staat. 1951 wurde er zum Bürgermeister von Westerland auf der Nordseeinsel Sylt gewählt - in ein Amt, das er bis 1964 beibehielt. Erinnert sei hier an den Dokumentarfilm "Urlaub auf Sylt" von Annelie und Andrew Thorndike aus der Reihe "Archive sagen aus".

1958 zog der faschistische Massenmörder, der seinen Namen nicht geändert hatte und dessen Vergangenheit bekannt war, für die rechtsradikale Revanchistenpartei "Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten" (BHE) in den Landtag von Schleswig-Holstein ein. Als der "erfolgreiche Kommunalpolitiker" mit den blutigen Händen 1979 verstarb, hieß es in einem Nachruf der inzwischen CDU-verwalteten Stadt Westerland: "Sein erfolgreiches Wirken wird unvergessen bleiben."

Doch nicht allen ging es in der Bundesrepublik jener Jahre so gut wie dem SS-General.

Vor geraumer Zeit veröffentlichte das Archiv der Ruhrgebietsstadt im Internet die Fotoserie "114 Jahre Duisburg". Für jedes Jahr war eine eigene Seite vorgesehen. In der Berichterstattung über 1956 wurde das Büro der Lokalredaktion der "Neuen Volks-Zeitung", des Organs der KPD, ausgewählt. Die Partei der antifaschistischen Helden wurde am 17. August jenes Jahres durch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verboten.

Zehntausende Mitglieder und Anhänger der illegalisierten Partei Max Reimanns, aber auch aufrechte Sozialdemokraten und andere Verteidiger der bürgerlichen Demokratie wurden vor Gericht gestellt, verurteilt und eingekerkert. Das Foto zeigt den KPD-Stadtrat Anton Gebeler, der 12 Jahre im KZ gefoltert wurde (rechts), daneben den damaligen Leiter der Lokalredaktion Erich Schreier. Der heute 85jährige DKP-Genosse und engagierte "RotFuchs"-Leser befand sich in der Zeit der rabiaten Kommunistenverfolgungen des Adenauer-Regimes fast drei Jahre im Gefängnis.

Die Karriere des SS-Generals Heinz Reinefarth und das Schicksal des antifaschistischen Journalisten Erich Schreier symbolisieren auf besonders drastische Weise den systemimmanenten Anti-Antifaschismus als Wesenszug besonders der frühen BRD.

RF

*

Zu den Sanktionen und Embargos der USA und der EU gegen Rußland

Völkerrechtsbrüche par excellence

Der Rat der Europäischen Union (EU-Ministerrat) und die USA haben bereits in mehreren Stufen Sanktionen gegen Personen, Unternehmen und Wirtschaftszweige verkündet, die angeblich für die Situation in der Ukraine verantwortlich sind. Auf einer schwarzen EU-Liste stehen vorwiegend russische Staatsbürger, denen die Einreise in die EU verwehrt wird und deren Auslandskonten gesperrt sind. Die von dieser Diskriminierung Betroffenen hätten die Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Geschlossenheit der Ukraine gefährdet, wird behauptet.

Zu ihnen zählen Banken, der Wirtschaftsbereich der Erdgas- und Erdölförderung sowie die russische Rüstungsindustrie. Verboten ist der Export von Waren aus den USA und der EU, die zur Hochtechnologie gerechnet werden oder zivilen wie militärischen Zwecken dienen können.

Sanktionen und Embargos gegen einzelne Staaten oder Staatengruppen stellen indes nichts Neues dar. Die USA schufen schon im November 1949 das berüchtigte Coordinating Committee for East West Trade Policy (COCOM) als Instrument des Wirtschaftskrieges gegen Staaten, die nicht nach ihrer Pfeife tanzten und es ablehnten, sich den "Regeln" des Marshallplans unterzuordnen.

Mit Embargo-Listen sollte vorrangig die Ausfuhr moderner westlicher Technologie in die sozialistischen Länder verhindert werden. Der Entscheidung Washingtons wurden bis 1953 sämtliche NATO-Staaten (mit Ausnahme Islands) sowie Australien, Neuseeland und Japan unterworfen.

Das längste Embargo in der modernen Geschichte richtet sich gegen Kuba. Die größte Antillen-Insel wurde 1960 durch USA-Präsident Dwight Eisenhower mit einer totalen politischen und ökonomischen Blockade überzogen. Als Anlaß diente ihm die Enteignung von Bürgern und Unternehmen der Vereinigten Staaten nach dem Sturz des Batista-Regimes. Fidels Sieg hatte die Oberherrschaft der US-Verbrechersyndikate vom Schlage der berüchtigten Cosa Nostra über Kuba beendet. US-Expräsident George Bush sen. zementierte 1992 die Blockade durch ein Gesetz, das die Sanktionen weiter verschärfte. Es trägt die zynische Bezeichnung "The Cuban Democracy Act" (Kubanisches Demokratiegesetz).

Die USA und weitere westliche Staaten haben auch andere "Parias" mit Sanktionen belegt. Dazu zählt derzeit vor allem Syrien. Mit Irak und Libyen wurde ähnlich verfahren. Die Verhängung solcher völkerrechtswidrigen Maßnahmen war stets ein entscheidender Schritt bei der Vorbereitung militärischer Aggressionen. Wie die USA und andere imperialistische Industriestaaten indes auch mit völkerrechtlich verbindlichen Sanktionen umspringen, wurde seinerzeit am Beispiel der Republik Südafrika deutlich. 1963 verhängte der UN-Sicherheitsrat mit seinen Resolutionen 181 und 182 ein generelles Verbot von Waffenlieferungen an den Apartheidstaat. Trotz dieses Embargos konnte sich Pretoria massiv mit westlichen Waffen eindecken, bis 1990 behaupten und die Besetzung Namibias aufrechterhalten. Die USA beteiligten sich seit Ende der 70er Jahre durch Waffenlieferungen aktiv am Bürgerkrieg gegen Moçambiques rechtmäßige FRELIMO-Regierung.

Eine weitere Methode besteht darin, völkerrechtlich bindende Entschließungen des UN-Sicherheitsrats unzulässig auszudehnen. So beschloß das Gremium im Juni 2010 die Resolution 1929 zu Irans Atomprogramm. Verboten sind der Verkauf, die Übertragung und der Technologietransfer militärischer Güter. Angeblich gestützt auf das Dokument der höchsten Instanz der Vereinten Nationen gingen USA und EU jedoch weit über dieses hinaus. So verbot die EU ab Juli 2012 jegliche Einfuhr iranischen Erdöls in ihre Mitgliedsstaaten. Teheran wurde auch aus dem internationalen Swift-Service (Übermittlung von Finanzdaten) ausgeschlossen, was für Iran Exportverluste von etwa 80 % bedeutet und ihm zugleich auch die Tore zum internationalen Finanzverkehr versperrt.

Doch kehren wir zu den gegen Rußland verhängten Sanktionen zurück. Sie sollen dazu dienen, Moskau in die Botmäßigkeit der USA zu zwingen. Im Grunde genommen wagt man es, Rußland das Recht abzusprechen, seine nationalen Interessen eigenständig zu vertreten und seine Außengrenzen zuverlässig zu schützen. Außerdem soll Moskau vorgeschrieben werden, sich im Verhältnis zu den USA wie ein Juniorpartner zu verhalten.

Fazit: Völkerrechtlich verbindliche Sanktionen können nur die Vereinten Nationen beschließen. Den rechtlichen Rahmen dafür bilden die Artikel 41 und 42 des Kapitels IV ihrer Charta. Jede Verhängung von Sanktionen ohne UN-Beschluß widerspricht dem gültigen Völkerrecht. Die unrechtmäßige Anwendung solcher Maßnahmen bedroht die friedlichen Beziehungen zwischen den Völkern und offenbart den Widerspruch zwischen der "Ideologie" der westlichen "Wertegemeinschaft" (Freiheit, freier Handel sowie freier Zugang zu Meeren und Märkten) und den tatsächlichen imperialistischen Vorherrschaftsansprüchen. Diese verstoßen zugleich gegen die Vereinbarungen und Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) für freien Handel und freie Wirtschaftsbeziehungen.

Sanktionen stellen heute das wichtigste außenpolitische Instrumentarium des US-Imperialismus und seiner Komplizen vor dem Einsatz von Waffengewalt dar. Angewendet werden sie in einer Weise, als wären die sie aussprechenden Mächte anderen Staaten gegenüber weisungsbefugt, während diese wiederum verpflichtet seien, sich dem Diktat Washingtons so oder so zu beugen.

Dr. Ulrich Sommerfeld, Berlin

*

Was ich in Leningrad empfand

Die FDJ-Studentenbrigaden stellten an den Universitäten und Hochschulen der DDR eine sehr eindringliche Form des Kennenlernens anderer sozialistischer Länder dar. Auf der Grundlage von Partnerschaftsverträgen mit deren befreundeten Bildungseinrichtungen wurden regelmäßig in den Sommerferien Studentengruppen ausgetauscht, die am Produktionsprozeß teilnahmen und anschließend das jeweilige Land auf einer aus dem erarbeiten Lohn finanzierten Rundreise kennenlernten. Während des dreiwöchigen Arbeitseinsatzes wurden nicht nur wertvolle Freundschaften zu den Kommilitonen der Partnereinrichtungen, die stets durch eine mitarbeitende Gruppe vertreten waren, geknüpft. Man erhielt auch Einblick in die dortige Produktionsorganisation und die Wesensart der Einheimischen.

Zweimal hatte ich während meines Pädagogikstudiums die Möglichkeit, auf einer solchen Austauschbasis mit dem Leningrader Partnerinstitut "Herzen" in die Sowjetunion zu fahren. Ich arbeitete im Haus- und Straßenbau in Puschkin und Kislowodsk. Schon diese Tätigkeit bahnte den Weg zu dauerhaften und herzlichen Freundschaften, die sich oftmals nicht nur in Briefkontakten, sondern auch in privaten Besuchen fortsetzten.

Während der Exkursionen lernte ich Moskau, Leningrad, den Kaukasus und die estnische Hauptstadt Tallin kennen. Die Pracht der nach dem Krieg wieder aufgebauten historischen Stätten von Puschkin und Petrodworez hat sich mir tief eingeprägt. Natürlich auch Moskau, wobei der Empfang unserer Gruppe in der Lomonossow-Universität den Höhepunkt darstellte. Höchst abenteuerlich war die mehrtägige Exkursion zum Hauptkamm des Kaukasus mit seiner wilden, zum Teil noch unberührten natürlichen Schönheit. Im Elbrus-Massiv mußten uns Einsatzkräfte mit schwerster Technik retten, als uns nachts ein verheerendes Gewitter überrascht hatte und wir im Baksantal buchstäblich eingeschlossen waren.

Wenn ich an diese Zeit zurückdenke, dann gibt es für mich ein besonders prägendes Erlebnis. Gemeinsam mit der Studentengruppe des Partnerinstituts besuchten wir in Leningrad auch den Gedenkfriedhof Piskarjowskoje. Dieser Ort erinnert an die 900tägige Blockade der Stadt an der Newa durch die deutschen Faschisten, denen es nicht gelang, Leningrad zu erobern. Unter den Klängen feierlicher Musik schritten wir durch das Gedenkfeld zur Hauptskulptur. Ich hatte mich mit einer Komsomolzin vom "Herzen"-Institut angefreundet. So besitze ich ein Foto, auf dem wir beide Hand in Hand die Stufen zu dem eindrucksvollen Werk des Künstlers emporschreiten, das den heldenhaften Kampf der Verteidiger der Stadt und der Sieger über die Blockade symbolisieren soll.

Jedes Mal, wenn ich dieses Foto betrachte, muß ich daran denken, was sich Menschen in der Geschichte Schlimmes angetan haben, obwohl sie doch eigentlich zu ganz anderem berufen sind. Dabei stehen für mich Faschismus und Krieg auf der einen, Freundschaft, Liebe und gegenseitige Bereicherung auf der anderen Seite. Ich empfinde in diesen Augenblicken einen besonderen Stolz darauf, wie weit wir Deutschen aus der DDR und die Bürger der UdSSR nach den furchtbaren Verbrechen der Hitlerfaschisten in historisch so kurzer Zeit auf dem Weg zu Verständigung und Freundschaft vorangekommen waren. Und ich schwöre mir jedesmal, dieser zutiefst verinnerlichten Erkenntnis ein Leben lang treu zu bleiben.

Dr. Klaus Thiele, Dresden

*

Mein ältester Sohn kam in Moskau zur Welt

Bis 1990 war ich Offizier der NVA, habe von 1956 bis 1961 an einer sowjetischen Militärakademie studiert und eine Russin geheiratet. Mein ältester Sohn ist in Moskau geboren, was ihm heute bei der Jobsuche Schwierigkeiten bereitet.

Mein Verhältnis zu den russischen Menschen, zu ihren Leistungen im und nach dem Krieg war und ist von Anerkennung und Achtung geprägt. Deshalb bin ich über die Ereignisse in der Ukraine und die von EU und NATO praktizierte Politik äußerst beunruhigt.

Ich verstehe nicht die Reaktion des Westens auf die Rückkehr der Krim zur Russischen Föderation. Sie war seit 1783 russisch und gehörte bis 1954 zur RSFSR, als der damalige 1. Sekretär des ZK der KPdSU N. S. Chruschtschow - selbst Ukrainer - in einem Anfall von Voluntarismus die Eingliederung der Halbinsel in die Ukrainische SSR verfügte. Damals interessierte das die westliche Welt überhaupt nicht. Ohne irgendeine Befragung wurden die dortigen Russen über Nacht zu Ukrainern.

Jetzt aber wird nach einem Referendum, das allen Regeln westlicher Demokratievorstellungen entsprach und bei dem sich die Bevölkerung mit überwältigender Mehrheit für den Anschluß an die Russische Föderation (RF) entschied, plötzlich in den Hauptquartieren von NATO und EU mit Obama an der Spitze aus Leibeskräften lamentiert: Das ist ein Bruch des Völkerrechts! Man verhängt folgenschwere Sanktionen gegen Institutionen und Personen der RF. Präsident Putin ist zur Lieblingszielscheibe der kapitalistischen Medien geworden, die ihn Tag und Nacht diffamieren und zum Aggressor erklären.

Übrigens zeigt sich, daß die wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen auf deren Urheber zurückfallen. Etliche sächsische Unternehmen, die nach 1990 ihre Beziehungen zu Rußland mühsam wiederaufgebaut hatten, leiden erheblich unter dem von der EU verhängten Export- und Importembargo.

Zweifellos liegt ein Vertrauensbruch vor, indem die NATO permanent gegen eigene Zusagen verstößt, die Einflußsphäre des Nordatlantikpaktes nicht weiter nach Osten auszudehnen. Jetzt ist Brüssel bestrebt, die Ukraine als einen Anrainerstaat zur RF in das eigene Boot zu holen.

Völlig ungeniert traf sich auch BRD-Außenminister Steinmeier mit faschistoiden Maidan-"Helden" und den Nazi-Kollaborateur Bandera verehrenden "Freiheitskämpfern" von Swoboda, deren Gefolge öffentlich mit Hakenkreuzen und SS-Runen auftritt. Washington schickt GIs mit Irak-Erfahrung als militärische Berater nach Kiew. Man schanzt der Regierung unter dem CIA-Mann Jazenjuk Hilfsgelder der EU im Umfang von 500 Millionen Euro zu, für die Europas Steuerzahler aufkommen müssen. Und man begrüßt sogar die Absicht Jazenjuks, die Grenze zur RF durch eine 2000 km lange Mauer abzuriegeln.

Am 9. Mai jährt sich zum 70. Mal der Tag des Sieges der Roten Armee über den Hitlerfaschismus. Dieses Datum sollte uns daran erinnern, daß Feindschaft zu Rußland für die Deutschen immer verhängnisvolle Auswirkungen hatte. Die anschwellende Woge neuer Russophobie sollte uns deshalb in keiner Weise gleichgültig lassen.

Oberst a. D. Dr.-Ing. Hans Parche, Dresden

*

Ein PDL-Veteran fragt sich: Bin ich in der falschen Partei?

Rotes aus Schwarzenberg

Vom Jahrgang 1931, habe ich die Gesellschaftsordnung, in der wir heute zu leben gezwungen sind, als Kind schon einmal kennengelernt. Damals allerdings in der schlimmsten und grausamsten Form des Imperialismus - dem Faschismus.

Als prinzipienfester Kommunist hatte mein Vater 1920 den Lehrer Ernst Schneller in unseren Wohnort Erla geholt, wo beide gemeinsam eine Ortsgruppe der KPD gründeten. Von 1928 bis 1937 war Vater - vermutlich wegen seiner politischen Einstellung - arbeitslos. Ich habe in meiner Kindheit Hunger gelitten. 1937, als ich eingeschult wurde, sah ich das erste Mal ein von meiner Mutter warmgemachtes Stück Jagdwurst auf dem Teller. Das war ein richtiges Festessen.

Am 1. Mai 1945 - der Krieg war im Landesmaßstab noch nicht zu Ende - schmückte mein Vater das Haus, in dem wir zur Miete wohnten, auf der Straßenseite mit Rosetten aus Fichtenreisig-Ästen und hißte die rote Fahne. Eine Nazifahne mit dem Hakenkreuz hatte ich an unseren Fenstern nie gesehen.

Nach Kriegsende erzählte mir Vater, daß er 1936 beim Schul- und Heimatfest nachts die Hitlerfahne vom Schulgebäude entfernt und statt dessen die rote aufgezogen habe.

Unlängst verfolgte ich bei Phoenix die Sendung "Wie tickt Putin?" Während Bundeskanzlerin Merkel, die eigentlich ihre Dankbarkeit dafür äußern müßte, daß sie nach ihrer DDR-Ausbildung in der Sowjetunion weiterstudieren durfte, bei jeder Gelegenheit in äußerst abfälliger Weise über Rußland herzieht, denke ich an den bekannten Ausspruch: "Wenn mich meine Feinde loben, habe ich gewiß einen Fehler gemacht." Im Umkehrschluß heißt das: Nehmen mich meine Feinde massiv unter Feuer, dann bin ich auf dem richtigen Weg. Ich gratuliere Putin, auf den das zutrifft.

Doch zurück in das Jahr 1950. Damals bewarb ich mich aus eigenem Entschluß um Einstellung bei der Deutschen Volkspolizei im VPKA Aue. Man nahm mich an. Seit dem Herbst jenes Jahres stand ich gemeinsam mit Sowjetsoldaten am Schlagbaum in Niederschlema, dem Grenzposten zum damaligen Wismut-Sperrgebiet. Die Männer mit dem roten Stern an der Mütze wurden immer um 18 Uhr abgelöst. Ein Lkw vom Typ Molotow mit einem Kastenaufbau brachte den Sergeanten mit fünf Soldaten und nahm die vorherige Mannschaft wieder mit. Die "Russen" entluden eine Obststiege mit Briketts und eine weitere mit Fleisch, Kartoffeln, Speck und einem Kohlkopf. Dann wurde zunächst der Kochherd im Aufenthaltsraum der Soldaten gereinigt, Feuer angemacht und "Kapusta" für den Eintopf gekocht, der am Folgetag als Verpflegung diente. Davon bekamen auch wir als VP-Angehörige etwas ab. In aller Regel blieb danach noch ein beachtlicher Rest. Den haben die Soldaten niemals weggeworfen, sondern Straßenpassanten angeboten. In aller Regel wurde die Einladung angenommen, denn bei uns herrschte bis weit in die 50er Jahre noch "Kohldampf".

So lernte ich das Wesen der Russen kennen. Das führte mich zu dem Schluß: Sie sind von ihrem Nationalcharakter aus herzensgute Menschen, die niemals Krieg wollen.

Andererseits erinnere ich mich auch an meine ersten Begegnungen mit den "Amis". Sie fanden nachts statt. Wenn die Sirenen heulten, lösten sie Fliegeralarm aus. Bevor die Bomben fielen, setzten die Flugzeugbesatzungen ihrer Orientierung dienende "Christbäume" - an Fallschirmen hängende Magnesium-Leuchtfeuer. Als Kind sah ich sie über Leipzig, Dresden, Chemnitz und weiteren Städten. Tagsüber erlebte ich Luftkämpfe und beobachtete anglo-amerikanische Bombergeschwader am Himmel. Bei einem meiner Schulfreunde hatte sich eine Frau aus Hamburg einquartiert, die dort ausgebombt worden war. Als die Maschinen wieder einmal über unser Dorf hinwegflogen, stand diese Frau unter der Haustür, rang die Hände und wimmerte: "Mein Gott, mein Gott!" Die Szene hat sich mir, einem damals zehn- bis zwölfjährigen Jungen, so tief eingeprägt, daß sie mir noch heute vor Augen steht.

Das Dezemberheft des RF hat mich ganz besonders aufgewühlt, erfährt man doch fast nur aus dieser Zeitschrift und der Tageszeitung "junge Welt", wie die Entwicklung in anderen Teilen der Welt und vor allem auch in Lateinamerika verläuft. Denn bei den Medien des Systems - das Fernsehen vorneweg - wird die fortschrittliche Entwicklung in Bolivien oder Venezuela verschwiegen. Doch es gibt ja glücklicherweise den "RotFuchs", der uns aus diesem Schweigen erlöst. Da kommt mir noch ein Wort in den Kopf, das mein Leben erleuchtet hat: "Der Marxismus ist allmächtig, weil er wahr ist."

Meiner Generation können die Philister der bürgerlichen Ideologie nichts von dem ausreden, was wir in der DDR selbst erlebt haben. Sie können diesen Staat noch so sehr in den Schmutz ziehen - unsere Erfahrungen bleiben uns bis zum Tod erhalten. Für mich war es ein großes Glück, 40 Jahre DDR erlebt zu haben. Leider war ich auch Zeuge, als Angehörige der Nachfolgegenerationen ihre Parteibücher haufenweise auf den Tisch warfen, um dann - buchstäblich über Nacht geläutert - mit dem Gesangbuch unter dem Arm in die Kirche zu ziehen.

Ich danke meinem Vater, der mir nach Kriegsende etwas von Mehrwert und der Notwendigkeit erzählt hat, die Expropriation der Expropriateure - auf gut deutsch: die Enteignung der Enteigner - vollziehen zu müssen.

Lese ich im "RotFuchs" über Gysis jüngste Äußerungen, dann sage ich mir: Du bist wohl in der falschen Partei. Aber nicht weil ich die sogenannte Wende als Konterrevolution verstehe, sondern weil Leute, die sich als Sozialisten ausgeben, die Lehren von Karl Marx, Friedrich Engels und Wladimir Iljitsch Lenin mit Füßen treten.

Liebe RF-Leser! Nun habe ich mir alles von der Seele geschrieben, was mich bedrückt hat. Während meiner langjährigen Tätigkeit als Kriminalist verhalf ich dem Recht in einem Rechtsstaat zum Recht. Das Gerede vom Unrechtsstaat prallt an mir ab wie Regentropfen von einer Pelerine.

Manfred Schwallmann, Schwarzenberg

*

Über Begegnungen mit einem durch Glanz und Gloria nicht zu Verbiegenden

Die Lauterkeit in Person: Heinz Keßler

Über einen zum Armeegeneral Aufgestiegenen, doch immer der einstige Arbeiter"junge" Gebliebenen soll im folgenden berichtet werden. Heinz Keßler begegnete ich zum ersten Mal im Sommer 1947. Gut zwei Jahre zuvor war er mit der legendären "Gruppe Ulbricht" auf deutschem Boden gelandet. Jetzt baute er in der arg zerstörten Spreemetropole einen von den drei westlichen Kommandanten vorerst nur unter der Bezeichnung "Freie Deutsche Jugend von Berlin" zugelassenen Verband junger Antifaschisten auf.

Damals gehörte ich zu der Handvoll FDJ-ler im Westberliner Stadtbezirk Steglitz. Meine Mitgliedskarte aus jenen Tagen trägt die Unterschrift Heinz Keßlers. An einem Juliabend lud er in das benachbarte Zehlendorf ein, wo er in einer Gaststätte unweit des S-Bahnhofs mit uns ebenso unerfahrenen wie tatendurstigen jungen Leuten diskutieren wollte. Diese Begegnung, die nun schon fast 68 Jahre zurückliegt, wurde für mich zur "Ouvertüre" eigenen politischen Erwachsenwerdens.

Im Frühjahr 1948 suchte ich den Stadtvorsitzenden der inzwischen durch alle vier Besatzungsmächte als Teil der Gesamtorganisation anerkannten Berliner FDJ in der Hosemannstraße auf, wo der Jugendverband seine Zelte aufgeschlagen hatte. Für meinen Gesprächswunsch gab es, wie mir damals scheinen wollte, "gewichtige Gründe". Zu jener Zeit war ich, wie mein Vater, dem die Nazis nach dem schon 1933 erfolgten Ausschluß aus der Anwaltskammer 1935 auch die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen hatten, Bürger der CSR. Unter deren nur sehr kurzfristigen Schutz hatte er sich - mit Gültigkeit auch für mich - begeben. Im April 1948 - erst zwei Monate zuvor war in Prag die volksdemokratische Macht durch aufmarschierte Arbeitermilizen stabilsiert worden - folgten wir der Einladung des ZK der KP der Tschechoslowakei zu einem Erholungsaufenthalt in die Hohe Tatra. Gerade einmal 15, bat ich Heinz im Überschwang der Jugend um "konkrete Aufträge zur Vertiefung freundschaftlicher Beziehungen zwischen der FDJ und dem Bruderverband CSM". Er, der als in die Nazi-Wehrmacht gepreßter Antifaschist unverzüglich zur Roten Armee übergelaufen und später Frontbeauftragter des Nationalkomitees Freies Deutschland gewesen war, hatte enorme Geduld mit dem zur Aktion drängenden Heißsporn, der ihm da gegenübersaß. Freundschaftlich gab er mir "Ratschläge", was ich in der CSR "Wichtiges erledigen" könne.

Jahrzehnte vergingen, in denen Heinz Keßler unter Führung so erfahrener kommunistischer Militärs wie des Spanienkämpfers Heinz Hoffmann zunächst für den Bereich Luftstreitkräfte/Luftverteidigung der Nationalen Volksarmee Verantwortung trug, später deren Politische Hauptverwaltung leitete und schließlich im Rang eines Armeegenerals selbst die Aufgaben des DDR-Verteidigungsministers versah. Diese Zeit, in der wir einander nie begegnet sind, muß ich hier ausblenden.

1990 trafen wir unter äußerst dramatischen Umständen erneut zusammen: Ort der Handlung war nun der alte Gefängniskomplex in Berlin-Moabit. Dorthin hatten den durch die Justiz des Hitlerstaates in Abwesenheit zum Tode verurteilten Antifaschisten jene verschleppt, deren Bundeswehr, Polizei und Geheimdienste einst von schwerbelasteten Nazi-Generalen aufgebaut worden waren. In einer winzigen Besucherzelle des alten Backsteinbaus führten wir ein überwachtes, kurzes Gespräch, dem bald längere Unterhaltungen in zwei weiteren Haftanstalten folgen sollten. Dort konnten wir auch Generaloberst a. D. Fritz Streletz kurz die Hand schütteln.

Bereits damals umgaben Heinz Keßler fürsorgliche Berliner Genossen wie Hans-Günter Szalkiewicz und Bruni Büdler. Als er dann zunächst Freigänger und schließlich aus der Haft entlassen wurde, durften wir ihn und Ruth, die ich schon aus ihrer Tätigkeit als Abteilungsleiterin in der Generaldirektion des DDR-Reisebüros kannte und schätzte, auch des öfteren im Zweifamilienhaus an der Köpenicker Allee besuchen. Als wir am Jahresende 2007 gute Freunde anläßlich meines 75. Geburtstages zu uns einluden, waren die Keßlers dabei.

Nachdem Heinz den Entschluß gefaßt hatte, Mitglied der DKP zu werden, ergab es sich aus unserer Wohnnähe, daß wir derselben Parteigruppe angehören. Mein letztes längeres Gespräch mit dem am 26. Januar nun 95 Gewordenen liegt um ein knappes Jahr zurück. Als das "RotFuchs"-Urgestein Sonja Brendel - sie versah bis ins hohe Alter die Aufgaben der stellvertretenden Vertriebsleiterin unserer Zeitschrift - im Tierparkhotel mit einem Kreis Nahestehender ihren 85. Geburtstag beging, wurde mir der Platz neben Heinz Keßler zugewiesen. Nach dem schmerzlichen Verlust seiner Ruth und angesichts der Tatsache, daß er durch fortschreitende Einschränkung seines Sehvermögens die Presse nicht mehr regelmäßig verfolgen konnte, ging ich davon aus, daß der in einem Pflegeheim vom Personal fürsorglich Betreute den Anschluß an das aktuelle Geschehen weitgehend verloren haben müßte.

Doch ich hatte mich gründlich getäuscht: Heinz war wie immer sehr konzentriert und in allen wichtigen Fragen auf dem Laufenden. Vor allem aber hatte er die ihn auszeichnende Bodenhaftung behalten und erwies sich - trotz Glanz und Gloria, die ihm in seinem langen Leben außer Schwerem zuteil geworden waren -, auch diesmal als jener selbstbewußt-bescheidene Mensch, der mir schon im Sommer 1947 so sehr imponiert hatte.

Klaus Steiniger

*

Antikommunistische "Aufarbeiter" haben sich festgefahren

Wo die Gehirnwäsche versagt ...

Seit 25 Jahren bemühen sich die antikommunistischen "Aufarbeiter" auf jede nur denkbare Weise, die Geschichte der DDR und ihrer Bürger als einen "unwerten Teil deutscher Vergangenheit" aus den Köpfen der Menschen zu tilgen.

Es fragt sich, ob die politischen Gegner der DDR und aller, welche sie weiterhin verteidigen, in dieser langen Zeit und mit diesem enormen Aufwand an Mitteln ihr Ziel tatsächlich erreicht haben?

Eine Quelle für Erkenntnisse darüber war seinerzeit bereits der Bericht der Bundesregierung zum "Stand der Aufarbeitung der SED-Diktatur" vom 16. Januar 2013 (Der RF berichtete darüber). Staatsminister Bernd Neumann sah sich zu der Feststellung gezwungen: "Erschreckend bleiben die Befunde zum historischen Wissen von Jugendlichen, wie ein von mir und mehreren Ländern finanziertes Forschungsprojekt der FU Berlin vor kurzem erneut zeigte. Danach verfügt eine Mehrheit der befragten Schülerinnen und Schüler aus fünf Bundesländern über nur sehr geringe zeitgeschichtliche Kenntnisse. In der Konsequenz kann es nicht überraschen, daß viele Jugendliche auch die Trennlinien zwischen Demokratie und Diktatur nicht erkennen."

Und weiter: "Durch den wachsenden zeitlichen Abstand zur friedlichen Überwindung der deutschen Teilung entwickeln sich zwei Tendenzen in der Wahrnehmung der DDR, die besorgniserregend sind: die Verharmlosung, mitunter sogar Verklärung des Lebens unter der SED-Diktatur, und das ausgeprägte Nichtwissen insbesondere junger Menschen über die DDR und die dort herrschenden Verhältnisse."

Wenn selbst die Jugendlichen nicht erreicht wurden, dann ist es wohl nicht unlogisch, davon auszugehen, daß das auch für viele Eltern und Großeltern zutreffen dürfte.

Auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Gesine Lötzsch (Partei Die Linke) an den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages zur Definition des Begriffs "Unrechtsstaat" erhielt sie die Antwort: "Eine wissenschaftlich haltbare Definition des Begriffs 'Unrechtsstaat' gibt es weder in der Rechtswissenschaft noch in Sozial- und Geisteswissenschaften. Gleichwohl wird in politischen Diskussionen oft das Gegensatzpaar Rechtsstaat - Unrechtsstaat verwendet. Dabei geht es zumeist darum, die politische Ordnung eines Staates, der als Unrechtsstaat gebrandmarkt wird, von einem rechtsstaatlich strukturierten System abzugrenzen und moralisch zu diskreditieren."

Seit geraumer Zeit gibt es bisweilen sachlichere Töne, sogar aus der "Stasi"-Unterlagenbehörde. So äußerte deren Projektleiter Dr. Ilko-Sascha Kowalczuk in einem Interview mit Deutschlandradio Kultur am 11. März 2013: "In den Jahren nach der Revolution, in den 90er Jahren wurde ja insbesondere von der Politik immer lautstark vorgegeben, es käme darauf an, die DDR zu delegitimieren. Und ein ganzer Teil von Journalisten, von Politikern aber auch von Fachkollegen war ganz offenbar der Ansicht, daß man die DDR um so besser delegitimieren könnte, um so mehr man bestimmte Zahlenangaben, insbesondere zur Staatssicherheit, zu den inoffiziellen Mitarbeitern, aber auch zu politisch Verfolgten immer weiter in die Höhe treiben sollte. Und ich als Historiker habe nun die vornehme Aufgabe bestimmte Dinge einfach immer wieder kritisch zu hinterfragen."

Die deutlich rechtslastige AfD, die bei den Landtagswahlen 2014 in Ostdeutschland aus dem Stand auf über 10 Prozent der Stimmen kam, profilierte sich dadurch, daß sie im Wahlkampf aus demagogischen Erwägungen ein paar positive Bezüge zur DDR herstellte. Offensichtlich erkannten ihre Anführer eine Grundstimmung in der ostdeutschen Bevölkerung, die sie aus wahltaktischen Gründen für sich zu nutzen suchten.

Eine im Zusammenhang mit dem im September 2014 vorgelegten Bericht der Bundesregierung zur deutschen Einheit durchgeführte Umfrage des Meinungsforschungsinstituts "Infratest dimap" ergab, daß 75 Prozent der im Osten Angesprochenen die "deutsche Einheit" als für sich positiv betrachten. 78 Prozent bewerten jedoch das Schulsystem, die soziale Absicherung, die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie das Gesundheitswesen nach wie vor als Stärken der DDR.

Am 2./3. Oktober 2014 interviewte die "Berliner Zeitung" den Leiter der Gedenkstätte "Berliner Mauer", Prof. Dr. Axel Klausmeier. Sie stellte ihm die Frage: "Der Chef der ... Gedenkstätte Hohenschönhausen Hubertus Knabe kritisiert, daß die Besucher dort überwiegend aus dem Westen kommen, die Ostler mieden die Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit. Wie ist das bei der Gedenkstätte?" Die Antwort lautete: "Unsere Zahlen zeigen eine ähnliche Tendenz."

So gibt es eindeutige Indizien dafür, daß es den antikommunistischen Aufarbeitern nicht gelungen ist, die Erinnerung an die positiven, zukunftsweisenden Seiten der DDR in den Köpfen von Zeitzeugen und der ihnen folgenden Generationen gänzlich zu tilgen.

Hans Offenhaus, Berlin

*

Dem Appell des BStU-Leiters Roland Jahn wurde prompt entsprochen

Wortmeldung authentischer Zeitzeugen

Zwei kompetente Persönlichkeiten melden sich aus dem vor 65 Jahren gegründeten Ministerium für Staatssicherheit der DDR zu Wort: Generalleutnant a.D. Wolfgang Schwanitz und Oberst a.D. Reinhard Grimmer. Sie haben unlängst das Buch "Unbequeme Zeitzeugen" herausgegeben. Darin berichten 15 frühere Mitarbeiter des MfS über Erlebnisse und Begebenheiten, welche der Öffentlichkeit durch die Gauck-Birthler-Jahn-Behörde bewußt unterschlagen werden, obwohl sämtliche Materialien dazu akribisch geordnet im Archiv vorliegen. Auch den Autoren des Buches wurde jegliche Einsichtnahme in diese Unterlagen verwehrt. Dennoch kommen sie von sich aus der Aufforderung des derzeitigen BStU-Chefs Roland Jahn nach, "mehr authentische Zeitzeugen sprechen zu lassen". Allerdings dürfte dieser nicht übergelaufene ehemalige Mitarbeiter des MfS darunter wohl kaum verstanden haben.

Angesichts des anhaltenden Mediengetöses, die DDR sei ein Unrechtsstaat gewesen, ist das Anliegen des Buches, ein wahrheitsgemäßes Bild von ihr und ihren Sicherheitsorganen zu zeichnen, höchst verdienstvoll.

Bei seiner Vorstellung in der Ladengalerie der "jungen Welt" wurde mit größter Sachlichkeit und Besonnenheit auf dort vorgetragene Gegenargumente reagiert. Zugleich muß man die Frage stellen: Warum gibt es in der von Jahn geleiteten Inquisitionsbehörde ganze Aktenbestände, zu denen die BRD-Öffentlichkeit keinerlei Zugang erhält?

Könnte diese Geheimhaltung damit zusammenhängen, daß sonst deutlich würde, welchen tatsächlichen Staatsfeinden das MfS und dessen Mitarbeiter gegenüberstanden?

Vermutlich würde der freie Zugang zu diesem brisanten Material ein völlig andersgeartetes Bild der DDR-Sicherheitsorgane ergeben als das von den professionellen Geschichtsfälschern der imperialistischen Medien und der BStU derzeit präsentierte.

Nach der Landtagswahl in Thüringen genügte Herrn Jahn ein bißchen Linksblinken und Rechtsfahren hier und dort, um die Erklärung abzugeben, die Nominierung eines Ministerpräsidenten aus der PDL wäre in seinen Augen "ein Signal, das die Opfer der SED-Diktatur sehr verletzen würde". Unzählige ehemalige DDR-Bürger tangiert indes etwas ganz anderes als das Gezeter und Gezerre um den angeblichen Unrechtsstaat, dem sie in Gestalt der BRD ja täglich begegnen: Millionenfach abrupt beendete Lebensplanungen, Biographiebrüche, langjährige Arbeitslosigkeit, entvölkerte und verfallende Landstriche stehen dabei zur Debatte. Der schöne Schein des kapitalistischen Schaufensterparadieses vermag solche Häßlichkeiten nicht zu verdrängen. Herr Jahn spricht für eine Minderheit der Gesellschaft und verschweigt das an Hundert tausenden begangene historische Unrecht. Denn jene, welche sich als "Opfer der DDR-Diktatur" betrachten, waren nur ein winziger Teil der DDR-Bevölkerung, auch wenn ihnen zeitweilig eine Massenkulisse zur Verfügung stand.

Was aber die von offizieller BRD-Seite als Verfolgte anerkannten Gegner des sozialistischen deutschen Staates betrifft, so erteilen wir dem Leipziger Veterinärmediziner Walter Schöbe, einst Mitglied der KgU-Agentengruppe "Tagore" das Wort. Am 12. März 1996 erklärte der "Moralist": "Wir haben jede Gelegenheit ergriffen, Unruhe und Verwirrung zu stiften oder Sabotage zu treiben, egal wo. Ob wir falsche Schlachtscheine für Bauern ausstellten ... Wir haben Reifentöter an die Autos der Funktionäre, wo wir wußten, es sind welche, gelegt. ... Malik (ein hauptamtlicher Mitarbeiter der KgU - RF) sagte zu mir: Ihr bekommt Kantharidin für den Notfall, wenn militärische Auseinandersetzungen kommen sollten, daß ihr irgendein Gift in der Hand habt, um den Gegner - es handelt sich nur um russische Soldaten und Offiziere - kampfunfähig zu machen ... Ich muß heute sagen, daß diese Methoden hart waren, ich sie aber ... in keiner Weise verurteilen möchte."

In ihren Beiträgen zum Sammelband "Unbequeme Zeitzeugen" bestätigten die früheren MfS-Mitarbeiter Harry Mittenzwei, Hans-Peter Wokittel und Fritz Hausmann anhand eigenen Erlebens das Vorgehen reaktionärer Kräfte zur Schädigung der Volkswirtschaft der DDR. Das geschah keineswegs nur vom Boden Westberlins aus.

Würde die Jahn-Behörde ehrlich an die Aufarbeitung der Geschichte beider deutscher Staaten herangehen, dann müßte sie gewisse angeblich "demokratiefördernde" Handlungen auf die DDR angesetzter Terroristen ins Auge fassen.

Zugleich ist zu fragen: Hat das MfS auf Geheiß der Regierung der DDR jemals in der BRD Vieh töten, Bauernhöfe niederbrennen und Industrieanlagen zerstören lassen? Die DDR-Führung verspürte niemals den Drang, der BRD solchen Schaden zuzufügen. Andererseits war es 40 Jahre lang offizielle Regierungspolitik der BRD, der DDR ohne jede Einschränkung auf allen Gebieten das Wasser abzugraben. Bei ihrer Beurteilung sollen keine auf das Konto der DDR zu buchenden Ungerechtigkeiten oder Fehlentscheidungen unter den Tisch fallen. Doch ihre anhaltend einseitige und verzerrende Darstellung können seriös Denkende und objektiv Urteilende nicht akzeptieren.

Wie in allen Gesellschaftsordnungen gab es auch in der DDR Handlungen und Unterlassungen, die nicht gerechtfertigt werden sollen. Gegen deren seriöse und korrekte Untersuchung ist nichts einzuwenden.

Seit fast 25 Jahren herrscht in ganz Deutschland wieder die Diktatur des Kapitals. Die Umverteilung des Volksvermögens von unten nach oben ist oberste Maxime. So wäre es sicher sinnvoll, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, wie dieses permanente Unrecht überwunden werden kann.

Auf dem Höhepunkt ihrer Haß- und Hohnkampagne gegen die DDR mißbrauchten gewisse "Systemgegner" das Wort Rosa Luxemburgs "Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden".

Nach dieser Maxime sollte die BRD verfahren, gibt es doch im heutigen Deutschland Millionen Menschen, die anders denken, als es ihnen der verordnete Antikommunismus abverlangt. Zu dieser Thematik liefert das den RF-Lesern empfohlene Buch eine Fülle von Denkanstößen und Argumenten. Sein Anliegen ist es, Erinnerungen und Erfahrungen wirklich authentischer Zeitzeugen, die den heute Herrschenden unbequem sind, Jüngeren und noch später Geborenen zu übermitteln.

Reiner Neubert, Berlin

Unbequeme Zeitzeugen. Erinnerungen von MfS-Angehörigen. Verlag am Park, Berlin 2014, 486 S., 19,99 €, ISBN 978-3-945187-08-1

*

Das finanzpolitische Knäuel des Kapitals läßt sich entwirren (2 und Schluß)

Des Pudels Kern

Das war die verhängnisvolle, periodisch wiederkehrende Epidemie, deren Verheerung alle zehn bis fünfzehn Jahre an den sogenannten schwarzen Freitagen den Markt reinfegt und den Boden mit Trümmern bedeckt. Jahre müssen vergehen, bis das Vertrauen wiederentsteht, die großen Bankhäuser wiederhergestellt werden, die Spekulationsleidenschaft von neuem auflebt, entfacht wird und die Geschichte wieder von vorn beginnt, eine neue Krise herbeigeführt wird und in einem neuem Krach alles vernichtet."

So schildert der große französische Literat Emile Zola in seinem Roman "Geld" die schlimmsten Folgen der Spekulation und betrügerischer Finanztransaktionen. Es geht dabei um die Zeit zwischen 1864 und 1869. Zur Geschichte des Kapitalismus gehörten auch schon damals immer wieder Krisen, in die er abstürzte. Doch wie der aus dem Wasser herauskommende und sich schüttelnde Hund konnte er, dem dürren Kläffer gleichend, immer wieder ans Ufer gelangen und vorübergehend sogar einmal mehr als streichelnswert erscheinen. Doch inzwischen steht die Herrschaft des Kapitals als der häßliche Köter nackt und kahl vor uns. Und so mancher, der ihn einst hätschelte, konstatiert wie Goethes Faust: "Das also war des Pudels Kern!"

Selbst die großbürgerliche "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ) bemerkte zum weltweiten Finanzdesaster: "Die Krise ist nicht vorbei, sie ist systemisch." Auf eine Phase nur kurzer Erholung folge umgehend die nächste Depression in einer Reihe von Ländern.

Die Anhäufung finanzieller Mittel über Gelddruckautomaten funktioniert indes nur, wenn es gelingt, akute Probleme in die Zukunft zu verschieben. Mit anderen Worten: wenn künftige Gewinne schon in der Gegenwart kassiert werden.

2008 wurde die Gesamtsumme der Schulden weltweit auf 160 Billionen Dollar beziffert. Das war das Dreieinhalbfache des globalen Bruttoinlandsprodukts. Ich vermag nur auf diese Zahlen zu verweisen, weiß aber, daß sich das Mißverhältnis in den Jahren danach weiter zugespitzt hat.

Die Ratingagentur Standard & Poors (Nomen est omen: poor heißt auf Deutsch: arm!) warnte im August 2014 vor der ungleichen Verteilung von Einkommen und Vermögen in den USA. "Die Reichen besitzen so viel Geld, daß sie nicht wissen, was sie damit anfangen sollen. Den Armen hingegen fehlen die Mittel fürs Konsumieren! In den USA verdienen fast 50 Millionen Menschen so wenig, daß sie staatliche Lebensmittelhilfe über Coupons beziehen müssen. Was das für eine Volkswirtschaft bedeutet, die zu 70 % auf den Ausgaben der Verbraucher basiert, läßt sich leicht ausmalen." Die Agentur fragte: "Zerstören die Auswüchse des Kapitalismus unser Wirtschaftssystem?"

"Spiegel Online" schrieb: "Tatsächlich aber bleiben die Unternehmensinvestitionen, gemessen an historischen Standards, niedrig - selbst in der Wachstumsoase Deutschland. Entsprechend stagniert die Produktivität, stagnieren die Löhne der Beschäftigten. ... EZB-Zahlen zur Kreditvergabe im Euro-Raum zeigen, daß die Nachfrage nach Bankkrediten zwar wieder steigt, daß sie aber vor allem von Hypotheken und Konsumentenkrediten getrieben wird, nicht von den Unternehmen. Finanziert werden Eigentumswohnungen und Urlaubsreisen, aber kaum Investitionen, die die Wirtschaft auf einen neuen Wachstumspfad heben. Und wenn Firmen neue Kredite aufnehmen, dann selten für echte Investitionen, sondern eher fürs Umschulden von Altschulden oder für Restrukturierungen. Also vereinfacht gesagt, um alte Fabriken zu schließen, nicht um neue zu eröffnen."

Nein, die Krise ist bei weitem nicht vorbei. Die FAZ hat durchaus recht: Sie wohnt dem System inne, ist systemisch.

Bei Emile Zola ging Souveränität des Geldes noch vom Staat aus. Staat und Kapital funktionierten nur zusammen. Ist das Machtverhältnis zwischen beiden auch heute noch so? Nein, es hat sich total verschoben. Der Staat wurde dem Kapital untergeordnet. Er muß sich das Geld, das privatisiert worden ist, jetzt auf dem Finanzmarkt leihen, wobei die Zinsforderungen an die Gesellschaft weitergereicht werden. Er tut das vor allem durch Kürzungen und erhöhte Mehrwertsteuern. Man reduziert die Sozialleistungen und privatisiert die Sozialausgaben. Dieser neoliberale Feldzug, der in Südamerika begann, wobei Chiles Unidad Popular blutig weggeputscht wurde, erstickte auch Portugals Nelkenrevolution und legte den Menschen in Griechenland, Spanien und Italien die Würgeschlinge um den Hals.

Besonders dreist gebärden sich die Geier der Hedgefonds in Argentinien. Bis Mitte der 90er Jahre wurden dort über 90 % der Staatskonzerne verscherbelt, was 2001/2002 zum finanziellen Zusammenbruch des Landes führte. Die Volkswirtschaft am Rio de la Plata war nach kapitalistischen Maßstäben mittlerweile nahezu wieder "gesundet" - da schlugen die Geier abermals zu. NML-Capital, eine Tochterfirma des Hedgefonds Elliot Management, zahlte 2008 rund 48 Mio. $ für den Erwerb von Anleihen an den Staat. Ein Richter in den USA entschied unterdessen, daß NML-Capital jetzt 832 Mio. $ von Argentinien zu bekommen habe - eine Rendite von über 1600 Prozent!

Bernd Gutte

*

Ex-Gesundheitsminister Bahr sahnt bei Allianz ab

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

*

Zu den Geheimverhandlungen der USA und Kanadas mit der EU

Freihandelsabkommen gegen freien Handel

Die Konzerne sägen an den Grundpfeilern der Demokratie. Das ist die neue Qualität in den gegenwärtigen Verhandlungen zu den Freihandelsabkommen TTIP und CETA.

Das Werkzeug sind die sogenannten Schiedsgerichte. Mit ihren Entscheidungen über astronomische Schadensersatzforderungen werden parlamentarische Gremien zu politischen Entscheidungen im Interesse der Konzerne erpreßt.

Das bekommen gerade die im Tal von Rosia Montana lebenden Rumänen zu spüren. Dort befinden sich die größten Gold- und Silbervorkommen Europas. Die Schürfrechte hat das kanadische Unternehmen "Gabriel Resources". Das arbeitet mit dem Gift Zyanid, wodurch auf einer Fläche von 2388 Hektar Boden und Wasser verseucht wurden. Daraufhin hat das Parlament im November vergangenen Jahres dem Unternehmen die Lizenz entzogen. Der Konzern verlangt nun vor dem Wiener Schiedsgericht Schadensersatz in Höhe von vier Milliarden Dollar. Der Regierung war abgeraten worden, diesen durch zahlreiche Organisationen geforderten Schritt zu tun. Neuseeland ist da vorsichtiger. Es wollte aufdringliche Reklame auf den Zigarettenpackungen verbieten. Doch nun wird erst mal abgewartet. Einen solchen Vorstoß hatten zuvor schon Australien und Uruguay unternommen und damit den Tabakkonzern Philipp Morris gegen sich aufgebracht. Der verklagte nunmehr beide Regierungen vor Schiedsgerichten. Die Neuseeländer warten diese Schiedssprüche zunächst einmal ab, um zu sehen, wie die Gerichte Philipp Morris vor den Ansprüchen der Regierungen auf Gesundheit ihrer Bürger schützen.

Solche Schiedsgerichte sind tatsächlich, wie die Befürworter von TTIP und CETA die Öffentlichkeit beruhigen wollen, nicht neu. Neu ist hingegen, daß die BRD, welche sie miterfunden und jahrelang am meisten von ihnen profitiert hat, nun plötzlich selbst betroffen ist. Da wurden die Hamburger Senatoren bei ihrer morgendlichen Zeitungslektüre von der Meldung überrascht, ihre Auflagen an den Energiekonzern Vattenfall für den Betrieb des Moorburger Kohlekraftwerks seien hinfällig. Der Konzern ist vor ein solches Schiedsgericht gezogen, um dafür Schadensersatz in Höhe von 1,2 Milliarden Euro zu fordern. Ohne erst die Hamburger zu fragen, schloß die Bundesregierung allein auf diese Drohung hin einen Vergleich mit Vattenfall. In gleicher Weise will jetzt dieser Konzern die Bundesregierung wegen ihres Ausstiegs aus der Kernenergie zur Kasse bitten.

Was derzeit hinter verschlossenen Türen für das TTIP zwischen der EU und den USA beziehungsweise für das unterschriftsreife CETA mit Kanada ausgehandelt wird, besitzt eine neue Qualität. Es kann wegen des Verlusts erwarteter Gewinne geklagt werden. Spekulative Transaktionen am Finanzmarkt gelten als Investitionen.

Als Hermann Abs von der Deutschen Bank und der britische Lord Shawcross 1959 darüber sinnierten, wie das in die entstehenden jungen Nationalstaaten exportierte Kapital abgesichert werden könnte, entwarfen sie eine "Übereinkunft zu Investitionen im Ausland". Heute heißt so etwas Investorenschutz, womit die Sicherheit der Investoren vor Beschlüssen nationaler Parlamente gemeint ist. Der Geniestreich von Abs und Shawcross findet sich in der Klausel: "Jede Partei hat zu allen Zeiten einer fairen und billigen Behandlung hinsichtlich des Eigentum von Staatsangehörigen der anderen Parteien sicher zu sein."

Allein aufgrund dieser Formel, die dem Sinn nach seither in allen 3000 Investitionsschutzabkommen enthalten ist, obsiegen US-Konzerne derzeit bei drei Vierteln ihrer Klagen. Selbst Volksentscheide werden außer Kraft gesetzt. An die Stelle des Souveräns treten Konzerne und Banken. Die Tendenz ist steigend. Waren 1996 insgesamt 38 Klagen bei der Weltbank registriert, so stieg diese Zahl im Vorjahr auf 100 Fälle mit einem Gesamtstreitwert von über 25 Milliarden Dollar.

Hinzu kommen Prozeß- und Anwaltskosten zwischen 8 Mill. und 30 Mill. Dollar je Klage. Die Schiedsgerichte bestehen nicht aus formell unabhängigen Richtern. Sie setzen sich vielmals aus drei Advokaten zusammen, wovon die streitenden Parteien jeweils einen benennen, während sich beide Seiten auf den dritten einigen. Zumeist stammen die Juristen aus tonangebenden Anwaltskanzleien, die sich dann mit ihren Schiedssprüchen ihr eigenes Recht schaffen. Sie verdienen um so mehr, je höher die Streitsummen sind und je länger die Prozesse dauern. Aus diesem lukrativen Geschäft entsteht derzeit ein neuer parasitärer Wirtschaftszweig mit eigenen Ausbildungseinrichtungen und Versicherungen. Revisionsmöglichkeiten gegen die Schiedssprüche gibt es nicht.

So geheim, wie die Verhandlungen um die Freihandelsabkommen TTIP und CETA geführt werden, so intern sind auch die Prozesse. Schon wenn Unternehmen solche Fälle vor regulären Gerichten austragen, was ebenfalls möglich ist, sind die Verhandlungen geheim. Beim Verkauf des größten kommunalen Unternehmens Deutschlands, den Berliner Wasserbetrieben, hat erst ein Volksentscheid erzwungen, daß die Verträge offenzulegen waren, woraufhin die Betriebskette zurückgekauft werden mußte. Wenn CETA und TTIP erst greifen, sind trotz gegenteiliger Bekundungen der EU-Kommission der Privatisierung dieses wichtigsten Lebensmittels Tür und Tor geöffnet.

Regierungen können solche Prozesse nach einem kräftigen Aderlaß zugunsten der Anwälte auch mal gewinnen. Erreicht haben sie damit aber nicht mehr als die Zusicherung des Privatgerichts, daß ihre Entscheidung zu "Recht" bestehe. Dieses Risiko weiß ein cleverer Konzern dadurch zu vermeiden, daß er sich zuvor versichert.

Gegen TTIP und CETA mehrt sich der Protest. Dem tragen auch die etablierten Parteien Rechnung. Experten geben allerdings keinen Pfifferling auf die distanzierte Haltung des Vizekanzlers Gabriel. Er wird kaum über den Schatten der SPD-Führung springen, die sich seit 100 Jahren dem Kapital andient. Die Grünen - einst eine Friedenspartei - und nun auch Die Linke haben gezeigt, daß sie Prinzipien gegen Ministerposten zu tauschen bereit sind. Die Abkommen bevorzugen ausländische Unternehmen und jene großen Konzerne, die sich die teuren Klagen leisten können.

Der Öffentlichkeit wird Sand in die Augen gestreut: Bei den Verhandlungen gehe es um neue Arbeitsplätze und höheren Wohlstand. Das gilt lediglich für die Anwälte, deren Rechnungen durch die Steuerzahler zu begleichen sind.

Dr. Frank Wecker, Leegebruch

*

Dem Kuschelkurs regierungsgeiler "Linker" muß Einhalt geboten werden

Zeigt Flagge, Genossen!

Im Jahr 1865 setzte sich Friedrich Engels in seiner Arbeit "Die preußische Militärfrage und die Arbeiterpartei" auch mit Irrungen der Ideologie und Politik Ferdinand Lassalles auseinander. Dieser strebte nicht die Zerschlagung des preußischen Ausbeuterstaates unter Führung einer revolutionären Partei an, sondern trat für die Reformierung der bestehenden Verhältnisse mit Hilfe des allgemeinen Wahlrechts und durch staatlich finanzierte Arbeiterproduktionsgenossenschaften ein. Um diesem Ziel näherzukommen, strebte Lassalle sogar ein Bündnis mit Bismarck an. Er unterstützte dessen Politik der Reichseinigung mit Blut und Eisen. Engels wies demgegenüber nach, daß die ausgebeuteten Massen nur für ein von ihnen getragenes demokratisches Deutschland eintreten dürften. Dieser Kampf müsse unter Führung einer eigenständigen revolutionären Klassenorganisation erfolgen, die nie der wedelnde "Schwanz der Bourgeoisie" sein dürfe. Es gehe um eine "durchaus von ihr unterschiedene selbständige Partei".

Nach dem Europa-Parteitag der PDL, der im Februar 2014 in Hamburg stattfand, mußte ich an diese Auseinandersetzungen mit Lassalle denken. So sehr sich die Umstände auch geändert haben, so deutlich springen gewisse Gemeinsamkeiten ins Auge. Seit Jahren scheint es unter dem Dach der PDL im Grunde zwei Parteien zu geben: eine zur Sozialdemokratie driftende, die in raschem Tempo immer offener rechte Positionen einnimmt, und eine linkssozialistische, die in führenden Gremien der Partei indes an Einfluß verliert. Es entsteht der Eindruck, daß sich wesentliche Teile des Spitzenpersonals besonders im Osten nur noch danach sehnen, einen gesicherten Platz an den Fleischtrögen der politischen Macht zu ergattern.

Betrachtet man diesen Prozeß mit wachen Augen, dann hat man den Eindruck, daß in der heutigen BRD eine starke linke Partei mit wirklichem Masseneinfluß nicht weniger wichtig wäre als in den Krisenjahren vor dem 30. Januar 1933. Die trotz aller Mythen niemals mit plebiszitären Elementen ausgestattete Ordnung der BRD ist längst zu einer reinen Fassaden-Demokratie geworden. Die einzige Parlamentsformation, die noch nicht zur Neoliberalen Einheitspartei Deutschlands gehört, ist die PDL. Seit Jahr und Tag werden im Bundestag nur Beschlüsse gefaßt, die dem erklärten Willen des Volkes zuwiderlaufen. Eine "Demokratie" aber, die in so elementaren Fragen wie Krieg und Frieden, soziale Gerechtigkeit und Schutz der natürlichen Umwelt auf die Meinung des überwiegenden Teils der Bevölkerung pfeift, ist ein Hohn auf diese wichtige Errungenschaft des frühen Bürgertums. Seit 1990 hat das Parlament der BRD noch kein einziges Gesetz beschlossen, das ernsthaft in den Geldbeutel der Vermögenden greift und zumindest Teile des von ihnen angehäuften Kapitals von oben nach unten fließen läßt.

Eine Politik im Interesse der Mehrheit des Volkes ist unter kapitalistischen Bedingungen nicht möglich. Nur wenn den Ausbeuterklassen der Staat als machterhaltendes Instrument entrissen wird und wesentliche Teile des Privateigentums an Produktionsmitteln in die Rechtsträgerschaft des Volkes übergehen, kann Politik im Sinne der Werktätigen verwirklicht werden. Die DDR hat das unter Beweis gestellt.

Mir ist klar, daß Begriffe, wie ich sie hier verwende, seit der zur Niederlage des Sozialismus führenden Konterrevolution der Jahre 1989/1990 aus der Mode gekommen sind. Doch wer nach einem solchen Debakel seine Prinzipien über Bord wirft, hat die nächste Niederlage schon vorprogrammiert. Es ist so einfach wie das Einmaleins: Wer über die Wahlurne zum Sozialismus gelangen will, wird ein Fiasko erleiden.

Der Klassenkampf ist wie eh und je eine tagtägliche Realität. Die Eisenbahner der GDL, der ver.di-Streik bei Amazon wie auch Aktionen anderer Gewerkschaften haben das ansatzweise bereits gezeigt.

Die PDL ist die stärkste linke Partei im mächtigsten kapitalistischen Land Europas, das sich erneut in gefährlicher Weise nationalistisch-chauvinistisch aufbläst und eine schrittweise Faschisierung erlebt. Sozialdarwinismus, Militarismus, Antikommunismus und Weltmachtambitionen sind bestimmende Elemente dieses Kurses. Die PDL sollte unter solchen Bedingungen ihre historische Pflicht erkennen, sich ohne Schwanken an die Spitze jener Teile der Bevölkerung zu stellen, die sich dieser gefährlichen Entwicklung widersetzen. Das gilt für den parlamentarischen wie für den außerparlamentarischen Kampf. Wenn aber gewisse Köpfe an der Spitze der PDL in Rot-Rot-Grün ihr einziges Ziel auch auf Bundesebene sehen, dann ist das ein Rausch von Eitelkeit, Postenjägerei und blankem Opportunismus.

Dabei sollte ein Blick auf die angestrebten Koalitionspartner eigentlich zur Ernüchterung genügen. Gabriels SPD ist von der Partei August Bebels Lichtjahre entfernt. Und der Weg der Grünen von einer anfangs linksökologischen Protestpartei zur Kriegsunterstützer-Garde ist nicht minder frappierend.

Es ist höchste Zeit, sich des einzig verläßlichen Kompasses wieder zu bedienen. Wer vor den Namen von Marx, Engels und Lenin sowie den Begriffen Kommunismus und Sozialismus in einer linken Partei zurückscheut, sollte sich eher einem anderen Sektor des politischen Spektrums zuwenden.

Jetzt gilt es, offen zu sagen, daß die politischen und ökonomischen Machtverhältnisse geändert werden müssen. Natürlich werden die Bosse über uns herfallen. Na und! Nichts verbindet uns mit ihnen und ihren Hofschranzen in Politik und Medien. Die bis aufs Blut ausgesaugte Textilarbeiterin in Bangladesch steht uns tausendmal näher als ein deutscher Bourgeois.

Eine prinzipienfeste, revolutionäre Ziele verfolgende linke Partei mit Masseneinfluß und ohne sektiererische Einengung ist bitter nötig, bewegen wir uns doch mit Riesenschritten auf eine Zeit sozialer und ökologischer Katastrophen zu, die immer neue Kriege und Orwellsche Gesellschaftsmodelle in Reserve hält.

Ich habe Hochachtung vor den vielen Linken in der PDL, die sich dem Kurs der reformistischen DDR-Schmäher verweigern und alle Kräfte im täglichen Kampf aufbieten. Ich bin mir auch dessen gewiß, daß es in der SPD nicht wenige Menschen geben dürfte, derer sich Bebel und Liebknecht nicht schämen müßten. Doch leider bestimmen weder die einen noch die anderen den Kurs ihrer Partei. Das sollte sich ändern!

Ulrich Guhl

*

Über Lügen mit kurzen Beinen und zerplatzende Seifenblasen

Dümmer, als die Polizei erlaubt

Die im RF 118 vom Januar 2013 schon einmal veröffentlichte Aufnahme wurde im Herbst 1976 in einer Torgauer Kinderkrippe gemacht. Sie zeigt die als "Frottee-Zwerge" bezeichneten fröhlichen Kinder nach einem gemeinsamen Bad unter der Obhut ihrer Erzieherinnen.

Doch was professionelle Antikommunisten und Hasser der Sowjetunion aus dem Foto machten, übersteigt menschliche Vorstellungskraft. Im Juni 1978 tauchte es stark beschnitten nämlich als Titelbild der durch die sogenannte Hilfsaktion Märtyrerkirche herausgegebenen Zeitschrift "Stimme der Märtyrer" wieder auf.

Die Reproduktion war äußerst grobkörnig. Der Begleittext lautete: "Kinder in Häftlingskleidung. Ein aus dem Sowjet-KZ in der UdSSR geschmuggeltes Bild. Die Kinder wurden in einem Häftlingslager geboren und wachsen dort auf, bis die Eltern einmal entlassen werden." Die Lügen hatten jedoch kurze Beine. Schon die übernächste Nummer der Zeitschrift "Stimme der Märtyrer" brachte eine gewundene Entschuldigung für die plumpe Bildfälschung. Man sei "Opfer einer geschickten Irreführung geworden", hieß es lakonisch.

Sind die ehemaligen DDR-Bürger nicht seit 1990 - sieht man von der vorangegangenen Einwirkung westdeutscher Medien ab - und waren die Bürger der Alt-BRD nicht seit 1949 Opfer ununterbrochener Irreführung? Die Lügen-Story - nur ein Beispiel von vielen - spricht für sich!


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- "Badefreuden für die Jüngsten" - Aufgenommen im Herbst 1976 von der ADN-Fotoreporterin Waldtraud Raphael in Torgau. Auf der WORLD-PRESS-PHOTO-Ausstellung 1976 erhielt das Bild einen zweiten Preis in der Kategorie "Das schöne Foto".

- Titelseite der Zeitschrift "Stimme der Märtyrer"

*

Neue Weissagungen einer elitären bürgerlichen "Denkfabrik"

Düstere Prognosen des "Club of Rome"

Seit 2012 macht "Der neue Bericht an den Club of Rome" die Runde. Herausgeber ist Jorgen Randers - einer der wenigen noch lebenden Wissenschaftler, die schon 40 Jahre zuvor am ersten Bericht dieses elitären Gremiums mitgearbeitet haben. Der Report trug den Titel "Grenzen des Wachstums". Randers will einerseits die Bilanz der gesellschaftlichen Entwicklung seit 1972 ziehen, die für ihn enttäuschend ist, andererseits stellt er seine "globale Prognose für die nächsten 40 Jahre" vor. Er sieht (immer noch) Chancen, daß die Menschheit ihre weltweiten Probleme lösen könnte, wenn die seit dem ersten Bericht gesammelten Erfahrungen des verflossenen Zeitraumes genutzt würden.

Machen wir uns zunächst einmal mit Entstehung und Entwicklung des "Club of Rome" vertraut. Die Gründung erfolgte 1968. Der erste Paukenschlag war Denis und Donella Meadows schon erwähnter Bericht von 1972. Er wurde in 25 Sprachen übersetzt und in 12 Millionen Exemplaren verbreitet. Die Autoren fragten nach den Ressourcen, die das Überleben der Menschheit ermöglichen, und gingen davon aus, daß es dafür hinreichender Reserven zur Versorgung der rapide anwachsenden Erdbevölkerung bedürfe. Die damals von ihnen aufgeworfenen Fragen lassen sich verdichten: Wie lange werden die entdeckten Rohstoffe und Energien reichen? Wie belastbar sind die lebensnotwendigen Umweltbedingungen wie Wasser, Luft, Boden und Artenvielfalt?

Es war unübersehbar geworden, daß ein bloßes "Weiter so!" in die Katastrophe führen würde. Überdies begann damals das "Computer-Zeitalter". Es wurde möglich, mathematische Modelle für die Zukunftsentwicklung zu erarbeiten. Indem der Bericht die "Grenzen des Wachstums" nachwies, löste er eine bis heute anhaltende Debatte über den Zusammenhang von Ökologie, Ökonomie und Politik aus. 20 Jahre nach ihrem ersten Dokument brachten die Meadows 1992 mit dem Report "Die neuen Grenzen des Wachstums" ihre Daten auf den letzten Stand. Dabei stellte sich heraus, daß die Reserven bei einigen Rohstoffen offensichtlich größer waren, als man angenommen hatte. Bei der Bilanz für die Dritte Welt ergab sich indes eine Verschlechterung der Lage auf der südlichen Halbkugel: Die Zerstörung fruchtbaren Bodens ging weiter; die Trinkwasserreserven waren einmal mehr geschrumpft, wobei die zunehmende Verknappung zu einer Reihe militärischer Konf likte geführt hatte; die Vernichtung tropischer Wälder beschleunigte die Klimaverschlechterung auf dramatische Weise.

Gerade in der Dritten Welt war zu sehen, wie schnell die profitorientierte Ausplünderung der Naturreichtümer sich als Katastrophe für die ganze Menschheit erweist.

Eine der Erfahrungen der Meadows lautet: Politiker dürfen nicht davon ausgehen, daß es "der Markt" schon richten werde. Der folgt nämlich nicht den Gesetzen der Vernunft. Ein Blick auf die Entwicklung in Afrika und im Mittleren Osten zeigt zudem: Konflikte und von außen angeheizte Bürgerkriege haben in erschreckendem Ausmaß zugenommen, nicht zuletzt deshalb, weil die Habenichtse ihren Anteil am Wohlstand einfordern. Die Imperialisten aber entfesseln geradezu klassische Kolonialkriege wie in Irak, Afghanistan, Libyen, Syrien und anderswo.

Wie reagierte die BRD auf die Aktivitäten des "Club of Rome", der vor allem durch Bücher von Ernst Ullrich von Weizsäcker und Klaus Töpfer unterstützt wurde?

Bei den meisten bundesdeutschen Politikern schrillten in den 70er Jahren keineswegs die Alarmglocken. Allein Willy Brandt übergab als Vorsitzender der Nord-Süd-Kommission der UNO am 12. Februar 1980 deren damaligem Generalsekretär Kurt Waldheim einen als "Brandt-Report" in die Geschichte der UNO eingegangenen Bericht.

Waldheim übersandte ihn allen 153 seinerzeitigen Mitgliedstaaten. Die Weltbank mit dem früheren US-Kriegsminister Robert McNamara an der Spitze leitete "Hilfsmaßnahmen" ein, auch die Kirchen sicherten "Unterstützung" zu.

Obwohl der "Brandt-Report" in den 70er und 80er Jahren die Diskussion um Fragen der Entwicklungshilfe stark beeinflußte, was ich damals in Afrika und Großbritannien selbst wahrnehmen konnte, kam es nur zu mageren Resultaten, sieht man vom Handeln sozialistischer Staaten ab. Der Zusammenbruch der UdSSR und der mit ihr verbundenen europäischen RGW-Länder wirkte sich auf die Dritte Welt dramatisch aus.

Die Arbeit des "Club of Rome" ist historisch nicht überholt. Glücklicherweise gibt es auch heute bürgerliche Wissenschaftler, die vor Schwierigkeiten nicht sofort kapitulieren. Ernst-Ullrich von Weizsäcker gab 2006 unter Mitarbeit anderer das Buch "Grenzen der Privatisierung" heraus. 53 Autoren führen in ihren den ganzen Erdball betreffenden Fallstudien den Beweis, daß die ungezügelte Privatisierung folgenschwere Negativwirkungen auslöst.

Weizsäcker hat 2013 auch das Vorwort zu Ugo Berdis "Der geplünderte Planet" geschrieben, das die Situation und die Zukunft auf dem Gebiet der Rohstoffversorgung analysiert. Das Buch ist der 33. Bericht des "Club of Rome" und eine weitere Fortschreibung des ersten Reports von 1972.

Jorgen Randers schließt den Reigen mit "2052. Der neue Bericht an den Club of Rome". Der Norweger ist Klimastratege. Seine Ausarbeitung stellt sich zwei Aufgaben: die Ergebnisse der 40 Jahre zwischen 1972 und 2012 zu bilanzieren und eine Prognose für den Zeitraum bis 2052 zu wagen.

Der Autor zeigt sich pessimistisch. Keines von den bisher angestrebten Zielen sei erreicht worden, vermerkt er, ohne die Existenz des Sozialismus in Europa bis 1990, die negativen Folgen des Kalten Krieges und des Wettrüstens bei seiner Analyse zu berücksichtigen. Mit Blick auf die Zukunft stellt er fünf Fragen: Wird das Wirtschaftswachstum sein Ende finden? Wie wird sich der Konsum, insbesondere in Asien, entwickeln? Wird die Eintracht zwischen den Generationen zu Ende gehen? Welche Folgen zeitigt der Klimawandel? Und: Welches Extremwetter wird sich 2052 herausgebildet haben?

Der Autor zieht dabei die Fortexistenz des Kapitalismus nicht in Zweifel. Randers vertritt den Standpunkt, daß das Bevölkerungswachstum weiter zunimmt, während die Nahrungsmittelproduktion aus vielen Gründen zurückgehe. Schwere Zeiten würden für die Meere wie für die arktischen Gewässer eintreten. "Wird die Welt zusammenbrechen?" fragt der Wissenschaftler aus Skandinavien.

Makaber ist, wie Randers einen möglichen Atomkrieg in Erwägung zieht. Die Bomben würden zwar etwa 100 Millionen Menschen töten, die Weltwirtschaft aber nur um acht Monate zurückwerfen. "Die Ungerechtigkeit, daß die einen getroffen werden und die anderen nicht", könne nicht hingenommen werden. Solche Notizen eines bürgerlichen Denkers bedürfen wohl keines Kommentars.

Randers spricht sich für einen "modifizierten Kapitalismus" aus, in dem weises Regieren an Bedeutung gewinne. Leider sagt er nicht, wo so etwas zu finden ist. Er selbst bezweifelt, daß es die Menschheit schafft, ihr Überleben zu sichern.

Prof. Dr. Horst Schneider

*

Als ein abnickbereiter Bundestag die Hartz-IV-Gesetze durchwinkte

Ein übles Unterfangen

Man schrieb das Jahr 1998. Aus den Bundestagswahlen ging eine regierende Koalition aus SPD und Grünen hervor. Die Wirtschaftsbosse zeigten sich mit den Rahmenbedingungen der Kapitalverwertung unzufrieden, während für die Lösung sozialer Konflikte kein Ausweg in Sicht war. So bedrängten sie Kanzler Schröder, ein Konzept entwerfen zu lassen, um der Lage Herr zu werden. SPD und Grüne segneten dann die ihnen unterbreitete Agenda 2010 im Juni 2003 mit satter Mehrheit ab.

Peter Hartz, damals Personalvorstand der Volkswagen-AG und Namensgeber der kriminellen Operation, wurde mit deren Umsetzung betraut. Die Kommission unter seiner Leitung hieß bald allgemein nur noch "Hartz IV". Jahre später wurde der Pate des sinisteren Unterfangens wegen Bestechung gerichtlich verurteilt. Dabei ging es allerdings nicht um die von ihm entwickelten Gesetze. Mitglieder der Kommission waren fast ausschließlich Vertreter großer Unternehmen oder ihrer Beraterfirmen. Um das Dekor zu wahren, zog man auch willige Jasager aus Gewerkschaftsführungen und SPD-Gremien hinzu. Einer von ihnen war der ehemalige Leipziger Oberbürgermeister Tiefensee, später Minister der Bundesregierung und heute Kabinettsmitglied Bernd Ramelows in Thüringen.

Bereits am 17. Oktober 2003 wurden die Hartz-IV-Gesetze vom abnickbereiten Bundestag durchgewinkt. Das Projekt diene der Verwaltungseinsparung und verbessere die Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt, hieß es offiziell. Das war von Beginn an eine Lüge! Einsparungen sollten sich aus der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe ergeben.

Nun wurde eine Eigendynamik in Gang gesetzt, welche Hartz IV zu einer echten Untat werden ließ. Gemeint sind hier nicht die Gesetze an sich, sondern die exzessiv gesetzlose Praxis ihrer Umsetzung und der Wust von Verwaltungsvorschriften, die sich je nach "Geschmack" interpretieren lassen.

Zuvor erfand man bereits die sogenannte Zufluß-Theorie. Ihr zufolge müssen sämtliche "Zuflüsse" an Geld, Geschenken oder sonstigen Zuwendungen gemeldet und dem ALG 2 als Einkommen zugeschlagen werden - auch dann, wenn der Betreffende bereits zuvor deren Eigentümer gewesen ist. Wichtigste Komplizen sind hierbei die Sozialgerichte, die in der Regel lediglich die Willkür der Arbeitsämter (Jobcenter) bestätigen. Die Justiz schützte sich gegen Rechtsbeistände der Betroffenen, indem sie die Bedingungen zur Gewährung von Prozeßkostenhilfe verschärfte.

Mit böswilligen Auslegungen und Behauptungen zerren die für sie zuständigen Behörden Erwerbslose vor die Amtsgerichte, um Sozialmißbrauchsfälle zu konstruieren. Aber auch die Methode, den Zoll in Marsch zu setzen, um Beschlagnahmen zu vollziehen, gehört zum Repertoire. Gerichte sprechen Geldstrafen gegen Arbeitslose aus, von denen sie ganz genau wissen, daß die Betroffenen nicht die geringste Chance haben, sie zu begleichen. So werden ersatzweise verhängte Gefängnisstrafen vollstreckt. Arbeitszuweisungen der Ämter werden wie Gesetze gehandhabt und sind in der Sozialgerichtspraxis als solche anerkannt, obwohl keine demokratische Institution jemals deren legislativen Charakter bestimmt hat. Einsprüche gegen Entscheidungen werden oftmals von denselben Personen bearbeitet, welche sie zuvor getroffen haben. So sind Mitarbeiter der Ämter und Center Ermittler, Entscheidungsbefugte und Ausführende in einer Person, Kontrollmaßnahmen aber grundsätzlich nicht vorgesehen.

Für Hartz-IV-Bezieher gilt eine strikte Bindung an den Wohnort. Wer diesen verlassen will, muß sich zuvor abmelden und seine Rückkehr persönlich mitteilen. Derjenige aber, dem unerlaubte Abwesenheit nachgewiesen wird, kann sein Unterhaltsrecht komplett verlieren. Freizügigkeit, wie sie das Grundgesetz vorschreibt, gibt es für Hartz-IV-Empfänger also nicht. Wer Meldeterminen nicht nachkommt, dem streicht man schließlich alles. Jedes halbe Jahr bekommt der Betroffene eine "Eingliederungsvereinbarung" zur Unterschrift vorgelegt. Verweigert er die Signatur, erhält das Dokument per Gerichtsbeschluß seine Wirksamkeit.

Für die Medienmacher gelten Hartz-IV-Bezieher oft genug als Quasi-Halbkriminelle, die dem Staat aus Arbeitsunlust auf der Tasche liegen. Millionen schuften für einen Hungerlohn. Damit sie mit ihren Einkünften auch nur knapp über die Armutsgrenze gelangen, müssen sie bei den Arbeitsämtern den Antrag auf Zahlung der Differenz zu Hartz IV stellen. Wer eine "zumutbare" Arbeit ablehnt, dem kann ebenfalls nahezu alles entzogen werden. Das ist de facto Zwangsarbeit, die das GG strikt verbietet.

Kontoschnüffelei sowie Einsicht in Dokumente sämtlicher Behörden ohne Einwilligung der Betroffenen gehören zu den Befugnissen der Arbeitsämter. Wer einen ALG-2-Antrag stellt, verliert das elementare Menschenrecht auf Selbstbestimmung.

Man darf durch Arbeit hinzuverdienen, aber nicht etwa bis zur Armutsgrenze, sondern nur 100 Euro im Monat. Was darüber liegt, wird zu 80 % (!) vom Arbeitsamt eingezogen. Bekommt man von dieser Behörde einen Brief, bei dem es um Geld geht, dann lautet der Tenor in der Regel: "Sie haben zu Unrecht erhalten ..."

Versicherungen und Banken können sich die Hände reiben, denn wer für das Alter gespart hat, der muß sein Guthaben vor der Gewährung von ALG 2 auflösen, wenn er noch nicht Rentner ist und arbeitslos wird. Schon der dadurch eintretende persönliche Verlust geht - summiert man die Beträge - in die Hunderte Milliarden Euro, von der zu erwartenden Altersarmut ganz abgesehen.

Katastrophal sind die Bildungschancen für betroffene Familien. "Bildungsgutscheine", die beantragt werden können, ändern an deren Situation nur wenig.

Leiharbeit und Lohndumping haben inzwischen Ausmaße angenommen, die Deutschland als ein Billiglohn-Land erscheinen lassen. Andererseits aber sind die Unternehmensgewinne exorbitant gestiegen. Sie werden gnadenlos auf den Börsenmarkt geworfen, wo sie weiteres Unheil anrichten. Wer aber ist an all dem schuld? Die politisch Verantwortlichen kennt man. Doch es gibt keine Untaten dieses Kalibers ohne jene, welche sie mit "vorauseilendem Gehorsam" umsetzen.

Die überwiegende Mehrheit der auf das Grundgesetz verpflichteten Minister und Bundestagsabgeordneten - von echten Linken abgesehen - spielt dabei einen entscheidenden Part.

Jochen Singer, Leipzig

*

Der Leipziger Lithograph Karl Pinkau fotografierte Marx und Engels

Mein Großvater war SPD-Urgestein

Am 17. September 1967 erschien im damaligen SED-Zentralorgan Neues Deutschland ein Beitrag unter der Schlagzeile "Lenin, die Bolschewiki und Leipzig" des Autors Karl Wiegel von der Abteilung Geschichte der Arbeiterbewegung des in der Messestadt angesiedelten Dimitroff-Museums. Darin war auch von bislang weniger bekannten Vorgängen die Rede. Lenin habe bei konspirativen Aufenthalten in Leipzig aus Sicherheitsgründen stets eine Wiener Adresse angegeben, um die Geheimpolizei zu täuschen. Damals hielt er - neben anderen Aktivitäten - im Leipziger Hotel Hochstein zwei Vorträge: "Über den revolutionären Aufstieg" und zum Wirken von Leo Trotzki.

Bei meinem 1859 geborenen Großvater Karl Pinkau hatte übrigens der Setzer Blumenfeld, der die Leninsche "ISKRA" (Der Funke) herstellte, Quartier bezogen. Ich halte es für möglich, daß mein Ahn - von Beruf Lithograph und Fotograf, der damals vielbeachtete Aufnahmen von Karl Marx und Friedrich Engels gemacht hat -, an dessen Arbeit unmittelbar beteiligt gewesen ist. 1912 ließ Lenin in der Druckerei der Leipziger Volkszeitung eine Broschüre in deutscher Sprache herstellen. Ihr Titel lautete "Zur gegenwärtigen Sachlage in der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Rußlands".

Meine Großeltern wohnten damals in der Hohenzollernstraße, aus der später die Tauchaer Straße wurde. Karl Pinkau war mit der Beschaffung illegaler Quartiere für die russischen Genossen beauftragt. Bei ihm verkehrten neben vielen anderen Prominenten jener Zeit auch Clara Zetkin und Wilhelm Liebknecht. Sein Bruder versteckte Jahrzehnte später - während der faschistischen Diktatur Hitlers - die Original-Fotoplatten mit den Porträts führender SPD-Mitglieder, um deren Existenz zu sichern.

An eine Episode aus meiner Kindheit kann ich mich noch lebhaft erinnern: Kurz vor Weihnachten baute mein Vater Jahr für Jahr eine kleine Märklin-Eisenbahn auf und sagte uns, ohne dabei auf großes Verständnis zu stoßen, er habe sie "von einem Liebknecht" geschenkt bekommen.

Doch zurück zu früher Geschehenem: In der Zeit des Bismarckschen Sozialistengesetzes war Karl Pinkau für den Vertrieb des "Vorwärts" verantwortlich. Zusammen mit Wilhelm Liebknecht wurde er in dieser Zeit aus Leipzig verbannt, so daß er im nahegelegenen Borsdorf seine Zelte aufschlagen mußte. In der vom Stadtschreiber fein säuberlich zu Papier gebrachten, 16 Seiten umfassenden Anklageschrift gegen ihn hieß es, zu Karl Pinkaus Untaten gehöre die Verbreitung der Bebelschen Schrift "Die Frau und der Sozialismus", von der er etwa 100 Exemplare an der Ecke Harkorthstraße vertrieben habe.

Gemeinsam mit Wilhelm Liebknecht, Hermann Rauh und anderen Genossen trug mein Großvater auch für den Versand illegaler Literatur Verantwortung. Nach Angaben meines Vaters soll er überdies an Tagungen der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAPR) in Rußland und der Schweiz teilgenommen haben.

Die SPD entsandte Karl Pinkau als einen ihrer Vertreter zum Gründungskongreß der Zweiten Internationale nach Paris. Seine Delegiertenkarte soll sich unter den Requisiten der Friedrich-Ebert-Stiftung befinden. Ich erinnere mich noch gut daran, daß einer meiner Lehrer an der SED-Bezirksparteischule seinerzeit den Auftrag hatte, sie käuflich zu erwerben. Das Vorhaben scheiterte aber, wie es hieß, an fehlenden finanziellen Mitteln.

Eine Reihe von Unterlagen und Fotos führender SPD-Genossen habe ich 1960 dem Leipziger Dimitroff-Museum übergeben. Unter diesen Dokumenten befanden sich auch der gesamte Schriftverkehr meines Großvaters zu den Reichstagswahlen, Schmähbriefe bürgerlicher Parteiführer sowie Aufnahmen Clara Zetkins, die von Karl Pinkau in deren Jugendjahren gemacht worden waren. Dieser gehörte der Leipziger Stadtverordnetenversammlung (1894-1898/1902-1908), dem Sächsischen Landtag (1893-1895) und während mehrerer Legislaturperioden dem Deutschen Reichstag an. Zwischen 1920 und seinem 1922 nach einer unglücklich verlaufenen Operation eingetretenen Tod war Karl Pinkau auch noch Mitglied des ersten Reichstags der Weimarer Republik. Übrigens findet sein Name auch in der "Geschichte der SED" Erwähnung.

Klaus Pinkau, Leipzig

*

RF-Extra

Wahrheiten und Mythen über Dresdens Zerstörung im Februar 1945

Dem Schicksal Hiroshimas knapp entronnen

Am 13. Februar jährt sich zum 70. Mal die Zerstörung Dresdens durch anglo-amerikanische Bombenabwürfe. Auch diesmal gibt dieser Tag Anlaß zu Debatten, ob und auf welche Weise man des Ereignisses gedenken sollte. Seit mehreren Jahren begegnet man einer weitverbreiteten Auffassung, es gelte, einem "Mythos Dresden" entgegenzutreten. Diese Vorstellung vertreten selbst einige Linke. Von den Aktivisten einer "Entmythologisierung" Dresdens wird darauf verwiesen - und das zweifellos zu Recht - daß das faschistische Deutschland den 2. Weltkrieg entfesselt und Görings Luftwaffe zuvor Guernica, Coventry und Rotterdam bombardiert hatte. Das aber ist aus meiner Sicht nur ein Teil der Wahrheit und stellt eine gewisse Vereinfachung der Geschichte dar.

Der deutsche Faschismus entstand nicht im luftleeren Raum, sondern wurde vom eigenen Kapital wie von den Westmächten jahrelang aufgepäppelt. Sie hofften mit ihrer heimtückischen Politik des "Appeasement" (Befriedung) die Aggressivität Nazideutschlands von sich abwenden und allein gegen die Sowjetunion richten zu können. Ohne Skrupel duldeten sie deshalb sämtliche Völkerrechtsbrüche, Provokationen und Annexionen der deutsch-faschistischen Führung. Das begann bereits mit dem Stillhalten beim Einmarsch der Wehrmacht in die entmilitarisierte Rheinzone, setzte sich in der "Nichteinmischung" nach Francos, Hitlers und Mussolinis Überfall auf die Spanische Republik sowie der anschließenden Einverleibung Österreichs und dem Münchner Abkommen fort, mit dem die Tschechoslowakei Hitler zum Fraß vorgeworfen wurde. Zugleich lehnte "der Westen" sämtliche Vorschläge der UdSSR zur Schaffung eines Systems der kollektiven Sicherheit ab.

Der 2. Weltkrieg war anfangs ein Zusammenprall zweier imperialistischer Koalitionen, wobei man die Unterschiede im Auge haben muß. Einige westliche Politiker verhehlten selbst in öffentlichen Reden nicht ihre Hoffnung, daß sich Deutschland und die Sowjetunion gegenseitig aufreiben würden. So erklärte der Senator und spätere USA-Präsident Harry S. Truman nur einen Tag nach dem Überfall der faschistischen Wehrmacht auf die UdSSR: "Wenn wir sehen, daß Deutschland gewinnt, sollten wir Rußland helfen, und wenn Rußland gewinnt, sollten wir Deutschland helfen. damit sich auf diese Art und Weise so viele wie möglich gegenseitig töten."

Als ein Hauptargument für Zurückhaltung wird angeführt, Dresden sei schließlich "keine unschuldige Stadt" gewesen. Auch wenn gewisse hierzu vorgebrachte Begründungen zutreffen, ändert das nichts am barbarischen Charakter des Angriffs auf eine wehrlose Zivilbevölkerung. (Spielte da etwa die Tatsache eine Rolle, daß Dresden bereits im Gespräch war, als einzig unzerstörte deutsche Metropole Teil der künftigen sowjetischen Besatzungszone zu werden?)

Übrigens lehnte die UdSSR, die ungleich mehr Opfer und Zerstörungen zu beklagen hatte, und deren Territorium die faschistischen Aggressoren jahrelang verwüsteten, Flächenbombardements gegen Städte prinzipiell ab.

Im Februar 1945 gab es an der bevorstehenden Niederlage des faschistischen Deutschlands keinen Zweifel mehr. Dresden galt nicht als Festung und mußte daher auch nicht von Truppen der Alliierten gestürmt werden. Dort befanden sich allerdings kriegswichtige Betriebe wie das Sachsenwerk sowie militärische Objekte und der durch die Luftwaffe genutzte Flugplatz. Doch diese Ziele sollten ja überhaupt nicht angegriffen werden.

Eine Luftaufnahme der britischen Royal Air Force (RAF), auf welcher der vorgesehene Bombardierungsbereich exakt eingezeichnet war, ließ erkennen, daß sich die Bombenabwürfe der westalliierten Geschwader auf das dicht besiedelte Zentrum der Elbestadt beschränkten.

Bei der ersten Angriffswelle wurden vor allem gewaltige Mengen von Brandbomben eingesetzt, die einen verheerenden Feuersturm entfachten. Rettungsuchende wurden von haushohen Flammenbarrieren eingeschlossen. Der zeitliche Abstand zwischen den beiden Angriffen - verfolgt wurde eine Strategie des Doppelschlags - war minutiös berechnet. Zwischen der ersten und der zweiten Welle durften nur etwa drei Stunden vergehen. Diese erfolgte, als die Lösch- und Rettungsarbeiten in vollem Gange waren und die faschistischen Nachtjäger (der Flakeinsatz erwies sich als bedeutungslos) noch nicht wieder starten konnten. Nun wurden hauptsächlich Sprengbomben auf die lodernde Stadt und deren wehrlose Einwohner abgeworfen. Es sollten so viel Menschen wie nur irgend möglich getötet werden.

Der Angriff leistete keinen Beitrag zu einer schnelleren militärischen Niederwerfung Hitlerdeutschlands oder zur effektiven Unterstützung der heranrückenden Roten Armee. Er war auch nicht, wie von imperialistischen Kreisen behauptet, mit Moskau in irgendeiner Weise abgesprochen.

Im Sommer 1944 wurde den Generalstabschefs der Westalliierten ein Memorandum zu einem besonderen, also in seiner Wirkung weit über die Folgen bisheriger Bombardements hinausgehenden Luftangriff auf eine deutsche Großstadt vorgelegt. "Dieser könnte ungeheure Zerstörungen hervorrufen, wenn sich der Angriff auf eine einzige große Stadt außer Berlin konzentrieren würde. Die Wirkung wäre besonders groß, wenn es sich dabei um eine Stadt handelte, die bis dahin nur relativ geringe Zerstörungen erlitten hätte", hieß es in dem Beratungsdokument. Die geplante Operation erhielt die Bezeichnung "Thunderstorm" (Gewitter).

Auf Anraten des Vereinigten Planungskomitees wurde die Umsetzung des Vorhabens bis zu einem Zeitpunkt aufgeschoben, in dem der Vereinigte Nachrichtenausschuß die Umstände für eine erneute Prüfung seiner Möglichkeiten als günstig erachten würde. Diese Zurückhaltung hatte Gründe: In den USA wurde nämlich seit Beginn der 40er Jahre fieberhaft an der Entwicklung einer Atombombe gearbeitet. Der Leiter des Projekts rechnete mit der Einsatzfähigkeit der ersten Massenvernichtungswaffe im Januar 1945.

Am 25. Januar empfahl der Vereinigte Nachrichtenausschuß dann dem britischen Premier Winston Churchill eine modifizierte Durchführung der Aktion "Thunderstorm". Da die Atombombe noch nicht zur Verfügung stand, sollte sie mit konventionellen Waffen erfolgen.

Vom 3. bis 11. Februar 1945 tagte in Jalta die Krimkonferenz der Alliierten der Antihitlerkoalition. Churchill ging es darum, die Sowjetunion nach ihrem überzeugenden Erfolg bei der Weichsel-Oder-Offensive im Januar, der den anglo-amerikanischen Imperialisten äußerst ungelegen gekommen war, durch eine Demonstration westlicher Luftmacht in einen Schockzustand zu versetzen, um mit Moskau aus einer Position der Stärke verhandeln zu können.

Auf Grund ungünstiger Witterungsbedingungen mußte die Operation jedoch verschoben werden und konnte erst wenig später erfolgen. Damals rechneten die Westalliierten fest damit, daß der Krieg in Europa nicht vor der zweiten Jahreshälfte 1945 beendet sein würde. Wäre dies der Fall gewesen, hätten die USA mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ihre erste Atombombe über Dresden abgeworfen. Daß dieses Völkermordverbrechen nicht geschah, ist einzig und allein dem unerwartet schnellen Vormarsch der Roten Armee zu danken.

Es geht nicht um die Schaffung und Aufrechterhaltung eines angeblichen Mythos, nicht einmal um Dresden an sich, sondern um Tatsachen und Hintergründe, die heute nicht mehr den Geschichtsbüchern zu entnehmen sind. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Sie widersprechen dem antikommunistisch eingefärbten "Zeitgeist" und sind in NATO-Kreisen deshalb unbequem.

Während des 2. Weltkrieges gab es in politischen Führungszirkeln Großbritanniens wie der USA einflußreiche Gruppierungen, die einen Separatfrieden mit Hitlerdeutschland anstrebten, um gemeinsam mit der Wehrmacht gegen die Sowjetunion zu marschieren. Churchill bekannte nach der Niederlage des faschistischen 3. Reiches ganz offen: "Wir haben das falsche Schwein geschlachtet."

Den heutigen NATO-Verbündeten darf ein Schandfleck wie die Zerstörung der Kulturmetropole Dresden nicht länger anhaften. So muß das mörderische Flächenbombardement an der Elbe als eine "ganz normale militärische Operation" dargestellt werden. In diesem Sinne erfolgte offenbar auch die von einer amtlich bestallten Dresdner Historikerkommission vor längerer Zeit betriebene Reduzierung der Zahl der Opfer der Luftangriffe auf 18.000 bis 25.000 sowie die Leugnung der Tieffliegereinsätze am 14. Februar 1945. Jetzt heißt es auf einmal, in Wirklichkeit habe es sich um Luftkämpfe zwischen Maschinen der U.S. Air Force und deutschen Jägern gehandelt.

Diese These ignoriert sämtliche erschlossenenQuellen: Dokumente und Augenzeugenberichte jener, welche das Inferno er- und überlebten. Tatsächlich war den Piloten die ausdrückliche Erlaubnis erteilt worden, auch "Gelegenheitsziele" mit Bordwaffen anzugreifen.

Welchen Grund gab es überhaupt, die in der DDR ermittelte und jahrzehntelang als gesichert geltende Zahl von 35.000 Toten in Frage zu stellen? Auf dem Dresdner Heidefriedhof sind 28.746 Opfer beigesetzt. Bekannt ist überdies, daß im Feuersturm sehr viele von ihm erfaßte Menschen buchstäblich verglüht sind.

Die "neueren Ermittlungen" wurden über weite Strecken mit zweifelhaften, untauglichen Methoden geführt. Ihre Ergebnisse beruhen häufig auf falschen Prämissen und unbewiesenen Behauptungen. Auch wenn es nicht belegt werden kann, dürfte die Vermutung, daß es sich bei diesen "Recherchen" um ein politisch motiviertes Auftragswerk gehandelt hat, nicht unbegründet sein.

Der Faschismus war keine Ausgeburt der "unergründlichen deutschen Volksseele". Seine Wurzel ist der Imperialismus und nicht irgendeine nationale Wesensart. Die Bombardierungen von Guernica. Warschau, Coventry, Rotterdam, Leningrad und vielen anderen Städten durch Görings Luftwaffe waren daher nicht in erster Linie "deutsche", sondern imperialistische Verbrechen. Dieser Maßstab muß ebenso an die Auslöschung der Dresdner Innenstadt angelegt werden.

Er gilt auch für die US-Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki. Völkermordverbrechen sind unabhängig davon, ob sie von deutschen, englischen, amerikanischen oder anderen Imperialisten begangen werden, Ausgeburten des Systems. Daß Hitler zuerst England und Frankreich angegriffen hatte und die Sowjetunion im Rahmen der Antihitlerkoalition mit den Westalliierten ein den Sieg über den Faschismus ermöglichendes Bündnis eingegangen war, darf nicht zu Unschärfen bei der Wahrnehmung von Klassenpositionen verleiten. Die westlichen Alliierten erscheinen bei einer solchen Betrachtungsweise gewissermaßen als "natürliche Verbündete" der Sowjetunion, während sie wie die UdSSR unterschiedslos als Opfer betrachtet werden. Das aber ist eine Vereinfachung. Zwischen den Westmächten und Nazideutschland bestand - bei allen Gegensätzen - ein gemeinsames Klasseninteresse an der Vernichtung der im Kriegsverlauf zur Großmacht gewordenen sozialistischen Sowjetunion.

Die Erfinder eines angeblichen Mythos Dresden blenden solche Tatsachen und Zusammenhänge völlig aus, hauen andererseits aber in die Kerbe der "Antideutschen", wenn sie um "Verständnis" für die Bombardierung Dresdens werben und dabei die These übernehmen, die Toten des Februar 1945 seien ja selbst Täter gewesen. Jene, welche die Bevölkerung einer ganzen Stadt auf solche Weise zu etikettieren versuchen und die es "Opfermythos" nennen, wenn es um das Gedenken an die damals qualvoll Gestorbenen geht, verleugnen damit jegliche Humanität. Wer auf Transparenten und Plakaten Parolen wie "Bomber Harris, do it again!" (Bomber Harris, tu es noch einma!) oder "No tears for krauts" (Keine Tränen für Deutsche) zur Schau stellt, ist kein Antifaschist!

Die neuen Nazis verfälschen die Geschichte des Dresdner Infernos vor allem durch das Unterschlagen der historischen Wahrheit. Sie verschweigen, daß der Krieg vom Hitlerfaschismus ausging und auf Deutschland zurückschlug. Sie leugnen damit auch dessen Hauptschuld an der Zerstörung Dresdens.

Doch es ist durchaus ein Unterschied, ob man die grundsätzliche Mitverantwortung eines Volkes an erwiesenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen anerkennt oder ob man es ohne jede Differenzierung als Täter bezeichnet. Menschen, welche die These "Es geschah ihnen recht!" ablehnen und ihrer zerfetzten, erschlagenen, zerquetschten, verbrannten und erstickten Angehörigen oder Vorfahren ehrenvoll gedenken, werden von Leuten, die allein ihre spätere Geburt vor diesen Greueln bewahrte, unberechtigt diffamiert. Auch das ist eine Form von Geschichtsrevisionismus, der Verfechtern neuer Varianten des Faschismus in die Hände spielt. Ihn charakterisierte Georgi Dimitroff einst als Herrschaft der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen und am meisten imperialistischen Kreise des Finanzkapitals.

Die seit Jahren in Dresden stattfindenden "Versöhnungs"-Rituale mit weißen Rosen, Kerzen und Menschenketten blenden die Tatsache aus, daß die einst Verantwortlichen für die Bombenteppiche über der Elbestadt und die Auslöschung Hiroshimas wie Nagasakis auch in Korea, Vietnam, Jugoslawien, Irak, Afghanistan und Syrien in gleicher imperialistischer Manier verfuhren und verfahren.

Dr. Klaus Schwurack, Dresden

*

Selbsttäuschung ist der größte Irrtum
Peter Scholl-Latour gab am 5. Juli 2014 der "Stimme Rußlands" ein Interview

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

Das Interview ist nachzulesen und nachzuhören unter:
Die Teilung des Iraks ist praktische vollzogen
http://de.sputniknews.com/german.ruvr.ru/2014_06_26/Die-Teilung-des- Iraks-ist-praktisch-vollzogen-5653/

Ende RF-Extra

*

Wir schließen Kubas Helden in die Arme

Seit vielen Jahren haben Millionen Antiimperialisten aller Kontinente - darunter auch wir - für die Befreiung der Cuban Five gekämpft. So nannte mittlerweile "alle Welt" jene fünf unerschrockenen Kundschafter Havannas, die in die Höhle des Löwen - die konterrevolutionäre Exilkubaner-Hochburg Miami - im Auftrag der Sicherheitsorgane ihres Landes eingedrungen waren. Mit Erfolg deckten sie gegen die Insel der Freiheit gerichtete Anschläge der Contras auf, um deren Durchkreuzung zu ermöglichen. Nachdem bereits zwei der von Fidel und Raúl als "Helden Kubas" hochdekorierten Aufklärer - René González und Fernando González - 2013 und 2014 in die Heimat zurückgekehrt waren, befinden sich inzwischen auch ihre drei zu noch drakonischeren Strafen verurteilten Genossen Gerardo Hernández, António Guerrero und Ramón Labañino wieder in der Geborgenheit ihrer sozialistischen Heimat. Nach einem Martyrium ohnegleichen konnten ihre überglücklichen Familien sie in die Arme schließen. Ganz Kuba tat das auch und genoß die Befreiung.

Der Gefangenenaustausch gehörte zu einer Reihe beiderseitiger Schritte, die der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den USA und Kuba den Weg bahnen. Obwohl in Washington und Havanna Botschaften des jeweils anderen Staates eingerichtet werden, kann von einer echten Normalisierung der Beziehungen so lange keine Rede sein, wie sich die imperialistische Hauptmacht nicht dazu entschließt, das vor über fünf Jahrzehnten gegen Kuba verhängte Handelsembargo bedingungslos aufzuheben. Darüber aber darf nur der US-Kongreß entscheiden, in dessen beiden Häusern Obamas Demokratische Partei keine Mehrheit besitzt.

Während Teile der USA-Öffentlichkeit und vor allem der Wirtschaft auf die sich abzeichnende Entspannung im Verhältnis zu Kuba mit Erleichterung reagierten, fehlt es andererseits nicht an jenen, die den verhaßten roten Nachbarn "in der Umarmung erdrosseln" oder einen "Wandel durch Annäherung" herbeiführen wollen.

Doch wie auch immer: Die glückliche Rückkehr der Cuban Five nach Havanna ist ein Grund zum Feiern. Sie läßt auch die Antiimperialisten in Deutschland trotz unverkennbarer Gefahren wieder ruhiger schlafen.

RF


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Nach 15 bzw. über 16 Jahren Haft sind die Cuban Five endlich wieder in Havana vereint.

*

Tobias Kriele über Jorgito und "Die Kraft der Schwachen"

Am Anfang des Films sieht man Babyfotos. Eine Nahaufnahme verursacht beim Betrachter Gänsehaut. Was mag sie damals bei den Eltern ausgelöst haben? Die Diagnose - beidseitige spastische Lähmung - wurde erst Wochen nach der Geburt gestellt. Zunächst schien der Säugling gesund zu sein und wurde mit der Mutter nach Hause entlassen. Doch dann reifte der Verdacht, daß mit ihm irgend etwas nicht stimmte.

Jorgito, eigentlich Jorge Enrique Jerez Belisario, wurde vor 21 Jahren - während Kubas Sonderperiode - in Camagüey geboren. Er sperrte sich zunächst rigoros gegen jede Form von Therapie. Die durchgeführten Behandlungen fanden in Havanna statt. Ein Umzug von Mutter und Sohn dorthin wurde notwendig, der Vater besuchte sie jedes Wochenende mit dem Auto - 550 km hin und 550 km zurück. Nach einer zermürbenden Zeit lernte Jorgito gehen und sich zu artikulieren. Er durchlief auch - teilweise in Einzelbetreuung - eine Schulbildung.

Ein erster Höhepunkt seines Lebens war der Kongreß der Pioniere, wo er sich - vierzehnjährig - von seinem Sitzplatz aus über Mikrophon zu Wort meldete und zunächst stockend, doch dann immer flüssiger Kuba für alles dankte, was es für ihn getan hatte. Am Ende war der halbe Kongreß in Tränen aufgelöst und Präsident Raúl Castro spendete stehend Beifall.

Seit seinem achtem Lebensjahr widmete sich Jorgito dem Kampf für die Befreiung der Cuban Five. Eine Szene des Films zeigt ihn bei einem flammenden Plädoyer für die fünf Aufklärer.

Auch einer Dokumentation über sich stimmt er nur unter der Bedingung zu, daß die Hälfte des Films die fünf zum Thema habe. Obwohl nur 37 Prozent von ihnen handelte, war er schließlich einverstanden, weil der Streifen doch zu 100 Prozent sein Kuba und das der fünf zeigt.

Tobias Kriele gelang es mit seiner Dokumentation, die Magie dieses Jungen einzufangen, der unter großen Belastungen seine Träume verwirklichen kann und stolz darauf ist, was er erreicht hat. Er zeigt ihn, der - geborgen in seiner Familie und seiner Stadt - zu einem jungen Mann in einem Land heranwächst, das ihm jegliche Hilfe gibt, derer er bedarf. Jorgito studiert inzwischen Journalistik.

Tobias Kriele stellte seinen Film "Die Kraft der Schwachen" am 15. Oktober 2014 im Kubanischen Institut für Völkerfreundschaft (ICAP) in Havanna vor. Neben dem Schöpfer des Streifens war auch Jorgito präsent. Bei der Veranstaltung traf er den neuen ICAP-Vizepräsidenten Fernando Gonzalez - einen der Cuban Five, der schon im Sommer 2014 nach langjähriger Haft in die Heimat zurückgekehrt war. Im Spätherbst 2014 hat Tobias Kriele seinen erfolgreichen Film im Beisein Jorgitos auf zehn Veranstaltungen in Deutschland vorgestellt.

RF, gestützt auf "Granma Internacional", Havanna

*

Putin: Rußland wird kein zweites Jugoslawien

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

*

Peter Mertens stattete dem RF einen Freundschaftsbesuch ab

Peter Mertens, Vorsitzender der Belgischen Partei der Arbeit (PvdA/PTB), hat der "RotFuchs"-Redaktion am 11. Januar einen Freundschaftsbesuch abgestattet. Er wurde vom PTB-Führungsmitglied Herwig Lerouge, Chefredakteur der theoretischen Zeitschrift "Études Marxistes", begleitet.

Die belgischen Genossen wurden durch RF-Chefredakteur Klaus Steiniger, die stellvertretenden Vorsitzenden des RF-Fördervereins Wolfgang Dockhorn und Walter Schmidt sowie Bruni Steiniger, Vorsitzende der RF-Regionalgruppe Berlin, herzlich willkommen geheißen.

Der intensive Gedankenaustausch mit den Genossen der heute am schnellsten wachsenden marxistischen Partei Westeuropas war von aufrichtiger Freundschaft und solidarischer Verbundenheit geprägt.

RF

*

Wurde Marine Le Pen der Weg in den Élysée-Palast
freigeschossen?

Solidarisch mit "Charlie Hebdo"

Am 7. Januar drangen maskierte und mit Maschinenpistolen bewaffnete ultraislamistische Terroristen in die Redaktionsräume des französischen Satire-Magazins "Charlie Hebdo" ein. Sie richteten in dem Gebäude an der Rue Nicolas im 11. Pariser Bezirk ein Blutbad an, bei dem 12 Menschen getötet und 11 verletzt wurden.

Das zu Rundumschlägen gegen "Gott und die Welt" neigende, in seinem Metier aber sehr profilierte und professionelle Blatt war bereits 2011 Ziel eines Brandanschlags gewesen und hatte seitdem ständig Attentatsdrohungen erhalten.

Nur zwei Tage nach dem Überfall auf "Charlie Hebdo", dem außer Chefredakteur Stéphan Charbonnière (Charb) auch der profilierte linke Karikaturist Georges Wolinski zum Opfer gefallen war, kam es im jüdischen Großmarkt "Hyper Cachet" an der Porte de Vincennes im 12. Pariser Bezirk zu einer weiteren Bluttat. Der mit den Akteuren des Verbrechens liierte Terrorist, der bereits am 8. Juni in Montrouge eine Polizistin erschossen hatte, brachte mehrere Geiseln in seine Gewalt, bis Gendarmen das Objekt stürmten und den gleichfalls schwerbewaffneten Täter töteten, nachdem er vier Geiseln erschossen hatte.

Der Redaktion von "Charlie Hebdo" wurde seitens offizieller französischer Stellen wie von den Medien erhebliche Hilfe zuteil, was das Weitererscheinen des kleinen Blattes in einer sensationell hohen (einmaligen) Auflage von drei Millionen ermöglichte. Die Linkskräfte der Grande Nation reagierten sofort. Der marxistisch-leninistische "Pol der kommunistischen Wiedergeburt in Frankreich" (PRCF) verurteilte die nur den Rechten und Faschisierern in die Hände spielende Bluttat unter eindeutiger Kennzeichnung des Frontverlaufs auf das entschiedenste. Paul Laurent, Nationalsekretär der FKP, stellte in einer Presseerklärung fest: "Keine politische Operation wird uns davon abbringen, allen Opfern der Gewalt unsere Ehre zu erweisen und die Botschaft der republikanischen Brüderlichkeit, die uns beseelt, zu übermitteln."

Erneut werde Haß gesät, um die Schuld an der Verschärfung jeglicher Spannungen in der Welt, an Kriegen und angeblichen Antworten auf Terrorismus zu verschleiern.

Nach der schrecklichen Woche mit insgesamt 17 Toten aus der Equipe von "Charlie Hebdo", den Polizeikräften und der jüdischen Gemeinde seien Millionen Menschen in ganz Frankreich bereit, nicht nur der Opfer zu gedenken, sondern auch das Recht auf freie Meinungsäußerung, eine weltliche Sicht und die Werte der Republik zu verteidigen.

Die New Yorker kommunistische Internet-Zeitung "People's World" verurteilte schärfstens die von den drei französischen Bürgern algerischer Abstammung begangenen Verbrechen und charakterisierte "Charlie Hebdo" als ein Satire-Magazin, das sowohl den Propheten Mohammed und den Koran als auch die römisch-katholische Kirche, den orthodoxen Judaismus und Politiker unterschiedlichster Richtungen der Lächerlichkeit preisgegeben habe. Neben äußerst beeindruckenden Arbeiten mit klarer Aussage habe es in dem Blatt auch nicht an Umstrittenem gefehlt. Die Zeitschrift stehe einerseits in der antiklerikalen Tradition der französischen Linken, erfreue sich andererseits aber auch bei Anhängern antimuslimischer und ausländerfeindlicher Auffassungen einer gewissen Resonanz.

Die jüngsten Anschläge in Paris begünstigten zweifellos jene, schreibt "People's World", welche Frankreichs 4,7 Millionen Bürger und Einwohner muslimischen Glaubens (7 % der Bevölkerung!) ohnehin noch schärferer Diskriminierung zu unterwerfen bestrebt seien.

Islamische Organisationen in Frankreich und Regierungen von Staaten mit moslemischer Mehrheit, aber auch andere politische Kräfte haben in Botschaften an Präsident Hollande das furchtbare Geschehen in Paris scharf verurteilt. "Regierung und Volk Venezuelas weisen die terroristischen Attacken zurück und drücken Frankreich, mit dem sie sich in Liebe verbunden fühlen, ihre Solidarität aus", mailte Präsident Nicolas Maduro aus Caracas.

Neben Verlierern und Leidtragenden gibt es aber auch eindeutige Gewinner. Schon ist an der Seine davon die Rede, daß die Salven auf "Charlie Hebdo" Wasser auf die Mühlen von Marine Le Pen seien. Sie könnte als Führerin des "minderrassige" Einwanderer nach Frankreich mit Haß überziehenden und bei aller populistischen Schminke unverkennbar faschistoiden Front National schon bald in den Élysée-Palast geschwemmt werden. Man erinnere sich daran, daß diese Rechtsaußenformation bei den vorjährigen Wahlen zum Europaparlament in Frankreich jede vierte Stimme erhalten hat! Le Pens Antwort auf die Pariser Attentate war der Ruf nach sofortiger Wiedereinführung der Todesstrafe.

Die Situation bleibt explosiv. Millionen junge Moslems, deren Familien meist aus Nordafrika einwanderten, sind ebenso frustriert wie das Heer der Flüchtlinge und arbeitsuchenden Migranten, von den schärfster Diskriminierung unterworfenen Roma ganz zu schweigen.

Während die rechtsbürgerliche UMP des früheren Präsidenten Sarkozy weiter Öl ins Feuer gießt, rühren der angeblich sozialistische Präsident Hollande und sein noch akzentuierter rechtsgerichteter Premier Valls bei aller Schaumschlägerei keinen Finger, um die Lage tatsächlich zu entspannen. Alle starren wie das Kaninchen auf die Schlange auf Marine Le Pens rasch weiter an Einfluß gewinnende FN. Was die Pariser Außenpolitik in bezug auf den arabischen Raum betrifft, so besteht Hollandes Hauptziel unverkennbar im Sturz des syrischen Präsidenten Assad - ein Betreiben, das extremen Islamisten offen in die Hände spielt.

Zurück zu "Charlie Hebdo": Wir versichern den von diesem blutigen Anschlag auf die Pressefreiheit betroffenen Pariser Kollegen unsere volle Solidarität!

RF, gestützt auf "Le Monde" und "Humanité", Paris, und "People's World", New York

*

Warum der schwarze Mann im Weißen Haus blaß aussieht

Waterboarding - ein "Hobby" der CIA

Erfahrungsgemäß zeichnen sich USA-Präsidenten in der zweiten Hälfte ihrer letzten Amtszeit nicht einmal dann durch besondere Machtfülle aus, wenn ihre jeweilige Partei beide Häuser des Kongresses -also des Parlaments der Vereinigten Staaten - fest im Griff hat. Verhält es sich jedoch genau umgekehrt, wie im Falle Barack Obamas, dessen Demokratische Partei sowohl im Senat als auch im Repräsentantenhaus deutlich in der Minderheit ist, dann genügt schon die geringste Turbulenz, um einen Sturm im Wasserglas auszulösen.

Derzeit wird die imperialistische Hauptmacht von einer doppelten Schockwelle überrollt: Parallel zu den durch die Medien des Kapitals als "Rassenkrawalle" bezeichneten schweren Erschütterungen, die mit den Ereignissen in Ferguson ihren Ausgang genommen haben, sorgte der überraschend vorgelegte Feinstein-Report für Orkanstärke. Kaliforniens demokratische Senatorin Dianne Feinstein, ein langjähriges Mitglied des Senatsausschusses für die Geheimdienste und bisher als stramme Verteidigerin auch der übelsten CIA-Machenschaften bekannt, spielte auf einmal nicht mehr mit und legte dem Gremium unwiderlegbare Dokumente über Lügen Langleys zu den mittelalterlichen Folterpraktiken der Central Intelligence Agency vor. Beweislos als Terroristen verdächtigte Gefangene des auf Kuba gelegenen US-Marterlagers Camp Delta (Guantánamo), aber auch andere Betroffene seien bei Verhören bis an die Schwelle des Ertrinkens unter Wasser gedrückt worden, um "Geständnisse" zu erpressen. Doch auf "Waterboarding" hätten sich die "Dienste" keineswegs beschränkt. Durch Dokumente, die der frühere CIA-Direktor Leon Panetta dem Ausschuß unterbreitete, sei jeder Zweifel daran ausgeräumt worden, daß auf solche Praktiken angesprochene und sie leugnende CIA-Agenten das parlamentarische Gremium glatt belogen hätten. Der US-Geheimdienst habe überdies die elektronischen Aufzeichnungen etlicher "Verhöre" dieser Art vorsorglich vernichten lassen. Andere Dokumente seien auf dem Weg zum Untersuchungsausschuß plötzlich aus dem Netz verschwunden. Es gebe keinen Zweifel, daß die CIA alle nur denkbaren Tricks angewendet habe, um von den Vernommenen Geständnisse zu erpressen. Die Anweisungen dazu seien von "höchster Ebene" erteilt worden.

Der seinerzeitige US-Vizepräsident Dick Cheney und offensichtlich auch Ex-Präsident George W. Bush waren involviert, möglicherweise auch Barack Obama.

Dieser hatte vor und nach seiner Wahl im November 2008 feierlich gelobt, den Folterprogrammen ein Ende zu setzen. Erst unlängst kündigte er einmal mehr an, sein altes Versprechen einlösen und Guantánamo schließen zu wollen.

Dort befanden sich im Dezember 2014 noch 166 unverurteilte Häftlinge, die seit Jahren einsitzen. Einhundert von ihnen traten bereits vor Monaten wegen Verletzung ihrer religiösen Gefühle und Glaubensrechte in einen unbefristeten Hungerstreik. Aus Washingtons durchaus mit faschistischen Lagern vergleichbarer Folterstätte in der Karibik wurden im Laufe der Jahre zahlreiche Selbstmordversuche gemeldet, von denen sechs zum Tode führten. Zwei weitere Häftlinge starben unter ungeklärten Umständen.

Navi Pillay, Hoher Kommissar der UNO für Menschenrechte, verurteilte die anhaltende Inhaftierung Unbestrafter als eklatanten Bruch des Völkerrechts.

Auf dieser Strecke ist die CIA alles andere als ein unbeschriebenes Blatt.

1953 wurde Mossadegh, Irans gemäßigt progressiver Präsident, der die von westlichen Konzernen ausgebeuteten Erdölvorkommen seines Landes nationalisiert hatte, unter aktiver Mitwirkung des CIA-Spitzenagenten Kermit Roosevelt, eines Enkels des berüchtigten US-Präsidenten Theodore ("Teddy") Roosevelt, zu Fall gebracht. Washingtons Geheimdienst wandte enorme Mittel für die Bestechung von Politikern, Geistlichen und Militärs in Mossadeghs Umfeld auf, um den gehaßten Staatschef aus dem Amt zu werfen und die Rückkehr des US-hörigen Schahs Reza Palevi abzusichern. Als "Argument" diente die "Notwendigkeit der Abwehr einer kommunistischen Machtübernahme", weil die einflußreiche Tudeh-Partei des Iran zu den Unterstützern des Staatschefs gehört hatte.

1954 wurde der linksorientierte Präsident Guatemalas Jacobo Arbenz, den man später im mexikanischen Exil in einer Badewanne tot auffand, durch einen gleichfalls von der CIA gelenkten Putsch der Armee gestürzt. Er hatte die riesigen Ländereien des US-Bananenkonzerns United Fruit zu enteignen und eine Landreform auf den Weg zu bringen versucht. Im blutigen Bürgerkrieg kamen nahezu zweihunderttausend Guatemalteken ums Leben. Der seinerzeitige CIA-Direktor Allen Dulles und sein Bruder, Eisenhowers Außenminister John Foster Dulles, waren Großaktionäre der United Fruit. Die Begründung der CIA lautete auch hier: "Verhinderung einer kommunistischen Machtübernahme".

1961 wurde Patrice Lumumba, Premierminister der gerade erst auf den Trümmern einer belgischen Kolonie entstandenen Demokratischen Republik Kongo, im Zuge eines CIA-gelenkten Komplotts aus dem Amt gedrängt, entführt und ermordet. In diesem Falle lautete die CIA-Version: "Verhinderung von Instabilität in einem wichtigen Land des schwarzen Kontinents". Tatsächlich ging es um Bodenschätze.

Zu den Schlüsselfiguren im jahrzehntelangen schmutzigen Spiel der CIA gegen Havanna gehört der ungehindert in den USA lebende Massenmörder Luis Posada Carriles, der 1976 bei dem durch ihn im Auftrag Langleys organisierten Anschlag auf eine kubanische Linienmaschine den gewaltsamen Tod von 73 Menschen herbeigeführt hatte.

Die Behauptungen Washingtons, der CIA-Terror sei nur die Antwort auf die Attentate vom 11. September 2001 gewesen, bei denen das New Yorker Handelszentrum - bekannt als Twin Towers - durch hineingesteuerte Passagiermaschinen zerstört wurde, entspricht, wie das hier Dargelegte beweist, keineswegs der Wahrheit.

RF, gestützt auf "People's World", New York

*

USA: Neue Qualität des Widerstandes gegen Rassen- und Klassenterror

Ferguson ist ein Fanal

Als US-Präsident Harry S. Truman 1950 den Korea-Krieg auslöste, ersuchte er den Kongreß der Vereinigten Staaten um dessen Zustimmung zu einer "Polizeiaktion". Sie kostete Millionen Menschen das Leben.

Dieser Vorgang wiederholte sich - in völlig anderer Dimension - im Sommer und Herbst 2014 auf der innenpolitischen Ebene: 100 Tage nach der Ermordung des 18jährigen Afro-Amerikaners Mike Brown, der am 9. August mit erhobenen Händen und im Beisein zahlreicher Augenzeugen von dem weißen Polizisten Darren Wilson aus nächster Distanz mit einer automatischen Waffe zweimal in den Kopf und viermal in den Arm geschossen worden war, begann in den USA eine gigantische Operation. An ihr nahmen Tausende Angehörige der mit Armeewaffen ausgerüsteten Nationalgarde sowie Sondereinheiten der Polizei teil. Sie kamen in 38 US-Bundesstaaten zum Einsatz. Der ihnen erteilte Befehl lautete, den Widerstand der schwarzen Bevölkerung und breiter Sektoren sie unterstützender Antirassisten, die zu 150 Manifestationen gegen den Terror aufmarschierten, niederzuschlagen und die "gottgewollte" Ordnung wiederherzustellen. In dieser Situation war den Machthabern jedes Mittel recht, Ferguson - die 21.000 Einwohner zählende und im US-Bundesstaat Missouri gelegene Vorstadt von St. Louis - fest im Griff zu behalten. Die Viertel der überwiegend schwarzen Bevölkerung waren Tag und Nacht in Pfefferspray-Schwaden gehüllt.

Roel Verrycken, Korrespondent des belgischen "Standaard", traf zur Ausrüstung der US-Ordnungshüter die Feststellung: "Nur das Wort 'Polizei' unterscheidet sie von Soldaten."

Das rabiate Vorgehen der Roll- und Räumkommandos wurde von einer alle Dimensionen sprengenden Haßkampagne der Medien gegen afro-amerikanische Bürger des von einem schwarzen Präsidenten regierten Landes begleitet. Die sich gegen den Rassenterror der Herrschenden zur Wehr setzenden Demonstranten verunglimpfte man als "wilde Tiere", während man ihre Kultur in rüdester Weise kriminalisierte. Nach Feststellungen der "New York Times" wurden der Polizei-Sonderformation "SWAT" seit 2006 insgesamt 435 gepanzerte Fahrzeuge, 533 Flugzeuge und Hubschrauber sowie 93.763 Maschinengewehre übergeben. Zwischen 1980 und 2000 erhöhte sich die Zahl ihrer vorwiegend gegen Schwarze gerichteten Einsätze nach Ermittlungen der Universität Kentucky um 1400 Prozent.

Bedeutende Sektoren der weißen Bevölkerung erliegen einmal mehr der rassistischen Gehirnwäsche und zeigen sich außerstande, das Leid ihrer schwarzen Landsleute auch nur annähernd nachempfinden zu können.

"Die Geschichte der Vereinigten Staaten ist untrennbar mit dem Rassismus verbunden", schrieb das portugiesische PCP-Organ "Avante!" zu den Ereignissen in Ferguson. "Um das Maß der Empörung der Afro-Amerikaner, die sich jetzt in gewaltigen Aktionen Bahn bricht, begreifen zu können, muß man um die tiefen und niemals verheilenden Wunden wissen, die ihnen im Verlauf der Jahrhunderte geschlagen wurden. Wunden, die ihnen ein Wirtschaftssystem zufügte, dessen Strukturen seit eh und je aufs engste mit der institutionalisierten Unterdrückung der Schwarzen verbunden sind."

Vor weniger als 100 Jahren hatte sich in St. Louis - nur einige Kilometer von Ferguson entfernt - eines der schrecklichsten Pogrome in der Geschichte der Vereinigten Staaten zugetragen. Dem Lynchterror durch Steinigung waren mehr als 150 Schwarze, darunter 39 Kinder, zum Opfer gefallen. Etwa die Hälfte der Ermordeten ging auf das Konto tatenlos verharrender Polizisten. Und - wie damals - stellen auch heute weiße Beamte mit dem Sheriffstern die weitaus brutalste Formation der Ku-Klux-Klan-Nachfolger dar. Sie bilden das Hauptinstrument bei der faktischen Außerkraftsetzung aller formell auf Gleichstellung zielenden Gesetze, mit denen die Vereinigten Staaten den Anschein einer wenigstens Integration vorspiegelnden Politik vermitteln wollen.

Doch Ferguson steht längst nicht mehr nur für Polizeigewalt und rassistische Unterdrückung. Es symbolisiert inzwischen zugleich auch Auflehnung und Widerstandsbereitschaft. Der beim Beginn des Konflikts dominierende Ruf ihre Waffenlosigkeit zur Schau stellender schwarzer Demonstranten "Hebt die Hände!" ist inzwischen verhallt. Die zum Himmel gereckten offenen Hände haben sich geschlossen. Auf späteren Demonstrationen vernahm man bereits die Forderung nach einem Mindesteinkommen für alle und freier gewerkschaftlicher Betätigung. Anklänge von Klassenbewußtsein waren hier und dort zu vernehmen.

Ferguson distanzierte sich deutlich von gewissen systemintegrierten schwarzen Politikern der Demokratischen Partei Obamas. Statt dessen wurde mancherorts mit dem Aufbau unabhängiger Strukturen begonnen, deren Forderungen deutlich sozialen und ökonomischen Charakter tragen.

Ohne Zweifel hat die vorhersehbare Entscheidung einer Geschworenen-Grand-Jury, den uniformierten Mörder Mike Browns nicht anzuklagen, zusätzlich Öl ins Feuer gegossen. Doch der Widerstand des schwarzen Amerika zielt nicht in erster Linie auf die Verurteilung eines uniformierten Einzeltäters aus Ferguson, wo nur drei von 53 Polizeibeamten Afro-Amerikaner sind und 28 % der Bevölkerung unter der Armutsschwelle vegetieren. Dort findet - auch wenn das den meisten noch nicht bewußt ist - eine Klassenschlacht gegen das kapitalistische System der USA und dessen "Eliten" statt.

RF, gestützt auf "People's World", New York, "Avante!", Lissabon, und "Solidaire", Brüssel


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Mehr als 87 Prozent der fünf Millionen Menschen, die von der New Yorker Polizei im Vorjahr "angehalten und kontrolliert" wurden, waren Schwarze oder Latinos.

*

Mexikos Machthaber sind vor aller Welt diskreditiert

Rekordhalter bei ungeklärten Morden

Seit Monaten sieht sich Mexiko mit einer innenpolitischen Situation konfrontiert, die aus der Perspektive journalistischer Beobachter - zumindest seit der Revolution von 1910 bis 1920 - ohne Beispiel ist. Eine Protestwelle von ungekannter Dimension und Heftigkeit überflutet seitdem das territorial größte und einwohnerreichste Land im nördlichen Mittelamerika.

Ausgelöst wurde die jüngste Krise durch blutige Geschehnisse, die sich in der Nacht vom 26. zum 27. September in der von Drogenbanden beherrschten Stadt Iguala zutrugen. 43 links eingestellte Studenten des Lehrerbildungsinstituts Ayotzinapa waren unter Regie des alsbald festgenommenen Bürgermeisters und dessen mit der Drogenmafia verbandelter Frau sowie bei aktiver Mithilfe örtlicher Polizeikräfte verschleppt und dann vermutlich ermordet worden.

Wie der mexikanische Generalsstaatsanwalt Jesus Murillo Karam bald darauf einer skeptischen Nation mitteilte, seien sterbliche Überreste junger Leute in einem Flußbett des Bundesstaates Guerrero gefunden worden. Nach der vermeintlichen Identifizierung eines der Opfer hieß es, der Fall sei damit aufgeklärt.

Doch die ungläubigen Eltern der entführten Studenten, mit denen sich Millionen Mexikaner solidarisch erklärten, gaben daraufhin die Losung aus: "Man hat sie uns lebend genommen - wir wollen sie lebend zurück!"

Woraus resultierte diese Skepsis gegenüber amtlichen Verlautbarungen der mexikanischen Behörden?

Das grausige Geschehen in Iguala stellte durchaus keinen "isolierten Einzelfall" dar, wie Mexikos Regierung im Bunde mit korrupten Politikern und käuflichen Polizisten die Bevölkerung glauben machen wollte. In der Presse wurde darauf verwiesen, immer mehr Mexikaner seien der Ansicht, daß die Verantwortung für das jüngste ungeheuerliche Verbrechen nicht auf der lokalen, sondern auf einer "viel höheren Ebene gesucht" werden müsse. Inzwischen wird das Kabinett von Präsident Enrique Peña Nieto von der Revolutionären Institutionellen Partei (PRI) immer öfter als "Narco-Gobierno" (Regierung der Drogenhändler) bezeichnet.

Nach der offiziellen Version ordneten Igualas Bürgermeister José Luis Abarca, Mitglied der vorgeblich weiter nach links tendierenden Demokratischen Revolutionären Partei (PRD) und dessen über enormen Einfluß verfügende Frau aus rein örtlichen Gründen den Überfall auf die Studenten an. Diese hatten sich in der Stadt aufgehalten, um Transportgelder für die Fahrt nach Mexiko-Stadt zu sammeln, wo mit Gedenkveranstaltungen an ein blutiges Massaker auf dem dortigen Tlatelolco-Platz erinnert werden sollte. Dabei waren Hunderte Studierende durch Polizisten erschossen worden.

Der Schwager des Bürgermeisters gehörte nach der über die Medien verbreiteten Darstellung zur Führung einer sich als "Vereinigte Krieger" bezeichnenden regionalen Verbrecherbande. Die Frau des Verwaltungschefs habe der mit den Gangstern aufs engste kooperierenden Polizei Igualas Order gegeben, den "Studenten eine Lektion zu erteilen". Die Uniformierten nahmen die jungen Leute daraufhin fest und übergaben sie der Drogenmafia, deren Killer sie anschließend ermordeten, die zerstückelten Leichen verbrannten und in den Fluß San Juan warfen.

Bei der Suche nach den Opfern entdeckten die Kriminalisten zahlreiche Massengräber mit Teilen verbrannter Leichen. Wie sich jedoch herausstellte, handelte es sich dabei nicht um jene Personen, nach denen gefahndet wurde.

In Mexiko weiß jeder, daß es im Land Hunderte solcher Orte gibt, wo Menschen, deren Identität unbekannt ist, nach ihrem gewaltsamen Tode einfach verscharrt worden sind. Nach der Entscheidung des früheren Staatspräsidenten Felipe Calderon von der scharf rechts orientierten Nationalen Aktionspartei (PAN), die mexikanische Armee im Rahmen eines von Washington finanzierten "Krieges gegen Drogen" zum Einsatz gelangen zu lassen, ist die Zahl der Vermißten auf über 24.000 angestiegen, wobei von weit mehr Mordfällen ausgegangen wird.

Im Bundesstaat Guerrero herrscht seit langem blanke Gewalt. Sie richtete sich schon des öfteren mit besonderer Brutalität gegen die als "Normalistas" bezeichneten Lehrerstudenten. So waren 2011 zwei künftige Pädagogen aus Ayotzinapa von Polizisten umgebracht worden.

Der Konflikt hat einen eindeutigen Klassenhintergrund, da das als besonders fortschrittlich geltende Normalista-System vor allem junge Leute aus armbäuerlichen und indigenen Familien, von denen viele nicht spanisch sprechen, für das Studium zu interessieren sucht. Nach dessen Abschluß bleiben die Absolventen in ihren armen Regionen und arbeiten dort nicht nur als Lehrer, sondern stellen sich oft auch an die Spitze der Bewegung für soziale Gerechtigkeit.

Als Enrique Peña Nieto im Jahre 2012 Mexikos Staats- und Regierungschef wurde, sorgte er unverzüglich für "Reformen" in der Erdölindustrie, bei der Arbeitsgesetzgebung und im Erziehungswesen. Die von ihm eingeleiteten Maßnahmen waren ausnahmslos darauf gerichtet, Mexiko den multinationalen Konzernen gegenüber "noch freundlicher" erscheinen zu lassen, als das ohnehin schon der Fall ist. Die "Reformen" im Bildungsbereich richteten sich vor allem gegen die "Normalistas". Da mit deren heftigem Widerstand gerechnet wurde, erging der Befehl, an den Studenten aus Ayotzinapa ein Exempel zu statuieren.

Nach dem neuerlichen Massenmord besetzten protestierende Lehrer und Hochschüler sowie ihnen solidarisch zu Hilfe eilende Gewerkschafter und Bauernaktivisten schlagartig etliche Rathäuser im Bundesstaat Guerrero. In Mexiko-Stadt setzte eine empörte Menge die massiven Holztore des Nationalpalasts in Brand. Senatorin Layda Sansores San Roman von der linksgerichteten Arbeiterpartei (PT) brachte mit einer Rede im Oberhaus des mexikanischen Parlaments dessen überwiegend reaktionäre Mandatsträger in Wallung, als sie das gesamte Polizei- und Militär-Establishment des Landes als "korrupt und mit den Drogenkartellen liiert" anprangerte. Sie schloß ihre Rede mit der auch auf unzähligen Kundgebungen erhobenen Forderung nach Rücktritt des Staatspräsidenten, "damit eine saubere Regierung aus Neuwahlen hervorgehen" könne.

RF, gestützt auf "People's World, New York

*

Wie Washington seine fünfte Kolonne in Kiew ans Ruder brachte

Brandstifter und Brandbeschleuniger

Wolfgang Bittner, Literat in Göttingen, promovierter Jurist und PEN-Mitglied, hat sich als Autor von mehr als 60 Büchern für Erwachsene, Jugendliche und Kinder einen Namen gemacht. Er gehörte zeitweilig dem Rundfunkrat des WDR und dem Bundesvorstand des Verbandes deutscher Schriftsteller an, war aber zugleich als Hochschullehrer im In- und Ausland tätig. 2014 hat der Mainzer VAT-Verlag André Thieles nach dem bereits zuvor dort erschienenen Roman "Hellers allmähliche Heimkehr" in seiner Flugschriftenreihe auch Wolfgang Bittners solide Arbeit zu Hintergründen und Zusammenhängen der Ukraine-Krise herausgebracht. Der Verlag stellte der RF-Redaktion als Geste freundschaftlicher Verbundenheit einige Freiexemplare der Arbeit zur Verfügung, ohne ihr dadurch die Pflicht zur Rezension aufzuerlegen.

Nicht als Erwiderung einer höflichen Geste, sondern einem inneren Bedürfnis folgend möchte ich das nur 148 Seiten umfassende Werk, das es mit so manchem 1480 Seiten starken Wälzer durchaus aufnehmen kann, den RF-Lesern vorstellen.

Zunächst bedarf es einer einführenden Bemerkung in eigener Sache. Mit Wolfgang Bittner ist der RF auf etwas ungewöhnliche Weise in Kontakt gekommen. Eines Tages schickte mir ein guter Freund, der langjährige ADN-Mitarbeiter und Parlamentsstenograf Rudi Krause, ein paar computergeschriebene Seiten. Heinz Birch, einst DDR-Botschafter in Indien und Kanada, hatte den interessanten Text in seinem Briefkasten vorgefunden. Verfasser war Wolfgang Bittner, dessen mit einer überzeugenden Argumentation verbundener geschliffener Stil uns auf Anhieb gefiel. So nahmen wir einen noch aufschiebbaren Extra-Beitrag von den Seiten der gerade vorbereiteten RF-Ausgabe, um ihn durch die Flugschrift des mir bis dahin leider nicht bekannt gewesenen Göttingers zu ersetzen. Das war freilich ein Wagnis, hatten wir doch in Unkenntnis seiner Anschrift den Verfasser zunächst nicht um dessen Einwilligung gebeten. Der aber fragte dann höflich an, ob wir ihm die entsprechende Ausgabe übermitteln könnten.

Doch zurück zur Neuerscheinung. Dabei handelt es sich um eine ebenso faktenreiche wie analytisch vertiefte Darstellung der Strategie Washingtons sowie der Stäbe von NATO und EU zur systematischen Destabilisierung der an Rußland grenzenden Region. Eine solche Detailgenauigkeit und argumentative Dichte wie bei Bittner hatte ich - sieht man von der fabelhaften Tagesberichterstattung Reinhard Lauterbachs in der jW einmal ab - so noch nirgendwo gefunden.

Bittner zitiert wiederholt den niederländischen Publizisten und Politikwissenschaftler Karel van Wolferen, dessen Wertung der aktuellen Politik Brüssels die Dinge auf den Punkt bringt. Die Verfechter der EU-Strategie hätten jegliches Verständnis für Geschichte, eine nüchterne Einschätzung der globalen Wirklichkeit und selbst den gesunden Menschenverstand verloren, was sich spätestens an der Verhängung von Sanktionen gegen Rußland gezeigt habe, schreibt dieser.

Wolfgang Bittner rechnet mit Karikaturisten wie Leitartiklern gnadenlos ab, die Putin und die Russen schlechthin ohne Unterlaß als kriegslüsterne Monster darstellen, und konstatiert zur derzeitigen NATO-Ostpolitik: "Sie lassen Militär gegen Rußland aufmarschieren, verlangen aber zugleich den Rückzug russischer Truppen von den eigenen Grenzen."

Als nachdenklicher Zeitzeuge und scharfsinniger Kritiker erweist sich auch der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Albrecht Müller: "Wirkt eine Sanktion nicht wie erwartet, dann dreht man einfach an derselben Schraube weiter ...", wird dieser zitiert.

Derzeit werde Putin "angegriffen und verteufelt, als ob Rußland nur aus ihm bestünde", bemerkt Bittner. Und er gibt van Wolferen noch einmal das Wort: "Die Neokonservativen wünschten sehnlichst Putins Sturz und am Ende die Zerstückelung Rußlands."

Eindringlich und detailgetreu werden die Ereignisse in der Ukraine skizziert: Die unter westlicher Mitwirkung erfolgte Vorbereitung und der Vollzug des Maidan-Putsches, die Etablierung oligarchischer Diebe des ukrainischen Volksvermögens vom Schlag Poroschenkos und langjähriger Gewährsleute überseeischer Geheimdienste wie Jazenjuk sowie der blutige Bürgerkrieg der Kiewer Marionettenregierung gegen unabhängig handelnde Kräfte im Osten und Südosten des Landes werden ebenso analysiert wie das Massaker von Odessa, dem 48 prorussische Demonstranten zum Opfer fielen. Bisherige Höhepunkte des Zusammenspiels zwischen der Poroschenko-Jazenjuk-Kamarilla und ihren Erfindern waren das NATO-Manöver in der Westukraine und die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU durch den "Präsidenten". Auch der persönliche Anteil Obamas und Bidens sowie der Außenminister der BRD, Frankreichs und Polens bei der völkerrechtswidrigen Zerschlagung der Ukraine als unabhängiger Staat werden vom Autor nicht ausgespart.

Wolfgang Bittner, der das westliche Vorgehen als Pitbull-Politik "mit gefletschten Zähnen" charakterisiert, gibt Gabor Steingard vom an normalen Wirtschaftsbeziehungen zu Rußland interessierten "Handelsblatt" das Wort: "Der russische Präsident Wladimir Putin ist nicht der ruchlose Aggressor, den der Westen aus ihm macht - er verteidigt die selbstverständlichen Interessen seines Landes."

Gründlich rechnet Bittner mit provokatorischen Stimmungsmachern ab. "Während die Brandstifter für die Ukraine-Krise unter den Politikern und Agenten der USA und der EU zu suchen sind, haben die Medien die Rolle des Brandbeschleunigers übernommen", schreibt er.

Man kann das kleine große Buch des Göttingers nur jedem am Erwerb solider und seriöser Kenntnisse zu den Geschehnissen um die Ukraine und Rußland Interessierten als Lektüre empfehlen. Ich selbst habe es mit Genuß, Gewinn und Sympathie für den Autor gelesen.


Übrigens hat VAT auch die brillante Arbeit "Wie können sie es wagen ..." aus der Feder von Peter Mertens herausgegeben, das in Belgien seit Jahren als Bestseller gilt. Ein Indiz mehr dafür, daß man in diesem Verlag offensichtlich einen geschärften Blick für wirklich Bedeutendes besitzt, wozu man André Thiele nur beglückwünschen kann.

Klaus Steiniger


Wolfgang Bittner. Die Eroberung Europas durch die USA. Zur Krise in der Ukraine. VAT-Verlag André Thiele, Mainz 2014, 12,90 Euro, ISBN 978-3-95518-029-4

*

Klaus Blessings ermutigender Blick in die Zukunft

Der Sozialismus ist nicht totzukriegen

Unter dem Titel "Die sozialistische Zukunft - kein Ende der Geschichte" hat der profilierte Ökonom Dr. Klaus Blessing ein Buch vorgelegt, das weit über aktuell-politische Interpretationen hinausweist. Ohne Tabus, aber faktenreich und voll argumentativer Kraft setzt sich der Autor mit Erfahrungen des realen Sozialismus in Europa sowie Gebrechen und Verbrechen in der Welt des Kapitals auseinander. Er bietet dabei neue Denkansätze zu der Thematik, wie eine in der historischen Abfolge gesetzmäßige sozialistische Zukunft aussehen könnte. Dabei fordert er provokant zu eigenen Überlegungen heraus.

Mein Meinungsbildungsprozeß verlief so: Nach der Lektüre jedes Kapitels suchte ich mir eine Position zu dem jeweils Dargelegten zu bilden. Notizen und Anmerkungen zu für mich ungeklärten Fragen gehörten dazu. Erst danach ging ich zum nächsten Abschnitt über. Dieser Denkprozeß ergab Übereinstimmung mit den meisten Überlegungen und Ansätzen des Autors, was mir übrigens nicht immer leichtfiel. Am Ende der Lektüre war das Buch Klaus Blessings mit eigenen Fußnoten geradezu übersät.

Im Mittelpunkt der hier besprochenen Arbeit steht keine abstrakte Gesellschaftstheorie, sondern der die Entwicklung gestaltende Mensch in seiner vielschichtigen Widersprüchlichkeit. Zu Recht betont der Autor, daß dessen Idealisierung zu den wesentlichen Gründen für das Scheitern des trotz großer Anstrengungen untergegangenen europäischen Sozialismus gehört haben dürfte.

Klaus Blessing warnt eindringlich davor, das nach seiner Meinung fehlerhafte Bestreben, den Kapitalismus bei Produktivität und Konsumtion zu überbieten, wiederholen zu wollen. Sein Ansatz für eine ausbeutungsfreie Zukunft hat nichts Statisches. Für ihn ist Sozialismus kein fertiger Zustand, sondern ein gesellschaftlicher Prozeß, der von Beginn an bestimmten Kriterien entsprechen sollte: Befriedigung materieller und geistiger Bedürfnisse - ohne blinden Massenkonsumismus -, Arbeit und soziale Teilhabe aller, Frieden und internationale Solidarität, wahrhafte Demokratie.

Äußerst polemisch setzt sich Klaus Blessing mit Wachstumsfetischismus und Scheindemokratie als dem Sozialismus fremden Erscheinungen auseinander. Seine Trennlinie zwischen Kapitalismus und Sozialismus aber ist unverrückbar die Ausgestaltung der Eigentumsverhältnisse. Pseudolinken Auffassungen erteilt er eine erfrischend formulierte Absage. Damit greift das weit in die Zukunft weisende Buch auch in aktuellste Auseinandersetzungen innerhalb des linken Spektrums ein. Die These vom "Unrechtsstaat" wird offensiv widerlegt, den Phantastereien von einer nichtrevolutionären gesellschaftlichen "Transformation" wird eine gründliche Abfuhr erteilt.

Blessings Buch schließt mit der Aufforderung, ein "Handlungskonzept" zur Überwindung des Kapitalismus zu erarbeiten. Er vertritt die Auffassung, der "Tag Y", an dem die Umgestaltung der kapitalistischen in eine sozialistische Gesellschaft beginnen werde, sei angesichts der tiefgreifenden Krisenprozesse nicht allzu fern.

Nüchtern stellt der marxistische Analytiker aber fest, daß Europas Linkskräfte in der Mehrzahl der Länder noch nicht darauf vorbereitet seien. Er verweist deshalb auf entsprechende Prozesse vorrangig in sich nichtkapitalistisch orientierenden Ländern Lateinamerikas.

Klaus Blessings Buch ist anregend, streitbar und unbedingt lesenswert. Alle, die Lust haben, sich mit dieser wichtigen Materie zu beschäftigen, sollten zu ihm greifen.

Carsten Hanke, Rostock


Klaus Blessing: Die sozialistische Zukunft - Kein Ende der Geschichte. Eine Streitschrift. edition berolina, 254 Seiten, 14,99 Euro, ISBN 978-3-86789-831-7

*

Ein vaterlos Aufgewachsener erzählt seine Geschichte

Erinnern an starke Menschen

Werner Wüste, heute 83, war bei der DEFA zu Hause. Nach Regiestudium an der Filmhochschule Potsdam-Babelsberg folgten produktive Jahre bei Karl Gass. Seinen letzten eigenen Film drehte er 1991 nach einer Idee von Grischa Benjamin. "Wir waren in Tschernobyl" ist ein 90-minütiger Dokumentarfilm über Menschen in der verstrahlten Region.

Schon immer bewegte ihn das Schicksal anderer. Er konnte nicht einfach zusehen, mußte sich auseinandersetzen und Zeugnis ablegen. Auch über sich selbst. Sein Leben verlief wie das vieler anderer Proletarierkinder in der Nazizeit, und doch gab es manches, das sich davon unterschied und ihn zu einem Klassenkämpfer, einem überzeugten Antifaschisten machte. Da waren zunächst seine Eltern, Kommunisten aus dem Ruhrgebiet, die es nach Berlin verschlug. Sein Vater wurde wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" verurteilt. Damals war Werner Wüste fünf Jahre alt. Erst neun Jahre später, nach der Befreiung vom Faschismus, sah er ihn wieder. Die Mutter tat alles, um das Bild des Vaters nicht verblassen zu lassen, ermunterte ihn immer zu eigenem Denken, ließ ihn teilhaben an unvergeßlichen Ereignissen, die in dem Jungen das Bewußtsein für den Wert überlebenswichtiger Solidarität und Hilfe unter Gleichgesinnten schärften.

Das Nicht-vergessen-Wollen und die Erinnerung daran begleiten Werner Wüste bis heute. Er hat sie in seinem Buch "Vaterlos", das 2014 im verlag am park erschien, festgehalten. Der Autor rekonstruiert darin nicht nur sein eigenes Leben und das seiner Familie, er erinnert damit auch an Zeitgenossen, die der Mutter und ihm halfen, die Nazizeit zu überstehen. Dazu gehörten der Gefängnispfarrer Harald Poelchau und dessen Frau, Prof. Emil Fuchs, dem die Mutter den Haushalt führte, und dessen Tochter Elisabeth, die Genossen Fritz, "Atze" und Erwin und nicht zuletzt Hilde Benjamin, mit deren Sohn Mischa ihn eine lebenslange Freundschaft verband.

Was er über diese und viele andere zu Papier bringt, sei "keine Geschichte im eigentlichen Sinne, Reihung von Episoden eher; Knoten im Lebensfaden. Und im Erinnern an starke Menschen gewonnene Zuversicht, eine andere, eine neue, eine ehrliche und menschliche Ordnung könne doch möglich sein". Für eine solche neue Ordnung muß man bereit sein zu kämpfen. Das ist es, was der Vater ihm mitgab auf seinen Weg und was zum Credo seines Lebens wurde. "Das Nazi-Thema ist noch immer nicht abgeschlossen", sagt Werner Wüste. "Geschichte läuft uns nach", wenn wir es zulassen.

Auch dafür, daß sich nicht wiederholt, was damals geschah, hat Werner Wüste sein mit zahlreichen Fotos illustriertes Buch verfaßt. Es ist spannend, einfühlsam, aufschlußreich, wird zu einem berührenden Lesestoff nicht nur durch die wortgewandte, auf Details Wert legende Sprache. Vor allem sind es auch die Briefe und Notizen seines Vaters und der Freunde, die Zeugnis über den Mut und den Humanismus von Menschen ablegen, die selbst unter schwersten Bedingungen nicht aufgaben. "Vaterlos" ist keineswegs nur Rückblick, sondern eine Mahnung an uns alle, die Kraft für einen Kampf zu finden, der heute über unsere Zukunft entscheiden wird.

Bruni Steiniger


Werner Wüste: Vaterlos. verlag am park, Berlin 2014, 188 Seiten, 16,99 Euro, ISBN 978-3-945187-13-5

*

Im Stechschritt für eine Reichsmark

87 Jahre alt und von Beruf Diplom-Agronom war ich zu DDR-Zeiten LPG-Vorsitzender. Seit dem 9. Dezember 1945 bin ich politisch organisiert (KPD, SED, PDS, Die Linke). Seit sieben Jahren lese ich den "RotFuchs". Am besten gefiel mir bisher die Nr. 196 vom Mai 2014. Als Ausdruck meines Dankes fertigte ich für die Redaktion die mitübersandte Collage aus Elementen dieser Ausgabe an.

Macht weiter so! Und hier noch ein kleiner Text von mir:

Als ich sieben war - genau vor achtzig Jahren - wohnte unsere Familie bei Johannes Moses auf der Grube Ferdenande, einem Ortsteil der Gemeinde Sennewitz, nur eine Meile von Halle entfernt.

Wir nutzten eine Wohnküche und eine Kammer, in der meine Eltern, mein zwei Jahre älterer Bruder und ich schliefen. Wir teilten uns beide ein "Bett", lagen auf einem Strohsack, unter dem sich als Unterboden Fichtenbretter befanden. Aber wir kuschelten uns unter eine Federdecke, die Mutter von ihren Eltern bekommen hatte, als Arno geboren wurde. Zwei Wochen zu spät, weil zwei Geschwister vor uns an Diphtherie verstarben.

Vater war das vierte Jahr arbeitslos. Zwei Millionen Kommunisten, Sozialdemokraten und andere waren noch lange nach 1933 ausgesperrt. Unser Vater befand sich ständig auf Arbeitssuche, wurde von Baubetrieben eingestellt und wieder entlassen. Wie das geschah?

Die Firma meldete die Einstellung des Zimmermanns Otto Schmidt an das Reichsarbeitsamt, das mit Nazibeamten besetzt war. Diese wiederum informierten die Reichsarbeitsfront, die ihre Gestapokontakte anwarf. Unter dem Vorwand, Schmidt würde dem Betrieb schaden und die Gefolgschaft zersetzen, mußte der Firmenleiter die Entlassung vornehmen.

Mutter weinte, weil sie wieder die Familie von der knapp bemessenen Arbeitslosenhilfe ernähren mußte. Ich erinnere mich, daß wir Neun- und Siebenjährigen an der Seite der Eltern standen und wußten, warum Mutter magere Suppen auf den Tisch stellte.

Diesen Vorspann schreibe ich zum besseren Verständnis der eigentlichen Geschichte, die davon berichtet, warum ich für eine Reichsmark im Paradeschritt vor einem hohen SA-Führer und weiteren vier SA-Leuten marschierte.

Wie war das, als das Dritte Reich seinen Lauf begann?

Die Braunkohlengrube wurde geschlossen, weil der Abbau des Flözes für die Besitzer keine Rendite mehr abwarf. Die Hälfte der Kumpel wurde von der Grube "Brotsack" bei Halle übernommen, die andere Hälfte ging in die Arbeitslosigkeit. Unser Ortsteil hatte 1934 noch kein elektrisches Licht, und wir saßen im Schein einer rußenden Petroleumlampe.

Wir zwölf Jungen und Mädchen hatten den Sommerweg der Fernverkehrsstraße 6, die von der Lausitz nach Niedersachsen auch durch die Häusergruppe der Grube Ferdenande verlief, als Spielplatz auserkoren. So sprangen wir zur Seite, wenn ab und zu ein Auto hupte, um uns zu warnen. Eines Tages kam eine große schwarze Limousine, aus der es wie aus einer Lokomotive dampfte. Scheinbar war die Zylinderkopfdichtung durch. Jedenfalls brachte der Fahrer das Auto an der Postmeile zum Stehen, und alle vier Insassen stiegen aus. Sie trugen SA-Uniformen und darüber lange schwarze Ledermäntel. Einer von ihnen war, wie wir vernehmen konnten, Obersturmführer und zum Gauleiter von Halle-Merseburg gerufen. Um pünktlich anzukommen, hatten sie die Limousine über die Höchstgeschwindigkeitsgrenze gedroschen.

Der Obersturmführer rief meinen Bruder zu sich und sagte: "Wenn du hier auf der Straße einen Stechschritt hinlegst, bekommst du 50 Pfennig!" Arno ließ sich nicht beirren und antwortete mutig: "Für euch mache ich keinen Stechschritt!" Der Neunjährige dachte dabei an den Vater ohne Arbeit, an die dünne Suppe auf dem Tisch, vor allem aber an die ständigen Haussuchungen, zu denen drei Gendarmen und ein SA-Mann in der gleichen braunen Uniform bei uns erschienen.

Da sprang ich einige Schritte auf den Mann zu. Durch die waghalsige Reaktion meines Bruders verdrossen, erhöhte der Obersturmführer sein Angebot auf eine Reichsmark.

Kurz entschlossen warf ich die nackten Beine so hoch, wie es kein Grenadier geschafft hätte. Ich spürte dabei die heißen Pflastersteine unter den Fußsohlen. Dann trat ich mit forschen Schritten auf den Mann zu, der in seinen Taschen nach der Mark kramte. Endlich war ich im Besitz des Geldes und sauste zum 300 Meter entfernten Kaufladen. "Lochows Kolonialwaren" war auf einem Schild zu lesen. Es brachte einen Liter Petroleum, einen Würfel Margarine, ein Pfund Mehl und ein Roggenbrot. Das hatte ich mir auf dem Wege zu Laden bereits zusammengereimt. So gab ich die Bestellung fehlerfrei auf. "Hast du denn auch Geld, mein Junge?"

Frau Lochow wußte, wie es um die Arbeitslosen stand, litt ihre Familie doch selbst unter der Armut. Sie schrieb auch mal an, wenn wir kein Geld hatten. "Ja, eine Mark!" antwortete ich.

"Dafür bekommst du auch noch eine Tüte Bonbons. Du bist ein guter Junge!" Sie hatte längst gerechnet und wußte, daß die Mark für diese Waren nicht ausreichte. Meine strahlenden Augen imponierten ihr, und sie packte alles in ein Einkaufsnetz. Ich rannte im Staub des Sommerweges nach Hause und rief schon auf der Treppe: "Mutter, ich habe was für uns!" Die konnte die Tränen vor Freude nicht unterdrücken.

Herbert Schmidt, Nauendorf


Die RF-Redaktion dankt Genossen Herbert für seine sehr gelungene Collage.

*

"Ich hatte mir dieses wichtige Land gleichsam aufgehoben ..."

Über Goethe und China

Lang schon berührt mich eine Maxime, die sich im Umkreis des rätselvollen Spätwerks "West-östlicher Divan" (1819) findet und die Goethe 1827 auch in seine "Zahmen Xenien" aufnimmt: "Wenn dir's bei uns nun nicht gefällt, so geh in deine östliche Welt."

Aber wo beginnt Goethes "östliche Welt", wo endet sie? wird man fragen und dabei nicht zu Unrecht auf den Vorderen Orient weisen, Persien vielleicht, um bald schon feststellen zu müssen: Diesem Weltkind, seinem Forscherdrang und seinen Sehnsüchten, ist mit Grenzen, geographischen gar, nicht beizukommen.

Aber Goethe und China - China und Goethe? Nicht ein bißchen weit hergeholt? Keineswegs! Notfalls wollte er in dieses "wichtige Land", wie er sagt, sogar flüchten. Dies, einem "Urfreund" gegenüber eingestanden, heben wir uns noch einen Moment auf.

Mit der Bereitschaft, das "Reich der Mitte" zur Kenntnis zu nehmen, stand Goethe nicht allein. Bekanntlich beschäftigte sich das geistige Europa von Leibniz bis Herder und Hegel mit China, wie in der höfischen Welt von Petersburg bis Paris das ferne Land in Mode gekommen war.

Goethe hält sich, so gut er es vermag, auf dem laufenden, geht Reisebeschreibungen, den Orient betreffend, durch, studiert den Bericht des Marco Polo und neuere Nachrichten. 1783 liest er Pierre Sonnerats "Reise nach Ostindien und China". Von nun an ist Goethe Jahr um Jahr mit orientalischen Stoffen befaßt.

Umgekehrt erfolgt zeitig ein fernes Echo, nicht zufällig Goethes Geniestück aus Jugendzeiten betreffend, das den Weltruhm begründet hat. So lesen wir in den venezianischen Epigrammen von 1790: "Deutschland ahmte mich nach, und Frankreich mochte mich lesen. England, freundlich empfingst du den zerrütteten Gast. Doch was fördert es mich, daß auch sogar der Chinese malet mit ängstlicher Hand Werthern und Lotten aufs Glas?"

Warum ist der Meister so grämlich? Ein gezieltes Understatement? Warum vermutet er "ängstliche Hand" bei Leuten, denen Werthers und Lottes Geschick so wichtig war, Motive des Romans zierlich aufs Glas zu malen? Tatsächlich waren solche chinesischen Malereien seit 1779 in Deutschland aufgetaucht - es kann ihn nicht betrübt haben!

Wenn man heutzutage zwischen Tiber und Adige gar manchem Chinesen begegnet, dann war das zweihundert Jahre zuvor ein außerordentlicher Vorfall - falls Goethe mit seinem Gedicht "Der Chinese in Rom" vom August 1796 überhaupt einen Chinesen meint und nicht vielmehr, auf Kosten der Chinesen, die Arroganz eines Kollegen (Jean Paul) abzustrafen sucht." Eigentümlich weist dabei die Absolutheit der konträren Werturteile, in der Sicherheit des Gewohnten ruhend, auch Chinesisches auf.

Mit der tieferen Entdeckung der östlichen Welt, vertiefter Lektüre, ja Nachdichtungsversuchen, wenn auch aus zweiter Hand, differenziert sich Goethes China-Bild. Es geht um reale Kenntnisnahme, so schwierig sie war, und nicht um jede, freilich auffällige, Gemeinsamkeit - sagen wir die Verehrung des Mondlichtes.

Gelegentlich sucht Goethe dem fernöstlichen Sujet auf eigene Weise geheimen Sinn abzugewinnen, so wenn er (in Heidelberg 1815) das Blatt des Ginkgo-Baumes bedichtet. Der Ginkgo-Baum, in seiner Urheimat "Silberaprikose" geheißen, wird dort als Spender heilsamer Medizin geschätzt und, stets zu zweit, achtungsvoll vor die Tempel gepflanzt. Aber die Entdeckung des Ginkgo-Blattes als Liebessymbol wird man wohl Goethe zuschreiben müssen:

Gingo Biloba

Dieses Baums Blatt, der von Osten
Meinem Garten anvertraut,
Giebt geheimen Sinn zu kosten,
Wie's den Wissenden erbaut.

Ist es Ein lebendig Wesen,
Das sich in sich selbst getrennt?
Sind es zwei, die sich erlesen,
Daß man sie als Eines kennt?

Solche Frage zu erwidern,
Fand ich wohl den rechten Sinn,
Fühlst du nicht an meinen Liedern,
Daß ich Eins und doppelt bin?

Über Feinheiten chinesischer Poesie, chinesischer Romane weiß Goethe mit Sachkunde zu urteilen. "Die Menschen denken, handeln und empfinden fast ebenso wie wir, nur daß bei ihnen alles klarer, reinlicher und sittlicher zugeht", sagt er - man schaue wieder einmal in die Eckermann-Aufzeichnungen (Gespräch vom 31. Januar 1827). Wenn er dabei das Sittliche der vorgefundenen Literatur kräftig hervorhebt, dann gewiß auch, weil die derbdrastischen chinesischen Texte im Abendland noch nicht bekannt geworden sind.

Wenige Wochen später bietet Goethe "Chinesisches", eine kleine Studie mit Beispielen; "Nachstehende ... Notizen und Gedichtchen", schreibt er einleitend, "geben uns die Überzeugung, daß es sich trotz aller Beschränkung in diesem sonderbar-merkwürdigen Reiche noch immer leben, lieben und dichten lasse."

Ebenfalls noch 1827 versammelt er 14 kleine Gedichte unter dem Titel "Chinesisch-deutsche Jahres- und Tageszeiten".

"Wohin mein Auge spähend brach, Dort ewig bleibt mein Osten", heißt es dort. Der Kommentator der Berliner Ausgabe sucht mit seiner Fußnote unsere Phantasie auf ein Mädchen festzulegen: "mein Osten - Die Gegend des Sonnenaufgangs; für den Dichter diejenige Gegend, in der die mit der Sonne verglichene Geliebte sich aufhält." Da allerdings glauben wir mehr als die Geliebte zu erkennen! Besonders in krisenhafter Zeit ist dem Dichter sein Osten gewiß: "Wenn dir's bei uns nun nicht gefällt, so geh in deine östliche Welt."

Das Jahr 1813 mit seinen Kriegsdrommeten und seinem patriotischen Rausch, an dem Goethe nicht teilhaben kann und will, ist ein solches Jahr. In der mit der Welthistorie verknüpften Bedrängnis gesteht er Karl Ludwig von Knebel (1744-1834), seinem Weimarer Freund: "Ich habe die Zeit, mehr um mich zu zerstreuen, als etwas zu tun, gar mancherlei vorgenommen, besonders habe ich China und was dazugehört fleißig durchstudiert. Ich hatte mir dieses wichtige Land gleichsam aufgehoben und abgesondert, um mich im Fall der Not, wie es auch jetzt geschehen, dahin zu flüchten." Aufschlußreich fügt er an: "Sich in einem ganz neuen Zustande auch nur in Gedanken zu befinden, ist sehr heilsam." (Brief aus Weimar vom 10. November 1813)

Wie er dabei gefördert ist, bleibt Gewinn für uns alle. Ich erinnere mich, wie wir unseren Qigong-Lehrer in Peking mit Goethes Spruch vom Atemholen überraschten und erfreuten, dem 5. der "Talismane" im "Buch des Sängers" ("West-östlicher Divan"), hielt er sich doch plötzlich mit seiner Kunst verstanden:

"Im Atemholen sind zweierlei Gnaden: / Die Luft einziehen, sich ihrer entladen; / Jenes bedrängt, dieses erfrischt; / So wunderbar ist das Leben gemischt. / Du danke Gott, wenn er dich preßt, / Und dank ihm, wenn er dich wieder entläßt."

Da werden in Lebenssicht und bis in die Feinheiten des Gedichts Übereinstimmungen möglich, bei denen Orient und Okzident nicht mehr zu trennen sind.

Erhard Scherner

Der Text des Autors entstand im August 1999.


Der RF-Redaktion ist eine beeindruckende Sendung aus der Volksrepublik China zugegangen. Es handelt sich um ein 476 Seiten umfassendes "Lexikon der deutschen Geschichte". Die handschriftliche Zueignung eines der Hauptautoren wollen wir den Lesern nicht vorenthalten: Prof. Liang Jian-hua war zunächst am Institut zur Herausgabe und Übersetzung der Werke von Marx und Engels beim ZK der KP Chinas tätig und arbeitete dann bei der Botschaft der VR China in der DDR. Redaktion und Förderverein danken dem marxistischen Forscher und übermitteln ihm solidarische Grüße.

*

Arnold Zweig erzählt die Vorgeschichte des Staates Israel in einem packenden Krimi

Araberfeindschaft und Judenhaß - warum?

Arnold Zweig, geboren 1887, ist als Autor von Büchern wie "Der Streit um den Sergeanten Grischa", "Erziehung vor Verdun" oder "Junge Frau von 1914" einem Millionenpublikum bekannt - vor allem aber als ein meisterlicher, für den Frieden engagierter Chronist des Ersten Weltkrieges. Weniger verbreitet ist sein Buch "De Vriendt kehrt heim". Angesichts der anhaltenden aggressiven Innen- und Außenpolitik Israels scheint Zweigs Roman aus dem damaligen Palästina brandaktuell. Ausgangspunkt ist der Mord an dem Jerusalemer Dichter, Journalisten und Rechtsgelehrten Jizchak Josef de Vriendt. Der Autor entwickelt die Handlung entlang der sozialen Konfliktlinien. Er führt die Leser auf einer Zeitreise in die Entstehungsgeschichte jener unfriedlichen Auseinandersetzungen - und vermittelt dazu die Spannung eines brillanten Kriminalromans. So bietet die Lektüre von "De Vriendt kehrt heim" eine vorzügliche Form der politischen Aufklärung. Sie ist besonders nötig, da die Bundesregierung und ihre Mediendiener gezielte Begriffsverwirrung betreiben - zwischen Antisemitismus und Israelkritik, zwischen Judentum und Zionismus.


Vor wenigen Wochen blickte die weltweite Christenheit wie alle Jahre wieder andächtig-fromm auf Bethlehem im palästinensischen Westjordanland. Denn dort soll nach biblischer Legende im Jahre 1 unserer Zeitrechnung der Verkünder und Urgrund von Frieden und Versöhnung in die Welt gekommen sein. Dabei ist gerade die Westbank ein Schauplatz anhaltender Feindseligkeiten. Hauptverantwortung dafür tragen zionistische Siedler, die in palästinensisches Autonomiegebiet vordringen, und israelische Armee-Attacken, gefolgt von "Vergeltungen".

Die Ursachen jener kriegerischen Konflikte im Nahen Osten reichen bis zum Beginn vorigen Jahrhunderts zurück. Als der deutsche Schriftsteller Arnold Zweig, Sohn eines jüdischen Handwerkers, 1934 vor den Nazis ins britisch verwaltete Palästina geflüchtet war, beobachtete er dort analytisch scharf die sozialen Folgen der vierten Einwanderungswelle (Alija). Seine Sympathie galt zunächst dem unbändigen Aufbauwillen, den viele der Neuankömmlinge mitbrachten. Überwiegend aus Osteuropa vor Pogromen und antisemitischer Diskriminierung geflohen, waren die meisten von sozialistisch-genossenschaftlichen Ideen begeistert. Doch mit ihren Landnahmen und ihrer offensiv zionistischen Stoßrichtung provozierten sie den Konflikt mit den alteingesessenen arabischen Bewohnern wie mit den dort gleichfalls seit Jahrhunderten beheimateten orthodoxen Juden. Diese sahen die bewährte friedliche Koexistenz mit den arabischen Nachbarn gefährdet. Auch fürchteten sie um ihre historisch gewachsenen geistig-kulturellen Güter: Eine uralte, doch antimoderne Glaubenslehre wurde massiv von emanzipatorischen Ideen bedrängt.

Die britischen Kolonialverwalter beobachteten gleichfalls mit Unwillen die von den Zionisten ausgehende Unruhe in ihrem Herrschaftsgebiet.

Vor dieser Szenerie beginnt Zweigs Erzählung, die Chronik eines angekündigten Mordes. Mehrere Warnungen ignoriert der Bedrohte, bis ihn die tödlichen Schüsse auf nächtlicher Straße niederstrecken. Aber war De Vriendt, der konservative Intellektuelle und aktive Publizist holländischer Herkunft, wirklich durch ein politisches Attentat zu Tode gekommen? Oder fiel er dem Racheakt arabischer Clanführer zum Opfer? Denn der Getötete hatte sich einerseits für den friedlichen Ausgleich mit den arabischen Bewohnern des Landes eingesetzt, mußte andererseits jedoch ein gefährliches intimes Geheimnis hüten: die homoerotische Beziehung zu seinem jungen Lieblingsschüler Saûd Ibn Abdallah, Sproß einheimischer Notabeln.

In Leonard B. Irmin hatte das Mordopfer einen einflußreichen Freund. Die beiden Männer, der mosaische Gelehrte und der bürgerlich-humanistisch aufgeklärte Geheimdienstchef der britischen Verwaltung, waren durch geistig anregende Gespräche, gegenseitigen Respekt und Vertrauen einander verbunden gewesen. So übernimmt Irmin die Ermittlung im Mordfall De Vriendt nicht nur pflichtgemäß, sondern auch persönlich engagiert. Hartnäckig und professionell geht er den Spuren nach. Indessen wird es zunehmend unruhig in seinem Zuständigkeitsbereich. Eine Presseveröffentlichung wächst sich zum Skandal und dieser zur innenpolitischen Krise aus.

Irmin stellt am Ende den Täter: Der junge Arbeiter Mendel Glass hatte den tödlichen Schuß auf den De Vriendt abgegeben. Irmin und Glass fechten ein packendes Rededuell aus, während sie sich zu zweit auf einem schwankenden Boot inmitten der giftigen Salzgewässer des Toten Meeres befinden. In der für ihn bedrohlich-dramatischen Lage spricht Mendel Glass grundlegende Bedingungen von Haß, Gewalt und Verfolgung aus: "Dem Strafbedürfnis der Menschen scheint ein tiefes Verlangen nach Rache zugrunde zu liegen, die Strenge des Richters kommt uns Arbeitern oft wie Blutrache gegen unsere Klasse vor, wenn einer von uns durch ein Verbrechen euch einmal wehrlos ausgeliefert ist." An dieser Stelle des Wortwechsels verliert der bewaffnete Vertreter der Imperialmacht den Spaß am intellektuellen Disput und beinahe auch die bürgerlich-humanistische Fassung. Doch schließlich überläßt er das Richteramt dem Gott der Christen, Juden und Muslime. Mit dem Pistolenlauf weist Irmin den Gegner von Bord, und Mendel durchschwimmt die giftgesättigten Fluten ...

Jizchak Josef de Vriendt ist heimgekehrt in die Ewigkeit der alttestamentarischen Vorväter. Doch das "Gelobte Land" bleibt fortan zerrissen: "Das letzte Jahr war voller Aufregungen: jüdischer Boykott, arabischer Boykott, heftige Tätigkeit der beiden Exekutiven und ihrer Anwälte vor der britischen Untersuchungskommission, die aufs gründlichste den Ursachen der letzten Unruhen nachforscht (...) Die Juden aber haben eine neue Zeitrechnung eingeführt (...) 'Damals' sagen sie, 'vor den Unruhen' und: 'Heute, seit den Unruhen.' In diese zwei Zeiten zerfällt jetzt die Geschichte des neuen Palästina, und so wird es noch einige Jahre bleiben."

Marianne Walz

*

Gisela Steineckert: Hand aufs Herz

Wenn ich schreibe, denke ich mir selten etwas aus. An Phantasie und Lust dazu würde es nicht fehlen, aber die Erinnerungen sind stärker. Was mich geprägt hat, war das Beobachten einer Lebensart, die ich für mich nicht wollte.

An jedem 2. Februar denke ich, daß heute Lichtmeß ist. Da wechselten die Mägde im oberösterreichischen Dorf oft auf einen anderen Bauernhof, wie immer für fünfzig Mark im Monat und die gleiche Arbeit. Vorher war ein wortkarger Bauer gekommen, legte fünf Mark auf den Tisch, und so verdingte sie sich neu, für Schweinefleisch mit Klößen. Und ein Bett in ofenloser Kammer, die sie mit der Kleinmagd teilte.

Die Habe der Mägde, "Dirn'" genannt, bestand aus dem eigenen Schrank, den der Bauer schräg auf seinen Leiterwagen hievte, ehe er die Frau auflud. Es war Krieg, die Männer kamen nicht mehr fensterln, sie waren in Rußland.

So waren das Mähen, das Kalb herausziehen, Schlachten und den Stier beim Besamen halten nun auch noch Frauensache. Am Sonntag und an kirchlichen Feiertagen hatte sie frei. Da mußte sie nur dreimal ein Dutzend Kühe melken, dreimal füttern und zweimal ausmisten. Die übrige Zeit konnte sie an ihrem meterlangen schmalen Sargband sticken, für die eigene Beerdigung. Ich habe auch ein paar "Kreuzel" beigetragen, und nahm mir beim Sticken ein anderes Leben vor. Gab es später Überforderung, erwuchs die aus dem eigenen Streben.

Dreißig Jahre später war ich zu Besuch dort. Mägde und Knechte gab es nicht mehr, Melken und Buttern waren automatisiert, es gab eine Dusche neben dem Kuhstall- und eine "Kronenzeitung". Und neue Häuser mit allem Komfort, einen Sportplatz sogar, asphaltierte Straßen, autogerecht. Die Bäuerin las ihre tägliche Zeitung, die mit der Krone. Der Inhalt: ein Grund, ohne Tränen wieder abzureisen. Wir haben beim Wiedersehen vor Freude geweint und konnten keinen Gedanken teilen.

Ich denke heute, daß meinetwegen niemand im All seine geniale Fähigkeit zum Risiko und zur totalen Abgeschnittenheit beweisen muß. Der Mutige, Sympathische, sieht die Erde von oben, so zerbrechlich, daß er sich wundert, "warum sich die da unten gegenseitig bekriegen".

Aber sie tun es, und niemals als Ersttäter, sondern als, mit den zugegeben bedauerlich falschen Methoden, um ihr Recht Kämpfende. Wo immer es "losgeht", wird nur zurückgeschlagen, wird Auge um Auge bezahlt, schlägst du meine Wange - oder ich denke, du hast das vor, nehme ich deiner Frau die Würde, weil ich ja weiß, daß ich damit deine Mannesehre zerstöre.

"Wir leben in einer Zeit vollkommener Mittel und verworrener Ziele." Das hat Albert Einstein gesagt. Ein kluges und auch heute treffendes Wort zur derzeitigen, Angst machenden Lage.

Wenn wir wollen, können wir in kürzester Zeit ein Mittel gegen Ebola mixen, dessen langer Weg in den Laboratorien auf Versäumnisse weist. Wir können dulden, daß gewählte Volksvertreter eine Aura von Mittelmäßigkeit und Lustlosigkeit, neben unsachlicher Gehässigkeit gegeneinander, ausstrahlen und durch die Medien verbreiten, so, daß sich die Zahl derer, die sich das im Fernsehen anhören, stark nach unten bewegt. Wenn man sieht, wie sie mit einem Zettel in der Hand zum Pult schreiten, um ihre Meinung dort abzulesen, wünschte man sich, das wäre verboten. Früher haben sich Leute wie Strauß, Wehner, Schmidt und sogar noch Schröder die Wörter und Argumente um die Ohren gehauen.

Sie waren keine "höh'ren Wesen", und nichts hat uns vor ihren höheren, nie aufgegebenen strategischen Plänen bewahrt. Aber die Heutigen scheinen in ihrem Hohen Haus nicht zu bedenken, wie ablesbar, wie durchschaubar inzwischen ihr Trachten ist. Sie spielen mit verteiltem Schuldanteil das Szenarium durch: Tun wir doch mal so, als ob wir glauben, daß der Russe an allem schuld ist. An Nazis auf dem Maidan, an der viel zu schönen Olympiade in Sotschi, am Widerstand gegen zu nahe Raketen an ihren Grenzen, am Versuch, sich zu schützen.

Die Amis haben sich Texas geschnappt, aber die auf der Krim haben kein Recht, gegnerische Pläne zu durchkreuzen.

Vermutlich glauben die uns regierenden Leute nicht an das, was sie in ihren Gremien vertreten. Sie tragen vor, quengeln ein bißchen herum und winken durch. Wie sonst wäre eine solche Bewohnung des Schlosses für den höchsten Herrn im Staate möglich. Und wenn er ab morgen barfuß ginge, und als Expastor dem Papst Franziskus zu gleichen suchte - wie sollte denn sein Vorleben aus unserem Gedächtnis gelöscht werden, so, daß wir ihm vertrauen wollten?

Ich habe ihm als Wahlfrau im Bundestag meine Stimme versagt. Beim zweiten Anlauf haben aber doch zu viele Herzen für ihn votiert. Nur: Als er seine Rede auf der Westerplatte von sich gab, zeigte sich die ganze Fragwürdigkeit einer falschen Besetzung. Und des zu geringen Widerstandes im politischen Umfeld.

Unsere Politiker sind nicht glaubwürdig, daher kommt die enge Grenze ihres Einflusses. Sie haben auch keine Konzeption für Bildung, Arbeit und das Einleben der Flüchtlinge. Die behalten bei uns ihren Atem, aber ein Leben gewinnen sie nicht. Es gibt einzelne Persönlichkeiten, die Vorschläge machen, mit den Kids kicken, Kultur einbringen, aber sie können nichts ersetzen. Wer sich da einmischt, wird "aus der Mitte der Gesellschaft", angegriffen. Ermutigung für nachreisende Ehefrauen, die Sprache des für sie neuen Landes zu erlernen, ist abgeblockt worden. Aber ohne die einheimische Sprache wird die Frau in ihrer traditionellen Ungleichwertigkeit festgehalten.

"Er hat ihr doch nur eine Ohrfeige gegeben", sagt sein Kumpel und schreitet damit gegen die öffentliche Verurteilung des Mörders von Tudge ein. Bloß eine Ohrfeige, das ist doch gar nichts. Schließlich hat sie den Täter gehindert, minderjährige Mädchen zu belästigen. Die Trauer um diese junge Frau ist echt - aber sie wird nichts ändern. Denn diese Gesellschaft verdrängt alles, was keinen Gewinn bringt. Es geht ihr noch immer um Wichtigeres. Die unanständige Bereicherung an der DDR verblaßt vor der dringenden Abrechnung mit ihren Bewohnern, gar deren Führungspersonal. Der Kabarettist Dieter Nuhr hat bei der Abrechnung für 2014 noch einmal an die Zustimmung für den Mauerfall erinnert: "Aber wir wußten ja nicht, was da alles rübergekrabbelt kommt." Läuse und Wanzen?

Eine von Strafe und Rache geprägte Behörde geleitet zu haben, im früheren Leben selber nachweisbar erbötig, macht spätere Tugend-Reden unglaubwürdig. Das Schlimmste in der Gegenwart: Es ist "da oben" kein Wille zum Umdenken da, oder er ist nicht erkennbar.

Menschen, die keine Verantwortung für ihr eigenes und das Leben auf der Erde übernehmen können, weil ihnen das Wissen und das Bedürfnis dazu fehlen, kommen häufig aus Familien, die ihnen verfehlten Anspruch und Phlegma vorgelebt haben. Der Staat hat ihnen das mit einer Agenda ermöglicht. Umdenken, statt Gänsekeule für Obdachlose, wäre der Weg. Ich sehe nicht, daß Befugte sich dazu auf die Socken machen. "Irgendwie Maut" scheint wichtig. Erhöhung der Frauenquote in Chefetagen statt Veränderung der Lern- und Lebenschancen für Frauen. Minderung der Pflichten als gleichzeitig dreifach Zuständige, das ist nicht in Arbeit, und "Gender" hat gar nichts gebracht. Nur zynische Vorschläge. Wir könnten doch beizeiten unser Erbgut einfrieren, für viel später, dann wären wir in den besten Jahren verfügbar wie ein Mann. Man muß die Natur nicht überschätzen, aber respektieren sollten wir sie schon.

Allein fühle ich mich mit meinen Einwänden nicht. Das ist ein gewaltiger Trost, immer wieder der nächsten Chance, dem nächsten Frühling zu.


Dasein

Dasein
in dem einen Leben
das uns gegeben ist

Dasein
etwas daraus machen
daß dich jemand braucht
dich vermißt

Dasein
für den Frieden da sein
daß er erhalten bleibt

*

Leserbriefe an RotFuchs

Als Dresdner muß man sich schämen, daß sich jeden Montag mehr Menschen an den hier stattfindenden PEGIDA-Aufmärschen beteiligen. Bewußt oder unbewußt beziehen sie damit ausländerfeindliche, rechtspopulistische Positionen, die den Nazis und der AfD den Boden bereiten sowie Hooligans und extremistische Gruppierungen anziehen. Scheinheilig wird von führenden Politikern das Recht auf Meinungsfreiheit als höchstes Gut der Demokratie beschworen, während man Bestimmungen des Grundgesetzes wie die Unantastbarkeit der menschlichen Würde und der Religionsfreiheit mißachtet. Mit ihrer rußlandfeindlichen Politik, der Verächtlichmachung von Bulgaren und Rumänen sowie der Maut für Ausländer leisten sie PEGIDA und verwandten Kräften Vorschub bei der Volksverhetzung.

Prof. Dr. Harry Conrad, Dresden


Genozid - oder Völkermord - ist der in diesem Falle pseudojuristische Begriff, unter dem sowjetische Widerstandskämpfer aus der Zeit der Naziokkupation des Baltikums vor Gerichte zitiert wurden. Der 86jährige Wasili Kononow wurde für angeblich von ihm begangene Kriegsverbrechen zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. 1941 hatte er sich den Partisanen angeschlossen, die im Laufe des Krieges den Faschisten beträchtliche Verluste zufügten. Ein anderer Kriegsveteran, der 84jährige Michail Farbtuch, war ein sowjetischer Staatsanwalt gewesen. Er wurde aus seiner Wohnung auf einer Bahre ins Gefängnis gebracht, wo er eine fünfjährige Freiheitsstrafe verbüßen muß. In beiden Fällen stützte sich die Anklage auf den Begriff "Genozid am lettischen Volk". Wer würde britische Bomberpiloten, die Wuppertal, Hamburg oder Dresden in Schutt und Asche legten, des Genozids an der deutschen Zivilbevölkerung anklagen?
In Riga scheint man vergessen zu haben, daß der Feind im Zweiten Weltkrieg nicht die Sowjetunion, sondern Nazideutschland war. Der Sieg kostete 28 Millionen Menschen das Leben, von den schweren Verwüstungen großer Landesteile ganz zu schweigen. Das russische Außenministerium stellte fest, Michail Farbtuch habe nach der damals gültigen Rechtsprechung der UdSSR korrekt gehandelt und sei ein Opfer des "historischen Revanchismus", der sich gegen die sowjetische Oberhoheit im Baltikum zwischen 1940 und 1991 richtet. Weitere Antifaschisten sollen vor Gericht gezerrt werden, während Mitglieder der lettischen Waffen-SS durch die Straßen Rigas paradieren und als "Kriegsteilnehmer" bundesdeutsche Pensionen erhalten.

Dr. Vera Butler, Melbourne


"Nach Anruf - Morddrohung". So lautete der Titel einer WDR-Sendung im vergangenen Dezember. Geschildert wurde das Schicksal afghanischer Familien, deren männliche Mitglieder den bundesdeutschen Besatzern während des zwölf Jahre andauernden Krieges am Hindukusch als "Hiwis" gedient hatten. Wie in historisch vergleichbaren Fällen geschehen, werden solche "Helfer" von ihren "Arbeitgebern" nach deren Rückzug wie heiße Kartoffeln fallengelassen.
Der Angriff auf ein anderes Land stellt einen räuberischen Feldzug dar, der von den meisten Bewohnern aus gutem Grund als ein zutiefst feindlicher Akt wahrgenommen wird. Dementsprechend ist auch ihre Einstellung gegenüber Landsleuten, die den Räubern bei deren Tun geholfen haben. Daß diese sich auch aus materieller Not zu einem solchen "Bärendienst" entschlossen haben könnten, blieb in der erwähnten Reportage außer Betracht.
Während die abziehenden Besatzer ihr Pseudo-Image als untadelige Brunnenbauer und Gründer von Mädchenschulen zu bewahren trachten, haben die abservierten "Hiwis" der Bundeswehr keine rosigen Perspektiven. Daher versuchen viele, ein Visum in jenes Land zu erhalten, für welches sie jahrelang ihren Kopf hingehalten haben. Doch die Möchtegern-Ausreisenden schweben in einem Zustand permanenter Angst und müssen mit dem Schlimmsten rechnen. Ein Teil von ihnen hat es aber trotz aller bürokratischen Hindernisse geschafft und ist in das Land der Dienstherren vorgedrungen, um dort diskriminiert zu werden. Das Fazit eines "Hiwis" lautet daher: Wäre uns damals bewußt gewesen, wie alles abläuft, dann hätten wir uns nicht an fremde Eindringlinge verkauft.

Dr. Günther Freudenberg, Bernburg


Den Anregungen von Bundespräsident Gauck folgend hat die NATO der Bundeswehr eine zentrale Rolle im Rahmen einer neuen Sondereingreiftruppe zugewiesen. Ab sofort soll Frau von der Leyens Truppe den Russen wieder einmal so richtig Angst einjagen. Man stelle sich vor, Bundeswehrsoldaten stünden in der Ostukraine Putins Armee gegenüber. Hatten wir das nicht schon?
Die neue Rolle der BRD in Europa beflügelt Revanchisten und Militaristen im Lande und läßt sie wieder von einem Großdeutschland träumen. Will man dem Widerstand entgegensetzen, muß man den Mut haben, gegen den Strom zu schwimmen. Das betrifft auch die DDR. Unser Standpunkt zum untergegangenen ersten deutschen Staat, in dem die Ausbeutung abgeschafft war, ist nicht verhandelbar. Wir bleiben dabei: Die DDR war das bessere Deutschland, auch wenn sie eine Reihe von gravierenden Mängeln besaß, die letztlich zum Exitus beitrugen.
Klaus Steinigers klare Aussagen im "Weser-Kurier" zu dieser Thematik kann ich nur unterstützen. Die von dem Bremer Interviewer aus den Antworten herausgefilterten Überschriften entsprechen der Wahrheit.

Hans-Peter Ackermann, Oberviechtach (Bayern)


Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken, als ich die Nachricht vom Aufbau einer zusätzlichen Schnellen Eingreiftruppe unter maßgeblicher Mitwirkung der Bundeswehr vernahm. Die Stoßrichtung ist eindeutig: Es geht gen Osten. Das ist nichts Neues. So verlief schon einmal der Ritt der faschistischen deutschen Wehrmacht. Wie mag polnischen und russischen Menschen bei einer solchen Nachricht zumute sein?

Marianne Wuschko, Hoyerswerda


Einige Gedanken zum Leitartikel der Januar-Ausgabe.
Auf dem Sonderparteitag im Dezember 1989 trennte sich die neue Führung mit dem Beschluß über die Auflösung der Parteiorganisationen in den Betrieben bereits von der Arbeiterklasse und damit von marxistischen Grundlagen. Getarnt wurde das Vorgehen noch mit dem Stalinismus-Begriff. Die "Verbesserer" des Sozialismus hatten keine Konzepte zum Erhalt der DDR. Sie konzentrierten sich bereits darauf, als linke Formation in der bürgerlichen Parteienlandschaft der Bundesrepublik "anzukommen". Die Rede Gysis zum 60. Jahrestag der Gründung Israels markiert einen weiteren Höhepunkt in der Abkehr von sozialistischen Inhalten und internationaler Solidarität.
Einige Führungskräfte der Linken jubelten am 25. Jahrestag des "Mauerfalls" mit, obwohl der Untergang der sozialistischen Staaten Europas als größte Niederlage der linken Kräfte im kontinentalen Maßstab, zugleich aber auch mit negativen Auswirkungen auf den gesamten Erdball zu betrachten ist.

Horst Neumann, Bad Kleinen


Ulrich Guhl gebührt Dank für seinen Beitrag im RF 203 über die "Helden" der KgU. Diese Organisation hat neben dem "Untersuchungsausschuß freiheitlicher Juristen" in den 50er Jahren eine besonders üble Rolle im Kampf gegen die DDR gespielt. Durch Überläufer wurde 1952 bekannt, daß die KgU beabsichtigte, DDR-Anwalt Friedrich Karl Kaul beim Verlassen des Moabiter Gerichts zu überfallen und im Grunewald zu mißhandeln.

Rechtsanwalt Ralph Dobrawa, Gotha


Ich möchte mich auf den Leserbrief von Niki Müller im RF 201 beziehen. Sein Thema ist die braune Vergangenheit Schleswig-Holsteins. Beim Lesen der interessanten Zuschrift erinnerte ich mich an Churchills "Operation Unthinkable" - einen unter Führung von drei US-Generalen mit Patton an der Spitze ausgearbeiteten Plan, am 1. Juli 1945 einen neuen Krieg gegen die Sowjetunion zu beginnen. Die britische Armee hatte damals etwa 15 Divisionen der faschistischen Wehrmacht in Süd-Dänemark und Schleswig-Holstein interniert. Aus den rund 100.000 dort gefangenen Offizieren, Unteroffizieren und Soldaten sollten 10 bis 12 Divisionen neu aufgestellt und gemeinsam mit weiteren 110 Divisionen der USA, Großbritanniens, Kanadas, Frankreichs und anderer Staaten gegen die Rote Armee in Marsch gesetzt werden.
Der Plan wurde letztlich verworfen, weil der britische Generalstab ihn als undurchführbar einstufte. Die damals formulierte Stoßrichtung des geplanten Angriffs erinnert sehr an die aktuelle Lage: "Das übergeordnete politische Ziel ist es, Rußland den Willen der Vereinigten Staaten und des Britischen Empire aufzuzwingen."

Manfred Kriegeskorte, Wiehl


Sicher habt Ihr es inzwischen selbst gemerkt: Der 9. Mai 1945 war in Moskau ein grandioser Feiertag mit Feuerwerk, Siegesfreude und Trauer in einem. Die Siegesparade, von der Euer Bild auf Seite 13 im RF 203 kündet, fand aber erst am 24. Juni statt. Dafür wurden die Paradetruppen mit neuen Uniformen ausgestattet.
Der deutsche Faschismus lag, gleichsam wie seine Standarten, vor nunmehr fast 70 Jahren auf dem regennassen Pflaster des Roten Platzes am Boden. Seine Ableger wucherten zuerst zaghaft. Heute haben sie schon Kniehöhe angenommen. Wann werden sie uns bis zum Halse stehen?
Die Genossenschaft der Unkrautbekämpfer wurde abgewickelt. Ähnlich klingende Vereine ducken sich, wenn sie ein Klampfen-Mann im Parlament beschimpft, weil er wütend ist, daß 1989/90 niemand an den Laternen aufgeknüpft wurde.
So ist auch das Erinnern an die Parade vom 24. Juni Anlaß, darüber nachzudenken, was aus dem teuer erkauften Sieg geworden ist.

Wolfgang Groschel, Cottbus


Dieser Tage fand in Moskau ein Plenum des ZK der KP der Russischen Föderation statt. Es stellte den Kommunisten die Aufgabe, aktiver unter der Arbeiterklasse zu wirken, damit sie sich als solche erkenne, den Kampf gegen den Kapitalismus aufnehme und für ihre politische Herrschaft kämpfe. Mit anderen Worten: Vor uns stehen ungefähr die gleichen Aufgaben, mit denen sich die SDAPR zu Beginn des 20. Jahrhunderts konfrontiert sah. Die Gorbatschow-Jelzin-Bande hat unser Land um 100 Jahre zurückgeworfen. Nun gilt es, von vorn zu beginnen.
Ich danke der Redaktion des "RotFuchs" für die regelmäßige Übersendung jeder Ausgabe Ihrer wunderbaren Zeitschrift!

Alexander Koschewnikow, Jekaterinburg


Zu ihrem Pech haben westliche Börsensender kürzlich vermeldet, daß das South-Stream-Projekt von den Russen nicht aus Geldnot abgeblasen wurde. Man habe es nur auf Eis gelegt, weil der Westen dagegen war, daß russische Staatskonzerne nicht nur die Öl- und Gas-Lieferanten, sondern auch noch die Netzbetreiber sind und deshalb mit der neuen Pipeline im Westen ordentlich Kasse machen könnten. Gleichzeitig wurde bekanntgegeben, daß Rußland eine Leitung in die Türkei baut und China im großen Stil beliefert werden soll. Putin sorgt also für seine Russen! Doch Merkels und Gabriels Koalition sorgt nicht für die Deutschen. Durch die Sanktionen brechen kostbare Wirtschaftsbeziehungen für viele kleine und mittlere Unternehmen weg. So gehen Arbeitsplätze verloren.

Kornelia Mücksch, Schkeuditz


Nach 16 Jahren wurde ein historischer Sieg errungen. In Lateinamerika ist Obamas durch den Kurs der Normalisierung der zwischenstaatlichen Beziehungen mit Kuba bekundetes Fiasko der aggressiven Politik gegenüber der Insel der Freiheit mit Freude aufgenommen worden. Während die Kubaner die Rückkehr ihrer letzten drei kühnen Aufklärer feiern, weisen Politiker anderer Staaten auf die prinzipielle Bedeutung der getroffenen Entscheidung für den Kontinent, aber auch für Afrika, Asien und Europa hin. Man verhandelt nunmehr zunehmend auf gleicher Augenhöhe. So läßt sich Ekuador in ökologischen Fragen keine Vorschriften mehr von der BRD machen.

Daslelys Merino Torres, Kuba


Die Präsidenten Raul Castro und Barack Obama haben mit der Normalisierung der Beziehungen zwischen Kuba und den USA die Welt überrascht. Die seit über 50 Jahren verfolgte Politik der USA ist kläglich gescheitert. Warten wir's ab, wie es weitergehen wird! Schon ist in Washington von der Absicht die Rede, einen "Wandel durch Annäherung" herbeizuführen. Spätestens nach der Amtszeit Raul Castros werden die USA alles unternehmen, um den Sozialismus auf Kuba zu kippen.

Joachim Spitzner, Leipzig


Ich begreife nicht, daß es in unserer Partei Die Linke Abgeordnete gibt, die Kriegs- und Auslandseinsätze der Bundeswehr absegnen. Das ist Mitgliedern einer Friedenspartei unwürdig. Sollten diese Abgeordneten ihr Mandat weiterhin dazu mißbrauchen, solche Einsätze zu befürworten, werde ich ihnen mein Vertrauen entziehen.

Erna Ziegler, Chemnitz


Die bürgerlichen Medien haben sich bereits auf die nächsten "Großereignisse" eingeschossen: den 70. Jahrestag der Befreiung und die 25. Wiederkehr des Tages der Annexion der DDR durch die BRD. Die feindliche Übernahme der NVA und der Grenztruppen durch Bundeswehr und Bundesgrenzschutz war damit verbunden.
Zum 70. Jahrestag der Befreiung und des Sieges habe ich dem früheren Kommandeur der 39. Garde-Mot-Schützendivision der Sowjetarmee, Generalmajor W. N. Piwowarow, vorgeschlagen, einen Beitrag über den Kampfweg seines Verbandes im Großen Vaterländischen Krieg von der Ukraine über Stalingrad bis Berlin für den "RotFuchs" zu schreiben. Die Division war im thüringischen Ohrdruf stationiert.

Oberst a. D. Hans Linke, Suhl


Der Dezember-RF besitzt besondere Qualität. Um meine Weihnachtspost zu bereichern, habe ich so manchen Artikel kopiert und verschickt. Ein besonderer Leckerbissen war für mich die Wiedergabe des Interviews, das Ben Zimmermann, Journalist beim Bremer "Weser-Kurier", mit Klaus Steiniger geführt hat. Die Antworten auf Zimmermanns Fragen sind so klar, daß sie wohl auch etliche Leser des "Kuriers" verstanden haben dürften. Es zeugt von souveränem Denken, daß der RF diesen Artikel nachgedruckt hat. Die Formulierung des Interviewten, Gauck sei "der größte Mißgriff" gewesen, hat mir besonders zugesagt. Eine so höfliche Antwort wäre mir nicht eingefallen.

Brigitte Marx, Zörbig


Die Führungskräfte der Partei Die Linke haben gemeinsam mit dem Landesverband Thüringen mir und sicherlich auch vielen anderen ehemaligen DDR-Bürgern ein verdammt faules Ei ins Nest gelegt. Von wem haben sie das Recht erhalten, 40 Jahre meines Lebens aus ihrer Sicht so zu beurteilen? Von mir bestimmt nicht. Offensichtlich haben sie es sich aus Überheblichkeit oder um dem Ministerpräsidenten-Sessel für Die Linke in Thüringen die nötige Ölung zu verpassen, einfach herausgenommen. Oder es wird zum Ritual, immer am Jahrestag der Maueröffnung zu katzbuckeln. So etwas wirkt auf mich und viele andere ehemalige DDR-Bürger abstoßend.
Ich habe nie gezögert, der DDR meine ganze Kraft zu widmen. "Stasi"-Mitarbeiter war ich nicht, auch kein IM, ebensowenig gehörte ich zum Parteiapparat. Mich reizte die Wirtschaft. Mein Weg führte vom Abteilungsleiter für Absatz über den Betriebsdirektor zunächst eines kleineren, dann eines 1500 Menschen beschäftigenden VEB bis zum stellvertretenden Kombinatsdirektor und Direktor für Materialwirtschaft eines großen volkseigenen Unternehmens. Diesem Staat habe ich meine Energie, mein Wissen und meine Loyalität entgegengebracht.

Klaus Glaser, Schwarzenberg


Der im Dezember-RF veröffentlichte Beitrag "Gysi: Der Mauerfall war eine ungeheure Befreiungstat" gefällt mir sehr gut. Biermanns Auftritt im Bundestag war tatsächlich ein Augenblick der Schmach und Schande. Aber nicht nur Merkel, sondern auch Gabriel haben ihm dazu gratuliert. Und mit einem solchen Mann wollen einige Politiker der Linkspartei eine Koalition auf Bundesebene eingehen.
Da die von den Medien geschürte Kampagne zum 25. Jahrestag des "Mauerfalls" inzwischen abgeebbt ist, könnte man konstatieren und fragen: Die Berliner Mauer ist bis auf wenige Reste weg. Wann aber verschwindet endlich die von Israel auf Palästinenser-Gebiet errichtete Mauer? Wann werden die Grenzanlagen zwischen den USA und Mexiko abgebaut?
Die Ukraine ist zwar pleite, will aber eine 2300 km lange Mauer zu Rußland bauen.
Obwohl die Außengrenzen der EU nicht aus Beton und Stacheldraht bestehen, finden jedes Jahr Tausende Flüchtlinge bei dem Versuch, sie zu überwinden, den Tod.

Dr. Kurt Laser, Berlin


Führende Genossen der Partei Die Linke bedienen sich inzwischen des Begriffs "Unrechtsstaat DDR". Da ist die Frage angebracht. Hat die alte BRD jemals Pinochets Chile als Unrechtsstaat betrachtet? Ihre Regierung unterstützte seinerzeit die Putschisten in Santiago, während die Genossen des MfS der DDR gefährdete Mitstreiter der Unidad Popular, darunter den Generalsekretär der Sozialistischen Partei, Carlos Altamirano, auf gefahrvollen Wegen in Sicherheit gelangen ließen.
Und ich frage weiter: Will Stefan Liebich die Aussage des CDU-Funktionärs Philipp Lengsfeld unwidersprochen lassen, Ernst Thälmann hätte, wäre er an die Macht gelangt, mit Sicherheit genauso wie Stalin politisch Andersdenkende in großer Zahl umbringen lassen?
Ich gehe davon aus, daß viele Alte links wählen, ohne dabei immer genau hinzusehen. Doch irgendwann könnte das Maß voll sein. Das zeichnete sich ja bei den Wahlen auf Bundesebene sowie in Berlin, Sachsen und Brandenburg schon deutlich ab.

Karl-Heinz Mohn, Hoyerswerda


1989/90 habe ich lange überlegt, ob die PDS für mich als SED-Mitglied eine politische Heimat sein könne. Irgendwie vermochte ich mich nicht zu entscheiden. Heute glaube ich: Das war gut so. Wäre ich damals in die Partei, aus der dann Die Linke wurde, eingetreten, müßte ich heute wieder austreten, wenn ich den Äußerungen des sächsischen Landesvorsitzenden Rico Gebhard folgte. Der erklärte nämlich, wer behaupte, die Ereignisse 1989/90 seien eine Konterrevolution gewesen, habe mit ihm in einer Partei nichts zu suchen. Ich behaupte nach wie vor, daß es sich um eine Konterrevolution gehandelt hat. So ist für mich in der PDL kein Platz.

Wilfried Steinfath, Berlin


Glückwunsch, Genosse Ramelow! Endlich wird die Aufarbeitung des Unrechts in der DDR zur Chefsache. Beginnen Sie beim Nachttopfzwang - es werden sich Zeitzeugen finden, die Ihnen die tiefen Spuren dieses Unrechts noch zeigen können. Sie werden auch herausfinden, daß Erich Mielke in Wirklichkeit ein Nachkomme des Nazigenerals Reinhard Gehlen war. Oder suchen und finden Sie den Schießbefehl!
Übrigens: Niemals hätte es in der DDR das Recht gegeben, jemanden gerichtlich zu belangen, der sich wie Sie einem Naziaufmarsch entgegengestellt hat.

Harald Hentschel, Oechsen (Rhön)


Die PDL schreibt nach ihrer Meinung mit Bodo Ramelow Geschichte. Wie immer auch die Geschichte ausgehen mag, die er den Thüringer Genossen und Sympathisanten der Linkspartei anbietet, eines läßt sich bereits jetzt sagen: Die Linke befindet sich mit ihm auf dem Weg zu einer "Partei neuen Typus".
Immerhin ist Ramelow dank seiner umfangreichen medialen Bekenntnisse als überzeugter Anhänger der Marktwirtschaft bekannt. Er sieht sich nicht als Linker, sondern will "der Ministerpräsident aller Thüringer" sein, vor allem aber derer, die so furchtbar in den Kerkern der "Stasi" schmachten mußten. Er will auch keineswegs der verlängerte Arm des Parteivorstandes sein, von dem er sich das Agieren im Bundesrat nicht vorschreiben läßt. Daß die Oberreformer all das mit entsprechendem Beifall quittieren, versteht sich von selbst, gibt es doch - laut Dietmar Bartsch - so die Hoffnung, auch auf Bundesebene bald mitregieren zu können.

Reiner Hofmann, Panketal


Trotz Unzulänglichkeiten, Fehlentscheidungen, Schwierigkeiten und Mißständen, die es in der DDR auch gab, bin ich froh, daß ich meine Ausbildung, mein Berufs- und Familienleben als arbeitende Mutter von vier Kindern in ihr erfahren durfte und jetzt im Alter auf ein erfolgreiches, sinnerfülltes Leben in Liebe und Zufriedenheit zurückblicken kann. Wer weiß, was in einem anderen, einem kapitalistischen Land aus mir geworden wäre?
Wir wollen keinen Kapitalismus, wie er sich heute im größten Teil der Welt zeigt. Wenn sich Die Linke tatsächlich von ihrer sozialistischen Vergangenheit trennt, dann ist sie nicht mehr meine Partei.

Gerda Huberty, Neundorf


Herr Ramelow gehörte für mich schon immer zu jenen Politikern, welche im Mantel des "demokratischen Sozialismus" in Wahrheit Antikommunismus verbreiten. Aber was nach der Landtagswahl in Thüringen passierte, war der absolute Gipfel. Wie kann ein Politiker der Linkspartei so niveaulos sein und unmittelbar nach seiner Berufung zum Ministerpräsidenten, die "Aufarbeitung des DDR-Unrechts" zu seiner Priorität erklären. Was ist mit der Aufarbeitung des NSU-Skandals, an dem der thüringische Verfassungsschutz einen beachtlichen Anteil hatte? Was ist mit den Problemen der Langzeitarbeitslosen im Freistaat? Was ist mit der Lage der Kommunen, dem Bildungswesen?
Das sollte ein "linker" Ministerpräsident zur Chefsache machen.
Herr Ramelow will vor allem am Ruder bleiben. In der Zwischenzeit läßt er sich von Politikern und Medien wie ein Nasenbär vorführen - mal mit Zucker (Lob von Gauck), mal mit der Peitsche (von Spitzenpolitikern der CDU/CSU). Wie weit wird die Linkspartei noch nach rechts abdriften?

Dr. Dieter Hetsch, Halle


Wie ist die heutige PDL zu bewerten? Sie ist wohl als eine Partei zu betrachten, deren Wählerstamm überwiegend aus "Ossis" besteht, die sich von ihr bisher auch weitgehend vertreten fühlten. Doch inzwischen treibt sie mit aller "Macht" (!) in Richtung Sozialdemokratie. Dabei möchte ich ausdrücklich feststellen, daß Oskar Lafontaines positives politisches Wirken meilenweit von dem der jetzigen "Politgrößen" entfernt ist.
Wenn sich 94 % der Votierenden bei 78,8 % Abstimmungsbeteiligung der Mitglieder der Thüringer PDL für die Akzeptanz des politischen Kampfbegriffs "Unrechtsstaat DDR" entschieden haben, dann ist das Maß voll! In Brandenburg hat die PDL im Vergleich zur vorangegangenen Landtagswahl sowohl bei den Erst- als auch bei den Zweitstimmen mehr als die Hälfte verloren! Von 21 Direktmandaten blieben gerade noch 4 übrig. Es wird immer deutlicher: Bei der PDL geht es um den Aufstieg zur Machtbeteiligung, möglichst ganz oben.

Dr. Peter Nitze, Wittenberg


Die zurückliegenden Debatten um die Regierungsbeteiligung in Thüringen, den "Unrechtsstaat" und die strikte Umsetzung der friedenspolitischen Grundsätze in unserer Partei haben mich sehr betroffen gemacht. Darüber muß ernsthaft gesprochen werden. Meinungen, daß man deshalb über eine weitere Mitgliedschaft in der Partei Die Linke nachdenken sollte, kann ich so nicht teilen. Man darf die sprichwörtliche Flinte nicht ins Korn werfen. Ich wünsche mir, daß friedens- und sozialpolitisch engagierte Mitglieder und Sympathisanten trotz der Widrigkeiten und nicht immer zu vermeidender Meinungsverschiedenheiten zusammenbleiben, um sich für linke gesellschaftliche Alternativen in notwendiger Solidarität aktiv einzusetzen.
Streitet kultiviert um die besten Positionen, ohne - wenn eigene Wünsche nicht gleich in Erfüllung gehen - das gemeinsame linke Schiff zu verlassen.

Matthias Schwander, Chemnitz


Angesichts der Unrechtsstaatsdebatte stellt sich die Frage: Habe ich 40 Jahre lang meinen Bildungs- und Berufsweg zu Unrecht in der DDR zurückgelegt? Ich vertrete den Standpunkt: In der DDR konnte ich die Arbeiter-und-Bauern-Fakultät mit Abiturabschluß besuchen, anschließend ein Hochschuldiplom erwerben, um dann in verschiedenen Funktionen der Glasindustrie tätig zu sein. Ich erinnere mich gerne an diese keineswegs konfliktlose Entwicklung, in der ich auch manchen Ärger hatte. Als Arbeiterkind habe ich vieles erhalten, was unter kapitalistischen Bedingungen nicht möglich gewesen wäre.

Horst Winter, Ilmenau


Am 9. November scheinen mit dem Positionspapier der PDL-Führung zur Bewertung der DDR die Würfel endgültig gefallen zu sein. Die noch in der Partei verbliebenen wirklich Linken sollten zum Halali blasen. Eine zweite SPD ist nicht vonnöten!

Gert Thiede, Suhl


Das Jahr 2014 war im Politikbetrieb der BRD durch die inflationäre Verwendung der Wortkombination "Unrechtsstaat DDR" gekennzeichnet. Der Begriff soll offenbar die Jubelfeiern zum 25. Jahrestag der Einverleibung der DDR in die BRD langfristig vorbereiten und ihnen die notwendige Legitimität verleihen. Daher waren die Kolporteure dieser Mär bislang vor allem in der Regierungskoalition, den bürgerlichen Parteien und entsprechenden Medien zu finden. Neuerdings erhalten sie aber auch Unterstützung aus den Reihen der Partei Die Linke. Bodo Ramelow hat alle Prinzipien über Bord geworfen und sich als reiner Opportunist zu erkennen gegeben. Nicht anders verhält es sich mit Gregor Gysi, der sich schon mehrfach durch Anbiederungsversuche an die SPD hervorgetan hat und jetzt ins gleiche Horn wie die anderen stößt.
Für mich, der 40 Jahre in der DDR gelebt, gelernt und gearbeitet hat, war sie ein Rechtsstaat.

Oberstleutnant a. D. Roland Potstawa, Königs Wusterhausen


Da ich erst im November von der Existenz des RF erfuhr und mit seiner Lektüre begann, ist mir auch der Artikel "Antisemitismus gegen Palästinenser" später zur Kenntnis gekommen. Meine uneingeschränkte Zustimmung besitzt der Artikel in bezug auf Fragen wie die Rechtsaußen-Politik der Netanjahu-Administration, das Leid der palästinensischen Bevölkerung im Gaza-Streifen und die Ausnutzung der entsetzlichen Ereignisse während des jüngsten kriegerischen Konflikts für Zwecke des Antisemitismus und des Judenhasses reaktionärer Kräfte in der BRD.
Doch ich möchte auch auf Fragen hinweisen, die in dem Artikel keine Berücksichtigung fanden. Trägt nicht die Hamas selbst Verantwortung für den Tod unzähliger Zivilisten, wenn sie ihre Raketenabschußrampen und Tunneleingänge in Krankenhäusern und Schulen anlegt? Ihre bereits israelische Großstädte erreichenden Raketenangriffe hätten hier Erwähnung finden sollen.
Ohne Zweifel trägt auch der forcierte israelische Siedlungsbau in Palästinensergebieten zur weiteren Verschärfung der Lage bei.

Dr. Klaus Thiele, Dresden


Der Artikel "Nichts ist praktischer als eine gute Theorie" veranlaßt mich zu der kritischen Frage, welche marxistischen Autoren denn als Klassiker zu gelten haben und uns in der gegenwärtigen Praxis helfen, dem Sozialismus als einzig humaner Gesellschaftsordnung näherzukommen. Was mir beim Lesen vieler Texte von Marxisten auffällt, ist die Tatsache, daß in der Regel nur die drei "Großmeister" Marx, Engels und Lenin in Betracht gezogen werden. Auch ich entnehme aus meiner bescheidenen Kenntnis ihrer Schriften, daß sie viele wertvolle Lehren vermitteln können. Doch die Zeit ist nicht im Todesjahr Lenins stehengeblieben. Sowohl die marxistische Theorie als auch die kapitalistische Praxis haben sich weiterentwickelt. Sie können mit dem Begriffsinstrumentarium von Marx und Lenin allein nicht mehr vollständig erfaßt werden. Begeisterung für alternative Konzepte kann man aus meiner Sicht am besten hervorrufen, indem man an die unmittelbaren Alltagsbedürfnisse der Menschen anknüpft und dies in einer allgemein verständlichen, nicht zu abgehobenen wissenschaftlich-marxistischen Rhetorik zum Ausdruck bringt.

Stefan Dahn, Halle


Es ist immer wieder ein Genuß, Eure Monatszeitung zu lesen - nicht nur, weil man darin seine eigenen Vorstellungen im Hinblick auf das Weltgeschehen bestätigt findet. Der RF vermittelt darüber hinaus solides Faktenwissen, das man in anderen, selbst linken Publikationen weitaus seltener findet.

Manfred Wild, Berlin


Nach einem Bildungswochenende der DKP Mecklenburg-Vorpommern habe ich den "RotFuchs" zugesandt bekommen. Vielen Dank! Ich bin 49 und schwerbehindert. Nachdem mich eine aus öffentlichen Geldern gestützte Universität entlassen hat, weil sie weitere Zeitarbeiter einstellte, bin ich gegenwärtig auf der Suche nach einer neuen Tätigkeit. Das ist alles nicht so einfach, weiß ich doch, wo ich jetzt lebe. In der DDR hätte mir niemand einen Job wegnehmen können, um billigere Arbeiter dafür zu beschäftigen.

Beate Flesch, Stralsund


Der neue, gut bebilderte "RotFuchs" hat mir sehr gefallen. Er ist viel lebendiger geworden. Weiter so!

Dieter Schütt, "Der Funke", Hamburg


Ich möchte den RF-Lesern ein unlängst im verlag am park erschienenes Buch von Ingeborg Dummer ans Herz legen. Es trägt den Titel "Ich wollte Frieden und Gerechtigkeit. Eine betagte ostdeutsche Frau beschreibt ihr Leben". Die Autorin unterteilt ihr "bewußtes Leben" - gemeint ist die Zeit seit 1945 - in mehrere Kapitel. Eines davon trägt die Überschrift "Auf der Suche nach der Zukunft". Dort liest man: "Es gab nichts zu essen. Sowjetische Besatzungssoldaten sorgten dafür, daß der Bäcker im Ort Brot backen konnte." Trotz eigener Krankheit und schwerer Lebensbedingungen reihte sich die junge Kommunistin in das politische Geschehen der DDR von Beginn an aktiv ein. Sie war bei der Greifswalder Kreisleitung der Partei tätig und arbeitete anschließend in den Sicherheitsorganen der DDR. Ihren Eintritt in das MfS begründet sie mit dem Hinweis auf ihre proletarische Herkunft. Ingeborg Dummer widmet ihr Buch jungen Menschen, die gerade dabei sind, das eigene Leben zu gestalten.

Wolfgang Ewert, Berlin


Jedesmal, wenn ich den "RotFuchs" erhalte, wird wieder "das Fenster der Wahrheit" geöffnet. Es tut gut, wenn man auch einmal Gedanken und Informationen zu lesen bekommt, die nicht vom bürgerlichen Klassenstandpunkt diktiert sind.
Marx' ökonomische Kapitalismusanalyse, die humanistische, die sozialistische und die urchristliche Ethik sind der Kompaß, der uns in dieser menschenfeindlichen Gesellschaftsordnung die Richtung weist. Bei der humanistischen Ethik schließe ich natürlich alle dementsprechend orientierten Ethikbestandteile anderer Religionsgemeinschaften ein. Meine ethische Grundüberzeugung resultiert aus der christlichen Botschaft. "Was ihr einem meiner geringsten Brüder angetan habt, habt ihr mir angetan." Auch im Alten Testament haben die Propheten wider den Mammon gewettert. Schon das 1. Gebot "Ich bin der Herr, Dein Gott, Du sollst nicht andere Götter haben neben mir" drückt das aus.
Marx hat in seiner Auseinandersetzung mit Feuerbach darauf hingewiesen, daß dieser zwar die himmlischen Götter angreife, die irdischen aber ungeschoren lasse. Er hat das so formuliert: "Die irdischen Götter knechten die Menschen am meisten."

Udo Hammelsbeck, Drübeck (Harz)


Aus meiner Sicht scheiterte das sozialistische System der RGW-Staaten daran, daß sie den Kapitalismus nicht auf dem Feld der Arbeitsproduktivität besiegen konnten. Im kontinentalen Maßstab gehörte vor allem auch die fehlende Aktionseinheit der Arbeiterklasse, ohne die ein dauerhaftes Erringen der politischen Macht unmöglich ist, zu den entscheidenden Defiziten. Denn eine Sache ist klar: Die Mehrheit der Menschen geht dorthin, wo die materiellen Verhältnisse besser sind oder geschickter dargeboten werden. Man denke nur, in welchem Maße es der BRD gelang, sich einen ununterbrochenen Zustrom qualifizierter Arbeitskräfte aus der DDR zu verschaffen. Andererseits zeigt sich auch heute der Magnetismus der reichen BRD in seiner Wirkung auf Elendsflüchtlinge aus der Dritten Welt.

Siegfried Mikut, Georgsmarienhütte


Es überrascht, wie lange sich der Prozeß gegen Frau Zschäpe vom NSU hinziehen läßt und welche Bedeutung manche diesem Manöver zur Ablenkung von weit gewichtigeren Vorgängen beimessen. Haben wir nicht ganz andere Dimensionen von Nazis im Land, deren Aufmärsche durch die Polizei oft "demokratisch" geschützt werden? Die Blindheit auf dem rechten Auge ist längst chronisch geworden. Wer sich von solchen Manipulationen der Medien in den Bann ziehen läßt, der denkt natürlich nicht an die Flickschusterei beim Mindestlohn, an die Vorbereitung des Einsatzes bewaffneter Drohnen, an die miserable Behandlung von Asylanten und die bornierte Fremdenfeindlichkeit im Land oder an die zunehmende Einschränkung demokratischer Grundrechte.

Als Leser des RF weiß ich dessen Orientierung auf die wirklichen Anliegen der Menschen zu schätzen. Hier schreiben kluge, erfahrene Autoren, die sich kein X für ein U vormachen lassen. Wie nötig ist doch die politische Bildung, welche unser "RotFuchs" anbietet.

Dr. Horst Parlow, Neubrandenburg


Die Bundeswehr hat Truppenübungsplätze, wo man den Soldaten beibringt, wie und mit welchen Mitteln man Menschen tötet oder Wohnhäuser, Dörfer und Städte zerstört. Es kommt auch vor, daß Soldaten bei den "Auslandseinsätzen" ums Leben kommen. Sie sollen ja, wie Ex-Pfarrer Gauck meint, zum Kämpfen und Sterben bereit sein. Das neue große Deutschland richtete dafür in der Nähe Potsdams einen Ehrenhain ein, da es ja bereits etliche Gefallene gibt, obwohl deren "Heimat" von niemandem angegriffen wurde und auch von keiner Seite bedroht wird.

Elisabeth Monsig, Gartz

*

RF-Bezugsbedingungen

Kurze Nachricht per Telefon oder E-Mail oder Briefpost an den Vertriebsleiter Armin Neumann genügt.

Er ist folgendermaßen erreichbar.
Tel.: 030/654 56 34
E-Mail: arminneumann@ewt-net.de
Adresse: Salvador-Allende-Straße 35, 12559 Berlin

Der RotFuchs wird ausschließlich aus Spenden und nach eigenem Ermessen jedes einzelnen finanziert.
Einen festen Preis gibt es nicht. Die Zeitschrift kommt jeweils am letzten Werktag eines Monats zum Versand.



IMPRESSUM

Der im Februar 1998 gegründete "RotFuchs" ist eine von Parteien unabhängige kommunistisch-sozialistische Zeitschrift.

HERAUSGEBER: "RotFuchs"-Förderverein e. V.

CHEFREDAKTEUR: Dr. Klaus Steiniger, (V.i.S.d.P.)
Rheinsteinstraße 10, 10318 Berlin,
Telefon 030/561 34 04
E-Mail: rotfuchskessel@t-online.de
(Redaktionsadresse)

SEKRÄTERIN: Karin Großmann

LAYOUT: Rüdiger Metzler

HERSTELLUNG: Druckerei Bunter Hund

INTERNET: www.rotfuchs.net

INTERNET-PRÄSENTATION: Sylvia Feldbinder

Redaktionsschluß für die übernächste Ausgabe ist der 20. eines Monats.

AUTORENKREIS:
Joachim Augustin
Dr. Matin Baraki
Konstantin Brandt
Dr. Vera Butler (Melbourne)
Prof. Dr. Götz Dieckmann
Ralph Dobrawa
Dieter Fechner
Bernd Fischer
Peter Franz
Günter Freyer
Prof. Dr. Georg Grasnick
Ulrich Guhl
Bernd Gutte
Helmuth Hellge
Eberhard Herr
Erik Höhne
Rico Jalowietzki
Christa Kozik
Siegfried R. Krebs
Marcel Kunzmann
Rudi Kurz
Dr. Dieter Laser
Wolfgang Mäder
Bruno Mahlow
Dr. Bernhard Majorow
Prof. Dr. Herbert Meißner
Wolfgang Metzger
Jobst-Heinrich Müller
Horst Neumann
Cornelia Noack
Erhard Richter
Prof. Dr. Horst Schneider
Prof. Dr. Rolf Sieber
Joachim Spitzner
Gisela Steineckert
Bruni Steiniger
Dr.-Ing. Peter Tichauer
Marianne Walz
Johann Weber
Prof. Dr. Zbigniew Wiktor (Wroclaw)
Edda Winkel

KÜNSTLERISCHE MITARBEIT:
Dieter Eckhardt, Günter Endlich,
Heinz Herresbach, Klaus Parche,
Heinrich Ruynat, Renatus Schulz,
Gertrud Zucker

VERSAND UND VERTRIEB:
Karin Dockhorn
Postfach 02 12 19, 10123 Berlin
Telefon 030/241 26 73
WDockhorn@t-online.de
oder Sonja Brendel, Tel. 030/512 93 18
Heiner Brendel, Gerald Umlauf,
Hans Ludwig, Peter Barth u.v.a.m.

FINANZEN: Jürgen Thiele, Prerower Platz 6,
13051 Berlin, Tel.: 030/981 56 74

UNSER KONTO:
"RotFuchs"-Förderverein
IBAN: DE18 1005 0000 2143 0314 00
BIC: BELADEBEXXX

Die Mitarbeit weiterer Autoren ist erwünscht. Die in namentlich gezeichneten Beiträgen zum Ausdruck gebrachten Auffassungen müssen nicht immer mit denen der Redaktion übereinstimmen.

*

Quelle:
RotFuchs Nr. 205, 18. Jahrgang, Februar 2015
Redaktion: Rheinsteinstraße 10, 10318 Berlin
Telefon: 030/561 34 04, Fax: 030/56 49 39 65
E-Mail: rotfuchskessel@t-online.de
Internet: www.rotfuchs.net


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. März 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang