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ROTFUCHS/197: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 243 - April 2018


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

20. Jahrgang, Nr. 243, April 2018


Aus dem Inhalt
  • Atomwaffen - die verdrängte Bedrohung
  • 2018 - Jahr des Friedens / Potsdamer Appell
  • VR China beansprucht führende Rolle
  • Nordkorea im Fadenkreuz der USA
  • Skandinavien driftet nach rechts
  • Die Koalitionsvereinbarung, ein Aufrüstungsvertrag
  • Wir bleiben bei Marx, Engels und Lenin
  • Antifaschisten in Wehrmachtsuniform
  • Auf welche Tradition soll sich die "neue Wehrmacht" berufen?
  • Was zur Teilung Deutschlands führte
  • Pflichtlektüre für "RotFuchs"-Leser
  • Die "Blaukarierten" - Marx-Buch für Neulinge
  • Lenin: "Der 'linke Radikalismus', die Kinderkrankheit im Kommunismus" (1)
  • Vorwärts - zurück zu Marx!
  • "Die Grenzgänger" - am 18. Mai bei uns
  • Horch und Guck in eigener Sache
  • Heartfield: Der Daumier des 20. Jahrhunderts
  • Das Kapital läßt die Puppen tanzen
  • Stimmen aus aller Welt über die DDR
  • Gisela Steineckert: Hand aufs Herz

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Für den Frieden der Welt

Mit dem Entstehen des Imperialismus am Ende des 19. Jahrhunderts begann eine Ära der Kriege und Revolutionen. Deren bedeutendste, die vom Oktober/November 1917 in Rußland, führte zur Bildung eines neuen Staates, der Sowjetunion. Seitdem hatte der Frieden eine Chance. Das faschistische Deutschland, von den Westmächten mehr ermuntert als gehindert, machte sie zunichte. Von den Verlusten und Zerstörungen des Großen Vaterländischen Krieges erholte sich das Sowjetland - trotz seiner technischen Erfolge - nicht mehr. Die Sieger von 1945 verloren den kalten Krieg, den der Westen im Grunde schon vor der Kapitulation Nazideutschlands im Frühjahr 1945 gestartet hatte. Die westliche Hochrüstungs- und Einkreisungspolitik führte immer wieder an den Rand eines Raketen-Atomwaffenkrieges, zuletzt vor 35 Jahren im Jahr der im sogenannten NATO-Doppelbeschluß vorgesehenen Stationierung von Mittelstreckenraketen und Marschflugkörpern in der Bundesrepublik und anderen NATO-Staaten. Die DDR hielt damals an ihrer "Politik der Vernunft", d. h. an Verhandlungen für Abrüstung und Entspannung mit Bonn, unbeirrt fest - trotz unterschiedlicher Meinungen darüber im Warschauer Vertrag.

Nach dem Ende der DDR und dem Zerfall der Sowjetunion setzte der Imperialismus die Ära der Kriege fort und entfesselte eine globale Konterrevolution, vermied aber bislang globale Konflikte. Die Feldzüge der USA, der NATO und der EU, Japans, Australiens und ihrer Verbündeten richteten sich vor allem gegen junge Nationalstaaten, verfolgten neokoloniale Ziele: Neuaufteilung der Welt und Sicherung des Zugriffs auf Rohstoffe. Hauptgegner aber sind, wie das Pentagon im Dezember 2017 erklärte, Rußland und China. Diese beiden Länder sind zum Ziel eines möglichen Weltkrieges geworden und zugleich das Haupthindernis für dessen Planer.

Wie gefährlich die Lage geworden ist, machte Wladimir Putin in seiner Rede an die Föderale Versammlung am 1. März in Moskau deutlich. Er stellte nicht nur ein Programm zur langfristigen sozialen und wirtschaftlichen Stabilisierung Rußlands vor - als wichtigster Beitrag zur nationalen und internationalen Sicherheit -, sondern auch, was Rußland waffentechnisch und militärisch gegen die neue Hochrüstungs- und Einkreisungspolitik des Westens aufbieten kann.

Alles, was er zur Vorgeschichte der heutigen Situation darlegte - das Hinhalten und Täuschen in bezug auf das westliche Raketenabwehrsystem, der Austritt der USA 2002 aus dem Raketenabwehrvertrag ABM von 1972, das Unterlaufen des INF-Vertrages von 1987 über das Verbot landgestützter Kurz- und Mittelstreckenraketen und schließlich die Stationierung eines angeblich seegestützten Raketenabwehrsystems 2018 in Polen - tauchte in der Berichterstattung westlicher Konzern- und Staatsmedien über die Rede nicht auf. Dort glaubt man ebenso an die eigene Überlegenheit und an eine vermeintliche Position der Stärke insbesondere gegen Rußland wie die maßgebenden imperialistischen Politiker und Militärs. Das Urteil lautete daher unisono unter völliger Verdrehung der Tatsachen: "Putin droht" und "Putin leitet eine neue Runde des Wettrüstens ein".

Die Ansprache des russischen Präsidenten hat deutlich gemacht: Das internationale Kräfteverhältnis hat sich verändert - und nicht zugunsten des Imperialismus. Die Tatsache, daß dem Kriegskurs des Imperialismus Einhalt geboten werden kann, ist von historischer Bedeutung. Daran war vor 15 oder 20 Jahren nicht zu denken. Nach Putins Rede in München 2007, als er auf das Entstehen einer multipolaren Welt statt der von den USA proklamierten eigenen Vormacht aufmerksam machte, markiert die vom 1. März eine Zäsur in der Geschichte seit 1991. Putin selbst formulierte, daß "die gesamte Welt durch eine kritische Periode geht".

Das ist richtig: Die Menschheit steht an einem Scheideweg. Denn die Kriege des Imperialismus haben, wie der DKP-Vorsitzende Patrik Köbele am 2. März auf dem Parteitag in Frankfurt am Main sagte, "die Gefahr eines Flächenbrandes" geschaffen. Diese durch Verhandlungen zu mindern, das ist das Angebot Rußlands. Das ist unter heutigen Verhältnissen "Politik der Vernunft".

Bisher gibt es keine Anzeichen dafür, daß die imperialistischen Politiker ihre Haltung verändern. Die neue Koalition in Berlin hat das NATO-Ziel, mindestens zwei Prozent der Wirtschaftsleistung in den Kriegshaushalt zu stecken, festgeschrieben. Darin "kulminiert" die militärische Strategie des deutschen Imperialismus. Um so dringender erscheint es, daß sich die Fortschrittskräfte dieses Landes darum kümmern, daß der Aufruf "Abrüsten statt aufrüsten" ein Erfolg wird. Er richtet sich gegen das Zwei-Prozent-Ziel. 100.000 Unterstützungsunterschriften werden angestrebt. Es müssen mehr werden, damit ein deutliches Zeichen gegen die brandgefährliche Kriegspolitik der Herrschenden gesetzt wird. Daher die Bitte an alle Leserinnen und Leser des "RotFuchs", an die Mitglieder des "RotFuchs"-Fördervereins: Helft mit beim Sammeln von Unterschriften für diesen Aufruf! Die Zeit ist reif, die Ära der Kriege zu beenden.

Arnold Schölzel

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Atomwaffen - die verdrängte Bedrohung

Eine weitgehend verdrängte Bedrohung sind die Atomwaffen, die tödlichsten aller Massenvernichtungswaffen. Sie sind für die menschliche Zukunft, ja die Zukunft des Lebens auf der Erde, eine sehr ernste Gefahr. Sie sind illegal und unmoralisch, aber sie sind immer noch vorhanden, und es findet immer noch ein Wettrennen um ihre "Modernisierung" statt. Während des kalten Krieges war ihr Einsatz in einem heißen Krieg die tägliche Sorge. Aber das Ende des kalten Krieges hat die Befürchtung natürlich in keiner Weise beseitigt.

Verdrängt ist auch die physikalische Erkenntnis, daß ein Atomkrieg zu einem nuklearen Winter führen könnte, der die Temperaturen auf den niedrigsten Wert seit der letzten Eiszeit abstürzen ließe und weite Teile des Lebens auf der Erde auslöschen würde.

Der Atomwaffensperrvertrag von 1970 teilte die Welt in nukleare "Haves" (Besitzende) und "Have-nots" (Besitzlose) ein. Die "Haves" waren die Länder, die bis zum 1. Januar 1967 Atommacht waren und eine Atomwaffe gezündet hatten. Frankreich und China wurden den nuklearen "Haves" hinzugefügt, als sie dem Vertrag später beitraten. Drei Länder traten dem Vertrag nie bei - Israel, Indien und Pakistan - und entwickelten eigene nukleare Arsenale; und Nordkorea zog sich 2003 aus dem Vertrag zurück und hat nun ein eigenes kleines Atomarsenal entwickelt. Alle neun Atomwaffenländer investieren in die Modernisierung ihrer Arsenale. Die USA planten noch zur Zeit von Präsident Obama Investitionen von einer Billion Dollar in drei Jahrzehnten. Analogen Ehrgeiz haben die anderen Kernwaffenstaaten. Ziel der Modernisierung ist es hauptsächlich, kleinere, genauere und effizientere Waffen zu entwickeln, um sie für die Militärführung nutzbarer zu machen, also die Einsatzschwelle zu senken. Die Modernisierung ist übrigens eine klare Verletzung des NPT.

Jonathan Granoff vom Global Security Institute fügt hinzu: Wenn weniger als ein Prozent der 14.000 Atomwaffen in den Arsenalen der Welt explodieren würden, träten bereits Folgen von der Art des nuklearen Winters ein, mit katastrophalen Folgen für die Landwirtschaft, grausigen Strahlenkrankheiten und der Unbewohnbarkeit weiter Landstriche. Schon ein Atombomben-Schlagabtausch zwischen zwei Atommächten, z. B. Indien und Pakistan, könnte zum Ende der menschlichen Zivilisation führen. Wieviel rascher und schrecklicher käme das Ende im Falle eines großen Erstschlags seitens Rußlands oder der USA! Ein gutes Vierteljahrhundert nach dem Ende des kalten Krieges bleiben immer noch etwa 2000 Atomwaffen ständig einsatzbereit, um innerhalb weniger Minuten durch einen Befehl gestartet zu werden, wodurch die Zivilisation an einem einzigen Nachmittag des atomaren Schlagabtausches zerstört werden könnte. Diese fürchterliche Tatsache und der brisante Modernisierungswettlauf waren denn auch der Hauptvorwurf eines Völkertribunals im Juli 2016 in Sydney, Australien, geleitet hauptsächlich vom Club-of-Rome-Mitglied Keith Suter.

Die Bedrohung ist global, und die Lösung muß auch global sein. Sie erfordert Verhandlungen mit dem Ziel, Atomwaffen tatsächlich zu verbieten und zu zerstören. Es bedarf eines neuen Rechtsinstruments für die stufenweise, nachprüfbare, irreversible Beseitigung von Atomwaffen. Es muß auf einen Vertrag hinauslaufen, der die Beseitigung von Atomwaffen zuwege bringt, ohne die Welt der Herrschaft konventioneller Mächte zu überlassen. Am Ende muß ein Vertragswerk stehen, das den Wahnsinn der "gegenseitig zugesicherten Zerstörung" in ein Gesetz der "weltweit garantierten Sicherheit und des Überlebens" umwandelt.

Dr. David Krieger
(Nuclear Age Peace Foundation)

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2018 - Jahr des Friedens / Potsdamer Appell

Offener Brief an den Vorstand der PDL, an alle Landes- und Kreisverbände sowie alle Basisorganisationen
Aufruf an alle Mitglieder und Sympathisanten der Partei Die Linke


In der Jahresendausgabe der "Märkischen Allgemeinen" vom 30./31. Dezember 2017 erschien ein Leitartikel unter der Überschrift "Unsere neue düstere Welt", in dem zu lesen war: "Es kann kein gutes Jahr gewesen sein, wenn am Ende dieses Ergebnis steht: Jeder Dritte fürchtet sich vor einem Atomkrieg. Bei den Umfragen zum Jahresende gaben zudem nur 13 Prozent der Deutschen an, sie hielten es für ausgeschlossen, daß es in naher Zukunft zu einem Atomkrieg kommen könnte.

­... Wie nah die Welt im Jahr 2017 wirklich am Rande eines Krieges gegen Nordkorea gestanden hat, werden eines Tages Historiker erforschen. Noch sind die Zugänge zu den militärischen Informationen verschlossen ...". Auch ohne diesen Artikel sind wir uns über den Ernst der Lage schon lange bewußt. Deshalb kamen auch aus unserem Kreisverband zwei Änderungsanträge an den Bundesparteitag für das zu beschließende Bundestagswahlprogramm. Das Kapitel Frieden sollte an den Beginn des Programmentwurfs vorgezogen und die Überschrift des Programms um das Wort "Frieden" ergänzt werden.

"SOZIAL. GERECHT. FRIEDEN. FÜR ALLE" - so lautet die Überschrift nun. Aber Worte sind nur leere Hülsen, wenn sie nicht durch Taten zum Leben erweckt werden. (...)

Für 2018 regen wir folgende Aktivitäten an:

1. Wir bemühen uns, vor Ort Verbündete für gemeinsame Friedensaktivitäten zu gewinnen. Ansprechpartner können z. B. Vereine, Verbände, Gewerkschaften, Schulen, Kirchen und andere Parteien sein. Motto: Frieden geht uns alle an!

2. Die Durchführung regionaler Friedensforen trägt dazu bei, die Menschen über die real bestehende Kriegsgefahr aufzuklären und dabei aufzuzeigen, wer die Welt bedroht. Es hat sich bewährt, solche Foren in regelmäßigen Abständen zu wiederholen und auch zielgerichtet Bürger dazu einzuladen.

3. Wir unterstützen die Tradition der Ostermärsche und mobilisieren dabei auch zu regionalen Märschen oder zur Teilnahme an überregionalen Aktionen.

4. Aktionen zu Gedenktagen wie:
- 8. Mai, Tag der Befreiung vom Faschismus
- 6. August, Gedenktag für die Opfer der US-Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki
- 1. September, Antikriegstag (1939 Beginn des 2. Weltkriegs)
- 11. November (100 Jahre Ende des 1. Weltkriegs)

5. Unterschriftenaktionen
- Appell an die Bundesregierung: Unterzeichnen Sie das UN-Atomwaffenverbot!
- Appell an die Bundesregierung: Abrüsten statt aufrüsten!

6. Vom Parteivorstand fordern wir engen Schulterschluß mit der bundesweiten Friedensbewegung und den rechtzeitigen Aufruf an die Mitglieder unserer Partei zur Teilnahme an geplanten Friedensaktionen. Ebenso erwarten wir eine bessere Unterstützung beim bundesweiten Bekanntmachen bewährter Aktionen (siehe Anti-Atomwaffen-Resolutionen auf kommunaler Ebene).

Unsere Kernforderungen im Jahr 2018 sind:

- Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland sowie Untersagung des menschenrechtswidrigen Drohneneinsatzes vom US-Stützpunkt Ramstein!
- Unterzeichnung des UN-Atomwaffenverbotsvertrags durch die Bundesregierung!
- Beendigung der direkten und indirekten Beteiligung der Bundeswehr an Militäreinsätzen im Ausland!
- Stopp aller Rüstungsexporte!
- Reduzierung der Militärausgaben und schrittweise Umwandlung der Rüstungsindustrie auf Produktion ziviler Güter!
- Austritt Deutschlands aus der NATO, Aufhebung des Stationierungsabkommens von 1954 über fremde Streitkräfte auf dem Territorium der BRD!

Laßt uns gemeinsamen für den Frieden kämpfen, solange uns dafür noch Zeit bleibt!

Kreisverband Die Linke
Potsdam-Mittelmark

Dieser Appell aus Potsdam-Mittelmark basiert auf einem Beschluß des Kreisparteitags vom 7. Oktober 2017. Die Gesamtmitgliederversammlung des Kreisverbands Potsdam der Linkspartei hat sich am 13. Januar diesem Beschluß mit überwältigender Mehrheit (über 90 %) angeschlossen.

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VR China beansprucht führende Rolle

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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China war Ehrengastland der Buchmesse in Havanna

Vom 1. bis zum 11. Februar fand in Havanna die 27. Internationale Buchmesse statt. Nach Abschluß der Etappe Havanna zieht die Messe nacheinander durch alle kubanischen Provinzen, bis sie am 13. Mai in Santiago de Cuba endet.

Die Anwesenheit der Volksrepublik China als Ehrengastland bei der diesjährigen Internationalen Buchmesse in Havanna ermöglichte dem kubanischen Leser, einen Einblick in dieses kulturelle Erbe zu bekommen und zu sehen, wie die Tradition mit der zeitgenössischen Produktion verknüpft ist.

Daß es überhaupt Bücher gibt, verdanken wir in hohem Maße der chinesischen Kultur. Das Papier, die "Stütze des Geschriebenen", wurde zum ersten Mal um das Jahr 105 von Cai Lun, einem Erfinder im Dienste der Han-Dynastie hergestellt. Bis heute gilt das "Diamant-Sutra" (verfaßt im 1. Jahrhundert n. Chr.), das 1907 in Dunhuang gefunden wurde, als das älteste Buch der Erde.

Die erste Druckversion wurde als Holztafeldruck hergestellt und ist vom 11. Mai 868 datiert. Und lange bevor Johannes Gutenberg 1440 seine gedruckte Bibel vorstellte, hatte ein anderer chinesischer Erfinder, Bi Sheng, zwischen 1041 und 1048 eine Methode des Drucks mit beweglichen Lettern erfunden.

Über 3000 Titel brachten die Chinesen zur Buchmesse mit. Das thematische Spektrum war groß: traditionelle Kultur, Wissenschaft und Technologie, Ökonomie, Politik, Sozialwissenschaften, Erzählkunst, Poesie, Kunst, Lehrbücher für Mandarin und Kinderliteratur. An den Foren, an denen sich die Verleger austauschten, nahmen 130 Vertreter chinesischer Einrichtungen teil.

Das Engagement der Behörden und der literarischen und intellektuellen Bewegung Chinas bei der Messe widerspiegelte das Interesse von Partei und Staat dieses Landes, die internationale Verbreitung seiner Kultur zu fördern, um ein realistisches Bild Chinas zu zeigen.

Gleichzeitig bestätigten die Bücher, die dem Leser der Karibikinsel zugänglich gemacht wurden, das, was der chinesische Präsident und Generalsekretär der KP Chinas Xi Jinping im Bericht an den 19. Nationalen Kongreß der Kommunistischen Partei im Oktober letzten Jahres als Ziel vorgab: "die Entwicklung eines künstlerischen und literarischen Schaffens, das unserer Zeit würdig ist, am Leben teilhat und im Volk verwurzelt ist", mit Betonung des "guten Geschmacks, des Stils und der Verantwortung und unter Zurückweisung alles Vulgären".

Gestützt auf "Granma", Havanna

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Nordkorea im Fadenkreuz der USA

Der Irak wurde am 20. März 2003 mit einem völkerrechtswidrigen Krieg durch US- und britische Truppen überzogen. Die Aggressoren begründeten ihren Überfall mit der Behauptung, der Irak besitze und entwickle Massenvernichtungswaffen. Der damalige US-Außenminister Colin Powell präsentierte vor dem UN-Sicherheitsrat im Februar 2003 gefälschte Unterlagen zur Legitimation des Irak-Krieges und des Sturzes Saddam Husseins. Saddam wurde vor Gericht gestellt und am 30. Dezember 2006 unter Regie der Besatzungsmacht hingerichtet. Massenvernichtungswaffen und technische Anlagen zu ihrer Herstellung wurden nie gefunden.

Der libysche Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi legte 2003 aufgrund des Drucks des Westens sein ABC-Waffenprogramm offen und ließ es in der Folge demontieren, um internationaler Isolation und Sanktionen zu entgehen.

Als Dank organisierte und finanzierte die NATO in Libyen eine "bunte Revolution". Sie mündete in einen Krieg, den NATO-Staaten mit regulären Streitkräften und "Freiheitskämpfern" führten. Gaddafi wurde am 20. Oktober 2011 in einer geheimen Operation durch sogenannte Rebellen ermordet. Die Todesumstände sind bis heute ungeklärt.

Jugoslawien stellte am 7. Juli 1987 zunächst den militärischen und kurz danach den zivilen Teil seines Atomprogramms ein. Der Vielvölkerstaat Jugoslawien stand trotzdem auf der Abschußliste des Westens. Dafür wurden seit 1991 mehrere Kriege angezettelt und 1999 sogar der Kosovo mit NATO-Streitkräften völkerrechtswidrig von Serbien abgespalten. An Slobodan Milosevic, der im Rahmen einer US-geheimdienstlich organisierten "bunten Revolution" 2000 gestürzt wurde, rächte sich der Westen für dessen Widerstand gegen die Zerschlagung Jugoslawiens. Er konstruierte eine Anklage gegen Milosevic auf Basis von Fälschungen. Der Jurist Milosevic starb während des Prozesses vor dem Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag.

Im Iran kam es seit dem 28. Dezember 2017 zu Demonstrationen gegen die wirtschaftliche Situation, die sich dann schnell zu Protesten gegen die Regierung wandelten. Sie endeten Anfang Januar. Ursachen waren wirtschaftliche Probleme, aber auch innere Differenzen und äußere Einmischung. Dazu zählen Drohungen der USA, das internationale Abkommen zur Beendigung der Atomrüstung von 2015 aufzukündigen. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) bestätigte entgegen US-Behauptungen in einer offiziellen Erklärung vom November 2017, daß der Iran das Abkommen strikt einhält. Betrachtet man nur diese vier Beispiele, dann versteht man besser, warum Nordkorea an seinem Atomwaffen-und Raketenprogramm festhält.

Die Koreanische Demokratische Volksrepublik (KDVR) schied am 10. Januar 2003 aus dem Atomwaffensperrvertrag aus, den sie 1985 unterzeichnet hatte. Die Verantwortung für das Ausscheiden liegt bei den USA und dem südkoreanischen Regime.

Bereits in den 90er Jahren bereitete den USA das Atomprogramm der KDVR "Sorge". Die USA verhandelten mit Nordkorea und schlossen am 21. Oktober 1994 einen Vertrag, in dem die US-Führung versprach, der Volksrepublik bei der Lösung der Energiefrage behilflich zu sein. Es sollten Öl und zwei Leichtwasserreaktoren für die Stromproduktion geliefert werden. Im Gegenzug sollte Nordkorea sich weiter an den Atomwaffensperrvertrag halten.

Unter George W. Bush brachen die USA ihre Zusagen und erklärten Nordkorea statt dessen neben Iran und Irak zum Bestandteil einer "Achse des Bösen". Nordkorea seinerseits nahm den alten Atomreaktor, der im Rahmen des Vertrages stillgelegt worden war, wieder in Betrieb. Auch die Wiederaufbereitungsanlage für Brennstäbe wurde aktiviert. Die jahrzehntelangen politisch-militärischen Drohungen, Aktivitäten und Sanktionen seitens der USA und ihrer Vasallen drängten die nordkoreanische Führung in die Richtung der Entwicklung von Atomwaffen und entsprechenden Trägermitteln, die heute die USA erreichen können. Sie stellen aus der Sicht der nordkoreanischen Führung eine sichere Garantie gegen einen erneuten Überfall aus dem Süden der Halbinsel dar.

Die "Nordkorea-Frage" ist viel komplexer, als uns die westliche Propaganda vorgaukelt: Sowjetische Truppen und koreanische Kampfverbände waren 1945 in gemeinsamen Operationen mit der Befreiung Koreas von den Japanern befaßt. Nach der bedingungslosen Kapitulation des japanischen Imperialismus am 14. August 1945 besetzten die USA am 8. September den Süden Koreas bis zum 38. Breitengrad. Die Besetzung besteht bis heute. Die sowjetischen Truppen verließen 1949 koreanischen Boden.

Die USA übertrugen 1947 die Macht in Südkorea an den Kollaborateur Li Sing Man. Dieser zwang linksgerichtete Organisationen in die Illegalität. Im Mai 1948 fanden unter Anleitung der USA "Wahlen" zu einer "Nationalversammlung" statt. Die Wahlergebnisse waren massiv gefälscht. Li Sing Man wurde zum Präsidenten erklärt. Der Diktator überzog Südkorea mit Terror und einer Militarisierung, die sich gegen den Norden richtet.

Am 25. Juni 1950 begann der Überfall auf Nordkorea, zunächst nur mit südkoreanischen Truppen. Zwei Tage später kämpften "plötzlich und völlig unerwartet" US-Truppen an der Seite des südkoreanischen Regimes. Mit der Resolution 85 des UN-Sicherheitsrates vom 31. Juli 1950 beschafften sich die USA ein UNO-Mandat für den Einsatz ihrer Streitkräfte auf der Halbinsel. Sie nutzten dafür die zeitweilige Abwesenheit des vetoberechtigten Vertreters der Sowjetunion. Außerdem war Chinas ständiger Sitz im Sicherheitsrat damals unberechtigt durch die Kuomintang (Taiwan) eingenommen.

Im Verlauf des Krieges wurden ca. drei Millionen Zivilisten getötet und fast alle Städte Nordkoreas zerstört. Die "UNO-Truppen" nahmen nahezu vollständig Nordkorea ein. Durch den Einsatz starker Verbände chinesischer Volksfreiwilliger konnten die Aggressoren hinter den 38. Breitengrad zurückgeworfen werden. Am 27. Juli 1953 unterzeichneten die Vertreter der Volksarmee und der US-Truppen - bei Ausschluß südkoreanischer Vertreter - ein Waffenstillstandsabkommen. (Weltgeschichte in Daten, Berlin 1965, S. 1128)

Die USA mit ihren Verbündeten haben den Krieg gegen Nordkorea dank der von China und der Sowjetunion geleisteten Unterstützung verloren. Seit dieser Zeit halten die Spannungen auf der koreanischen Halbinsel an. Die USA sind mit offiziell ca. 30.000 Soldaten Besatzungsmacht in Südkorea geblieben. Ihre Präsenz dient entsprechend der aktuellen US-Militärdoktrin der Einkreisung und Eindämmung Chinas und Rußlands. Der Konflikt zwischen dem Norden und dem Süden ist nur ein Vorwand. Er wird aufrechterhalten, um unter anderem die Anwesenheit fremder Truppen auf koreanischem Boden zu rechtfertigen. Das schließt ein, daß die USA neben der aktuellen Stationierung neuer Raketensysteme einen "Erstschlag" führen könnten, um die nordkoreanische Führung zu beseitigen.

Dahinter steckt globalstrategisch gesehen die Vorstellung, Nordkorea zu destabilisieren. Mit einem Zusammenbruch der KDVR würde ein Bevölkerungsexodus hauptsächlich in Richtung China provoziert und ein Machtvakuum im Norden entstehen. In dieses würden die USA hineinstoßen wollen, um noch näher an die Grenzen Chinas und Rußlands heranzurücken. Mit der Entwicklung von Langstreckenraketen und neuer Atomsprengköpfe hat der Norden solche Vorstellungen des US-Imperialismus zurückgewiesen.

"Ich denke, daß Herr Kim Jong-un dieses Spiel zweifelsohne gewonnen hat. Er hat sein strategisches Ziel erreicht: Er hat einen nuklearen Sprengsatz, er hat eine Rakete mit großer Reichweite - nämlich bis zu 13.000 Kilometern, die praktisch jeden Punkt der Welt erreichen kann, aber in jedem Fall jeden Punkt auf dem Territorium seines Gegners", sagte Putin bei einem Treffen mit Vertretern der russischen Presse. Kim Jong-un ist nun daran interessiert die Wogen international zu glätten. Er wird versuchen, ein neues Verhältnis zu Südkorea aufzubauen, sofern die USA und die südkoreanische Herrschaftskaste dies zulassen.

Dr. Ulrich Sommerfeld


Nach Redaktionsschluß

Nord- und Südkorea haben sich auf ein Gipfeltreffen geeinigt. Der nordkoreanische Staatschef Kim Jong-Un wird sich Ende April mit dem südkoreanischen Präsidenten, Moon Jae In, treffen. Demnach soll das Treffen an der gemeinsamen Grenze in Panmunjom stattfinden. Zwischen den Führungen der beiden Länder werde eine direkte Hotline eingerichtet. Nordkorea habe zugesichert, seine Nuklearwaffen nicht gegen Südkorea einzusetzen. Seoul teilte mit, daß Nordkorea bereit sei, seine Atom- und Raketentests für die Zeit von Gesprächen mit den USA zu unterbrechen. Kim Jong-Un habe sich beim Treffen mit den südkoreanischen Sondergesandten bereit erklärt, die Annäherung an Südkorea fortzusetzen. Dabei äußerte Kim laut der Zentralen Koreanischen Nachrichtenagentur (KCNA) den festen Willen, "die innerkoreanischen Beziehungen voranzutreiben und eine neue Geschichte der nationalen Wiedervereinigung zu schreiben".

Reuters/KCNA/RF

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Krieg und Chaos in Nahost

Aktham Suliman, der aus Syrien stammende Journalist und ehemals Berliner Büroleiter des qatarischen TV-Senders Al Jazeera, bekannt als "Arabischer CNN", leitete diesen von 2002 bis 2012. Er hat nun eine sachlich und kritisch geschriebene Analyse der Kriege und des vom US-Imperialismus verursachten Chaos im Nahen Osten vorgelegt. Dem Autor gelang es, Ursachen, Triebkräfte und strategische Hintergründe der geopolitischen Katastrophe im Nahen Osten schonungslos bloßzulegen und die strategischen Dimensionen zu analysieren, welche weit über den Nahen Osten hinausgehen. Auch auf den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern geht er ausführlich ein, wobei er die koloniale Besatzerpolitik der israelischen Regierungen und ihrer internationalen Verbündeten kritisch beleuchtet. (S. 34 ff.)

Al Jazeera war der einzige unabhängige arabische Sender, der permanent live über die Brutalität des US-geführten imperialistischen Krieges gegen Irak berichtete, womit über 50 Millionen arabische Haushalte erreicht wurden. Der britische Premierminister Tony Blair (der willig als "die Stimme seines Herrn" - George W. Bush - in Europa agierte) war darüber so wütend, daß er seinerzeit dazu aufrief, die Zentrale von Al Jazeera in der qatarischen Hauptstadt Doha zu bombardieren. Dazu kam es zwar nicht, aber die Zentrale des Senders in der irakischen Hauptstadt Bagdad wurde zerstört. Mit der "Arabellion" änderte sich die politische Orientierung des Senders. Er wurde von einer offen und objektiv informierenden Institution zu einem Instrument der islamistischen Bewegung der "Ekhwan al Muslemin", der Muslimbruderschaft, und der Außenpolitik der Regierung des Emirats Qatar und der Interessen der USA. (S. 18)

Suliman analysiert messerscharf die von den USA inszenierten Kriege am Golf, weist nach, wie UN-Beschlüsse instrumentalisiert, die Vereinten Nationen durch die US-Administration permanent gedemütigt wurden. Die UN-Resolution Nummer 678 vom 29. November 1990 wurde so interpretiert, daß über Nacht aus dem scheinbaren Schutzschild für die Zivilisten eine Aggression gegen Irak geworden ist. (S. 25)

UN-Inspektoren konnten nachweisen, daß Irak keinerlei Massenvernichtungswaffen besaß. Dennoch, so der Autor, hätte die US-Armee die nuklearen Fähigkeiten Iraks "in die Steinzeit zurückgebombt" (S. 27). Sie haben in Irak "eine größere Bombenlast abgeworfen als während des gesamten Zweiten Weltkrieges". (S. 26) Der CNN-Reporter Bernhard Shaw berichtete: "Der Himmel über Bagdad leuchtet." (S. 39)

Die Schrecken des Krieges, dessen Ende nicht absehbar ist, werden minutiös beschrieben. (S. 113-161) Angefangen von der Folter im CIA-Gefängnis in Abu Ghraib bis zur Erschießung von Zivilisten aus einem Hubschrauber auf der Straße in Bagdad durch US-Söldner informiert Aktham Suliman sehr präzise über die Kriegsverbrechen der USA und ihrer Alliierten. (S. 28 ff.)

Suliman belegt, daß man sowohl durch die US-Botschafterin in Bagdad, April Glaspie, als auch durch das US-Außenministerium der Regierung Saddam Hussein grünes Licht für den Überfall auf Kuweit gegeben hat. (S. 32) Dadurch wurde die irakische Regierung in die Kuweiter Falle gelockt und später vernichtend geschlagen. Selbst beim Rückzug aus Kuweit gab es für die irakischen Militäreinheiten keine Gnade. Dies kommt meines Erachtens einem Kriegsverbrechen ganz nah. Francis Fukuyama mit seiner These vom "Ende der Geschichte" und Samuel P. Huntington mit seinem brachialen Begriff vom "Kampf der Kulturen" werden als geistige Brandstifter eingestuft, die dann auch den heißen Krieg unterstützten. (S. 49) Die gängige Version der Ereignisse des 11. September 2001 stellt Suliman stark in Frage und rückt ausführlich die Verbindungen von Al-Qaida-Chef Osama bin Laden und dem palästinensischen Theologen und Führer der Muslimbrüderschaft Dr. Abdallah Azzam mit der CIA in den Vordergrund. (S. 65-110)

Im letzten Kapitel beschreibt er als guter Beobachter den sogenannten Arabischen Frühling, der keiner wurde. Wer sich über die nationalen, regionalen und internationalen Zusammenhänge und Verflechtungen der Kriege und Konflikte in und um den Nahen Osten aus erster Hand informieren möchte, dem sei das Buch von Aktham Suliman sehr empfohlen.

Dr. Matin Baraki


Aktham Suliman: Krieg und Chaos in Nahost. Eine arabische Sicht.
Verlag Nomen, Frankfurt am Main 2017, 226 Seiten, 17,90 Euro

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Skandinavien driftet nach rechts

"Meine liebe Schwester Beate" schrieb der norwegische Faschist und Massenmörder Breivik an die Aktivistin des NSU Beate Zschäpe. Skandinavische sehr aktive Zweige des international agierenden nazistischen Blood & Honour gelten als wichtige Unterstützer des NSU. Jahrelang wurde der große deutsche Nazimarkt für Videos, CDs, Drucksachen, Fahnen und Embleme von Dänemark und Schweden aus beliefert.

Als B&H in der BRD verboten wurde, übernahm ein "Nordisches Hilfswerk" die Zusammenarbeit skandinavischer und deutscher Nazis in allen Bereichen. Funktionäre der NPD und von "Die Rechte" beteiligen sich regelmäßig an nazistischen Aufmärschen, Rudolf-Hess-Gedenktagen etc. in Skandinavien und umgekehrt. Christian Worch von "Die Rechte" in der BRD war mit skandinavischen Nazis dabei, Listen von Antifaschisten, Gewerkschaftern, Journalisten, Mitgliedern der SPD zusammenzustellen. ("Demos", Kopenhagen, 2012, S. 8) Und nun wollte Breivik auf dem Rechtswege erzwingen, ohne Kontrolle und Zensur an der weiteren internationalen Vernetzung inhaftierter nazistischer Verbrecher und Gleichgesinnter "draußen" für eine "antikommunistische Widerstandsbewegung" wirken zu können.

Parlamentarische Rechtsaußen
In der "World Anti Communist League", deren führender deutscher Faschist Otto Skorzeny unter der Hitlerherrschaft in Dänemark dänische faschistische Terror- und Mordgruppen ausgebildet hat, war die spätere Gründerin und langjährige Vorsitzende der rassistischen Dänischen Volkspartei (DVP) Pia Kjærsgaard einst Ehrengast (ebenda, "Nyhedsbrev" 102-104, S. 37 ff.) Ähnlich drastische Kontinuitäten stehen am Anfang der norwegischen "Fortschrittspartei" (FrP), und die rassistischen Schwedendemokraten (SD) sind wesentlich aus faschistoiden Quellen hervorgegangen. Inzwischen sind sie alle hoffähig gemacht und bilden den parlamentarischen Zweig der Rechtsaußen in ihren Ländern. Die Dänische Volkspartei übt seit 2001 als Stützpartei bürgerlicher Regierungen, z. Zt. mit über 21 % der Wählerstimmen, kräftigen Einfluß auf eine im europäischen Maßstab besonders flüchtlingsfeindliche Politik des Landes aus. Die norwegische FrP wird mit 15,2 % der Wählerstimmen nach der letzten Parlamentswahl 2017 wieder mitregieren. Und die Schwedendemokraten, gegenwärtig bei 17 % der Wählergunst im Parlament, wollen auch mehr.

Biologischen Rassismus haben diese Parteien zum Teil durch kulturellen ersetzt bzw. ergänzt. Von offen faschistischer Rhetorik haben sie sich sukzessive getrennt und deren Vertreter z. T. ausgeschlossen. (Es war eine ähnliche Strategiesuche, wie sie gegenwärtig in der AfD vor sich geht, die übrigens nach der Bundestagswahl von den Schwedendemokraten als "Schwesterpartei" gefeiert wurde.) Das war mit Versprechen verbunden, den "nordischen Wohlfahrtsstaat" für die "Berechtigten", also für "ihr Volk" gegen "islamistische Übervölkerung" etc. bewahren zu wollen. Tatsächlich aber tragen die Rechtspopulisten in ihrer Parlaments- und Regierungspraxis hinter der fremdenfeindlichen Stimmungsmache und mit dem entsprechenden Stimmenfang dazu bei, den ohnehin neoliberal durchlöcherten Wohlfahrtsstaat für Erwerbsabhängige im Land weiter abzubauen. Das ist wohl, bei aller Differenziertheit zwischen ihnen, ihre wichtigste Funktion.

Mit diesen nunmehr etablierten rechtspopulistischen, nationalistischen Parteien oft verbunden, ist in allen drei Ländern eine Flora von rassistischen und rechtsextremen Organisationen und Bünden entstanden, auch bei Massenmedien und in intellektuellen Kreisen. Für Schweden wird im Umfeld der SD von einer neuen politischen Landschaft gesprochen. 2017 wurden allein von 13 rassistischen Gruppierungen zunehmende soziale Aktivitäten in lokalen Milieus, mit Schulungsprogrammen, im Musikleben, mit eigenen Radiosendern, "Ideenwerkstätten", im Sport, in traditionellen Volksbewegungen und selbstverständlich im Internet ausgemacht.

Neue gewaltbereite Kräfte
Offensichtlich gibt es jedoch Interessen und Triebkräfte, denen das nicht genügt. Denn die offen faschistischen, zunehmend gewaltbereiten Kräfte haben inzwischen neue Organisationen oder Parteien gegründet und üben ihrerseits Druck auf die öffentliche Meinung und das parlamentarische System aus. So sollen dann wiederum die rechtspopulistisch geläuterten als "normale Parteien" in Parlamenten und Regierungen annehmbarer werden.

Am weitesten ist dieser Prozeß wohl in Schweden fortgeschritten, wo die eindeutig als antisemitisch, nazistisch und demokratiefeindlich eingestufte "Nordische Widerstandbewegung" (NMR) demnächst neben den Schwedendemokraten als neue Partei an den Reichstagswahlen teilnehmen will. "Wir sind im Krieg mit dem System, und das ist nicht länger ein Krieg der Worte." Linke könnten nur mit Gewalt bekämpft, und das staatliche Gewaltmonopol müßte gebrochen werden. So sind denn 2016 mit nahezu 3100 Gewalt- und sonstigen Straftaten im nazistischen Milieu die meisten Aktivitäten pro Jahr seit 2008 registriert worden. Laut schwedischer Sicherheitspolizei ist NMR aber noch "keine unmittelbare Gefahr für die Demokratie" und nimmt unter dem Schutz von "Demonstrationsrecht und Meinungsfreiheit" zunehmend am etablierten Politikbetrieb teil. Ausgebaut werden die Verbindungen u. a. zu Nazis in Polen, der Ukraine und Rußland. Seit der Wahl Trumps läßt sich die NMR vor allem von der amerikanischen Alt-Right-Bewegung, ihrer aggressiven Netzaktivität, dem Portal "Breitbart" und von dessen faschistischem Vordenker, dem früheren SS-Mann Julius Evola, inspirieren. ("Expo", Stockholm, 1/2017, S. 6)

Zahlreiche Untersuchungen belegen: Neoliberalismus als europaweiter Nährboden für Rechtspopulismus und Neofaschismus trägt auch in Skandinavien - trotz relativem materiellem Wohlstand - giftige Früchte. Arbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigungsverhältnisse, Verachtung der Schwächeren, nationalistische Standortlogik, soziales Konkurrenzdasein, zunehmende Gewalt und mehr Flüchtlinge schüren soziale Ängste, Verschwörungstheorien und rassistische Ressentiments und Vorurteile. Frust hat sich angesammelt, weil gerade in den letzten zwanzig Jahren die Schere zwischen Arm und Reich extrem geöffnet wurde.

Und dennoch ist zu fragen, ob rechtspopulistisches und neofaschistisches Gedankengut tatsächlich aus der Mitte der Gesellschaft (wie ebenso für die BRD behauptet) kommt, oder ob es unter den gegenwärtigen Bedingungen dort hineingetragen und dann wieder genutzt wird.

Für Schweden ist detailliert belegt, daß Großkonzerne, Dachorganisationen des Kapitals, entsprechende Verlage, Info-Agenturen, Think-Tanks und Massenmedien seit den 80er Jahren organisiert darauf hingearbeitet haben, nicht nur mit Hilfe der konservativen und anderen bürgerlichen Parteien, sondern auch mit rechtspopulistischen Bewegungen und Parteigründungen, einen politischen Wechsel im Lande zustande zu bringen. Nunmehr orientieren führende Kapitalkräfte in geheimgehaltener bzw. geleugneter Zusammenarbeit mit den Schwedendemokraten (SD) darauf, daß sie als "normale" und regierungsfähige Partei bereits für die Reichstagswahlen 2018 in der Gesellschaft akzeptiert werden. Und die konservative Hauptpartei des Kapitals beginnt jüngst, diese Interessenlage aufzunehmen und sich den SD zu öffnen. Nach entsprechenden Kontakten haben die SD jetzt Forderungen des Großkapitals übernommen, nicht mehr jegliche Einwanderung und alle Flüchtlinge abzulehnen, sondern je nach Arbeitskräftebedarf der schwedischen Wirtschaft ihre Fremdenfeindlichkeit zu dosieren. Mehr und mehr geht es nun vor allem gegen "außereuropäische Überfremdung". Arbeitskräfte aus Polen und dem Baltikum werden bereits lukrativ ausgebeutet und gegen einheimische ausgespielt. Diese Spaltung der Arbeiterschaft hat einen doppelten Effekt. Wirtschaftliche Nützlichkeitsinteressen haben schwedische Flüchtlingspolitiken - neben international vergleichsweise progressiven Praktiken - seit jeher geleitet.

So weit neoliberaler Nährboden und Kapitalinteressen ... Aber es gibt mehr Gründe, warum auch in Skandinavien viele Menschen aus der Mitte, auch Erwerbsabhängige, entgegen ihren Klassen- und sozialen Interessen, rechtes Gedankengut aufnehmen. Selbst nach akuten ökonomischen Krisenprozessen fanden rechtsextremistische Entwicklungen kein Ende. Der Durchbruch für SD im lokalen und regionalen Milieu vollzog sich bei Hochkonjunktur. Sinkendes Vertrauen in Politik und Parteien würden hier eine Rolle spielen. (H. Lööw: Nazismen i Sverige 2000-2014. Stockholm 2016, S. 51) Aber selbst basisdemokratische Praktiken in Kommunen scheinen dagegen nicht genug zu wirken.

Schwer meßbar, aber wohl im Alltagsbewußtsein gespeichert, wirken die Kultivierung des Wikingermythos, der "nordischen Rasse", eine schwedische "rassenbiologische" Vorreiterrolle und tief verwurzelter, auch unterbewußter Antisemitismus. In Schweden wurden die außerordentlich starken Verflechtungen mit dem deutschen Faschismus und seinem Gedankengut mit Hinweis auf die "schwedische Neutralität" im Krieg lange unter den Teppich gekehrt und waren auch in Westdeutschland kein Thema. Dänischer und norwegischer Widerstand gegen die deutsche faschistische Besetzung werden im Sinne einer Immunität gegen Rechtsradikalismus zu einem Mythos gewandelt.

Besonders in Schweden wirkt seit langem propagierter Antikommunismus als Bindeglied und Triebkraft der verschiedenen rechtsextremen Milieus. Hier spielt selbstverständlich das Ende des Realsozialismus eine Rolle. Aber es bündelt sich ebenso das skandinavientypische (vorbeugende) Klasseninteresse der gegenwärtig Herrschenden an rechtsextremen Kräften. Und die Linken konnten dem allem bisher nicht wirksam genug Widerstand entgegensetzen.

Wichtige Hinweise für den demokratischen Kampf geben Untersuchungen zur herausragenden Rolle rechtsextremer Führerpersönlichkeiten im lokalen und regionalen Milieu, ebenso Erkenntnisse, wie verschiedene Ursachen nur im Zusammenspiel wirken und nur so wirksam bekämpft werden können. (Hier sei unbedingt auf zu verallgemeinernde Erkenntnisse bei Kurt Pätzold: Gefolgschaft hinterm Hakenkreuz, Berlin 2017, und Manfred Weißbecker: Mensch und Masse, "junge Welt" vom 15.9.2017, hingewiesen.)

Schließlich tragen in Skandinavien, ähnlich wie in der BRD, rechte Blindäugigkeit und Gesinnungen in Polizei und oft Justiz zu dem bei, was sich entwickelt hat. Die Rede ist auch von "Verwaltungsrassismus". Wenn bei einer Online-Umfrage 2016, initiiert vom früheren dänischen Kulturminister, nach der "kulturellen DNA" der Dänen gefragt und vom Kulturministerium ein entsprechender Wertekanon veröffentlicht wird, bezeichnen das dänische Intellektuelle als eine "nationale Aufrüstung, für die kein Bedarf besteht". (nd, 19.12.2016)

2017 fragen dänische Antifaschisten nach ihrer Analyse innerer und äußerer Kräfteverhältnisse, ob ihr Land angesichts eines Berlusconi, eines Trump, österreichischer, ungarischer und polnischer Entwicklungen einer autoritären Führerpersönlichkeit widerstehen könnte, und sie geben zu bedenken, daß demokratische Traditionen und ein gewisser Wohlstand keine Garantie seien, daß schleichende Prozesse aufgehalten werden könnten. ("Demos", debat 2017, S. 30 ff.) Vielfache Befunde für alle skandinavischen Länder mahnen, die Rechtsentwicklung nicht als momentane, an Wahlen und Parteien und Flüchtlinge gebundene Erscheinung, sondern - im Kontext mit anderen Entwicklungen - als eine tiefgehende antidemokratische, antisoziale Wandlung des gegenwärtigen Kapitalismus und seines gesamten politischen Systems zu begreifen. Das ist ebenso für deutsche Verhältnisse relevant.

Offensichtlich sind die grundlegenden Gegensätze von Kapital und Arbeit, von rechts und links durch eine - wie auch hierzulande behauptete - neue politische Landschaft: grün-alternativ-freiheitlich gegen traditionalistisch-autoritär-nationalistisch nicht aufgehoben. Und offensichtlich braucht Antifaschismus nicht zuletzt eine starke antikapitalistische Komponente und Perspektive.

"Der Kampf gegen Rassismus beginnt mit einem gerechten Arbeitsmarkt. Nimm Stellung gegen Rassismus! Nimm Stellung für sichere Anstellungen und gleiche Bedingungen für alle, die in Schweden arbeiten!", ist eine Antwort vom schwedischen Transportarbeiterverband. ("Expo", Stockholm, 2/2017. S. 15) Der Dachverband der Gewerkschaf ten fordert in der Kampagne "Die Schwedendemokraten - eine arbeiterfeindliche und antigewerkschaftliche Partei" von der sozialdemokratisch-grünen Regierung eine Einwanderungs- und Migrationspolitik, welche die Arbeiterklasse nicht spaltet. "Denn schließlich kann den Ideen der Rechtsextremen und der Anpassung an sie nur mit einer eigenen Erzählung von einer besseren Gesellschaft begegnet werden", schreibt der Herausgeber der schwedischen antifaschistisch-demokratischen Zeitschrift "Expo" (2/2017, S. 4). Bleibt aus deutscher historischer und aktueller Sicht zu ergänzen, daß wir eine besondere Verantwortung im Kampf gegen rechte Gefahren wahrzunehmen haben.

Prof. Edeltraut Felfe, Greifswald

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Solidarität sichtbar machen!

Die neokolonialen Kriege des Westens hinterließen seit 1990 Millionen Tote und machten Dutzende Millionen Menschen zu Flüchtlingen. Die Migranten aber kommen in Gesellschaften, in denen verschärfte Konkurrenz unter Lohnabhängigen und Entsolidarisierung zu den wichtigsten Waffen im Klassenkampf von oben geworden sind. Der Aufstieg rassistischer und neofaschistischer Organisationen, die demagogisch die wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung aufgreifen, begleitet diese Entwicklung wie schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Auf der anderen Seite wird innerhalb der Linken um internationalistische und solidarische Positionen gerungen. Die längst wieder akute soziale Frage steht dabei oft nicht im Mittelpunkt von Debatten. Rückt der Kampf gegen die westlichen Kriege, die eine Hauptursache der Fluchtbewegungen sind, in den Hintergrund? Über diese und andere Fragen wurde beim Podiumsgespräch auf der 23. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz der "jungen Welt" im Januar diskutiert. Wir dokumentieren hier (leicht gekürzt) die Position Canan Bayrams.


Beobachtet man die Debatten der jüngsten Vergangenheit, so kommt das Gefühl auf, daß wir uns mehr und mehr von einem hilfsbereiten, empathischen und solidarischen Miteinander verabschieden. In der Bundesrepublik hat sich der mediale und politische Sprachgebrauch in den letzten Jahren verschärft. Man spricht von "Flüchtlingswelle" und "Flüchtlingskrise", wodurch den Menschen die Individualität abgesprochen und damit auch ihr Leid relativiert werden soll. Es soll der Eindruck erweckt werden, daß von den Geflüchteten, das heißt von den sogenannten Fremden, eine Gefahr ausgehen würde, die gesetzlich abgewehrt werden müßte. Dieses Muster ist nicht neu. Schon im Ausländergesetz wurde als "Sonderpolizeirecht" das Recht von Menschen auf Bewegungsfreiheit und Familiennachzug eingeschränkt. Solche Gesetze und Debatten erzeugen eine Kategorie von Menschen zweiter Klasse, deren Rechte mißachtet werden und für die die grundgesetzlich verbriefte Unantastbarkeit der Menschenwürde nicht gelten soll.

Nationalistische und rechtsextreme Parteien erhalten in ganz Europa Zulauf. Ressentiments gegenüber Minderheiten nehmen zu. Auch auf europäischer Ebene reagiert man auf Geflüchtete immer häufiger abwehrend. Während manche EU-Mitglieder beispielsweise keine muslimischen Flüchtlinge aufnehmen wollen, verschärft die EU ihre Grenzkontrollen und geht mit der Türkei und anderen Ländern unmoralische und europarechtswidrige Flüchtlingsabkommen ein.

Zunehmend werden die Themen Terror und Kriminalität mit Geflüchteten in Verbindung gesetzt. Der Staat reagiert darauf mit einer fortgesetzten Einschränkung der Bürgerrechte. Der Ausbau der Vorratsdatenspeicherung und der Videoüberwachung treffen uns alle. Jeder muß sich und sein Gegenüber als potentielle Gefahr wahrnehmen, die der Staat kontrollieren können muß. Das führt zur Verletzung unserer Freiheitsrechte und zu Argwohn untereinander. Sobald man aber seinen Mitmenschen mißtraut, befördert das eine Entsolidarisierung und Spaltung in "wir" und "die anderen". Hier setzen dann auch schnell die Neiddebatten ein. Neid kommt meist dann auf, wenn es Menschen gibt, die sich abgehängt oder zumindest benachteiligt fühlen - weil sie zum Beispiel aus ihrer Wohnung ausziehen müssen, da sie sich die Miete nicht mehr leisten können. Ebenso können sie oftmals gar nicht oder nur eingeschränkt am sozialen und kulturellen Leben teilnehmen. Die Betroffenen befinden sich in einer Lage, aus der sie nur schwer wieder herauskommen - wenn überhaupt. Die Menschen erleben täglich, daß die soziale Gerechtigkeit abnimmt. Dieser Umstand darf jedoch nicht mißbraucht werden, um Geflüchtete gegen sozial benachteiligte Menschen auszuspielen. Beide Gruppen benötigen Unterstützung, und es muß auch alles dafür getan werden, daß den Betroffenen von der Politik geholfen wird.

Es bleibt Fakt, daß die Debatten und Maßnahmen vielfach einseitig sind und lediglich auf Abschottung und Verhinderung von Migration abzielen. Dabei wird der Lösungsansatz "Bekämpfung von Fluchtursachen" meist nur als Floskel benutzt oder dient dazu, die Verantwortung von sich zu weisen. So richtig es ist, Fluchtursachen zu bekämpfen, so fragwürdig sind die angewandten Mittel. Deutschland und Europa dürfen nicht versuchen, unabhängig von der Situation der Geflüchteten nur auf die Abschottung durch Abkommen mit Staaten wie der Türkei und Libyen zu setzen. Die finanzielle Unterstützung von Ländern beispielsweise in Afrika und die Verbesserung von Lebensbedingungen vor Ort können nur gelingen, wenn das nicht ausschließlich gewinnorientiert und aus egoistischen Motiven heraus geschieht, sondern vielmehr solidarisch umgesetzt wird. Denn die Abkommen mit den einzelnen Ländern und die Gelder werden nichts Gutes bewirken, solange Europa gleichzeitig die Lebensgrundlage für viele Menschen in den betroffenen Regionen zerstört. Durch Waffenlieferungen schafft Deutschland selbst Fluchtursachen. Auch die unfairen Handelsbeziehungen zwischen der EU und afrikanischen Ländern fördern die Armut und entziehen vielen Menschen die Lebensgrundlage. Dabei muß berücksichtigt werden, daß zum Beispiel in Afrika Länder existieren, in denen es reiche Eliten gibt und der überwiegende Teil der Bevölkerung in Armut leben muß. Weltweit führen die Auswirkungen des Klimawandels dazu, daß Menschen in ihrer Heimat die Lebensgrundlagen verlieren. Auch die Einhaltung der Klimaziele ist ein wichtiger Beitrag, um Fluchtursachen zu bekämpfen.

Ehrlich gemeinte Lösungsansätze müssen unter anderem eine faire Handelspolitik und den sofortigen Stopp von Waffenexporten beinhalten. Europa muß gemeinsam agieren und der zunehmenden Konzentration auf nationalstaatliche Perspektiven und Interessen entgegenwirken. Viele Menschen in Deutschland handeln aber auch solidarisch, das konnte man in den letzten Jahren beobachten. Die nach wie vor große Bereitschaft der freiwilligen und unbezahlten Helferinnen und Helfer ist beeindruckend. Sie sind es, die den Geflüchteten tatkräftig zur Seite stehen - von ehrenamtlichen Sprachkursen und der Hilfe bei Amtsgängen bis hin zur Unterbringung in privaten Wohngemeinschaften und Wohnungen. Sie unterstützen die betroffenen Personen und leben somit tagtäglich ein solidarisches Miteinander. Sie sind die andere Seite der Medaille - auch wenn Rassismus und Populismus allgegenwärtig erscheinen. Die Solidarität der Menschen ist nicht verschwunden. In Zeiten von sozialen Herausforderungen muß sie aber besser sichtbar gemacht werden, sonst droht eine Fokussierung auf die vermeintlichen "Probleme".

Die Themensetzung und die Deutungshoheit dürfen dabei nicht den rechten Parteien überlassen werden. Linke Positionen müssen als Gegengewicht zu Rechtspopulismus und Rechtsruck wieder lauter und deutlicher werden. Solidarität und Internationalismus müssen stärker als Korrektiv innerhalb der derzeitigen Debatten fungieren. Denn die universellen Menschenrechte gelten für jede und jeden. Migration gab und gibt es so lange, wie es Menschen gibt. Wir müssen einen gerechten Umgang damit finden. Ziel muß es sein, allen ein gutes Leben zu ermöglichen.

Die Kritik an der Globalisierung der Märkte hat den Kampf für die internationale Solidarität in den Hintergrund gerückt. Immer häufiger werden die Fragen der internationalen Gerechtigkeit verkürzt diskutiert. Aber gerade das Thema Flucht führt uns vor Augen, daß es vom Zufall abhängt, ob man in einem sicheren oder unsicheren Gebiet geboren wird und lebt. Diese Ungleichheit kann nur durch internationale Solidarität und weltweit gerechtere Verteilung der Ressourcen überwunden werden.

Canan Bayram, Berlin
(Bündnis 90/Die Grünen)

Als Direktkandidatin des Wahlbezirks Berlin-Kreuzberg/Friedrichshain wurde sie im vergangenen September in den Bundestag gewählt.

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Realsatire im Deutschen Bundestag

Nun hat es Wolfgang Schäuble (CDU) also doch noch geschafft: Im reifen Alter von 75 Jahren ist er zum Präsidenten des Deutschen Bundestages avanciert. Im protokollarischen Sinne stellt diese Position das zweithöchste Amt nach dem Bundespräsidenten dar. Bundeskanzler und Bundesratspräsident folgen ihm.

Der Bundestagspräsident hat eine Vielzahl von Aufgaben - bekannte und weniger offensichtliche. Da wären an erster Stelle die Leitung der Parlamentssitzungen und die Sorge um die Einhaltung der parlamentarischen Ordnung zu nennen. Außerdem repräsentiert er den Bundestag nach außen und hält unter anderem Reden bei bedeutenden politischen und gesellschaftlichen Anlässen. Ebenfalls steht er der Bundestagsverwaltung vor und ist somit oberster Dienstherr von etwa 3000 Mitarbeitern. Weiter übt er das Hausrecht und die Polizeigewalt in allen Parlamentsgebäuden aus.

Doch dann hat das Parteiengesetz - und jetzt wird es in der aktuellen Amtsbesetzung besonders interessant - dem Bundestagspräsidenten noch eine Exekutivaufgabe übertragen. Der Parlamentschef setzt nämlich jährlich die Höhe der staatlichen Mittel zur Finanzierung der anspruchsberechtigten Parteien fest. Dabei spielen Wahlergebnisse und Mitgliedsbeiträge, aber auch der Umfang rechtmäßig erlangter Spenden eine Rolle. Und genau mit dieser Rechtmäßigkeit war das in der Geschichte der BRD ja so eine Sache. Schäuble empfängt also die Rechenschaftsberichte der Parteien, regelt die Wahlkampfkostenerstattung und überwacht die Einhaltung des Parteispendengesetzes.

Gerade für letzteren Punkt ist der Mann aus Freiburg im Breisgau doch bestens prädestiniert. Zur Erinnerung: Schäuble stürzte innerhalb des CDU-Schwarzgeldskandals über die Annahme einer Spende des Waffenlobbyisten Karlheinz Schreiber in Höhe von 100.000 DM. Noch immer kann nicht zweifelsfrei geklärt werden, was mit diesem Geld einst geschehen ist. Damals hieß es in der Konsequenz für Schäuble: Adieu, Parteivorsitz! Und der Traum vom Kanzleramt war gleich mit ausgeträumt.

Doch in Anbahnung neuer staatstragender Aufgaben ließ sich Schäuble in der ARD-Dokumentation "Bimbes - Die schwarzen Kassen des Helmut Kohl" nun zu einem minimalen Aufklärungsversuch hinreißen. "Es gibt keine Spender", hatte er in der Sendung in bezug auf die 90er Jahre kurz und knapp verlauten lassen. Das Geld stamme aus den Zeiten der schwarzen Kassen, in erster Linie befüllt vom Flick-Konzern, der innerhalb seiner Beteiligungen vom Panzer bis zum Papierhandtuch schon fast alles hergestellt hat. Auch der Waschmittelproduzent Henkel soll kräftig mitgemischt haben. Den Firmen ging es damals darum, Helmut Kohl als neuen Mann an der CDU-Spitze nach Rainer Barzel zu etablieren. Das sollte ihnen mehr als eindrucksvoll gelingen und zeigt, wer die wahren Strippenzieher in der BRD unter kapitalistischen Vorzeichen waren und sind.

Schäuble hinterließ in der ARD-Reportage durchaus den Eindruck, als wüßte er mit seiner Verwicklung in die Spendenaffäre der Christdemokraten noch viel mehr. Doch sein Mund blieb weitestgehend verschlossen. Nun hat die Geschichte diesen Mann in die Position des Parteienkontrolleurs gespült. Ein witziger Einfall der Historie - man müßte lachen, wenn die ganze Angelegenheit nicht so bitter ernst wäre.

Rico Jalowietzki

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Die Koalitionsvereinbarung, ein Aufrüstungsvertrag

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Wir bleiben bei Marx, Engels und Lenin

Die DKP hat sich 1968 nicht als "Strömungspartei", sondern als kommunistische Partei gegründet. Wir alle, auch die Genossinnen und Genossen, die das jetzt fordern, sind nicht in eine Strömungspartei, nicht in eine pluralistische Partei, sondern bewußt in eine kommunistische Partei eingetreten. Die DKP hat sich 1978 und 2006 Parteiprogramme erarbeitet, die nicht eine Strömungspartei definieren, sondern eine kommunistische Partei. Wir haben die Auseinandersetzung mit den Erneuerern und die Konterrevolution in den europäischen Ländern überlebt, nicht, weil wir Strömungspartei wurden, sondern weil wir kommunistische Partei blieben. (...)

Zu einigen aktuellen Fragen:

Iran: Natürlich ist unser Herz immer bei den Massen, die für ihre sozialen und demokratischen Rechte kämpfen. Natürlich vergessen wir nicht, daß die Islamische Republik auch auf einem Massaker an unseren Genossinnen und Genossen fußt, und trotzdem müssen wir diejenigen sein, die auf die Gefahr der Instrumentalisierung von Protesten zur Untergrabung der nationalen Souveränität und der territorialen Integrität hinweisen. Deswegen: Keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Iran, proletarische Solidarität mit der Arbeiterbewegung des Iran, mit unserer Schwesterpartei, der Tudeh-Partei!

Korea: Wir freuen uns nicht über Atomwaffen. Aber die Atomwaffenstaaten, allen voran die USA, heucheln. Solange sie Atomwaffen besitzen, ist es völlig logisch und nachvollziehbar, daß Staaten, die von der NATO, dem US-Imperialismus bedroht werden, auch diese Option prüfen und ggf. realisieren. Die Geschichte beweist doch, daß nicht die Koreanische Demokratische Volksrepublik dem Frieden entgegensteht, sondern der US-Imperialismus, der Südkorea zu seinem Vasallen gemacht hat.

Braunkohle/Steinkohle: Die Herrschenden haben gelernt - heute wird die Zerschlagung einer Industrie feierlich begangen. "Ihr lieben, tollen Bergleute, was habt ihr alles für uns getan, aber jetzt ist eure Zeit um ..." - das ist pervers. Steinkohle läßt man absaufen, feiert es auch ökologisch, während man der viel schädlicheren Braunkohle den Weg freiprügelt. Regelmäßig wiederkehrend werden Atomkraftwerke als ökologische Alternative verkauft. Energiepolitik ist ein Feld, das geradezu nach antimonopolistischer Bündnispolitik schreit. Denn hinter der verheerenden Kohlepolitik stehen RWE und wenige andere Konzerne und alle bürgerlichen Parteien - auch die Linkspartei, zumindest in Brandenburg verwickeln sie sich in Widersprüche, weil sie den Grundwiderspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital nicht benennen wollen oder nicht benennen können.

Metalltarifrunde: Es läßt sich trefflich darüber diskutieren, ob die Öffnung für Arbeitszeitverkürzung ohne vollen Lohnausgleich richtig ist - diese Diskussion muß geführt werden. Sie muß aber im Kampf geführt werden. Wir müssen die Aktionen der Arbeiter und Angestellten und ihrer Gewerkschaft, der IG Metall, unterstützen und in dieser Unterstützung notwendige Debatten führen. Dazu wird auch gehören, daß man der herrschenden Klasse nicht erlauben darf, ihre Politik der Zerschlagung der Kohle- und Stahlstandorte jetzt nationalistisch zu verbrämen und sich darüber zu wundern, daß die VR China den kapitalistischen Weltmarkt nutzt, um den Stahl zu verkaufen, der mit Kokereien und Stahlwerken produziert wird, die man auch in Deutschland günstig erwerben konnte, als die herrschende Klasse den Steinkohlebergbau und die Stahlindustrie zerschlagen hat. (...)

Der zu beobachtende Demokratie- und Rechtsstaatsabbau, der gehört auch zusammen mit der Militarisierung, die wir erleben. (...) Überhaupt Militarisierung - ist euch aufgefallen, wie sie bei dem Geschacher darum, welche Interessen welcher Fraktion der herrschenden Klasse wie umgesetzt werden, also bei dem, was sie Sondierungsgespräche nennen - wie sie da klammheimlich die dramatischste Hochrüstung klarmachen wollen? Die Medien erfüllen im wesentlichen ihren Klassenauftrag. Es wird kaum berichtet, aber die CSU greift die Forderung, den Rüstungshaushalt auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen, ihn also nahezu zu verdoppeln, auf. Und der SPD-Wehrbeauftragte spielt seine Rolle und spricht erst mal "nur" von 1,5 Prozent - das wäre nach offiziellen Zahlen eine Erhöhung um mindestens 12 Milliarden Euro! Das abzuwehren wird und muß in der kommenden Phase unser Hauptkampf sein. Der Aufruf "Abrüsten statt aufrüsten" ist von entscheidender Bedeutung. Wir müssen Unterschriften sammeln im Umfeld, bei Nachbarn.

Wir müssen es ausnutzen, daß auch führende Gewerkschafter, Sozialdemokraten, Grüne ihn unterzeichnet haben (...). Kein Gewerkschaftstermin, keine Sitzung von Vertrauensleuten, keine Betriebsversammlung sollte vergehen, bei der wir nicht den Zusammenhang von Rüstung und Sozialabbau verdeutlichen und um Unterschriften unter diesen Aufruf werben. Wir müssen den Aufruf nutzen, um Ansätze einer Massenbewegung gegen Kriegspolitik zu entwickeln - ich denke, ein Fokus muß dabei auf die Abwehr der Zwei-Prozent-Forderung gelegt werden. Keine Milliarden für Rüstung und Tod - stoppt die zwei Prozent!

Wir haben viel vor 2018. Einen Parteitag, keinen einfachen und dann noch das Pressefest - es ist aber auch ein besonderes Jahr. Vor hundert Jahren wurde die KPD gegründet, vor 50 Jahren DKP und SDAJ. (...) Wir können stolz sein auf unsere Geschichte. Unsere Tradition ist die von Karl und Rosa, den Gründern der KPD - unsere Geschichte, das ist die Novemberrevolution - und zwar auf der richtigen Seite der Barrikade. Unsere Geschichte, das ist der Hamburger Aufstand, der Ruhrkampf. Unsere Geschichte ist die Geschichte der Thälmannschen KPD, des Kampfes gegen den auf kommenden Faschismus, des Kampfes gegen den Faschismus. Unsere Geschichte ist die Solidarität mit der Oktoberrevolution und dem Aufbau des Sozialismus in der Sowjetunion. Ja, wir arbeiten die Fehler auf, auch die Verbrechen, aber wir lassen uns das nicht von denen diktieren, die Karl und Rosa umgebracht, die dem Faschismus zum Aufstieg und zur Macht verholfen und die ausgestreckte Hand zur Aktionseinheit gegen den Faschismus ausgeschlagen haben.

Wir sind stolz, daß zu unserer Geschichte der antifaschistisch-demokratische Aufbau in der DDR, der Übergang zum Aufbau des Sozialismus, der Aufbau des Sozialismus gehört. Wir sind stolz darauf, daß in der BRD der Kampf gegen die Restauration, gegen die Spaltung Deutschlands, gegen die Remilitarisierung zu unserer Geschichte gehören. (...) Wir sind stolz, daß Genossen wie Wilhelm Pieck, Walter Ulbricht, Max Reimann in unserer Ahnenreihe stehen.

Zu unserer Tradition gehört die Wiedererringung der Legalität durch die Gründung der SDAJ und die Neukonstituierung der DKP genauso wie der Aufbau des Sozialismus in der DDR - wir sind stolz, daß Genossen wie Kurt Bachmann, Herbert Mies und Erich Honecker zur Tradition der DKP gehören. Nicht vergessen dürfen wir Genossen wie Willi Gerns, Robert Steigerwald und Hans Heinz Holz.

Die Konterrevolution in den europäischen Ländern des Sozialismus war eine tiefe, eine für uns, aber auch für den Frieden, die Befreiung aus dem neokolonialen Joch, den sozialen Fortschritt eine tiefe, schlimme Niederlage - auch sie gehört zu unserer Geschichte. Zu unserer Geschichte gehört aber eben auch, daß wir es gewagt haben, nach dieser Niederlage daran festzuhalten, daß in diesem hochentwickelten imperialistischen Land eine kommunistische Partei notwendig ist.

Und liebe Genossinnen und Genossen, wir zeigen das doch auch aktuell. Unser Sofortprogramm war und ist das einzige, das nicht beim (notwendigen) moralischen Appell "Refugees welcome" stehenbleibt und einen Weg aufzeigt, wie die soziale Demagogie der rassistischen, nationalistischen AfD durchkreuzt werden kann.

Indem der völlig berechtigten Perspektivangst der Menschen ein Weg des gemeinsamen Kampfes aufgezeigt wird. Nehmt die Verursacher von Kriegen, Flucht und Armut ins Visier - sie müssen zahlen für Forderungen, die sich der Verschärfung der Konkurrenz unter den Ausgebeuteten entgegenstellen. Die Monopole, die Reichen, der Rüstungshaushalt - dort ist ein besseres Leben zu holen -, aber nur im Kampf.

Ja, das ist Abwehrkampf, das ist Reformkampf. Aber wo sollen die Arbeiterklasse, die Intelligenz, die Mittelschicht, die Bauern und kleinen Selbständigen denn lernen, daß ihre Interessen einen gemeinsamen Gegner und damit Übereinstimmung haben, wenn nicht in Abwehr- und Reformkämpfen?

Wo sollen sie lernen, daß dieser Kampf mit dem Kampf um die grundsätzliche Veränderung der gesellschaftlichen Eigentums- und Machtverhältnisse verbunden werden muß, wenn nicht in Abwehr- und Reformkämpfen?

Wo sollen sie lernen, daß das bedeutet, daß die Arbeiterklasse die politische Macht ergreifen muß und daß man sich mit ihr verbünden muß, wenn nicht in Abwehr- und Reformkämpfen?

Dazu brauchen wir eine Strategie, und wir brauchen eine stärkere Partei - beidem will und wird sich der 22. Parteitag stellen. Der Parteitag ist das Gremium, bei dem die gesamte Partei vertreten ist. Er ist das höchste Organ der innerparteilichen Demokratie. Er ist das höchste Organ, mit dem die kommunistische Partei unseres Landes, die DKP, sich auf die Kämpfe einstellt und Antworten auf Herausforderungen und innere Auseinandersetzungen gibt.

Natürlich werden wir dabei auch Antworten auf eigene krisenhafte Entwicklungen der letzten Monate geben müssen. Wir werden nichts schönfärben. Wir werden uns aber vor allem weder in eine Strömungspartei noch in einen sektiererischen Haufen verwandeln. Die KPD begann ihre Existenz vor 100 Jahren mit dem Satz: "Wir sind wieder bei Marx unter seinem Banner." Die DKP kann von sich sagen: "Wir bleiben bei Marx, Engels und Lenin unter ihrem Banner."

Vorwärts zum 20. UZ-Pressefest!
Mehr Rot auf die Straße! Stärkt die DKP!

Patrik Köbele
(Vorsitzender der DKP)

Auszug aus der Rede, die Genosse Köbele beim LLL-Treffen am 13. Januar in Berlin gehalten hat.

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Ozarichi und das "Ehrenmal" der deutschen Täter

Am 19. März 1944 befreiten sowjetische Soldaten bei der belorussischen Ortschaft Ozarichi, 75 Kilometer südlich von Bobruisk, drei Vernichtungslager der 9. Armee der faschistischen Wehrmacht. Neben den ca. 33.000 überlebenden Zivilisten fanden sie 9.000 Leichen. Zwei Wochen zuvor hatte General Josef Harpe im Dorf durch die 110. Infanteriedivision "Wiking" Arbeitssklaven selektieren, "unnütze Esser, Seuchenkranke, Arbeitsunfähige, Greise, Krüppel und Frauen mit mehr als zwei Kindern" in eingezäunte Waldstücke vor den deutschen Linien deportieren lassen. Dort gab es keine Gebäude, Decken oder Wetterschutz, kein Trinkwasser oder Essen. Als Schutzschilde gegen den "Iwan" sollten sie dienen und bei einer Befreiung die Sowjetsoldaten mit Typhus infizieren. Die aber retteten sie aus dem Hunger- und Erfrierungstod und dokumentierten das Kriegsverbrechen auch mit Filmaufnahmen.

Auf dem Rückzug vor der siegreichen Roten Armee erhielt auch die 110. Infanteriedivision in der vernichtenden Kesselschlacht von Minsk am 7. Juli 1944 die Quittung für ihre seit 1941 anhaltenden Raub- und Mordaktionen an der Ostfront. Nur wenige der 10.500 Nazi-Soldaten entkamen. Daraus schmiedete ihr in Westdeutschland gegründeter Kameradschaftsbund den Heldenmythos vom "Opfergang dieser ruhmreichen Division".

Zur 1000-Jahr-Feier wurden sie 1956 von der Stadt Lüneburg eingeladen, wo sie seitdem jährliche Treffen abhielten. Denn dort waren sie im Dezember 1940 aufgestellt und im Juni 1941 zum Überfall auf die Sowjetunion in den Osten verlegt worden. 1960 weihten sie - in der Obhut der Stadt, mit Bundeswehr-Ehrenwache, dem Divisions-Probst und Honoratioren, begleitet von pathetisch-martialischen Appellen - das der Division gewidmete "Ehrenmal" Wiking ein. Bis in die 90er Jahre wiederholten sich solche makabren Rituale. Der Stein zeigt ein Wikinger-Boot, Symbol der Truppe und zugleich der "Fahrt nach Walhalla", mit der Inschrift: "Es sage keiner, daß unsere Gefallenen tot sind. 110. ID" Daneben steht die, 2014 von einer Unternehmer-Stiftung aufgestellte "Erläuterungstafel", die verlustreiche Niederlage beklagend, mit den Worten: "Das Trauma von Minsk läßt die Toten nicht ruhen." Dieses Denkmal befindet sich in Sichtweite gegenüber dem Haupteingang des Verhandlungssaals für den Auschwitz-Prozeß gegen Oskar Gröning, der, wegen Beihilfe zu 300.000fachen Mord, im Juli 2015 dort verurteilt wurde. Den überlebenden Opfern, als Zeugen geladen und von dem Schandmal nichts ahnend, muß dieser Spruch für die "untoten" Mörder wie Hohn und Drohung klingen!

Zum "Tag der Befreiung" im Mai 2015 zeigte die VVN-BdA im "Scala"-Kino Filmmaterial der Roten Armee über die Opfer von Ozarichi und klärte die Öffentlichkeit über die bislang weitgehend unbekannten Verbrechen der 110. ID auf. Die Leuphana-Universität veranstaltete 2017 eine Ausstellung zu Ozarichi.

Der Dekan der Kulturwissenschaften, Prof. Dr. Ulf Wuggening, erforschte in Zusammenarbeit mit der Universität Hamburg die Hintergründe. Prof. Dr. Christoph Rass veröffentlichte weitere Details dazu in seinem Buch "Menschenmaterial. Deutsche Soldaten an der Ostfront. Innenansichten einer Infanterie-Division". Auch Forscher in Aachen und Köln befaßten sich mit dem Thema. Eine Veränderung der "Lüneburger Erinnerungskultur" wurde dringend angemahnt. Eine Initiative der VVN und der Universität lud 2017 Ozarichi-Überlebende nach Lüneburg ein. Wegen beschwichtigender, verharmlosend auf Relativierung der Schuld eingestimmter Auftritte des beauftragten Bürgermeisters Dr. Scharf (CDU) kam es zu heftigen Unstimmigkeiten und Beleidigungen gegen die Begleitpersonen. Eine Untätigkeitsklage gegen die Stadt, die das "Ehrenmal" ohne jeden Hinweis auf das Kriegsverbrechen und die eigentlichen Opfer beließ, folgte. Lüneburg wird, der Garnisonsgeschichte und der Bundeswehr geschuldet, von einer einflußreichen Militaristen-Lobby geplagt. Die Stadtoberen von SPD und CDU leisteten sich neben einer Hindenburg-Straße u. a. Ehrenmale für das "Löwengeschwader" der "Legion Condor" (Guernica) und ein Dragoner-Regiment, das 1904 am Völkermord an 100.000 Hereros und Namas in Namibia mitwirkte.

Mit fadenscheinigen Tricks hat man bislang alle Argumente zur Aufarbeitung der historischen Verantwortung und einer wahrhaftigen Geschichtsdarstellung ignoriert. Die dreiste Umdeutung unveränderter Nazi-"Ehrenmale" zu "Mahnmalen für Frieden und Versöhnung ohne gegenseitige Aufrechnung des Leids" fand auch den Segen der Kirche.

Anfang Januar 2018 erlitt dieser Klüngel aber einen peinlichen Prestige-Verlust durch eine Art "Betriebsunfall" des Bürgermeisters Dr. Scharf: "Deutsche Täter" hatten Unbekannte zum "Holocaust-Gedenktag" auf das Denkmal der 110. ID geschrieben, was den in Rage brachte. Am Ort des Geschehens interviewte ihn mit einer Handy-Kamera der Berliner "Reichsbürger" und Holocaust-Leugner Nikolai Nerling, gegen den wegen Volksverhetzung ermittelt wird, für seine Internet-Blog-Seite "Der Volkslehrer". Frank und frei gestattete Dr. Scharf ihm, offiziell als Bürgermeister, die Veröffentlichung bei Youtube. Darin bezeichnet er die Wehrmachtsverbrechen als Verleumdung und Geschichtsklitterung durch "die Linken". Ihm ginge "das Messer in der Tasche auf", wenn behauptet wird, Zwangsarbeitern wäre es nicht gut ergangen. Als Kind in Schlesien aufgewachsen, könne er das alles bezeugen. Die Fraktion der Partei Die Linke forderte daraufhin seinen sofortigen Rücktritt und Entschuldigungen bei allen verunglimpften Ozarichi-Forschern. Trotz einer Protestwelle stilisierte ihn sein Dienstherr, der Oberbürgermeister Mädge (SPD), zum "unglücklichen" Opfer einer "Neonazi-Falle" und lehnte, ebenso wie der Verwaltungsausschuß, seine Entlassung, auch in Anbetracht seiner Verdienste im Rat, als Gymnasial-Rektor, Träger des Bundesverdienstkreuzes und Mitglied diverser Vereinigungen, rundweg ab. Das zynische Fazit seiner Anhänger: "Er hat seinen Beitrag zur Aussöhnung mit einer demokratischen und geschichtlich verantwortungsbewußten Denkhaltung (!) bekundet.

Erst in der Gesamtwürdigung seiner Persönlichkeit erhält die Debatte um Erinnerungskultur ihre angemessene Form." Denn: Antifaschismus ist ja nach Ansicht der Bundesregierung verfassungswidriger Linksextremismus ...

Jobst-Heinrich Müller

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Die 999er - Antifaschisten in Wehrmachtsuniform

Im Januar-"RotFuchs" las ich den Artikel über das dritte Treffen der Weltjugend im August 1951 in Berlin. Ich gehörte damals zur FDJ-Delegation aus Hamburg, und mit unserem Chor hatten wir viele Auftritte, vor allem im Bezirk Köpenick. Außerdem hatte ich das große Glück, gemeinsam mit meiner Mutter die Eröffnungsveranstaltung im Stadion der Weltjugend zu erleben. Nach den Weltfestspielen blieb ich in der DDR, fast vierzig Jahre war die DDR meine Heimat. Nachdem ich das Rentenalter erreicht hatte, ging ich zurück in meine Geburtsstadt Hamburg.

Was haben diese Reminiszenzen mit den "999er-Antifaschisten" zu tun? Bereits im Frühjahr 1933 hatte die Gestapo meinen Vater das erste Mal abgeholt und in das berüchtigte Konzentrationslager Kola-Fu Hamburg gebracht. Dort wurde er schwer mißhandelt. 1934 holten sie auch meine Mutter Lucie.

Jahre der Inhaftierung meiner Eltern folgten, weil sie als Kommunisten aktiven Widerstand gegen das Naziregime geleistet hatten. Während dieser Haftjahre lebte ich eine Zeitlang bei Verwandten in Bochum und wurde später von der Gestapo in einem Waisenhaus untergebracht.

Mein Vater Cuddl war wegen dieser Haftstrafe "wehrunwürdig" geworden. Doch nach der Niederlage Hitlers 1942 vor Moskau mobilisierten die Faschisten die "letzten Reserven", die Gefängnisse wurden geleert, politische Gegner des Naziregimes und kriminell Vorbestrafte als "bedingt wehrwürdig" erklärt und in das 999er-Strafbataillon gezwungen, "zur Bewährung", wie das hieß. Mein Vater war einer der Zwangsrekrutierten. Er wurde in einen der Massentransporte der 999er eingereiht und in das KZ-ähnliche Ausbildungslager Heuberg gebracht. Meine Mutter begleitete ihn am 25. Juli 1943 zum Hannoverschen Bahnhof in Hamburg, von wo dann sein Transport abgegangen ist. Es ist derselbe Bahnhof gewesen, von dem aus die Deportationszüge der Juden, Sinti und Roma in den Jahren 1940 bis 1945 in die Ghettos und Vernichtungslager abfuhren.

Das Strafbataillon umfaßte reichsweit 28.000 Rekrutierte, von denen zwei Drittel "Kriminelle" waren, mit denen die Antifaschisten fortan ihre Existenz teilen mußten. Tausende von ihnen sind verheizt worden, das Schicksal weiterer Tausender blieb unbekannt - so auch das meines Vaters. Jahre haben wir nach Kriegsende auf seine Rückkehr gewartet - vergeblich.

Nach der Befreiung entstanden sowohl in der DDR als auch in der BRD Arbeitsgemeinschaften ehemaliger 999er, die zunächst die aus den Kriegsgefangenenlagern zurückgekehrten Kameraden erfaßten, betreuten und schon früh deren Erinnerungsberichte sammelten.

Diese AGs waren Teil der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN). Mit Beginn des kalten Krieges waren Kommunisten in der BRD erneut Verfolgungen ausgesetzt. Das traf auch viele Politische aus den 999er-Formationen, in denen ca. 80 % der KPD und 15 % sozialdemokratischen Organisationen angehört hatten. Mitte der 90er-Jahre schloß sich die AG ehemaliger 999er dem DRAFD e. V. an (Verband Deutscher in der Résistance, in den Streitkräften der Antihitlerkoalition und der "Bewegung Freies Deutschland"), dessen Auflösung im März 2014 beschlossen wurde. Die Erinnerung an diese Gruppe von Antifaschisten verblaßt also immer mehr bzw. wurde in der BRD bewußt ins Vergessen gedrängt. Die Erinnerung an die Schrecken der Hitlerbarbarei wurde offiziell auf die Verfolgung und Vernichtung von Juden, sehr spät auch die von Sinti und Roma reduziert. Voraussetzung für die "Endlösung der Judenfrage" war aber die Verfolgung der politischen Gegner des Hitlerregimes gewesen, die Ausschaltung ihres politischen Widerstands mit vielen zehntausend Opfern. Dieser Widerstand fand und findet in der BRD bis heute kaum eine offizielle Würdigung.

Ein typisches Beispiel für den Versuch, Antifaschisten vom Gedenken auszugrenzen, haben wir am Gedenkort Hannoverscher Bahnhof erlebt, der vor einem Jahr, also im Mai 2017, eingeweiht wurde. Vom Hannoverschen Bahnhof in Hamburg gingen in den Jahren 1940 bis 1945 25 Deportationszüge ab, davon siebzehn mit über 6000 Juden, drei mit mindestens 1300 Sinti und Roma sowie fünf Züge mit annähernd 2000 Strafsoldaten. Die ersten drei dieser fünf Transporte der Strafsoldaten sollen ausschließlich aus politisch Vorbestraften bestanden haben.

Das Hamburger Erinnerungskonzept sah bei der Planung der Gedenkstätte von Beginn an vor, an dieser Stelle ausschließlich an die rassisch Verfolgten zu erinnern. Um gegen die Ausgrenzung der 999er Einspruch zu erheben, veröffentlichten die VVN-BdA Hamburg und die Willi-Bredel-Gesellschaft im Jahr 2014 meine erste Schrift über die 999er-Strafsoldaten. Damit kam in den Auseinandersetzungen um die Hamburger Gedenkkultur einiges in Bewegung. Und das mag den Ersten Bürgermeister Olaf Scholz dazu bewogen haben, in seiner Rede bei der Einweihung des Gedenkorts Hannoverscher Bahnhof auch an die 999er zu erinnern: "... in das Gedenken sind auch alle eingeschlossen, die aus Hamburg verschleppt wurden, insbesondere die Regimegegner, die 1942 von hier aus in die 999er-Bewährungsbataillone eingezogen wurden."

All das hat die KZ-Gedenkstätte Neuengamme dazu bewogen, das Thema der Deportationen vom Hannoverschen Bahnhof neu zu bewerten. Sie beauftragte zwei Wissenschaftlerinnen, das Thema weiter zu erforschen, denn in den nächsten Jahren soll die Gedenkstätte am ehem. Hannoverschen Bahnhof um ein Dokumentationszentrum ergänzt werden. Es bleibt abzuwarten, ob das Schicksal der 999er-Strafsoldaten dort in angemessenem Umfang gewürdigt wird.

Nachdem meine erste Schrift viel Resonanz und neue Hinweise gebracht hatte, war ich motiviert, das Thema weiter zu verfolgen. Zunächst noch in Abstimmung mit dem Historiker Dr. Hans-Peter Klausch, der im Mai 2016 viel zu früh verstarb, verbrachte ich ungezählte Stunden im Staatsarchiv Hamburg und im Archiv der Hamburger VVN-BdA. Ich konnte 722 Namen von Hamburger 999ern ermitteln und veröffentlichte meine Forschungen in dem eben erschienenen Buch "Wer waren die 999er?" Den interessantesten Teil des Buches bilden die Erlebnisberichte von 999ern und deren Verwandten, die noch nie vorher veröffentlicht worden sind.


Ursula Suhling: Wer waren die 999er? Strafsoldaten in Wehrmachtsuniform - deportiert vom Hannoverschen Bahnhof.
Herausgeber: Willi-Bredel-Gesellschaft Geschichtswerkstatt e. V. und VSA-Verlag, Hamburg 2017, 224 S., 18,80 €

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Auf welche Tradition soll sich die "neue Wehrmacht" berufen?

Wieder einmal wandte sich Frau von der Leyen mit einem Erlaß zur Traditionspflege der Bundeswehr an die Öffentlichkeit. Die Bundeswehr solle sich auf ihre eigenen Traditionen besinnen und sich endgültig von der Wehrmacht verabschieden, empfiehlt sie. Die Ministerin hätte aber vorher Ralph Giordanos Buch "Die Traditionslüge, vom Kriegerkult in der Bundeswehr" (Köln 2000) lesen sollen. Er schreibt: "Das Hauptverbrechen Hitlerdeutschlands war sein Krieg, nicht Auschwitz. Denn erst die Siege der Wehrmacht ermöglichten Holocaust und Völkermord." In diesem Sinn fehlt dem Traditionserlaß eine Präambel, in dem sich das Bundesministerium der Verteidigung für die in den ersten zwanzig Jahren der Bundeswehr wiederverwendeten Eliten der faschistischen Wehrmacht entschuldigt. Alle Generale der Anfangsjahre der Bundeswehr gehörten zu den Teilnehmern eines Vernichtungskrieges mit unzähligen Kriegsverbrechen.

"So erfüllten sie (die Generäle) bereitwillig bis zur letzten Minute dieses grausamen Vernichtungskrieges die Forderungen ihres Oberbefehlshabers, Adolf Hitler, sogar über dessen Tod hinaus. Von dieser Verantwortung und Schuld gegenüber dem eigenen Volk und Vaterland können die deutschen Militärs nach Ende des Zweiten Weltkrieges nicht freigesprochen werden; auch wenn es dafür immer wieder Versuche gab und gibt. Es war schließlich ihr Krieg, den sie umfassend vorbereitet und total geführt haben." (Klaus Weier: Schreckliche Generäle. Militärverlag, Berlin 2012)

Für diese Generäle und alle Angehörigen der faschistischen Wehrmacht gab der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer am 3. Dezember 1952 vor dem Bundestag eine "Ehrenerklärung" ab.

"Wir möchten heute vor diesem Hohen Haus im Namen der Regierung erklären, daß wir alle Waffenträger unseres Volkes, die im Rahmen der hohen soldatischen Überlieferungen ehrenhaft zu Lande, zu Wasser und in der Luft gekämpft haben, anerkennen. Wir sind überzeugt, daß der gute Ruf und die große Leistung des deutschen Soldaten trotz aller Schmähungen während der vergangenen Jahre in unserem Volk noch lebendig geblieben sind und auch bleiben werden. Es muß auch gemeinsame Aufgabe sein, und ich bin sicher, wir werden sie lösen, die sittlichen Werte des deutschen Soldatentums mit der Demokratie zu verschmelzen."

Zu dieser Erklärung gehört auch ein Brief Konrad Adenauers, den er am 17. Dezember 1952 an den Generaloberst der Waffen-SS, Oberstgruppenführer a. D. Paul Hauser, richtete. Dieser lautet: "Sehr geehrter Herr Generaloberst! Einer Anregung nachkommend, teile ich mit, daß die von mir in meiner Rede am 3. Dezember 1952 vor dem Deutschen Bundestag abgegebene Erklärung für Soldaten der früheren deutschen Wehrmacht auch die Angehörigen der Waffen-SS umfaßt, soweit sie ausschließlich als Soldaten ehrenvoll für Deutschland gekämpft haben.

Mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung
bin ich Ihr
gez. Adenauer."

Für diese Ungeheuerlichkeit hat sich bis heute kein Kanzleramt oder CDU-Vorsitzender entschuldigt.

Am 20. Juni 1952 schrieb Adenauer im "Rheinischen Merkur": "Was östlich von Elbe und Werra liegt, sind Deutschlands unerlöste Provinzen. Daher heißt die Aufgabe nicht Wiedervereinigung, sondern Befreiung." Ein klarer Auftrag an die noch zu schaffende "neue Wehrmacht".

Was die Ausführungen zur NVA im Erlaß betrifft, kann Frau von der Leyen als Vertreterin einer anderen Gesellschaftsordnung die DDR und ihre NVA nur ablehnen. Wenn sie als Christin die NVA jedoch in einem Atemzug mit der faschistische Wehrmacht nennt, ist das eine Verharmlosung der Verbrechen der Wehrmacht.

Im Artikel 8 der Verfassung der DDR heißt es im Absatz 2: "Die Deutsche Demokratische Republik wird niemals einen Eroberungskrieg unternehmen oder ihre Streitkräfte gegen die Freiheit eines anderen Volkes einsetzen." Und im Artikel 23, Absatz 2: "Kein Bürger darf an kriegerischen Handlungen und ihrer Vorbereitung teilnehmen, die der Unterdrückung eines Volkes dienen."

Daran haben sich die NVA und ihre Angehörigen in allen Jahren der Existenz der NVA gehalten. Bei allen Unzulänglichkeiten, Defiziten und Fehlern ist festzuhalten: Die Gesetzlichkeit und das gesellschaftliche Leben in der DDR waren auf das Wohl des Menschen ausgerichtet. Die Ideale einer sozialistischen Gesellschaft liegen näher bei den christlichen Werten als die des Kapitalismus mit Alters- und Kinderarmut, Obdachlosigkeit, Suppenküchen und den Drogentoten, einem System, in dem die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden.

Das Problem der Verteidigungsministerin mit den Traditionen der Bundeswehr ist ein Problem des Staates BRD, als Rechtsnachfolger des "3. Reiches". Das Ordensgesetz erlaubt das Tragen der "faschistischen Auszeichnungen", die an vielen Uniformen der Bundeswehr und von Politikern (z. B. Erich Mende) in der Öffentlichkeit getragen wurden. Traditionsverbände wie die der Ritterkreuzträger, wurden politisch durch Schirmherrschaft gefördert. Noch im November 2013 organisierte die Bundeswehr das Begleitprogeamm für ein Treffen der Ritterkreuzträger in Celle. Zeitschriften, wie "Militär & Geschichte", "Clausewitz", "DMZ" und "Schwerterträger" glorifizieren die Wehrmacht bis heute.

Die geschichtliche Einordnung der NVA als "nicht sinnstiftend" ist eine Entwürdigung und Beleidigung der Bürger der DDR, die in der NVA gedient haben. Ist eine Friedensarmee nicht sinnstiftend? Die Bundeswehr sollte sich an Traditionen erinnern wie die des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I., dem Begründer der preußischen Tugenden. Seine Erfahrungen in der Jugend führten bei ihm zu der Überzeugung, daß Krieg keine Option der Politik ist. Kriege, so meinte er, kosteten nur viel Geld und ramponierten die vorher mühsam aufgebaute Armee.

Im November jährt sich zum hundertsten Mal das Ende des Ersten Weltkriegs. Für die friedliche Zukunft Europas trägt die Bundesregierung eine große Verantwortung. Dazu gehören eine Entmilitarisierung der Außenpolitik und vernünftige Beziehungen zu Rußland. Berlin sollte in der NATO die Initiative ergreifen und einen Nichtangriffspakt zwischen der NATO und Rußland vorschlagen.

Oberst a. D. Horst Nörenberg, Potsdam

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Was zur Teilung Deutschlands führte

Das Jahr 1948 sollte zukunftsweisende Entscheidungen für die staatliche Entwicklung des in vier Besatzungszonen aufgeteilten Deutschland mit sich bringen. Erste Schritte zur Konstituierung eines westdeutschen Separatstaates waren bereits im Vorjahr unternommen worden (siehe RF 241, S. 18/19: Die Bilanz des Jahres 1947). Es handelte sich dabei unter anderem um den Zusammenschluß der US-amerikanischen mit der britischen Zone zur Bizone am 1. Januar 1947 sowie um die Schaffung zentraler deutscher Institutionen in der Bizone in Gestalt eines parlamentarischen Gremiums ("Wirtschaftsrat") und einer regierungsähnlichen Verwaltung ("Direktoren"). Alle diese Maßnahmen waren ohne die erforderliche Zustimmung der UdSSR getroffen worden. Worin lagen die Ursachen dieser Handlungen, die den gemeinsamen Beschlüssen der Alliierten in Jalta und Potsdam widersprachen?

Der US-Imperialismus war als einzige der kriegführenden Mächte wirtschaftlich und militärisch gestärkt aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangen. Er nutzte diese Stärke, die sich vor allem im exklusiven Besitz der Atombombe, einer durch keinerlei Kriegseinwirkungen geschwächten Industrie sowie als weltweit größter Gläubiger manifestierte, skrupellos aus, um die globale Nachkriegsordnung ausschließlich nach seinen politischen Vorstellungen zu gestalten. Eine auch nur annähernd gleichberechtigte Rolle der UdSSR war hier nicht vorgesehen. Im Gegenteil wurde die Sowjetunion als potentieller "Störenfried" behandelt, der sich den machtpolitischen Ansprüchen der USA widersetzen könnte. Großbritannien wurde lediglich der Platz eines "Juniorpartners" zugewiesen. Eine entscheidende Rolle in der Strategie des US-amerikanischen Imperialismus spielte Deutschland.

Hier sollte keineswegs Ernst gemacht werden mit einer gemeinsamen Viermächtekontrolle, mit Entnazifizierung, Demokratisierung, Entmilitarisierung und einer wirksamen Entkartellisierung der Wirtschaft, so wie es im Potsdamer Abkommen ja vereinbart worden war. Anfangs in kleinen Schritten, dann mit immer schneller vollzogenen Entscheidungen wurde der Einfluß der UdSSR auf die einvernehmlich zu vollziehende Besatzungspolitik zurückgedrängt. Schließlich sollte in den Westzonen ein neues Staatswesen etabliert werden, das dauerhaft dem Einfluß der USA unterworfen und mit seinen industriellen Ressourcen in eine antisowjetische Front eingegliedert werden sollte. Das Jahr 1948 war in Washington dazu bestimmt worden, diese Strategie erfolgreich umzusetzen. Bereits am 7. und 8. Januar 1948 waren die Ministerpräsidenten der Bizone von den Militärgouverneuren der USA und Großbritanniens, den Generälen Lucius D. Clay und Sir Brian Robertson, darüber informiert worden, daß die Bizone im Laufe des Jahres zu einem staatsähnlichen Gebilde ausgebaut werden und in nicht allzu ferner Zukunft ein westdeutscher Separatstaat entstehen würde.

Die "Londoner Beschlüsse"
Entscheidend für die Realisierung der US-amerikanischen Politik war die "Londoner Konferenz", an der im Februar/März und vom April bis Juni 1948 neben den Vertretern der drei westalliierten Staaten auch Repräsentanten der Beneluxländer teilnahmen. Die Regierung der UdSSR war weder von der Vorbereitung dieser Konferenz informiert worden, noch wurde sie um ihre Teilnahme gebeten, obwohl hier grundsätzliche Entscheidungen zur alliierten Deutschlandpolitik geplant waren. Gemäß den alliierten Beschlüssen wäre eine Einladung der Sowjetunion zwingend erforderlich gewesen.

Der Gang der Verhandlungen in London, die am 23. Februar 1948 begannen, war nicht einfach, da Frankreich immer wieder Einwendungen gegen die Herstellung eines westdeutschen Separatstaates geltend machte. Hierbei handelte es sich um die in Paris grassierende Furcht, daß eine deutsche Großmacht heranwachsen würde, die ein weiteres Mal eine ökonomische, politische und militärische Überlegenheit gegenüber Frankreich und den Beneluxstaaten erringen könnte. Deshalb waren die französischen Unterhändler bestrebt, die Vereinigung der Bizone mit der französischen Zone zu verhindern bzw. zu verzögern, das Saarland mit seinen Kohlevorkommen und seiner Schwerindustrie wirtschaftlich und politisch an Frankreich zu binden und zugleich an der Kontrolle des Ruhrgebietes beteiligt zu werden. Doch die ökonomische Krise in Frankreich, die unter anderem von Devisennöten, Mißernten und einer Inflation geprägt war, machte die Regierung in Paris abhängig von Dollarkrediten sowie von Lebensmittel- und Rohstofflieferungen der USA. Deshalb erfolgte schließlich die Zustimmung zur Erweiterung der Bizone um die französische Besatzungszone zur Trizone sowie zur Einbeziehung der drei Westzonen in den Marshallplan, der mit Hilfe von Dollarkrediten den Aufbau der kriegszerstörten westeuropäischen Länder und ihres industriellen Potentials bewirken sollte.

Welche entscheidenden Beschlüsse wurden auf der Londoner Konferenz verwirklicht? Am wichtigsten war die Einsetzung einer verfassunggebenden Versammlung, die auf föderaler Grundlage den staatlichen Aufbau des neu zu schaffenden "Weststaates" beschließen sollte. Ferner wurde Frankreich zugebilligt, die alleinige Kontrolle über das Saarland zu behalten, das kein Bestandteil der BRD wurde. Außerdem wurde eine internationale Ruhrbehörde in Aussicht gestellt, bestehend aus den sechs Mächten, die auf der Londoner Konferenz vertreten waren, sowie aus deutschen Repräsentanten. Die Westalliierten behielten die Aufsicht über die auswärtigen Beziehungen und den Außenhandel des Separatstaates. Ihre militärische Präsenz wurde aufrechterhalten; ein Besatzungsstatut sollte die Rechte der drei westalliierten Mächte und ihrer "Hohen Kommissare" kodifizieren.

Zieht man zusätzlich die am 20. Juni 1948 durchgeführte Währungsreform in den Westzonen in Betracht, so waren seit der Mitte des Jahres 1948 entscheidende Voraussetzungen für einen westdeutschen Separatstaat getroffen worden. Alle Bekundungen der USA, Großbritanniens und Frankreichs, es sei mit den Vereinbarungen von London keineswegs eine Spaltung Deutschlands beabsichtigt, dienten nur der Täuschung der UdSSR und der Weltöffentlichkeit. Der sowjetische Vertreter im Alliierten Kontrollrat in Berlin, Marschall Wassilij Sokolowski, erbat am 20. März von den Repräsentanten der drei Westmächte authentische Informationen über die Beschlüsse der Londoner Konferenz, deren erste Etappe am 5. März 1948 beendet worden war. Nachdem ihm diese Auskünfte verweigert worden waren, verließ die Delegation der UdSSR unter Protest das Gremium. Tatsächlich war durch die nicht erfolgte Einladung sowjetischer Vertreter nach London und die dadurch zum Ausdruck kommende Außerachtlassung vitaler Rechte und Interessen der UdSSR die Geschäftsgrundlage für die gemeinsame Verwaltung von Deutschland als Ganzem aufgekündigt worden. Es kam hinzu: Am 17. März hatten England, Frankreich und die Beneluxländer außerdem eine militärische "Westunion" für den Zeitraum von fünfzig Jahren abgeschlossen. Hierbei handelte es sich um das "erste Nachkriegsbündnis in Europa, das sich gegen die Sowjetunion gerichtet hat." (Hans-Georg Lehmann: Chronik der Bundesrepublik Deutschland 1945/49 bis 1983. München 1983, S. 18)

Das Echo in den Westzonen
Das Echo der Londoner Beschlüsse in den Westzonen war kritisch bis ablehnend. Grundsätzlich ablehnend verhielt sich allein die KPD. In den anderen Parteien wurde Kritik nicht zuletzt deshalb geäußert, um zu versuchen, die Einflußnahme der Besatzungsmächte auf das künftige Regierungshandeln des neu zu etablierenden Staates zu begrenzen. Die CDU-Landesverbände in den Westzonen schlugen sogar am 10. Juni 1948 demagogisch vor, eine erneute Konferenz einzuberufen, wobei "der Versuch der Heranziehung Rußlands" (zitiert nach: Konrad Adenauer: Erinnerungen 1945-1953. Stuttgart 1965, S. 141) unternommen werden müßte. Die kritischen Einwände der SPD-Führung um Kurt Schumacher waren nicht grundsätzlich gegen die Londoner Empfehlungen gerichtet, sie interpretierten wider besseres Wissen allerdings die sich aus ihnen ergebenden Folgen als "provisorisch". Eine gemeinsame Stellungnahme mit der CDU lehnte die SPD ab. Alle Versuche, die "Londoner Empfehlungen" entscheidend zu verändern, schlugen fehl. Als sich am 1. September 1948 der Parlamentarische Rat mit 65 Abgeordneten, die von den elf Landtagen der Westzonen gewählt worden waren, in Bonn konstituierte, waren endgültig die Weichen für die Gründung des deutschen Separatstaates "Bundesrepublik Deutschland" gestellt worden.

Frühe Debatten über die Wiederbewaffnung
Ein zentraler Aspekt im Bestreben der USA, möglichst rasch die BRD zu gründen, darf nicht unberücksichtigt bleiben: Die Einbeziehung der Bundesrepublik in ein aggressives, gegen die UdSSR gerichtetes Militärbündnis, den "Atlantikpakt".

Nur wenige Jahre nach der Kapitulation des faschistischen "3. Reiches" mußten derartige Planungen im verborgenen durchgeführt werden. Deshalb übernahmen in der Öffentlichkeit Wissenschaftler und Publizisten entsprechende "Gedankenspiele", von denen sich die Regierungen in Washington, London und Paris sogleich distanzieren konnten. Für große internationale Aufmerksamkeit sorgte ein ausführlicher Beitrag des französischen Politikwissenschaftlers Maurice Duverger in der führenden Tageszeitung "Le Monde" im November 1948, der von der Hamburger Tageszeitung "Die Welt" auf ihrer Titelseite nachgedruckt wurde. Hierin hieß es unter anderem: "Wenn man davon spricht, daß Kontinental-Europa gegen einen etwaigen Angriff von außen zur Verteidigung bereit sein muß, dann müßte man sich darüber im klaren sein, daß dies sowohl den Wiederaufbau der deutschen Armee als auch der französischen Armee erforderlich macht. Es gibt nur zwei militärische Völker auf dem Kontinent: Deutschland und Frankreich. Eine europäische Armee würde im wesentlichen eine französisch-deutsche Armee sein. Ich errate den Skandal, den diese gotteslästerlichen Ausführungen hervorrufen mögen, denn man nimmt gern den Mund voll mit dem Wort 'Europa', indem man zugleich die Augen vor seinen wirklichen Gegebenheiten verschließt. Es kann kein Europa ohne eine französisch-deutsche Allianz geben. Zu behaupten, diese Allianz sei unmöglich, hieße zu erklären, daß Europa eine Unmöglichkeit darstellt." ("Die Welt", 27.11.1948, S. 1)

Das Echo auf diesen Beitrag war unüberhörbar. Ihm war die Aufgabe zugedacht worden, als "Testballon" zu ermitteln, ob die europäische Öffentlichkeit eine Remilitarisierung Westdeutschlands zu tolerieren gedachte. Angesichts der eskalierenden antisowjetischen Hetze und der planmäßig geschürten Ängste vor einem Angriff der Roten Armee hoffte man in den Amtsstuben der westlichen Regierungen, die Akzeptanz einer neu zu schaffenden deutschen Armee sei stärker als die Furcht vor wieder entstehenden deutschen Großmachtgelüsten. Doch die Zeit war noch nicht reif. Heuchlerisch wurden Duvergers Vorschläge von den Regierungen in den westlichen Hauptstädten zurückgewiesen. Zum Beispiel wiesen in London "zuständige Stellen" Spekulationen über den Aufbau einer deutschen Armee zurück; die "Times" stimmte Duvergers Überlegungen zwar grundsätzlich zu, sah die Realisierung seiner Vorstellungen allerdings noch "in weiter Ferne". ("Die Welt", 30.11.1948, S. 1, und 9.12.1948, S. 2)

Die interessanteste Replik auf den Artikel Duvergers stammte jedoch aus der Feder von Carlo Schmid, Mitglied des Parteivorstandes der SPD und Abgeordneter des Parlamentarischen Rates. In der "Welt" vom 14.12.1948 riet er zur Schaffung einer Armee, die jedoch als fester Bestandteil einer (west-)"europäischen" Streitmacht agieren solle: "Es gilt, eine echte, in sich selber internationale Wehrmacht zu schaffen und nicht ein Mosaik nationaler Truppenkontingente." Hier könnte die Integration deutscher Verbände vollzogen werden, deren Stärke die drei Besatzungsmächte bestimmen müßten. Der Hinweis des Autors auf die Notwendigkeit, ein System kollektiver Sicherheit in Europa zu schaffen, galt offensichtlich nur für den Westen des Kontinents im Sinne eines "kollektiven Schutzes" vor der angeblich aggressiven UdSSR.

Die von Duverger provozierte Debatte über eine Wiederbewaffnung des noch gar nicht existierenden westdeutschen Staates mußte in Moskau geradezu alarmierend wirken - drei Jahre nach der Befreiung vom Faschismus und angesichts der immer noch unübersehbaren Wunden, die dem Land von der Nazi-Wehrmacht zugefügt worden waren. Was der Öffentlichkeit verborgen blieb: Dutzende Hitler-Generäle und Generalstäbler der faschistischen Armee waren in den USA bereits am Werk, ihre im Aggressionskrieg gegen die UdSSR gewonnenen Erfahrungen den Planern eines erneuten Krieges gegen die Sowjetunion im Pentagon zur Verfügung zu stellen und dabei "Lehren" für einen "erfolgreichen" Feldzug gegen die UdSSR zu Papier zu bringen.

Zusammengefaßt: Die Londoner Konferenz des Jahres 1948 stellte eine Zäsur in der Nachkriegsentwicklung Deutschlands und letztlich die Geburtsurkunde der BRD und damit der Spaltung Deutschlands dar. Zugleich sind die Ergebnisse der Konferenz ein warnendes Beispiel dafür, welche verhängnisvollen Folgen es hat, wenn die legitimen Sicherheitsinteressen der Sowjetunion bzw. Rußlands von westlicher Seite als irrelevant, ja als eine unter keinen Umständen zu berücksichtigende Größe erachtet werden.

Dr. Reiner Zilkenat

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Die Sinnlichkeit der Vernunft - Letzte Gespräche mit Hans Heinz Holz Pflichtlektüre für "RotFuchs"-Leser

Dietmar Dath hat einmal zu dem 2007 im Eulenspiegel-Verlag erschienenen Briefwechsel zwischen Hans Heinz Holz und Peter Hacks gesagt, er sei so eigentlich das Lebendigste, das man von den beiden kenne. Nun aber liegt uns ein Band vor, der an Lebendigkeit kaum noch zu übertreffen ist: Arnold Schölzel und Johannes Oehme im Gespräch mit Hans Heinz Holz. Ein Lesevergnügen der ganz besonderen Art. Das liegt natürlich auch an der prästabilierten und großen Harmonie der drei Philosophen aus drei Generationen, und es liegt selbstverständlich an dem Universalgelehrten Holz, der hier Auskunft gibt über sein Leben, seine Arbeit, seinen politischen Kampf gestern und heute, seine ganz persönlichen Beziehungen - auch zu seiner klugen und geliebten Frau Silvia - und über das Wesen, den Wert und die Geltung des Philosophischen im allgemeinen und der marxistischen Philosophie im besonderen. Und kein Leser merkt, daß Holz bereits so schwer erkrankt ist, daß er sich kaum von seinem Lager erheben kann. Dennoch werden die unglaublich vielfältigen Themen mit einer Leichtigkeit und Intensität diskutiert und besprochen, daß die nun nachlesbaren viertägigen Gespräche vom Februar 2011 in Sant'Abbondio zu einem außerordentlichen Gewinn werden.

"Ein Zeitalter wird besichtigt." Dieser Titel ist zwar schon mit Heinrich Manns Memoiren vergeben, aber nun könnte er noch einmal aufgelegt werden: Hans Heinz Holz besichtigt sein Zeitalter. Man weiß gar nicht, wem man da mehr danken soll: den beiden Gesprächspartnern für ihre glänzende Initiative oder dem Philosophen Hans Heinz Holz, der sich unter den widrigsten Bedingungen von den beiden über Gott und die Welt befragen ließ. Herausgekommen ist jedenfalls ein Buch, das interessanter nicht sein könnte. Und auch nicht vergnüglicher, denn Holz erzählt auch von den schwierigsten Situationen in jener heiteren Souveränität, die dann wohl auch die Herausgeber dazu animierte, selbst das auf dem Tonband mitgeschnittene Lachen im Text anzumerken. Und da wird fast auf jeder Seite gelacht! Über 300 Seiten Gesprächstext voller Charme und Esprit und einem analytischen Intellekt, der nicht scharfsichtiger und nicht dialektischer sein könnte.

Es lohnt ein Blick auf die in 12 Kapiteln wohlstrukturierte Themenvielfalt: Vom Antifaschismus zum Kommunismus - Journalistische Anfänge und Studium der Philosophie - Restauration in der BRD und politische Lehrjahre. Politische Philosophie als Politik / Problemgeschichte der Dialektik - Ästhetik und Kunstkritik - Politischer Journalismus und Berufungskampf in Marburg - Studentenbewegung und Marxismus / Wege zur abenteuerlichen Rebellion - Zwischenwelten und Religion, Literatur und Philosophie - Technikphilosophie und Fragen des Naturverhältnisses - Denken und Sprache / China und chinesische Kultur - Von Marburg nach Groningen - Niederlage und Neuanfang / Organisationsarbeit in der DKP.

Bei jedem dieser Themen verbindet sich der autobiographische Horizont mit der historischen Einordnung und einer problemgeschichtlichen Ortung. Allein das Namensverzeichnis umfaßt 8 Seiten, und bei Holz klingen alle diese Namen so vertraut, als wäre er nicht nur mit Bloch und Lukács persönlich bekannt gewesen, sondern auch mit Platon und Aristoteles - und natürlich mit Marx und Engels und Lenin - und nicht zu vergessen: mit Leibniz und Hegel - und sogar mit frühchristlichen Autoren, die selbst unter Theologen in Vergessenheit geraten sind.

Es gibt nur wenige Namen, die Holz' uneingeschränktes Anathema und also Verachtung trifft. Stalin gehört durchaus nicht dazu, wohl aber Chruschtschow. Und unter den Philosophen finden selbst jene eine qualifizierte Einordnung, die eigentlich als Antipoden gelten können. Da finden sich dann auch Sätze, die so manch einen verblüffen oder auch irritieren werden. Zum Beispiel: "Heidegger ist ein bedeutender Philosoph, da ist nicht dran zu zweifeln." Und warum? "... weil er Probleme anspricht, die echte Probleme sind und nicht dieses Gequatsche, was Jaspers von sich gibt". (S. 95) Einerseits ist Kant "das größte Verhängnis der neuzeitlichen Philosophiegeschichte" (S. 110), doch: "Ohne den Subjektivismus, den Kant eingeführt hat, hätten wir kein revolutionäres Bewußtsein entwickeln können; von Hegel her nicht." (S. 124) Und der hochgerühmte Sokrates? "Sokrates war ein Zuträger" der genußsüchtigen griechischen Jugend, "der sich, um es deutsch zu sagen, durchgefressen hat, also ein Schmarotzer und Gammler war." (S. 49)

Solche Urteile stammen nicht aus alten Lehrbüchern. Sie sind Ergebnis eines lebenslangen Quellenstudiums, das Holz dank seiner Vielsprachigkeit mit äußerster philologischer Präzision getrieben hat. Und sie verdanken sich einem Denken, das nicht um jeden Preis originell, wohl aber selbständig zu sein bemüht war. Und es ist dieser souveräne Umgang mit Texten in ihrer spezifischen Geschichte, die auch seine Urteile etwa über Nietzsche, Sartre oder Marcuse bestimmt haben. Ein dialektisch denkender Marxist müsse begreifen, "daß in einer Übergangszeit auch Un-Klarheiten miteinander zusammengehen". (S. 51)

Hinwiederum hat Holz auch keine Scheu davor, bei Marx und Engels auf "Einseitigkeiten" aufmerksam zu machen, z. B. in der "Deutschen Ideologie" mit ihrer These, "die Philosophie habe keine eigene Geschichte, sondern sei immer nur Begleiterscheinung der realen Entwicklung". "Natürlich stimmt es", sagt Holz, "daß alle philosophischen Systeme zu bestimmten Zeiten entwickelt werden und Systeme über den Produktionsverhältnissen ihrer Zeit sind. Aber gleichzeitig erhalten sich unterhalb der Erscheinungsform Problemkonstanten, die durchgängig sind. Darauf hat übrigens der späte Stalin anhand von Sprache, Mathematik und Logik hingewiesen. Das gilt im Grunde für alle philosophischen Probleme.

Wir haben das Universalienproblem seit Platon - bis heute. Gramsci weist darauf in seiner Bucharin-Kritik hin: Alle unsere Soziologisten im Marxismus gehen davon aus, daß die Ökonomie die einzige Wirklichkeit sei, alles übrige nur Gedankenwirklichkeit. Mit einem solchen nominalistischen Universalienbegriff kann man aber schon nicht den Begriff der Klasse und des Klassenbewußtseins erklären. Das Klassenbewußtsein ist gerade nicht das Bewußtsein des einzelnen Klassenangehörigen, sondern ist etwas, was die Klasse als ein Real-Allgemeines betrifft. Das soll nur ein Beispiel dafür sein, daß selbst innerhalb des Marxismus die beiden kontroversen Richtungen des Universalienproblems nicht aufgelöst sind." (S. 101 f.)

Hier schlägt das Herz des genuinen Dialektikers Hans Heinz Holz, denn Dialektik denkt in einer Systematik, die auch dort noch Zusammenhänge sieht, wo gemeinhin nur von Alternativen gesprochen wird. In seinem fulminanten fünfbändigen Werk "Dialektik. Problemgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart" hat er diese Systematik auf einzigartige Weise zur Darstellung gebracht. Wer sich an dieses Opus magnum nicht mehr oder noch nicht heranwagt, der sollte unter allen Umständen zur "Sinnlichkeit der Vernunft" greifen, bei der allein schon der Titel eine dialektische Systemprogrammatik anzeigt. Und für Holz ist das Denken im dialektischen System ein Grunderfordernis aller Welterkenntnis, der Angelpunkt für ein adäquates Verständnis von Geschichte, Politik und Ökonomie - und für die Strategie und Taktik von Kommunisten, die diese Welt verändern wollen und müssen.

Letzteres erfordert nicht nur eine kommunistische Partei, die weder sektiererisch noch opportunistisch ist. Es erfordert auch, was viele Kommunisten bereits zu haben wähnten: nämlich Marxismus als Philosophie. "Aber Marxismus als Philosophie, das hat Lenin selbst und Stalin noch gesagt und Gramsci immer wieder ausgesprochen: die philosophische Erarbeitung dieser Denkstrukturen, die fehlt noch. Das ist die Aufgabe unserer Generation, nachdem wir jetzt die Grundlage der politischen Ökonomie haben." (S. 109) Die von Holz noch geplante Kategorienlehre konnte er nicht mehr schreiben, aber in seinem 2005 erschienenen Werk "Weltentwurf und Reflexion. Versuch einer Grundlegung der Dialektik" hat er bereits den Grund gelegt für einen Marxismus als Philosophie. Und das, wie er selbst sagt, "auf die vielleicht für einen Marxisten merkwürdige Weise, daß ich nicht mit der Materialität, sondern mit den Begriffsstrukturen angefangen habe". (S. 109)

Das aber hat genau mit dem zu tun, was Holz "Problemkonstanten" nennt, die ihre eigene "Gedankenwirklichkeit" haben. Und so kommen wieder Begriffe ins Spiel, die unter Marxisten längst als abgestoßen galten: die Metapher, die spekulative Methode, eine dialektisch-materialistische Ontologie - und selbst der Begriff der Metaphysik wird nicht einfach verworfen, sondern dialektisch aufgehoben.

Und wem das alles zu philosophisch ist, der kann sich an der biographischen Vielfalt eines Philosophieprofessors erfreuen, der Jahrzehnte auch als Journalist, als Abendspielleiter im Rundfunk, als von Künstlern hochverehrter Kunsttheoretiker, als Mitglied des Vereins Deutscher Ingenieure tätig war und als Marxist und Parteiarbeiter nicht nur aus der deutschen Geschichte nicht mehr wegzudenken ist. Für "RotFuchs"-Leser sind seine "Letzten Gespräche" mit den seltenen Photographien aus dem Archiv von Silvia Holz-Markun geradezu eine Pflichtlektüre, denn sie sind eigentlich sein geistiges Testament.


Dr. Dieter Kraft, Berlin

Hans Heinz Holz: Die Sinnlichkeit der Vernunft. Letzte Gespräche.
Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2017, 336 S., 20 €

Zusätzlich empfehlen wir:

Hans Heinz Holz: Kommunisten heute. Die Partei und ihre Weltanschauung. Neue-Impulse-Verlag/ Edition Marxistische Blätter, Essen 2017, 170 S., 9,90 €

Die erste Auflage des 1991 erschienenen Buches "Niederlage und Zukunft des Sozialismus" war schnell vergriffen und sorgte auch international für Diskussion, weil Holz hier die Zeitgesänge postsozialistischer Beerdigungsredner mit seiner Streitschrift über Grundfragen und Perspektiven des Marxismus störte und den Resignierten Mut machte. Mit diesem zweiten Buch konzentrierte sich Hans Heinz Holz 1995 nicht weniger streitbar auf das Parteiverständnis der Kommunisten, seine Kategorien und weltanschaulichen Grundlagen. Ferner legte Hans Heinz Holz - als Diskussionsangebot, nicht als Katechismus - seine Position zur Allgemeinen Krise des Kapitalismus dar und zum Charakter der Epoche, zu der die Oktoberrevolution vor 100 Jahren das Aufbruchsignal gab. Ein Grund mehr, das von Gerd Deumlich und Willi Gerns lektorierte Buch als unveränderten Nachdruck erneut herauszugeben.

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Geld, Stimmungsmache und Fake News

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Die "Blaukarierten" - ein Marx-Buch für Neulinge

Als Carola etwa acht Jahre alt war, begann sie, abfällige Bemerkungen über historische Bauwerke zu machen, sie zeigte ein ausgesprochenes Desinteresse an allem, was auch nur im entferntesten mit der menschlichen Vergangenheit zusammenhing. Die Ursache war relativ leicht zu ermitteln: Sie war mit Geschichte überfüttert worden. Bei jedem Besuch ausländischer Freunde, bei jeder Reise ging sie mit den Eltern ins Museum, und es war verständlich, daß sie bald von Begegnungen mit der Geschichte die Nase voll hatte. Wie froh waren ihre Eltern, als sie einmal den Wunsch äußerte, eine Mumie zu sehen. Wie enttäuscht war das Kind dann von dem mit Binden umwickelten Dingsda auf der Berliner Museumsinsel!

Einige Jahre später begann sich ihre Einstellung zur Geschichte zu wandeln. Das war natürlich auch ein Erfolg ihrer Eltern. Entscheidend jedoch war ein Lehrer, der nicht mit dem Nürnberger Trichter arbeitete, sondern die Kinder zu begeistern vermochte. Vor diesem Lehrer zieht der Vater noch heute ganz tief seinen Hut, ebenso wie vor den Autoren manchen guten Kinder- und Jugendbuchs, das seine Tochter beeinflußte.

So löste bei ihr das Buch "Mohr und die Raben von London", von Vilmos und Ilse Korn (Kinderbuchverlag, 1962), eine wahre Marx-Begeisterung aus. Die Zwölfjährige stürzte sich auf alles, was ihr über den Lebensweg von Karl Marx in die Hände kam. Bald interessierten sie besonders Jenny und Tussy Marx, es dauerte nicht lange, und sie wußte von ihnen mehr als der Vater, der Historiker ist. Sie las die von Luise Dornemann verfaßte Jenny-Marx-Biographie und Harald Wessels Tussy-Briefe, die durch Bezüge aus ihrer Heimatstadt Jena für sie noch einen besonderen Reiz erhielten. Bald war sie von Marx' Frau so begeistert, daß sie im Familienrat den Antrag stellte, ihren Vornamen noch den Namen Jenny hinzufügen zu können. Allerdings machten dann die zuständigen amtlichen Stellen nicht mit, was sie wohl heute noch bedauert.

Nun könnte man alles als einen Jungmädchenschwarm abtun und bekritteln, daß es hier einen konfliktlosen Weg zu Marx gab. Natürlich, ich kenne andere junge Menschen, die fanden zu ihm auf verschlungeneren, komplizierteren Pfaden. Aber sollten nur sie typisch sein für unsere Gesellschaft?

Carola hat heute mit Marx ein ganz anderes Problem. Sie ist jetzt zwanzig, Studentin, und sucht, wie viele unserer Studenten, jetzt nach dem effektivsten Weg, seine Werke zu studieren und sich zugleich zu befähigen, Marx' Lehre als Anleitung zum praktischen Handeln aufzufassen und zu nutzen.

Das ist eine keineswegs leichte Etappe. Ich weiß aus Erfahrung, wie sehr es vom Hochschullehrer abhängt, daß seine Studenten die Werke der Klassiker des Marxismus-Leninismus aus innerer Bereitschaft studieren; und zwar mit der unerläßlichen Einheit von Hirn und Herz. Die Motivierung ist wichtig, aber auch die Hilfe, die den Studenten beim Studium der Werke gegeben wird, und schließlich, man sollte es nicht vergessen, die Muße, die sie dafür haben. Mit Hilfe meine ich selbstverständlich nicht Krücken und Gängelei, und schöpferische Muße hat nichts mit Gammelei zu tun.

Ein Buch, das eine nützliche Hilfe sein kann, hatte ich vor kurzem in der Hand: Heinrich Gemkows Buch "Unser Leben. Eine Biographie von Karl Marx und Friedrich Engels" (Dietz-Verlag, 1981). Zunächst fiel mir die Aufmachung auf. Manchem mag der hochgestreckte, überdimensioniert wirkende Daumen auf der Umschlagseite nicht so recht behagen. Und wer hätte früher an eine solche "Blasphemie" gedacht - Marx und sein engster Kampfgefährte mit Sprechblasen!

Der Band ist reichhaltig illustriert und enthält zahlreiche, bisher weniger bekannte Abbildungen. Insgesamt gefällt mir die äußere Gestaltung der "Blaukarierten", wie die Biographie bereits liebevoll nach dem Grundmuster ihres Umschlags genannt wird. Ich kann mir vorstellen, daß sie Jugendliche anspricht. Zum Motto des Buches wird gewissermaßen das durch seine Sprechblase hervorgehobene schöne Marx-Wort: "Wenn man ein Ochse sein wollte, könnte man natürlich den Menschheitsqualen den Rücken kehren und für seine eigne Haut sorgen."

Heinrich Gemkows Biographie hat erstmals Karl Marx und Friedrich Engels gemeinsam zum Gegenstand. Daraus ergab sich für ihn eine Reihe komplizierter Probleme. Er mußte beiden Persönlichkeiten gerecht werden, zugleich ihr Zusammenwirken und ihre Freundschaft zeigen. Angesichts der überwältigenden Fülle von Materialien und Erkenntnissen, die bisher von der Marx-Engels-Forschung zusammengetragen worden ist, erforderte die richtige Auswahl des Stoffes ein hohes Maß an Wissen, Mut zum Weglassen, aber auch Vermögen, sich in die Situation der jugendlichen Leser - ihren Kenntnisstand ebenso wie ihre geistigen Bedürfnisse - hineinzuversetzen.

Hier gibt es keine leeren Floskeln, Geschichte wird so dargestellt, ja vielfach erzählt, wie sie tatsächlich abgelaufen ist, natürlich mit den notwendigen Verallgemeinerungen und Wertungen.

Im Mittelpunkt der Biographie stehen Probleme, die es jungen Menschen erleichtern, Zugang zu Marx und Engels zu finden. In der Vorbemerkung nennt der Autor einige charakterisierende Fragen: "Was waren das für Männer, die so konsequent und mit solchem Erfolg ihren Weg vom Bürgersohn zum revolutionären Demokraten, vom revolutionären Demokraten zum Kommunisten gingen, wie wurden sie zum weltweit geachteten und geliebten Vertrauensmann ihrer Klasse? Wodurch wurden sie unsere Klassiker? Wie lebten sie im Alltag? Liebten sie ihre Frauen? Waren sie gute Väter? Besaßen sie echte Freunde? Kannten sie jugendlichen Übermut und auch Stunden der Verzweiflung? Gehören sie aufs Denkmal oder in unsere Köpfe und Herzen? Oder ist beides am Platze?"

Wie eindrucksvoll ist doch zum Beispiel das Kapitel über das bittere Brot des Exils und der überzeugende Nachweis für eine auch in unserer sozialistischen Gegenwart so wichtige Erkenntnis, daß für Marx Politik und revolutionäre Arbeit nie an der Wohnungstür aufhörten, sondern ein untrennbarer Bestandteil seines Lebens waren. Oder: der Brief, den der 38jährige Marx 1856 an seine Frau schrieb und in dem es heißt: "Meine Liebe zu Dir, sobald Du entfernt bist, erscheint als was sie ist, als ein Riese, in die sich alle Energie meines Geistes und aller Charakter meines Herzens zusammendrängt." Bewundernswert fand ich auch, mit welch leichter Hand der junge Leser, um ein letztes Beispiel zu nennen, an den wissenschaftlichen Kommunismus herangeführt und mit grundlegenden theoretischen und politisch-ideologischen Erkenntnissen von Marx und Engels vertraut gemacht wird.

Wenn ich Carola demnächst treffe, werde ich sie fragen, wie ihr die "Blaukarierten" gefallen haben. Es müßte für sie eine interessante, anregende Lektüre sein. Und das nicht nur für Jugendliche. Auch die Älteren werden diese Doppelbiographie mit Gewinn lesen. So stelle ich mir historische Bücher vor, die Anregungen geben und allgemeinverständlich, rational und emotional wirksam ein großes Thema darstellen.

Dieter Fricke,
1983 (RF-Archiv)

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Wissenschaftliche Weltanschauung
Lenin: "Der 'linke Radikalismus', die Kinderkrankheit im Kommunismus" (Teil 1)
Sendung des Deutschlandsenders vom 23. Mai 1974

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Reichtum ohne Gier?
Vorwärts - zurück zu Marx!

Mit diesem Buch werden Antworten auf die Frage gegeben, wie wir uns vor dem Kapitalismus retten.(1) Die Autorin ist Sahra Wagenknecht. Sie war in der PDS maßgebliche Mitbegründerin der Kommunistischen Plattform als einer konsequent marxistischen Gruppierung. Nach der Gründung der Partei Die Linke war sie von 2010 bis 2014 Stellvertretende Vorsitzende und seit 2015 Ko-Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag. Ihre Bekanntheit rührt nicht nur daher, daß sie laut einer Medienanalyse(2) in bezug auf die Zahl von Auftritten in Talkshows, TV-Interviews und ähnlichem 2017 an erster Stelle noch vor Peter Altmeier, Christian Lindner (FDP), Cem Özdemir (Grüne), Thomas Oppermann (SPD) und Ursula von der Leyen (CDU) steht. Sie vertritt dabei seit vielen Jahren eine konsequent antikapitalistische Position. Ihre Auftritte im Bundestag sind in Form und Inhalt brillant, ihre Polemik in Talkshows ist scharf und überzeugend, und ihre Interviews sind gekennzeichnet von großer Sachkunde. Ihre unverwechselbar antikapitalistische Haltung findet sich auch in früheren Schriften. Diese politisch-ideologische Position beruht auf der Anwendung marxistischer Gesellschaftsanalyse. Das zeigt sich auch in jenen Kapiteln des Buches, die den "Lebenslügen des Kapitalismus", der Eigentumsfrage sowie der Rolle der Monopole und transnationalen Konzerne gewidmet sind.

Wenn die Autorin jedoch im zweiten Teil die Frage stellt "Wie wollen wir leben?" oder "Grundzüge einer modernen Wirtschaftsordnung" entwirft, werden einige Probleme sichtbar. So fällt auf, mit welchem Lob Marktwirtschaft und freie Konkurrenz bedacht werden: "Was funktionierende Märkte allerdings leisten, ist die Ausschöpfung der kreativen Potentiale einer Gesellschaft in der Entdeckung solcher 'kleinen' Neuerungen: beim Aufspüren von Marktlücken, beim Verbessern bestehender Produkte und dem Ausprobieren neuer Ideen, beim Feilen an besseren arbeitssparenden Technologien. Zu solchen Leistungen motiviert kein anderer Mechanismus so gut wie der freie Wettbewerb vieler Anbieter ..."(3) Für die Entstehungszeit des heutigen Wirtschaftssystems ist das zweifelsfrei richtig. Aber man kann doch nicht übersehen, daß Marx, Engels und Lenin in ihren wirtschaftshistorischen Studien gezeigt haben, daß und wie aus diesem Konkurrenzkampf durch Akkumulation von Kapital, durch Kapitalkonzentration, durch Bildung von Monopolen und transnationalen Konzernen der heutige Imperialismus entstand. Weshalb zieht sie nicht die wirtschaftshistorischen Forschungen solch namhafter Marxisten wie Georgi Plechanow, Nikolai Bucharin, Rudolf Hilferding, Rosa Luxemburg u. a. hinzu? Statt dessen beruft sie sich auf die Elite der Alt- und Neoliberalen sowie anderer großbürgerlicher Ökonomen, von Friedrich A. Hayek über Joseph A. Schumpeter und Walter Eucken, Alexander Rüstow, Ludwig Erhard und John Maynard Keynes bis zu Milton Friedman. Es geht hier nicht darum, den wissenschaftlichen Wert der Arbeiten dieser Autoren einzuschätzen. Schließlich gibt es beträchtliche Unterschiede zwischen dem seriösen Theoretiker Schumpeter, dem Streiter gegen jede Zentralverwaltungswirtschaft Eucken, dem Wirtschaftspolitiker Erhard und dem scharfzüngigen Antikommunisten Hayek. Die Frage lautet, ob das die Kronzeugen einer antikapitalistischen Wirtschaftsanalyse sein können.

Dabei wird der französische Wirtschaftshistoriker Fernand Braudel herangezogen, der die einfache Warenproduktion von der kapitalistischen trennt. Die gesetzmäßige Entstehung der höheren Form aus der niedrigen wird nicht erkannt. Sahra Wagenknecht stimmt ihm zu: Der Kapitalismus sei nicht aus gleichem, sondern aus ungleichem Tausch entstanden. (S. 86) Demgegenüber hat Marx gegen Proudhon ("Eigentum ist Diebstahl") nachgewiesen, daß die Spezifik der Eigentumsverhältnisse dazu führt, daß geradezu gesetzmäßig auf der Grundlage von Äquivalentenaustausch, d. h. ohne Betrug, Diebstahl oder "ungleichem Tausch", kapitalistische Produktion entsteht. Alles ausführlich nachzulesen und belegt in "Das Kapital". Gerade die Aufdeckung des Zusammenhangs von Äquivalentenaustausch, Ausbeutung und Entwicklung des Kapitalismus gehört zu den größten wissenschaftlichen Leistungen von Marx. Wie kann man das ignorieren und sich auf "ungleichen Tausch" zurückziehen?

Bei der Darstellung einer wünschenswerten Wirtschaftsordnung konzentriert sich Sahra Wagenknecht stark auf Geldwirtschaft, Finanzpolitik und Bankenwesen. Das ist auch völlig berechtigt, denn von der Finanzpolitik, den Großbanken und dem Spekulationswesen wird in hohem Maße die Funktionsweise dieser Wirtschaft bestimmt. Wenn jetzt über die Vorschläge zur Umgestaltung der Wirtschaftsordnung berichtet wird, verzeihe der Leser das ausführliche Zitieren. Es soll dem eventuellen Vorwurf vorbeugen, etwas aus dem Zusammenhang gerissen, verzeichnet oder falsch interpretiert zu haben. Als Hauptfrage wird die Veränderung des Bankwesens betrachtet: "Zentraler Akteur der hier vorgeschlagenen Finanzordnung sind die Gemeinwohlbanken. Gemeinwohlbanken sind in erster Linie regionale Banken ..."(4) An anderer Stelle: "Das Ziel ist also ein kleinteiliger, gemeinwohlorientierter Finanzsektor, der kostendeckend, aber nicht profitorientiert das öffentliche Gut Geld so bereitstellt, daß die Wirtschaft sich nach den gesellschaftlich gesetzten Prioritäten entwickeln kann."(5) Danach wird unterstrichen: "Die Verkleinerung der Banken und ihres Geschäftsradius ist von zentraler Bedeutung."(6) Dabei entsteht die Frage, von wem und wie solche Veränderung durchgesetzt werden kann gegenüber einer Finanzmacht, die in Großbanken, Holdinggesellschaften, internationalen Finanzierungsteams, Spekulationsbörsen usw. konzentriert ist. Von der Regierung werden die Großbanken wegen ihrer Systemrelevanz in Krisenzeiten nicht nur unterstützt, sondern wenn nötig auch finanziell gerettet. Als Weg für solche Umgestaltung wird vorgeschlagen: "Alle Arten von Finanzgeschäften und Finanzpapieren unterliegen einem Finanz-TÜV. Zugelassen wird nur, was einen nachweisbaren realwirtschaftlichen Nutzen hat. Alles andere ist verboten.

Über die Zulassung sollte ein gemeinnütziges Institut von der Art der Stiftung Warentest entscheiden.(7) Das heißt, ein Finanz-TÜV in Form einer Stiftung soll darüber entscheiden, was finanzrechtlich verboten ist und was nicht. Wie das staatsrechtlich, verfassungsgemäß und juristisch funktionieren soll, bleibt das Geheimnis der Autorin.

Immer noch ist die Frage offen, von welcher gesellschaftlichen Kraft solche Veränderung durchgesetzt werden könnte. Die Antwort lautet: "Es ist Aufgabe der Demokratie, darüber zu entscheiden, welche Branchen, welche Technologien und welche Innovationen bevorzugt werden sollen."(8)

Welche Demokratie ist gemeint? Die heutige, die keine ist, kann es wohl nicht sein. Wer aber erkämpft und konstituiert eine andere? Wo bleibt die Frage nach dem Klassencharakter jener politischen Macht, die den gegenwärtigen Zustand sichert, sowie nach jener gesellschaftlichen Kraft, die zu einer prinzipiellen Systemwandlung imstande wäre? Ein allgemeiner Hinweis auf "Demokratie" reicht da wohl nicht.

In den Sozialwissenschaften gleich welcher Couleur ist unbestrit ten, daß die Frage nach dem Eigentum an den Produktionsmitteln eine Kernfrage der gesellschaftlichen Produktion ist. Auch Sahra Wagenknecht widmet dem Eigentum die entsprechende Aufmerksamkeit. Sie will dafür "vier Rechtsformen für Unternehmen vorschlagen, die als Grundtypen die Kapitalgesellschaft ablösen und ersetzen sollten: die Personengesellschaften, die Mitarbeitergesellschaft, Öffentliche Gesellschaft und die Gemeinwohlgesellschaft".(9) Als Grund für diese Unterscheidungen wird angegeben: "Sie unterscheiden sich, weil unterschiedliche Branchen unterschiedliche Anforderungen an die Betriebsgröße und das öffentliche Engagement stellen."(10) Die Frage der Einrichtung dieser Gesellschaften beantwortet sie so: "Die Umwandlung der heutigen Kapitalgesellschaften in diese Rechtsformen ist relativ einfach"(11) und könne mittels Zinspolitik, Ertragsausschüttungen u. ä. erfolgen. Da ergibt sich allerdings ein Problem. Die "heutigen Kapitalgesellschaften" haben Eigentümer und sind eigentumsrechtlich, finanzrechtlich, gesellschaftsrechtlich und schließlich durch den von ihnen manipulierten Staat so abgesichert, daß ihre "Umwandlung" mittels einiger zins- und finanzpolitischer Maßnahmen nicht so "relativ einfach" werden dürfte. Diese bescheiden "heutige Kapitalgesellschaften" benannte internationale Finanzoligarchie mit ihrer ungeheuren finanziellen, politischen und letztlich militärisch abgesicherten Macht zu bewegen, sich in die hier vorgeschlagenen Gesellschaftsformen "umwandeln" zu lassen, erfordert eine dazu fähige gesellschaftliche Kraft. Damit steht wieder die Frage nach den politischen Machtverhältnissen auf dem Plan, die von der Autorin erstaunlicherweise außen vor gelassen wurde.

Noch einmal zurück zum Buchtitel: Reichtum ohne Gier. Suggeriert dies nicht geradezu, daß der Reichtum der Milliardäre und Multimillionäre aus ihrer Gier stammt, die zu beseitigen sei? Aber hat nicht Marx gezeigt, daß die Repräsentanten des Großkapitals völlig unabhängig von persönlichen Eigenschaften wie Gier oder Bescheidenheit, Rücksichtslosigkeit oder Anstand bei Strafe ihres Untergangs durch die Funktionsweise des Systems gezwungen sind zu handeln, wie sie handeln? Marx meinte, sie seien nur Charaktermasken des Systems. Nicht der Geiz spaltet die Gesellschaft in arm und reich, in oben und unten, sondern der inhärente Kampf um Maximalprofit. Diese Profitjagd entwickelt sich unwiderstehlich aus jener Konkurrenz-, Wettbewerbs- oder Marktwirtschaft, deren Grundlage das kapitalbildende Eigentum an den Produktionsmitteln ist. Ob da der Buchtitel eine richtige Orientierung gibt?

Es zeigt sich: Fragen über Fragen. Will man sie jenseits des neoliberalen Mainstreams einerseits und sozialreformistischer Illusionen(12) andererseits beantworten, gibt es nur einen Weg: Vorwärts - zurück zu Marx!

Prof. Dr. habil. Herbert Meißner

Anmerkungen
1) Sahra Wagenknecht: Reichtum ohne Gier. Wie wir uns vor dem Kapitalismus retten. Campus-Verlag, Frankfurt a. M./New York 2016
2) ND vom 23. 12. 2017
3) Sahra Wagenknecht, a.a.O., S. 160 f.
4) a.a.O., S. 224
5) a.a.O., S. 223
6) a.a.O., S. 224
7) a.a.O., S. 230
8) a.a.O., S. 230
9) a.a.O., S. 273 f.
10) a.a.O., S. 274
11) a.a.O., S. 274
12) Vgl. dazu Klaus Blessing und Matthias Werner (Hg.): Gefährliche Illusionen - Die Transformationspolitik in der Kritik. Verlag am Park, Berlin 2015

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Ein Denkmal für Martin Luther King

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"Die Grenzgänger" - am 18. Mai bei uns

Weitab von Romantik und sentimentaler Heimatduselei singt und spielt die Bremer Gruppe "Die Grenzgänger" Geschichten aus dem Alltag der "kleinen Leute". Mit Cello, Akkordeon und zwei Gitarren zaubern die vier Musiker ein ganzes Musikuniversum auf die Bühne, mit Anklängen von Jazz, Folk, Gypsy-Swing, Weltmusik. Die fünffache Auszeichnung mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik zeugt von dem hohen Niveau ihrer künstlerischen Arbeit: Elf Programme gibt es mittlerweile, immer mit viel Witz, und Spielfreude und deutlichem Bezug zum aktuellen Geschehen - neun davon werden hier kurz vorgestellt:

Die Revolution (1918-2018)
Lieder vom aufrechten Gang: Von Widerstand, Aufstand, Rebellion, Revolution. Von unbekannten Verfassern aus dem Volksliedarchiv in Freiburg, von Erich Mühsam, Kurt Tucholsky, Bertolt Brecht, Georg Herwegh, Hoffmann von Fallersleben, Ferdinand Freiligrath und vielen anderen mehr ...

"Kein Klagelied! Kein Tränenlied! Kein Lied um jeden, der schon fiel ­... Was sie den Wassern singt, ist nicht der Schmerz und nicht die Schmach - Ist Lied von der Zukunft großem Tag! Der Zukunft, die nicht fern mehr ist! Sie spricht mit dreistem Prophezein, So gut wie weiland euer Gott: Ich war, ich bin - ich werde sein!"

(Ferdinand Freiligrath, Die Revolution, 1851)


Georg Herwegh

"Die Grenzgänger" spielen die Lieder von Georg Herwegh, einem der populärsten deutschsprachigen Dichter des 19. Jahrhunderts, mutigem Streiter für Demokratie und vorausschauendem Euopäer. Der Zeitgenosse von Heinrich Heine, Hoffmann von Fallersleben, Karl Marx und Ferdinand Lassalle floh mit 22 Jahren in die Schweiz, um einer Haftstrafe wegen "Subordination" und der Zwangsrekrutierung zu entgehen. Zwei Jahre später gelang ihm mit den "Gedichten eines Lebendigen" einer der größten literarischen Erfolge im Deutschland des 19. Jahrhunderts, was ihm sogar eine Privataudienz beim preußischen König einbrachte, der ihn aber anschließend des Landes verwies. In der 1848er Revolution kämpfte er gemeinsam mit seiner Frau Emma ...


Brot und Rosen

Von der Liebe und ihren Bedingungen im Alltag - Lieder und Geschichten von der Liebe aus acht Jahrhunderten: von Leichtmatrosen und gefallenen Mädchen, Königskindern und falschen Nonnen, Märchen aus uralten Zeiten, gebrochenen Herzen, aber ewiger Treue. Ein Feuerwerk der Leidenschaften von Dur bis Moll: Hinein in die Werkhallen der großen Fabriken führt die Straße der Romantik, wo sich das Volkslied zum Großstadt-Chanson wandelt, Kammermusik auf Swing, Folk & Jazz trifft und das Poesiealbum zur Kabarett-Fundgrube wird.


Und weil der Mensch ein Mensch ist

"Die Grenzgänger" feiern den Mut und die Zivilcourage der vielen tausend Menschen, die sich gegen den Faschismus wehrten. Sie singen und spielen Lieder und Texte aus den Lagern und Gefängnissen des NS-Staates und dem Widerstand gegen das Hitler-Regime. Angefangen bei den "Moorsoldaten" und dem "Buchenwaldlied" bis zu "Wir zahlen keine Miete mehr" führen die Lieder mitten hinein in die Gedanken und Gefühle der Gefangenen, feiern ihren Mut, ihren Überlebenswillen, ihre Menschlichkeit.


Maikäfer flieg!

100 Jahre nach Beginn des Ersten Weltkriegs präsentieren "Die Grenzgänger" ihr sechstes Programm mit Liedern aus dem Deutschen Volksliedarchiv in Freiburg: Fast 3000 Lieder wurden zusammen mit mehr als 50 freiwilligen Helfern ausgewertet und die wichtigsten davon mit allen musikalischen Wassern der letzten hundert Jahre gewaschen und sorgfältig entstaubt. Hier erklingt erstmals die Originalversion von Lili Marleen, die Hans Leip 1915 selbst auf einem Zettel skizziert hatte. Viele anonym gebliebene Menschen, die sich einen Reim auf eine Welt machten, die in Flammen aufging, kommen mit ihren Liedern und ihrem Witz zu Wort.


Dunkel war's, der Mond schien helle

Lieder der Kinder: Es war einmal eine Zeit ohne Fernsehen, Gameboy und Playstation: Da hatte die Oma im hohlen Zahn ein Radio, hüpften totgeschossene Hasen fröhlich auf und davon, wanderten Gänse nach Amerika aus, stapelten sich Vogel und Ei an Zweig und Ast zu kniffligen Zungenbrechern, und die vertracktesten Rhythmen waren kinderleicht. Lang vergessene deutsche Kinderlieder von anno dazumal, aus Kellern und von Dachböden geholt, mit viel Liebe zum Detail entstaubt und mitreißend gespielt. Arrangiert und inszeniert für ein heutiges Kinderpublikum und ihre Mamas, Papas, Omas und Opas.


Bettlerbankett

Ein Konzert mit Liedern und Geschichten vom Leben auf der Straße, verschlossenen Türen und dem Hunger nach einem besseren Leben. Fängt die Freiheit wirklich erst an, wenn man nichts mehr zu verlieren hat? "Etwas Besseres als den Tod finden wir überall", sagten Esel, Hund, Katze und Hahn und stürmten durch die Fensterscheibe, um die Räuberbande zu verjagen! "Die Grenzgänger" mischen Lieder aus dem Rinnstein von Anfang des 19. Jahrhunderts, Schuberts Winterreise, uralte und neue Bettel- und Bänkellieder zu einer mitreißenden Musik zwischen Brahms, Blues & Boogie, Tom Waits und Bob Marley.


Keine Bange, Leschinsky!

Im Anschluß an den "Kapp-Putsch", bei dem im März 1920 Freikorpssoldaten mit dem Hakenkreuz am Stahlhelm eine Militärdiktatur in Deutschland errichten wollten, kam es in Deutschland zu der größten Aufstandsbewegung seit den Bauernkriegen des 16. Jahrhunderts. Die Niederschlagung des Aufstands und die damit einhergehende Ermordung von über 1000 Arbeitern war lange vor 1933 der Anfang vom Ende der Weimarer Republik. Gemeinsam mit dem Duisburger Volkssänger und Liedersammler Frank Baier, der in den siebziger Jahren noch Überlebende von damals getroffen hatte und dabei Lieder und Texte vor dem Vergessen rettete, erinnern "Die Grenzgänger" an die "Märzrevolution 1920".


Die wilden Lieder des jungen Karl Marx

Am 5. Mai jährt sich zum 200. Mal der Geburtstag von Karl Marx: Aus einer ungewöhnlichen Perspektive werfen "Die Grenzgänger" den Blick auf diesen immer wieder aktuellen Kritiker des Kapitalismus: Sie präsentieren ein Konzert aus den vielen hundert Gedichten, die Marx während seiner Bonner Studentenzeit schrieb, und den Volksliedern, die er in Bonn und Umgebung in der Bevölkerung sammelte. So entsteht ein Bild einer Jugend in Deutschland am Vorabend der 1848er Revolution. - Berliner Premiere am 18. Mai (siehe Seite 5 der Druckausgabe)


Drum laßt uns alles wagen!

Darum laßt uns alles wagen,
nimmer rasten, nimmer ruhn,
nur nicht dumpf so gar nichts sagen,
und so gar nichts woll'n und tun!

Nur nicht brütend hingegangen
ängstlich in dem niedern Joch,
denn das Sehnen und Verlangen
und die Tat, sie bleibt uns doch!

Karl Marx

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BUCHTIPS
- Klaus Müller: Boom und Krise

Man schreibt das Jahr 1929: US-Präsident Edgar Hoover prophezeit das nahende Ende von Armut und Arbeitslosigkeit. Wenige Monate später bricht die Weltwirtschaftskrise aus. 2003 erklärt Nobelpreisträger Robert Lucas das Problem der Depressionsvermeidung für gelöst. 2008/09 folgt der nächste Absturz. Heute wird behauptet, der Aufschwung werde sich fortsetzen, da sind die Vorzeichen der nächsten Krise längst da.

So ist es stets: Dabei hätten die Experten aus Erfahrung lernen können. Seit 1825 folgt nach mehr oder weniger langen Zwischenhochs auf jede zyklische Krise die nächste. Warum ist das so? Liegt es an Sonnenflecken und kosmischen Strahlen, wie ältere Ökonomen dachten? Oder am Geld, am Zins, an den Preisen, den Investitionen, der Nachfrage? An verstopften Absatzwegen? An der Einkommensverteilung, den Innovationen oder der Profitrate? Löst Geiz die Krise aus? Ist das Desaster ein psychisches Phänomen? Oder Zufall? Was ist die Ursache für das wellenförmige Wachstum der Produktion? Vielleicht einfach der Kapitalismus? Alte, aktuelle Fragen - und Antworten.

PapyRossa-Verlag, Köln 2017, Reihe Basiswissen, 120 S., 9,90 €


- Jörg Kronauer: Meinst Du, die Russen wollen Krieg?

Die USA, Deutschland und der zweite kalte Krieg

Die russische Gefahr - in den vergangenen Jahren eines der meistgebrauchten Schlagworte der internationalen Politik. Stimmt es etwa nicht, daß Rußland die Krim übernommen hat, die Aufständischen in der Ostukraine unterstützt und in Syrien militärisch interveniert? Nur: Als russische Aggression kann all dies nur bezeichnen, wer die westliche Umsturzpolitik in der Ukraine und in Syrien geflissentlich übersieht. Die Vereinigten Staaten haben mit Ausnahme von 1941 bis 1945 stets versucht, Rußland zu schwächen. Deutschland hat, solange es schwach war, mit Moskau kooperiert; wenn es dann stark genug war, hat es seine Macht stets weiter in Richtung Osten ausgedehnt, 1941 mit dem erklärten Ziel der völligen Vernichtung des "Feindes".

Rußland hat nach 1991 versucht, an die westlichen Strukturen anzudocken - erst an die NATO, dann an die EU; als ihm beides verweigert wurde, hat es sich auf das Betreiben einer eigenen Weltpolitik zurückbesonnen. Das Buch zeichnet die Stränge der US-amerikanischen, deutschen und russischen Außenpolitik nach, die in den zweiten kalten Krieg mündeten.


PapyRossa-Verlag, Köln 2018, Neue kleine Bibliothek, Bd. 249, 208 S., 14,90 €


- Eberhard König/Horst Schneider: Alles prüfen - Gutes erhalten

Gedanken zur gespaltenen deutschen Gesellschaft

Hat die Bürger der DDR jemals jemand danach gefragt, für welche Ideale sie eingetreten sind, was sie angestrebt haben? Wie sie auch unter widrigen Umständen zu einer weltweiten Gerechtigkeitsordnung beigetragen haben? Hätte man nicht an die fortschrittlichen Errungenschaften der DDR anknüpfen können und sie in das vereinte Deutschland aufnehmen müssen? Statt dessen sind in den vergangenen 27 Jahren Ignoranz, Arroganz und Einseitigkeit bei der Bewertung der Leistung der Menschen in den neuen Bundesländern nahezu selbstverständlich geworden.

Natürlich schlägt das alles aufs Gemüt der Menschen. Sie sind wütend, und es spaltet die Gesellschaft. Man fühlt sich betrogen - und zwar von denen, die noch immer meinen, sie seien die Sieger der Geschichte. Hätten in einer wirklichen Demokratie die Politiker nach 1989 nicht einfach mal zuhören müssen, was die Erfahrungen der Menschen in den neuen Bundesländern sind? Es ist also dringend geboten, die Zeit nach 1989/90 wissenschaftlich und d. h. objektiv aufzuarbeiten.

GMS (Gemeinschaft für Menschenrechte im Freistaat Sachsen e. V.), GMS-Schriftenreihe, Heft 15, 20 S.

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Karl-Eduard von Schnitzler zum 100.

In Erinnerung an den scharfzüngigen, stets parteilichen Kommentator, Filmkritiker, Fernsehjournalisten und Autor Karl-Eduard von Schnitzler, der am 28. April 1918 geboren wurde, bringen wir hier einen kurzen Auszug aus seinem zweiten "RotFuchs"-Artikel (Nr. 3, April 1998, "Zum Umgang mit der DDR"). "Kled", unser Genosse und Freund, gehört zu den "Gründervätern" des RF, den er mit Dutzenden Beiträgen bereichert hat. Er bleibt unvergessen.


Wer sagt eigentlich, daß die sogenannte Aufarbeitung der DDR-Geschichte mit der Analyse der Gründe ihres Zusammenbruchs beginnen muß? So hören wir's doch allerorten. Ganz abgesehen davon, daß eine Aufarbeitung der Geschichte des Unrechtsstaates BRD für Zukunftsvorstellungen wesentlich wichtiger wäre - und vordringlich bei einer Diskussion um die Notwendigkeit eines neuen Anlaufs zum Sozialismus.

Jumbos und Überschallflugzeuge fliegen heute nicht, weil Ikarus abgestürzt ist, sondern weil er als Erster geflogen ist, weil er starten konnte und bewiesen hat: Es geht, der Mensch kann fliegen! Nach der Oktoberrevolution und in der Deutschen Demokratischen Republik wurde zum ersten Mal in der Geschichte der Beweis erbracht: Es geht!

Es geht ohne Kapitalisten, ohne Ausbeutung, ohne Privateigentum an Produktionsmitteln! Die Menschheit hat eine Zukunft, in Frieden, Würde und Gerechtigkeit zu leben!

Wie kann man Zukunftsvorstellungen des Sozialismus erreichen - ohne die Umwälzung, ohne Erfolge und Fortschritte in der Sowjetunion und in der Deutschen Demokratischen Republik in Betracht zu ziehen? (...) Aber da gibt es wohl zu viele, die meinen, der DDR bei jeder, auch der abwegigsten Gelegenheit einen Fußtritt geben zu müssen statt ihr offenbar abhanden gekommenes Gedächtnis wiederzugewinnen und sich der erfolgreichen Vergangenheit zu erinnern - und auf sie stolz zu sein.

Ikarus ist in die Geschichte eingetreten - nicht, weil er abstürzte, sondern weil es ihm vorher gelungen war, zu starten und zu fliegen. Heute soll die DDR ein Unrechtsstaat gewesen sein, in dem alles, was getan wurde, Un-Recht gewesen sein soll - was auch immer beschlossen oder unterlassen wurde -, ob Sportler Medaillen gewannen oder Richter faschistische Verbrecher verurteilten. Im Bundes-Rechtsstaat aber war alles rechtens: Freiheit für Nazi-Verbrecher in brauner oder feldgrauer Uniform, in der Robe des Staatsanwalts und Richters, mit dem Mandat eines Abgeordneten. Und sie und ihresgleichen gieren nach Rache: Das Entsetzlichste für sie war, daß wir existierten, daß es die DDR gab.

In der deutschen Geschichte war die BRD kein neuer Staat, sondern quasi und de lege Rechtsnachfolger des kaiserlichen Deutschlands, der vorgeblichen Republik von Weimar und des Hitler-Reiches. Die Herren des Staates waren die Alten, wie die Paten der Politiker. Die Deutsche Demokratische Republik war neu. Der erste deutsche Friedensstaat, von dessen Hauptstadt keine Bedrohung, kein Herrschaftsanspruch, kein Krieg ausgingen, sondern Friede, nicht der Schreckensschrei über Europa "Die Deutschen kommen!", sondern völkerrechtliche Anerkennung und Lob von den Vereinten Nationen.

Man sollte den humanistischen Auftrag, das menschliche Anliegen, die historische Notwendigkeit diskutieren, mit denen die DDR in die Weltgeschichte eingetreten ist. Unzulänglichkeiten, Fehlentwicklungen und Verirrungen gehören auf einen untergeordneten Punkt der Tagesordnung.

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Horch und Guck in eigener Sache
Stille Unruh

Angeklagt mit dieser Ode,
in feierlichem Haßgesang,
sei die freche Schlapphutmode
der Zewa-wisch-und-weg-Methode
der Putzkolonne Panzerschrank.

Verfassungsschützend aufgeschrieben,
im Pressewald auch gern benannt,
wen wir hassen soll'n, wen lieben,
wen ins dunkle Aus zu schieben.
Diese Tricks sind uns bekannt.

Seid gewarnt, ich sag es schnöde:
Vorsicht, nicht zu früh gelacht!
Bleibt allein in eurer Öde!
Wenn ihr meint, das Volk sei blöde,
habt ihr wieder falsch gedacht!


Es gibt drei bundesdeutsche Geheimdienste: den Verfassungsschutz (BfV), den Bundesnachrichtendienst (BND) und den Militärischen Abschirmdienst (MAD). Wurzel dieser Dienste war die Organisation Gehlen, die unter CIA-Kommando alte Nazi-Geheimdienst-Seilschaften wiederbelebte und somit den peinlichen Grundstock für den Bundesnachrichtendienst legte. Unter der im Gedicht verankerten "Öde" ist Pullach bei München gemeint, wo die Hauptquartiermitarbeiter des BND auf die Bezugsfertigkeit des gewaltigen Neubaukomplexes in der Innenstadt Berlins warten. Mein Kurzkommentar dazu:

Gehlen ist zwar längst verstorben,
doch der Ruf, er bleibt verdorben.

So wurde längst aufgedeckt, was der amerikanische Geheimdienst CIA gemeinsam mit der Organisation Gehlen plante: Elite-Divisionen der Hitler-Wehrmacht neu zu beleben, falls die Sowjetunion die Bundesrepublik angreifen sollte. So war es unter Billigung der US-Armee zu heimlichen Waffenlagern, aber auch zu diesen obskuren Wehrsportgruppen gekommen, die öffentlichen Ärger machten.

Bis in die jüngste Vergangenheit fallen Schatten auf die Untersuchungsvorgänge wie auch Lichter auf die Vertuschungsbemühen, die der Öffentlichkeit weismachen wollten, daß die beim Oktoberfest am 26. September 1980 explodierte Rohrbombe auf der Münchner Theresienwiese das Werk eines Einzeltäters gewesen sei, obwohl nicht abgestritten werden konnte, daß der 21jährige Student und Bombenleger Gundolf Köhler Sympathien für die Wehrsportgruppe Hoffmann hegte, die erst seit dem 30. Januar 1980 verboten war. Schon damals wurde geschreddert, wie später auch nach den Verbrechen des "Nationalsozialistischen Untergrunds", weil es Spuren gab, die ins rechte Milieu bis hin zum Staatsschutz führten.

Dem Dienst ist offenbar nichts mehr peinlich.
Erschreckend, wie er sich selbst entblößt.
Besserung ist unwahrscheinlich.
Der Laden ist alles andre als reinlich.
Störfälle werden schreddernd gelöst.
Vergeßlichkeit liebt die westliche Welt.
Hilfreich dabei sind Schweigen und Geld.


Aus Lutz Jahoda / Reiner Schwalme: Lustig ist anders, Norderstedt 2017

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Erinnerung an Erich Weinert

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Herbert Sandberg über John Heartfield (19.6.1891-26.4.1968)
Der Daumier des 20. Jahrhunderts

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Waldsieversdorf, John Heartfield und ein aktiver Freundeskreis

Wandert man durch Waldsieversdorf, findet man gleich hinter dem Strandbad den "John-Heartfield-Steig", der entlang des Westufers des Großen Däbersees zum Sommerhaus des Meisters der politischen Fotomontage John Heartfield führt.

Nach zwei Herzinfarkten ist er 1953 auf Empfehlung seines Freundes Bertolt Brecht in diese Gegend gekommen.

Die abwechslungsreiche Natur mit Seen und Wäldern, in denen er gern Pilze suchte, begeisterten ihn, ebenso die Gespräche am Kamin bei Brecht in Buckow. 1957 konnte er nach langwierigen Verhandlungen ein Grundstück in Waldsieversdorf pachten und darauf seine Hütte errichten. "Hütten" waren stete Begleiter in seinem Leben.

Die erste Flucht aus Deutschland 1895 mit den Eltern endete in einer Waldhütte auf dem Gaisberg bei Aigen mit herrlichem Blick auf Salzburg. Mit dem Bau von Hütten, speziell russischen Hütten, beschäftigte er sich bei der Gestaltung von Bühnenbildern in den zwanziger und fünfziger Jahren. Während seiner Emigration in England zeichnete er die Hütten in Cornwall, und nun entwarf er die eigene Sommerhütte mit vielen liebevollen Details - einem großen, bauchigen Kamin, roten und blauen Wänden, einem Türmchen mit Glocke und Eichhörnchen als Wetterfahne, einem Mond, einer großen Terrasse. Das alles versteckt zwischen Bäumen, aber mit Blick auf den Großen Däbersee. Ein zweites Häuschen, das sogenannte Kinderhaus, schmücken Taube und Sonne. Detailverliebt hat er sich hier eine friedliche Welt montiert. Abgeschieden und ruhig - ganz anders als sein bisheriges Leben.

Heartfield wurde 1891 in Berlin als Hellmuth Herzfeld geboren. Schon früh wird er durch seine legendären Bucheinbände und Schutzumschläge, die er für den Malik-Verlag gestaltet, und durch das 1929 gemeinsam mit Kurt Tucholsky herausgegebene Buch "Deutschland, Deutschland über alles" bekannt. Als politischer Künstler und erbitterter Gegner der Faschisten erstellt er für die Titelseiten der "Arbeiter-Illustrierten-Zeitung" aussagekräftige und wirksame Fotomontagen. Als einer der am meisten gehaßten Männer Nazideutschlands muß er fliehen, 1933 nach Prag, 1938 nach London. Erst 1950 kehrt er nach Deutschland zurück. Er ist vor 50 Jahren, am 26. April 1968, gestorben.

Über sein Leben kann man sich jetzt in seinem Sommerhaus durch Ausstellungen, im wieder eingerichteten Kaminzimmer und im Waldgarten informieren. Der Mensch und Künstler John Heartfield wird hier zum Leben erweckt. Der Gemeinde Waldsieversdorf ist mit Unterstützung des 2003 gegründeten "Freundeskreis John Heartfield - Waldsieversdorf e.V." der Kauf, die Sanierung und seit 2009 die Öffnung des Hauses gelungen und damit ein wichtiger Beitrag zur Erinnerung an einen großen unermüdlichen Kämpfer für den Frieden.

Astrid Landsmann, Waldsieversdorf

Öffnungszeiten 2018:
4. Mai bis 30. September
jeweils Fr., Sa., So. von 13 bis 18 Uhr,
Eintritt frei,
Email: freundeskreis@heartfield.de
Internetseite: www. heartfield.de

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Das Kapital läßt die Puppen tanzen

Gewünscht hätte ich mir, daß die SPD in die Opposition gegangen wäre und mit den progressiven Kräften der Linken und der Grünen eine Entente gebildet hätte, die zu einer großen Sozialistisch-Demokratischen Volkspartei hätte anwachsen können und schließlich so stark geworden wäre, daß sie nach der nächsten Bundestagswahl die Regierung hätte bilden können.

Indes - während ich noch den Traum von einer ausbeutungs- und unterdrückungsfreien Gesellschaft hege, haben stärkere im Hintergrund wirkende Kräfte die Weichen gestellt, und der Kapitalismus nimmt weiterhin seinen ins Verderben führenden Lauf. Das bedeutet: Die Chance einer politischen Wende wurde wieder einmal vertan. Kleine Veränderungen verhindern die überfälligen großen. Der Status quo wurde zementiert, Angela Merkel bleibt Bundeskanzlerin, im Kabinett wurden ein paar Figuren ausgewechselt, die neuen (und größtenteils alten) Koalitionsvereinbarungen werden erfüllt, und die Kanzlerin (nach vertraulichen Gesprächen mit Wirtschaftsbossen und Bankenchefs) bestimmt die Richtlinien der Politik, macht stur weiter wie bisher und blättert gelangweilt in ihren Papieren, wann immer sie auf Kritik stößt.

Konkret heißt dies: Das Kapital zieht die Fäden, an denen die Berliner Marionetten hängen. Die Reichen werden reicher, es gibt keine Vermögensabgabe und keine Reform der Erbschaftssteuer. Die Rüstungsindustrie wird boomen, die Waffenexporte in Krisenländer gehen weiter, der Wehretat wird aufgestockt, und der kalte Krieg gegen Rußland eskaliert. Die Mieten steigen und mit ihnen die Zahlen der Obdachlosen in den Großstädten. Der Pflegenotstand wächst wie die Armut der Rentner, und in vielen Betrieben bleibt es bei Niedriglöhnen. Nahrungsmittel werden vergeudet, Milch überschwemmt die Märkte, Gülle die Fluren. Die Tierquälerei in den Großställen dauert an, ein Lebensmittelskandal folgt auf den andern, und die Kontrollbehörden helfen, die Mißstände zu vertuschen. Die Luft wird mit Giftstoffen verpestet, die Lobbyisten bleiben ungenannt, der Klimaschutz erfolgt nur halbherzig, "die Erde wird unbewohnbar wie der Mond" (so Gerhard Zwerenz). Die Kirchen werden mit Steuergeldern gemästet (weil sie den Status quo stützen), und die im Grundgesetz vorgegebene Trennung von Kirche und Staat bleibt ungeregelt. Die Zahl der Flüchtlinge wächst, Millionen, womöglich gar Milliarden Euro, die den Hungernden zugute kommen sollten, fließen in die Privatschatullen korrupter Regenten, die ihre eigenen Völker ausbeuten. Die innere Sicherheit bleibt gefährdet, Asylantenheime gehen weiterhin in Flammen auf, faschistoide, rassistische und chauvinistische Kräfte erstarken (siehe die Wahlerfolge der AfD).

Das ist nun wahrhaftig ein deprimierendes Fazit, denn hier zeigt sich: den Kapitalismus in seinem Lauf halten (anscheinend) selbst die wachsten Geister nicht auf. Zu mächtig ist der Einfluß des Reichspropagandaministeriums, pardon, des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, so daß die Bildung eines alternativen politischen Bewußtseins, eines sozialistischen oder gar Klassenbewußtseins offensichtlich nur in Klein- und Kleinstgruppen möglich ist, die, wenn sie Parteien sind, an der undemokratischen Fünfprozenthürde scheitern.

Wie sehr muß der Leidensdruck der Obdachlosen, der Armen, der Alten und Pflegebedürftigen in diesem Land noch wachsen, damit die Verantwortlichen "Handlungsbedarf sehen", ihren Wahlversprechen Taten folgen lassen und grundlegende und umfassende Sozialreformen durchführen? Rentnerinnen und Rentner suchen in Mülltonnen nach leeren Flaschen, Pflegebedürftige liegen stundenlang in ihren Exkrementen, Obdachlose erfrieren in eisiger Kälte ... All dies geschieht in Deutschland, einem der reichsten Länder der Welt und ist eine nationale Schande!

Finanziert werden könnte die längst fällige Reform (wenn nur der politische Wille nicht fehlte) mit den Mitteln der Reichen und Superreichen, der Millionäre und Milliardäre, die man endlich zur Kasse bitten sollte auf dem Wege einer Expropriation der Expropriateure. Artikel 14 des Grundgesetzes bietet hierfür die Rechtsgrundlage. Im Zweifelsfall frage man die Verfassungsrechtler um Rat ...

Die neuerliche Bildung der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD ist für mich und meine gleichgesinnten Freunde kein Anlaß zur Freude, sondern ein Grund, zu trauern: ein Vorgang, der einmal mehr zeigt, was man sich bei aller grundsätzlichen Hoffnung auf Demokratie und freie Wahlen stets vor Augen halten muß: Wahlergebnisse sagen nur, was die Mehrheit will oder nicht will, und nicht das geringste über die Qualität des Gewollten oder Nichtgewollten, seine wünschenswerten oder verderblichen Folgen. Mehrheiten können irren. Mangelhafte Fähigkeit zur Vorausschau ist ein Charakteristikum menschlicher Existenz; sie ist ständige Mahnung zur Lernbereitschaft, denn wer aus der Geschichte nichts lernt, ist dazu verurteilt, sie zu wiederholen.

Und auch das ist zu sehen: Auch Salvador Allende war durch freie Wahlen an die Macht gelangt - ein Beispiel, das zeigt, daß die Idee des Sozialismus sich grundsätzlich auf unblutige Weise realisieren läßt; gemordet haben in Chile nicht die Revolutionäre, gemordet hat die Reaktion!

Und was immer in unserem eigenen Land in den kommenden Jahren geschieht - wir müssen keineswegs resignieren! Denn (so Hölderlin): "Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch." Hier denke ich an Friedensiniativen, an die Aktivitäten unterschiedlicher demokratischer Organisationen - und die Utopie einer unterdrückungs- und ausbeutungsfreien Gesellschaft gilt nur so lange als unrealisierbar, bis das Gegenteil bewiesen ist. Beweisen wir also das Gegenteil, und kämpfen wir weiter im Verbund mit allen sozialistischen Kräften für Frieden und Gerechtigkeit in aller Welt!

Theodor Weißenborn

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Gegen die Bilderstürmerinnen von Hellersdorf

An der Fassade der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin-Hellersdorf, an der Soziale Arbeit, Gesundheit und Erziehung gelehrt wird, sorgt ein Gedicht des 93jährigen Lyrikers Eugen Gomringer "avenidas" (Alleen) von 1953 für heftigen Wirbel. Überdimensional ist an der Wand der Hochschule zu lesen:

avenidas
avenidas y flores
flores
flores y mujeres
avenidas
avenidas y mujeres
avenidas y flores y mujeres y un admirador

Davon fühlten sich manche Studentinnen belästigt, die das Gedicht als Beispiel einer lyrischen Tradition lasen, die Frauen (mujeres) naturmetaphorisch mit Blumen (flores) gleichsetzt und zum Objekt eines bewundernden männlichen Blicks (admirador) macht. Deshalb hat der AStA schon 2016 gegen das "sexistische Gedicht" interveniert. Es reproduziere, so das abstruse "Argument", die "klassische patriarchale Kunsttradition", in der Frauen nur als "die schönen Musen" wahrgenommen würden, "die männliche Künstler zu kreativem Schaffen inspirieren". Die Studierendenvertretung forderte, letztlich erfolgreich, daß das Gedicht entfernt wird.

Ende Januar schrieb die Hellersdorfer Kulturwissenschaftlerin und Regisseurin Carmen Bärwaldt an Kulturstadträtin Juliane Witt einen empörten Brief, den wir hier leicht gekürzt veröffentlichen.

Liebe Juliane,
danke für Deine Information zu Gomringer. Der weise alte Mann hat natürlich meine Solidarität. Sein Vers ist wie eine zarte Vision; ob wir zu solcher unschuldigen Atmosphäre jemals zurückkehren können? Diese überkandidelten Kämpferinnen gegen angeblichen Sexismus vergiften alle Brunnen.

Lange habe ich es für eine Posse gehalten, was da geschieht in der Alice-Salomon-Schule bezüglich der Fassadengestaltung. Es ist ja wohl eine frauendominierte Schule, und ich frage mich, ob die Studentinnen keine anderen Sorgen haben.

Seit 1986 lebe ich nun im Bezirk, das beinahe gemütliche Leben hier bis 1989 habe ich in meinem Innern noch nicht getilgt, es war ein Hochgefühl. Die Zeit des Neuanfangs und Aufbruchs und der Hoffnung in der Neubausiedlung war wundervoll, es hatte was von den Fünfzigern in der neu erbauten Stalinallee. Alles war möglich, auch mit Kunst. Das kommt niemals wieder. Paar Jahre später, in der neuen Gesellschaftsordnung, stand alles auf der Kippe, waren die Mieten schon drastisch erhöht, doch es gab Kunst am Bau. Im Jahr 1997/98 initiierte Frau Dr. Hammer die Aufstellung von Dachfiguren für Hellersdorfer Bauten, unter anderem "Balance" - die übermannshohen Figuren auf unserem Dach in der Eisenacher Straße, eine Arbeit von Hubertus von der Goltz. Ich fand das toll, andere Mieter sprachen sich dagegen aus, ich aber freute mich, als es installiert war. Am Dachrand hoch oben auf der Seite meines Hauseingangs prangt eine weibliche Figur mit hübschen Kurven. Ich sehe sie jeden Tag, wenn ich zu meinem Haus "krücke". Ist auch Hubertus von der Goltz sexistisch und frauenverachtend? Ja, und ist auch die Oper Zauberflöte sexistisch?

PAMINA
Bei Männern, welche Liebe fühlen,
Fehlt auch ein gutes Herze nicht.

PAPAGENO
Die süßen Triebe mitzufühlen,
Ist dann der Weiber erste Pflicht.

PAMINA, PAPAGENO
Wir wollen uns der Liebe freun,
Wir leben durch die Lieb' allein.

PAMINA
Die Lieb' versüßet jede Plage,
Ihr opfert jede Kreatur.

PAPAGENO
Sie würzet unsre Lebenstage,
Sie wirkt im Kreise der Natur.

PAMINA, PAPAGENO
Ihr hoher Zweck zeigt deutlich an,
Nichts Edlers sei als Weib und Mann.
Mann und Weib und Weib und Mann
Reichen an die Gottheit an.

Fragt sich, ob die Alice-Salomon-Studentinnen jemals etwas von dem Librettisten Emanuel Schikaneder und von der Mozart-Oper gehört haben oder gar von unser aller Goethe, Schiller, Eichendorff, Heine, Rilke usw.

Muß man nun jedes Liebesgedicht ausradieren? Sind die jungen Frauen alle verrückt geworden? Die Alice-Mädels haben doch ein Rad ab, entschuldige bitte! Das ist doch nicht normal. Hast Du als Kulturkönigin dort gar keine Stimme und ein kraftvolles "Es bleibt der Vers an der Wand! Basta!"???

Als vor etlicher Zeit der Vers von Eugen Gomringer plötzlich an der Fassade prangte, als ich aus der U-Bahn stieg, kiekte ich auch verständnislos - kann ich doch kein Spanisch und den Versdichter kannte ich überhaupt nicht - und sehr viele Hellersdorfer wohl auch nicht. Na gut, die "Frauenschule" hat wohl viele spanisch sprechende Studentinnen, dachte ich mir, für die isses freundlich, die werden es verstehen, und es kommt ein wenig aus der großen weiten Welt daher, finden wir uns damit ab. Den deutschen Text habe ich erst wirklich richtig kennengelernt, als diese unsägliche Debatte losging - und der Vers ist sehr edel und sanft. Daß sich Frauen unter diesem Vers unwohl fühlen, weil er im Gegensatz stünde zu der Männer-Ansammlung in Helle Mitte und am U-Bahnhof Hellersdorf - welch ein Blödsinn in Hinblick auf das Gedicht! Die großen Gruppen junger männlicher dunkler Wesen wirken schon manchmal bedrohlich, wenn sie gemeinsam abends zur Sparkassenfiliale am Rathaus Helle Mitte ziehen oder sich auffällig vor dem CineStar produzieren. Da geht man dann einfach nicht lang. Dafür kann doch der Vers nichts!

Am Tage sah ich aber 13- bis 14jährige Schulmädels an der Straßenbahnhaltestelle Helle Mitte, die von jungen Ausländern angebaggert wurden - und denen das offenbar gefallen hat. Die Mädchen drehten sich immer wieder um, provozierten die samtäugigen schwarzhaarigen Bengels mit Tolle immer wieder - ein Scharmützel. Der Vers ist ja eher eine Besänftigung solcher Situationen - so man ihn denn versteht und des Spanischen mächtig ist.

Die Initiatoren dieser Wandgestaltung mit dem Gomringer-Vers haben damals über den Kopf der Hellersdorfer Bevölkerung hinweg entschieden, denn auch unsere Muttersprache hätte es ja eigentlich verdient, an öffentlichen Plätzen prangen zu dürfen. Die Studentinnen sind nach einiger Zeit wieder weg, aber wir Hellersdorfer müssen mit dieser Wand leben. Das Entfernen der Schrift und die Neugestaltung wegen der aktuellen aufgebauschten dämlichen Debatte um Sexismus kostet doch wieder ganz viel Geld, das bei wichtigen sozialen Projekten dringend gebraucht würde (siehe Bedürftige und Obdachlose, zu denen Du Zugang suchtest), und bei "Alice" werden die Mittel vergeudet ...

Der für das Vernichten der unversehrten Wandgestaltung nötige Betrag könnte sehr viel sinnvoller verwendet werden - denk an Brechts Gedicht: "Die Teppichweber von Kujan-Bulak"!

Noch trauriger ist, daß es überhaupt Fachschulen für Sozialarbeiter geben muß, welche dann die Defizite dieser Gesellschaft auffangen sollen. Damit aber hätten die Alice-Mädels denn wahrlich genug zu tun und würden nicht auf diese blöde Sexismus-Debatte abfahren, die doch nur ein aktuelles Ablenkungsmanöver von allem andern Dreck in der Innen- und Außenpolitik dieses Landes ist. Ein Narrenschiff!

Ach, liebe Juliane! Es kann der Sieg der Vernunft nur der Sieg der Vernünftigen sein. Schön wär's! Ich mußte meinem Herzen Luft machen. Auch wenn ich alt geworden bin in Hellersdorf und an Krücken gehe - ich nehme doch noch Anteil am Geschehen und bin betrübt über die unwürdige Schildbürgerei. Absurd das alles!

Carmen Bärwaldt, Berlin

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Betrogen bis zum jüngsten Tag

Die rentenpolitischen Auseinandersetzungen zur Herstellung der Rentengerechtigkeit und die vollständige Anerkennung der Lebensleistungen der DDR-Bürger sind bis zum heutigen Tage noch nicht erfolgt; die politisch motivierten Eingriffe durch die Bundesregierung bestehen fort. Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) und das Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) mit den mehrfach durchgeführten Veränderungen sind weiterhin Bestandteil des Sozialgesetzbuches (SGB VI), mit denen - politisch gewollt - das Rentenstrafrecht fortbesteht.

Das gilt nicht nur für die Zusatz- und Sonderversorgten, die besonderes betroffen sind. Die von den Herrschenden immer wieder hochgelobte Leistung der Rentenüberführung bezieht sich nicht ohne Grund vordergründig immer nur auf die Annäherung des Rentenwertes Ost an den allgemeinen Rentenwert. Damit sollen alle anderen, die Rente eines jeden Bürgers begrenzenden Faktoren vergessen gemacht werden.

Ich selbst bin seit dem 1. November 1993 Regelaltersrentner. Von 1965 bis 1990 war ich Mitarbeiter des Staatsapparates der DDR und im Rat für landwirtschaftliche Produktion und Nahrungsgüterwirtschaft eines Kreises tätig. Als 1. Stellvertreter des Produktionsleiters wurden meine Entgeltpunkte auf 1,0 reduziert. Zur Korrektur dieser auch mit dem AAÜG nicht zu begründenden Benachteiligung und der Beseitigung anderer Mängel in weiteren Rentenbescheiden waren mehr als fünf Jahre Auseinandersetzungen mit der Rentenversicherung notwendig; und das zu einem Zeitpunkt, als es das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 28. April 1999 noch nicht gab. Der Regierung Schröder blieb es vorbehalten, das bislang geltende AAÜG als Teil des RÜG mit dem 2. AAÜG-ÄndG wieder zugrunde zu legen, damit die rentenbegrenzenden Maßnahmen "nun dem Grundgesetz entsprechend" weitergeführt werden konnten. Als das immer noch nicht genügte, ist mit dem 1. AAÜG-ÄndG die Verfahrenweise der Berentung der höheren Funktionäre der DDR erneut "angepaßt" worden: die Reduzierung des Verdienstes auf den Durchschnittsverdienst auch für den Chef der Volkspolizei sowie alle höheren Funktionäre der DDR. Damit wurde eine endgültige Regelung geschaffen.

Auf dem Deutschen Richtertag am 23. September 1991 in Köln hatte der damalige Bundesjustizminister Kinkel die Justiz dazu aufgefordert, das "SED-Regime" zu delegitimieren, was u. a. für ca. vier Millionen Rentnerinnen und Rentner in Ostdeutschland, besonders jedoch für die ca. 1,2 Millionen Zusatz- und Sonderversorgten, bezüglich ihrer Ansprüche Folgen hatte. Mit Hilfe von Seniorenverbänden und z. T. persönlichem Engagement konnten deren rentenbegrenzende Faktoren teilweise "abgebaut" werden. Für höhere Funktionäre der DDR und Mitarbeiter des MfS sind alle Versuche ohne Ergebnis geblieben. Deren Rente wird nicht nach einem Prozent des Durchschnittsverdienstes berechnet, sondern die Lebensleistung wird auf den Durchschnittsverdienst reduziert, dafür wird ein Persönlicher Entgeltpunkt vergeben.

Im Ergebnis des II. Weltkrieges hat das Grundgesetz der BRD mit dem Artikel 131 eine Ergänzung erfahren. Mit ihm wurden die Rechtsverhältnisse ehemaliger Angehöriger des öffentlichen Dienstes geregelt, die vor dem 8. Mai 1945 versorgungsberechtigt waren. Im weiteren hat das Bundesverfassungsgericht am 30. April 1969 die Unbedenklichkeit des eingefügten Artikel 131 in das Grundgesetz bestätigt. Die unterschiedliche Bewertung in Fragen Alterssicherung von DDR- und BRD-Renten widerlegt die These von der Wertneutralität der gesetzlichen Rentenversicherung.

Auf dem 9. Seniorentag in Juni 2009 in Leipzig wurde die Bundeskanzlerin zur Rentenangleichung Ost an West befragt. Sie sagte u. a.: "Ich stehe dazu, ... daß das Thema in den ersten beiden Jahren der nächsten Legislaturperiode erledigt sein wird." Das Ergebnis: eine bewußte Täuschung von Millionen Ostdeutschen sowie der gesellschaftlichen Kräfte, die für Rentengerechtigkeit gestritten haben und dies auch weiterhin tun. Auf dem Ostrentengipfel in Juni 2015 ist der Koalitionsvertrag der CDU/CSU/SPD-Regierung noch ein heiliges Dokument. Sieben Monate später ist dieser außer Kraft gesetzt und zu einem wertlosen Stück Papier geworden: Im November 2016 wird ein neues Konzept für die Alterssicherung vorgelegt, das im April 2017 die Vorlage für das "Rentenüberleitungs-Abschlußgesetz" ist. In dieser wird verkündet, daß die Rentenwertangleichung nun in sieben Schritten bis 2025 erfolgen soll. Im "Einigungsvertrag" war die Rede davon, daß dies 1996/97 vollzogen sein sollte.

Wer seit dem 1. Januar 1997 bereits eine Rente bezieht, deren Grundlage z. B. 45 Entgeltpunkte sind, hat bis zur nächsten vorgesehenen Rentenwerterhöhung am 1. Juli 2018 eine Sparleistung für den Haushalt der Rentenversicherung in Höhe von 34.494,64 Euro erbracht, die sich aus der Differenz der Rentenwerte zwischen Ost und West ergibt. Das ist die bisher tatsächlich nachgewiesene historische Leistung der Rentnergeneration der früheren DDR bis zur Jahresmitte 2018. Mit dem vorliegenden Gesetz werden diese Sparaktivitäten bis 2025 fortgesetzt.

Karl-Heinz Christoph hat unter dem Thema "Kampf dem Rentenabbau Ost" in seinem Buch und der Nachweisführung der Methoden der Reduzierung der in der DDR rechtmäßig erworbenen Alterssicherungsansprüche durch die Sozialpolitik in der BRD (für alle Bürgerinnen und jeden Bürger des Beitrittsgebiets zutreffend) festgestellt: "Betrogen bis zum jüngsten Tag."

Wilhelm Bente, Stralsund

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Nur ein böser Traum?

Nach einer solchen Nacht war der Tag trostlos und dunkel. Alpträume plagten mich, und ich erlebte fast spürbar, wie mir und meinen Mitmenschen Vertrauen verlorenging und die Zukunft noch düsterer erschien.

Ich träumte, Gast zu sein nicht nur auf Erden, sondern in diesem Land. Worte wie Frieden, Wachstum und vor allem Demokratie waren "Alltagsgesänge" und hatten auch mich angesprochen und euphorisiert. Doch bei näherem Hinsehen und Hineindenken wurden die Botschaften schnell zu Schall und Rauch. Von Frieden und Demokratie, von gegenseitiger Achtung und Wohlstand für alle war auf einmal keine Rede mehr. Es ging zunehmend mehr um die Sicherstellung individueller Interessen und Machtpositionen als um das Wohl der Mehrheit, das Wohl des Volkes. Menschen, die einem sonst nie aufgefallen sind, waren nicht mehr wiederzuerkennen. Und welcher Ton machte die Musik? Er erweckte den Eindruck, als würden sich Feinde gegenüberstehen, und die Ellbogen zum Schlagabtausch würden durch Stahl ergänzt werden. Denn mit diesen Ellbogen zugestoßen, schmerzt es zwar stark, wird aber nicht sofort öffentlich wahrgenommen.

In mir machte sich eine große Sorge breit: Wie sollen junge Menschen aufeinander zugehen, miteinander leben lernen, wenn ältere, zum Beispiel solche in der großen Politik, vormachen, wie man sich wehtun kann? Dieser Mißton paßte zu neu erweckten Feindbildern, die schon längst überwunden schienen. Überraschend für viele wurden Inhalte sozialistischen Lebens verteufelt; Errungenes - wie gesundheitliche Fürsorge in hoher Qualität und bezahlbar für alle, Bereitstellung von angemessenem Wohnraum für alle, gleiche Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten für alle, Gewährleistung einer Rente, die Altersarmut ausschließt und Lebensarbeit berücksichtigt - wurde zunichte gemacht.

Das Gewirr der Gedanken nahm zu. Ich erwachte mit Herzklopfen und Schweißausbrüchen. Ich hatte nicht nur keinen Appetit, sondern auch Magenschmerzen und Kopfbrummen. Aber das war doch nicht die Wirklichkeit, sondern nur ein böser Traum - oder doch die Realität?

Dr. Wilfried Meißner, Chemnitz

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DDR konkret: Demokratie im Betrieb

Wenige Tage nach den Ereignissen des 17. Juni 1953 berichtete das "Neue Deutschland" von einer Betriebsversammlung der Berliner Sparkasse, an welcher der Schriftsteller Stefan Heym teilnahm. Er kommentierte: "Bei ihnen wurde nicht gestreikt. Sie blieben pflichtbewußt bei ihren Schaltern, an ihren alten, zerkratzten Schreibtischen, hinter den vergitterten Fensterchen ihrer Ein- und Auszahlungskassen."

So also war das: Ein Pressevertreter und noch dazu von einer überregionalen Zeitung sprach mit den Menschen auf einer Betriebsversammlung, stellte ich überrascht fest. Ich selbst war 27 Jahre Personalratsmitglied, davon acht Jahre freigestellter Personalratsvorsitzender einer größeren Niederbayerischen Sparkasse und kann mich nicht erinnern, daß sich jemals ein Vertreter einer höheren Macht bei uns zu einem Dialog mit den Mitarbeitern eingefunden hätte.

Welche Fragen aber wurden beim Gespräch mit Stefan Heym angesprochen? Überstunden im Sparkassenbereich - ein immer wiederkehrendes Thema. Der Gast hält fest: "Überstunden", sagt ein Kollege, "das ist bei uns so: Um acht Uhr früh fangen sie an zu arbeiten. Um fünf Uhr nachmittags sollten sie fertig sein. Aber meistens klappt das nicht.

Erstens wurden Arbeitskräfte entlassen, aus Sparsamkeitsgründen. Und dann wurde gesagt, auch aus Sparsamkeitsgründen, daß keine Überstunden gemacht werden sollen. Und wenn welche gemacht wurden, würde nichts dafür gezahlt; Überstunden solle man 'abbummeln'. Das verstehen die Kollegen nicht. Denn es steht doch im Gesetz, daß Überstunden mit 25 Prozent über Tarif bezahlt werden müssen. Und wie kann man abbummeln, wenn jeder Kollege bitter im Betrieb benötigt wird? (...) Bei uns, zum Beispiel, sagen sie, kommt der Geldwagen meistens erst lange nach Dienstende; und dann gibt's bei einer Bank eben gewisse Arbeiten, die gemacht werden müssen, wenn der Betrieb richtig laufen soll. Neuerdings kommen die Geschäftsleute zweimal am Tag mit ihren Einzahlungen; das bedeutet doppelte Arbeit für uns."

Gleiches Thema auch in unserer Sparkasse, nur da hat sich keine Kollegin oder kein Kollege getraut, dies auf der Personalversammlung anzusprechen.

Ich war erstaunt, als Stefan Heym - und das bereits 1953! - auch über Leistungsmessung berichtet. Zu dieser Zeit gab es in unserer Sparkasse nur Beamte. Das Wort "Meßzahl" tauchte bei uns erst in den 70er Jahren auf.

Aber lassen wir Stefan Heym weiter berichten: "Und dann läßt einer das Wörtchen 'Meßzahl' fallen. Da entspinnt sich eine hitzige Diskussion. Die Meßzahl, erfahre ich, bezieht sich auf die Durchschnittsarbeit des durchschnittlichen Verwaltungsangestellten. Ist sie eine Norm? Ist sie keine Norm? Die meisten Kollegen glauben, die Meßzahl ist genau dasselbe wie die Norm in der Industrie. Einer erläutert: 'Bei mir betrug die bisherige Meßzahl 250 Buchungen die Stunde. Vor kurzem hat man die Meßzahl auf 300 oder 350 Buchungen die Stunde festgesetzt, so genau weiß ich es noch nicht - jedenfalls läuft es darauf hinaus, daß eine erhöhte Arbeitsleistung von mir erwartet wird. Nun möchte ich doch gerne wissen, ob die Regierung auch an mich gedacht hat, als sie in der neuen Verordnung die Normen auf den Stand vom 1. April festlegte ...'"

Stefan Heym brachte die Gewerkschaft ins Spiel. Gewerkschaft? Bei uns undenkbar! Er sagt: "Warum geht ihr denn nicht zur Gewerkschaft? Sie sollte euch doch vertreten, sich eurer Interessen annehmen - der großen wie auch der kleinen." Die Reaktion kam prompt: "Früher haben wir es versucht, aber jetzt versuchen wir es gar nicht mehr", sagt ein Kollege, "es kommen ja doch keine Änderungen. Wir haben nicht das Gefühl, daß da Leute sitzen, die aus unserm Fach kommen und unsere Probleme richtig begreifen können."

Stefan Heym schloß: "Nun ja, das ist irgendeine kleine Zweigstelle irgendwo in Berlin; und wie es heißt, gehören Banken und Sparkassen und Versicherungsanstalten und ähnliches nicht zu den sogenannten Schwerpunktbetrieben.

Aber im Schwerpunkt steht doch der Mensch - und um den Menschen sollte man sich kümmern."

Ich mußte lange über diesen Artikel nachdenken. Sah so die Unterdrückung der Menschen in ihrem Arbeitsleben aus? Auf unseren Personalversammlungen stellte kein Mitarbeiter offen eine Frage. Hätten wir keine anonymen Fragen zugelassen, wäre die Betriebsleitung nie mit den Problemen aus der Belegschaft konfrontiert worden.

Dann fiel mir die Ausgabe des ND vom 12. Juli 1953 in die Hände. Ein gewisser Max Schlosser kommentierte den Artikel von Stefan Heym. Er schrieb: Die Kolleginnen und Kollegen "schilderten, wie in der Vergangenheit administrative Anordnungen getroffen wurden, wie Überheblichkeit Platz griff, wie man die Kritik von unten unterdrückte und die Forderungen und Wünsche der Kollegen mißachtete.

Kollege Horn kritisierte, daß in diesem Jahr nur wenige Kinder der Angestellten Gelegenheit haben, an der Ferienlageraktion teilzunehmen. Zwei Drittel der Kinder, die mitfahren wollten, mußten zurückstehen, weil die Ferienaktion nicht richtig organisiert wurde.

Kollege Horn erklärte weiter, daß Direktor Hensel anläßlich einer Kassenleiterbesprechung gesagt hat, daß trotz der neuen Beschlüsse der Regierung mit einer niedrigeren Einstufung der Kollegen zu rechnen sei. Das schaffe aufs neue böses Blut unter der Belegschaft. (...)

Genosse Neukranz beantwortete dann eine ganze Reihe der in der Diskussion gestellten Fragen. So erklärte er, daß die Veränderung der dreiviertelstündigen Mittagspause ohne weiteres möglich ist, ohne noch eine Verordnung abzuwarten. Ebenso könnte der Wunsch der Kollegen, die Kassen täglich mittags eine Stunde zu schließen, erfüllt werden. Die noch notwendigen Überstunden, die jetzt nur bis zur Gruppe VI bezahlt werden, sollen in Zukunft bis zur Gruppe IV bezahlt werden. Eine Rückstufung der Kassenleiter in Berlin wird nicht erfolgen."

Ich dachte nur, traumhaft, wie schnell die Mitarbeiter zu ihren Rechten kamen. Bei uns unvorstellbar!

Max Schlosser beendete seinen Artikel mit Überlegungen zum weiteren Vorgehen in der Sparkasse - niemand in unserer Sparkasse hatte jemals ähnliches erlebt: "Am Schluß der Versammlung (...) beantwortete der Hauptabteilungsleiter im Ministerium für Finanzen, Genosse Becker, eine Reihe fachlicher Fragen. Da von ihm bei weitem nicht alle beantwortet und geklärt werden konnten, wurde auf seinen Vorschlag hin von der Versammlung beschlossen, einige Kollegen ins Ministerium der Finanzen zu entsenden, die dort gemeinsam mit dem Genossen Becker die noch offenen Fragen klären."

Nie hätte ich geglaubt, daß wenige Tage nach den Ereignissen vom 17. Juni ein so offenes und kritisches Klima auf einer Belegschaftsversammlung möglich gewesen ist.

Johann Weber,
Ruhstorf/Niederbayern

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Stimmen aus aller Welt über die DDR

Solange der sozialistische deutsche Staat, die DDR, existierte, haben sich immer wieder Persönlichkeiten aus der ganzen Welt bei oder nach Besuchen über die DDR geäußert. Zum 30. Jahrestag am 7. Oktober 1979 hat die Auslandspresseagentur Panorama DDR über hundert solcher Stellungnahmen in einem Buch vereint. Entstanden ist so ein Mosaik persönlicher Erfahrungen und Erkenntnisse, die jeweils ein Stück gesellschaftlicher Wirklichkeit widerspiegeln. Stellvertretend für die anderen veröffentlichen wir hier einige dieser Äußerungen - Älteren zur Erinnerung, Jüngeren zur Verdeutlichung dessen, was die DDR für die Welt (und für uns) war.

Prof. Hermann Lehmann (1910-1985)
Biochemisches Institut der Universität Cambridge, Großbritannien

Der Hitlerterror hatte mich 1934 gezwungen, rasch das damalige Deutschland zu verlassen, um als Jude mein Leben zu retten. Großbritannien nahm mich auf und bot mir Möglichkeiten, mich als Wissenschaftler auf dem Gebiet der Biochemie voll zu entfalten. Als späterer britischer Staatsbürger wurde mir die Universität Cambridge zur wissenschaftlichen Heimat.

Drei Jahrzehnte nach meiner Flucht aus dem Nazireich habe ich erstmals die DDR besucht. Freundlich aufgenommen von alten Kollegen und jungen Wissenschaftlern, wie von den vorurteilsfreien Menschen überhaupt, habe ich mich so wohl gefühlt, daß ich mehrfach in dieses andere deutsche Land gereist bin.

Schon oberflächlich betrachtet muß jeder Besucher erkennen, daß die Menschen hier in einem erstaunlichen Wohlstand leben. Damit meine ich nicht schlechthin Kleidung, Ernährung und Wohnung, sondern in erster Linie gesicherte menschliche Existenz, frei von Angst um den Arbeitsplatz und frei von Sorge um gefährdete Gesundheit.

Wohlstand bedeutet für mich auch uneingeschränkte Möglichkeiten der Bildung und kulturellen Betätigung für alle, menschliche Lebensfreude und Geborgenheit in einer Gesellschaft, die sich um ihre Kinder ebenso sorgt wie um Gebrechliche und alte Menschen. Kein objektiver Betrachter der DDR kann die Dynamik der Entwicklung negieren, den wirtschaftlichen Aufschwung und das damit gestiegene allgemeine materielle und kulturelle Lebensniveau.

Besonders stark berührt hat mich die qualitativ außerordentlich prägnante wissenschaftliche Entwicklung. Diese wurde mir einmal mehr deutlich in richtungweisenden Beiträgen von DDR-Kollegen zum 12. Kongreß der Federation of European Biochemical Societies 1978, zu dem 3500 Wissenschaftler aus 35 Ländern und vier Kontinenten nach Dresden gekommen waren. Dabei gingen von der jungen Generation befähigter DDR-Wissenschaftler viele neue Impulse zu Forschungen aus, die über kurz oder lang den Menschen in aller Welt zugute kommen werden, medizinisch wie zur Sicherung ihrer Ernährung. In diesem deutschen Staat gibt es sehr viel mehr junge Forscher - wenn sich das überhaupt quantitativ bestimmen läßt -, die qualitativ Hervorragendes leisten. Sie sind in ihrer Arbeit bemerkenswert engagiert und werden durch die Gesellschaft gefördert, was einen wesentlichen Schritt zum Erfolg bedeutet.


Ismail Shammout

(1930-2006), Maler, Leiter der Kulturabteilung der Palästinensischen Befreiungsorganisation

Zum erstenmal besuchte ich die Deutsche Demokratische Republik während der Weltfestspiele der Jugend und Studenten 1973 in Berlin. Seit einiger Zeit weilte ich häufig in dem befreundeten Land und verbrachte hier insgesamt soviel Tage, wie ein Jahr zählt. Mit diesen Zeilen möchte ich einige Eindrücke von diesem Land wiedergeben.

Aufmerksamkeit verdient die Tatsache, daß überall der Mensch im Mittelpunkt steht, sowohl auf sozialem Gebiet, im Gesundheits- und Bildungswesen als auch in der Kultur und Politik, daß also das Hauptaugenmerk auf der Herausbildung des neuen Menschen und der Verbesserung seines Lebens parallel zur allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung liegt.

Das kulturelle und künstlerische Leben in der DDR ist sehr reich. Es genießt ohne Zweifel besondere Wertschätzung, bei mir persönlich und bei den palästinensischen Künstlern im allgemeinen, und dies aus vielen Gründen. Der wichtigste Grund ist die direkte persönliche Bekanntschaft mit vielen Dingen, die dieses kulturelle und künstlerische Leben auszeichnen, insbesondere auf dem Gebiet der bildenden Kunst (Malerei und Bildhauerei) und des Dokumentarfilms.

So zeigte die jüngste Kunstausstellung der DDR (Dresden 1978) klar das Niveau, das die bildende Kunst erreicht hat. Es ist ein Niveau, bei dem der Inhalt auch die Form zu Worte kommen läßt und wo die Form nicht den Inhalt beherrscht - dies ist das Geheimnis des kämpferischen humanistischen Kunstwerks. Die jährlich stattfindende Dokumentarfilmwoche in Leipzig ist ein weiterer Aspekt der kulturellen Aktivität. Es ist eines der bedeutendsten Festivals des politischen Dokumentarfilms in der Welt. Der Film der DDR hat seine Rolle und seine Existenz als Avantgarde im Filmwesen der Welt unter Beweis gestellt.

Ein wichtiger Teil des kulturellen Lebens in der DDR sind auch die Ausstellungen und Wochen der Kultur anderer Länder, die ständig organisiert werden. Wir sind sehr stolz darauf, daß zum erstenmal eine Ausstellung der palästinensischen Volkskunst in Berlin, der Hauptstadt der DDR, veranstaltet wird. Der Erfolg der Ausstellung übertraf alle unsere Erwartungen. Wir sind stolz auf die Eintragungen der Besucher im Gästebuch der Ausstellung, die dort ihre Gefühle und ihre wahrhaft solidarische Haltung mit dem palästinensischen Volk in seinem Kampf um das Recht auf Selbstbestimmung und Errichtung seines eigenen unabhängigen Staates ausdrückten.

Diese Solidarität gilt gleichermaßen für Regierung, Partei und Volk der DDR. Sie kommt in zahlreichen Solidaritätsaktionen und Hilfssendungen verschiedener Art für unser kämpfendes Volk sowie in der politischen Unterstützung für die PLO zum Ausdruck.

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Die neue Brille des Jean Edward Smith

Der nordamerikanische Professor der politischen Wissenschaften Jean Edward Smith setzte im vergangenen Jahr seinen Fuß auf den - so war ihm amtlicherseits daheim bedeutet worden - "nicht existenten Boden eines fiktiven Staates innerhalb der Grenzen Deutschlands". Er kam inmitten jener großen Schar ausländischer Besucher, die 1967 die Gastfreundschaft der DDR für sich in Anspruch zu nehmen wußten.

Jean Edward Smith aber wurde bald schwarz vor Augen. Ihn schwindelte. Der Schwindel, dem er daheim allzulange aufgesessen war, hatte ihn dazu veranlaßt, die falsche Brille einzustecken. Die Gläser waren blind - beschlagen von jenem undurchdringlichen Nebel, der Sicht und Einsicht hindert: vom Antikommunismus. So blieb Mr. Smith, wollte er nicht hilflos herumtappen, gar nichts weiter übrig, als die Brille - zumindest zeitweilig - durch eine andere zu ersetzen. Sie war noch recht unscharf und ergab häufig verschwommene Konturen. Immerhin: Unter den Blinden ist der Einäugige König.

Über den großen Teich zurückgeflogen, ließ Mr. Smith die amerikanische Öffentlichkeit aufhorchen. Er hatte mancherlei Wissenswertes mitzuteilen. Und er warnte andere davor, sich bei Reisen in die DDR der falschen Brille zu bedienen. Botschafter Knappstein in Washington rotierte und kommandierte seine Leute in das State Department, um anzufragen, ob sich im Weißen Haus etwas geändert habe. Denn am 17. April - just dem Tage der Eröffnung des VII. Parteitages der SED - hatte Jean Edward Smith in der einflußreichen "New York Herald Tribune" mit einer für dieses Blatt sonst ungewöhnlichen Sachlichkeit das von Bonn fabrizierte und dem Durchschnittsamerikaner angedrehte DDR-Bild als plumpe Eselschwanzmalerei entlarvt. Seine eigene Darstellung sollte es ersetzen.

Um keine Verwirrung bei den in Europas Geographie nicht immer sattelfesten Amerikanern entstehen zu lassen, hatte die Redaktion für alle Fälle auch noch eine halb-postkartengroße Abbildung der DDR-Staatsflagge mit dem Artikel kombiniert. Fünf Monate später meldete sich Professor Smith erneut zu Wort. In der September-Ausgabe von "Political Science Quarterly" - dem Organ der zur Columbia-Universität gehörenden "Akademie der Politischen Wissenschaften" - publizierte er einen umfangreichen Beitrag über das "wirkliche deutsche Wirtschaftswunder - die DDR".

Leider wisse man in den USA herzlich wenig von der Existenz dieses Staates im Zentrum Europas, den anzuerkennen sich das offizielle Washington - da man "die Empfindlichkeit Bonns in Kalkül zu ziehen habe" - einstweilen weigere, bedauert Smith. Man wolle die DDR auch weiterhin totschweigen und verzichte deshalb auf die Inanspruchnahme vieler normaler Nachrichtenkanäle, die mit der ordnungsgemäßen Akkreditierung westlicher Korrespondenten leicht erschlossen werden könnten. "Das Resultat all dessen ist, daß unser Bild über die DDR dahin tendiert, durch die feindliche Brille des kalten Krieges bis zum äußersten filtriert zu werden", schreibt Smith. "In der DDR ist eine neue soziale Ordnung errichtet worden ... Das ist vielleicht der überraschendste Aspekt der dort vor sich gegangenen Veränderungen, denn wir haben zu oft geglaubt, daß deutscher Sozialismus eine Treibhausblume sei", stellt der namhafte Politologe fest.

Smith führt jene in Bonn und Washington beheimateten Verleumder der DDR ad absurdum, die den nationalen Inhalt der Politik unseres internationalistischen Staates aus durchsichtiger Absicht zu bestreiten wagen. Die historischen Fakten anerkennend, gelangt er zu der Schlußfolgerung, daß der Sozialismus in der DDR durchaus den revolutionären Traditionen des deutschen Volkes, das Marx und Engels hervorgebracht und in den Kämpfen gegen Reaktion und Faschismus viele kommunistische Märtyrer - "echte deutsche Helden" - gezeugt habe, gerecht werde. Die DDR sei ein nationaler deutscher Staat, konstatiert Smith. Ein neues Staatsbewußtsein existiere in der DDR.

Er schreibt: "Das historische Zentrum, im Osten gelegen, ist geschickt und gewissenhaft in seiner früheren Erhabenheit wiederhergestellt worden - und unterscheidet sich bereits auffallend von der geschmacklosen und grellen Atmosphäre des Kurfürstendamms." Der Professor, dessen Erwägungen und Einsichten zweifellos nicht aus Begeisterung für die Sieghaftigkeit des Sozialismus abgeleitet werden, sondern einem pragmatischen Sinn für Tatsachen entspringen, würdigt jenen gewaltigen Aufschwung, den die DDR vor allem seit 1961 genommen hat. Die Grenzsicherungsmaßnahmen des 13. August hätten nicht nur "eines der weitreichendsten Wirtschaftswunder Europas eingeleitet", sondern auch zur Erhaltung des Friedens beigetragen, da "ein einzelner Zwischenfall das Pulverfaß hätte entzünden und möglicherweise einen weltweiten Brand entfachen können".

Mr. Smith, der glaubte, in der DDR ein teils passiv dahinvegetierendes, teils dumpf aufbegehrendes, in jedem Falle aber politisch entmündigtes Volk anzutreffen, mußte sich vom Gegenteil überzeugen lassen. "Der Besucher aus dem Westen findet Selbstbewußtsein und Stolz auf die Errungenschaften in der DDR", resümiert er, "Die überraschendste Tatsache ... ist der Grad der Identifizierung mit ihrer Regierung und mit der sich herausbildenden neuen Gesellschaft, die man bei den Bürgern der DDR feststellen kann. Insbesondere junge Leute drücken ihre Zustimmung zur Deutschen Demokratischen Republik aus und fragen anklagend, warum der Westen ihr die Anerkennung verweigere. 'Es ist trotzdem unser Staat', sagen viele", weiß Smith zu berichten.

Er stellt fest, daß "ein Grund für die Zuneigung zur SED das Gefühl gemeinsamer erfolgreicher Tätigkeit" sei. Auch die Tatsache, daß keine deutsche Regierung vor 1945 "so lange durchgehalten" habe und "in der Bevölkerung so außerordentlich weitverzweigt" sei, trage zur Festigung des Staatsbewußtseins der DDR-Bürger bei. Er habe überall, erklärt Smith, "Abneigung gegen Bonns Anspruch, Deutschland allein zu repräsentieren und im Namen der Bewohner der DDR zu sprechen", angetroffen. Immer wieder habe er gehört: "Erkennt uns an und basta!"

Aufschlußreich sind die Einsichten, die der nordamerikanische Politologe aus den Erfolgen der Wirtschafts- und Agrarpolitik der DDR gewonnen hat. Anhand umfangreichen Zahlenmaterials informiert er seine Leser über den stürmischen Aufschwung unserer Volkswirtschaft und schlußfolgert dann: "In den Bauerndörfern der DDR hört man heute überraschendes Lob für die neuen Genossenschaften. Die Kollektivierung der Landwirtschaft war ein natürlicher Erfolg - und er wird von der ostdeutschen Landbevölkerung auch als genau das angesehen."

Mit sicherem Blick für Rentabilität und Nutzeffekt lobt Smith das Neue ökonomische System der Wirtschaftsplanung, "das zu einem Charakteristikum am ostdeutschen Horizont geworden ist". Er schreibt: "Und um jedem das Seine einzuräumen - es war Walter Ulbricht, der das meiste getan hat, um den Geist des Neuen ökonomischen Systems zum Tragen zu bringen." Auf diese Weise werde das Idol des westdeutschen Wirtschaftswunders wirksam gekontert und der Lebensstandard der Bevölkerung sukzessiv gehoben. "Wachsender Wohlstand spricht kaum gegen das Regime." ...

Damit, daß Mr. Smith für sich und seinen Leserkreis die DDR entdeckte, ist er noch lange kein Kolumbus. Und auch kein "Zweitentdecker", wie Alexander von Humboldt. Vom Schatten ihres Ruhmes fällt nicht einmal ein schmaler Streif auf Mr. Smith. Denn die Zeiten der Entdecker und Wiederentdecker sind auf Erden wohl vorbei. Im letzten Drittel unseres Jahrhunderts befaßt man sich bestenfalls noch mit einem Badeort für Astronauten auf der Rückseite des Mondes - irgendwo am Mare Lomonossow. Oder mit der Venus.

Und doch - Mr. Smith hat eine lehrreiche Entdeckungsreise unternommen.

Dr. Klaus Steiniger, 1968 (RF-Archiv)

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Ein Welt-Ereignis: die 750-Jahr-Feier Berlins 1987

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Gisela Steineckert: Hand aufs Herz

Unaufhaltsam nähert sich der Tag, an dem auch bei unser aller Kanzlerin die verdiente, sichere Altersrente eintreffen wird - jeden Monat! Dann ist sie endlich das Warten los. Sie hat, wie meine Oma, immer zu viel für alle gemacht. Nie geschwänzt, immer als erste da und als letzte immer noch; hat sich nicht mal ein geblümtes Oberteil als Irritation gegönnt.

Aber ehe sie endgültig die Schlüssel beim Pförtner abgibt, hat sie uns noch gezeigt, wie viele Frauen sie kennt, die auf einen Zuruf oder Anruf von ihr hintanzustellen bereit sind, was sie vorzuweisen haben: solide Ausbildung, langer Weg die Stufen hoch, und immer hatte schon einer den Blumenstrauß zur Gratulation parat. Neben den Wahlurnen konnten diese Frauen meist ein sehr zufriedenes Gesicht zeigen.

Nun sind einige von ihnen in Berlin, mit all dem im Gepäck, was ihnen unterwegs das Wichtigste geworden ist: Meinung, Haltung, Absichten, Zugehörigkeiten. Erfolgreiche, geprägte und gefragte, selbstbewußte Frauen. Sie sagen, was sie denken. "Ich bin als Christin gegen die Ehe für alle, da könnte ja demnächst ..."

Schade. Ich war gerade unterwegs, um zu gratulieren und zu umarmen: zwei Erwachsene, die seit mehr als zwanzig Jahren gegenseitige Daseinsvorsorge betrieben haben und gewiß nicht planen, demnächst mit ihren Haustieren den Bund der Ehe einzugehen.

Wenn unser aller Kanzlerin von der Verantwortung etwas an andere Erwachsene abgibt, dann darf sie danach mit Söckchen zu den Festspielen in Bayreuth erscheinen, noch längere, langweilige Urlaubswege wählen und endlich wieder einmal in aller Ruhe Karpfen zubereiten. Ich habe gehört, das kann sie sehr gut.

Vielleicht wird sie dann mit ihrem Vater ein langes, einsichtiges Gespräch führen, an seinem Grab, und inzwischen verstehend, warum ihn die ganz normalen Leute so schätzten.

Berlin platzt zur Zeit vor Angeboten aus allen Nähten. Die sind von der Art, daß man selber entweder das Blödeste tut, was einem gestern noch nicht eingefallen wäre, oder man wird von einem Moment zum anderen erwachsener.

Lange Zeit hat mich beschäftigt, wie das wohl damals im Reichstag gewesen sein muß, wo die unterschiedlichen politischen Meinungen und Vorschläge feindlich aufeinanderprallten. Nun habe ich eine Ahnung davon bekommen, nämlich zwei Stunden lang den Wortbeiträgen gewählter Bundestagsabgeordneter verschiedener Couleur gelauscht. Ich werde das nicht ohne historischen Anlaß wiederholen. Was ich gehört habe, lag zumeist außerhalb meiner Vorstellung vom Niveau eines immerhin gewählten Kreises von politisch beauftragten Personen des öffentlichen Lebens.

Der Begriff Heimatministerium hat mir zu schaffen gemacht. Er siedelt in meiner Phantasie bei Heidi, und ich kann mir schwer vorstellen, wie das in eine überforderte Großstadt nahe der unterforderten zurückgestoßenen Landschaft Brandenburg, mit zu wenigen Bewohnern jüngeren und mittleren Alters, passen sollte. Aber dann dachte ich: der damit beauftragte Politiker hat doch in unserer bunten Kommune seine Midlifecrisis ganz gut überlebt.

Nun, im sichtbar höheren Alter, mag - und an solche Wunder muß man immer glauben - ja etwas mehr Nähe zu anders lebenden Menschen, zu buntem Gewühl und ganz neuen Ideen aufgeflammt sein. Wenn nicht, dann wäre der Heimweg nach Bayern ein weiteres Mal die sichere Lösung.

Um das noch zu erwähnen: Die Ehe für alle sollte eigentlich schon seit Jahrhunderten umstritten sein. Wenn es stimmt, daß der Bettschatz in Weimar zwar für Gäste reich aufkochen durfte, aber niemals mit ihnen zu Tische gehen und mitessen, dann darf einem auch einfallen, daß Goethe vorher sowohl die Göchhausen als auch die Frau von Stein ausgebeutet hat. Und Gretchen! Er war wohl als Ehemann nicht geeignet.

Martin Luther wird bis heute für seine Klugheit und seinen Mut gefeiert. Aber die zehnmal geschwängerte Katharina hat ihm einen Sohn geboren, der zur Lehre weit fortgegeben wurde, wo er fast verhungerte. Er verschlang ein Stück Brot, das ihm nicht gehörte. Der Lehrherr petzte das dem Papa, und der verordnete, der Meister solle den Dieb in Abständen dreimal derb verdreschen. Ich aber klappte das Buch zu, und als Vater und Ehemann war Martin L. für mich vorerst gestorben.

Welch ein verheißungsvoller Monat: April, die Zeit vor der Blüte. Wirklich, eine besondere Atmosphäre.

Die Politiker - hehren Sinnes oder niederträchtig -, zwingen uns, ihnen ins Gesicht zu blicken, ihre Motive zu erkennen. Hat es das vorher je so gegeben? Schamloser Machtkampf und jede Art von Klammern an nicht immer redlich verdiente Privilegien?

An die Arbeit, durchatmen, aber nicht einfach weitermachen. Selbst bei gewolltem nachsichtigem Blick auf den Stand der Dinge schleicht sich die Erinnerung daran ein, auf welche Weise sie so entstanden sind, die Dinge, und daß sie Ratlosigkeit im Gepäck haben. Die Beamteten, Gewählten, Beauftragten, Befaßten haben alle ihr Bestes gegeben. Sie klagen, sie stünden auf unerbittlichem Prüfstand, und seien - durch die anderen! - miesen Bedingungen ausgesetzt. Was daraus folgt? Weitermachen! Genauso! Mit noch mehr Geld aus dem Steuersäckl, ein Muß. Denn wir lesen, daß "unsere" Soldaten frieren, Panzer, Schiffe und Flugzeuge oft nicht von der Stelle kommen und der BER sowieso nicht. Der hat sich ja noch nie bewegt. Da können sich die folgenden Vorstände für ihr Alter gut versorgen.

Wie sagt der Berliner? "Spare in der Not, da haste Zeit."

Her mit der Freude, hin zu Gleichgesinnten, und hoffen, daß sich endlich ein weiterführender Gedanke einfindet und rumspricht. Wo doch nun sogar in der "Superillu" steht, daß die Eintragungen in die "Stasiakten" von Ingo Steuer schon lange gelöscht waren. Nun müssen wir bloß noch erfahren, was vorher in der Akte stand, und wer es eingetragen hat.

Die Schande bleibt, daß die nun so gefeierten Künstler auf dem Eis damals verdammt allein gelassen wurden und es nur ihrer Tüchtigkeit zu danken ist, daß sich ihr Traum erfüllt hat.

Ich begrüße den längst fälligen Gedanken, neu zu prüfen, wie das damals vor sich gegangen ist, als eine ganze Industrie und ein ganzes Volksvermögen über Nacht in fremde Taschen gewandert sind. Aber nein, es war ja ein spontaner, bedingungsloser Beitritt nach langem Heimweh ­...

Auch ich habe Deniz Yücel in die Haft ein paar Zeilen der Empörung und Hoffnung geschickt. Aber ich kam mir armselig vor, als stünde ich freitagnachmittags in Kittelschürze auf dem Ku'damm, der auch nicht mehr ist, was er mal gewesen sein soll. Nicht nur wegen des wahrscheinlich verhinderbaren gemeinen Anschlags. Vielleicht haben wir Leute in der DDR uns den Ku'damm auch nur bunt und interessant vorgestellt. Damals, als wir uns mit unseren Möglichkeiten gegen viel langweiligen Trott des Alltags gewehrt haben. Aber die Begriffe "Pflegenotstand" und "Altersarmut" kannten wir nicht. Auf meinem Zettel für Ziele stand: "Gleichwertigkeit bei gleicher Leistung, unabhängig vom Geschlecht". Und Solidarität war bei uns ein Alltagswort.

In Potsdam wurden kürzlich Gemälde ausgestellt. Die hatten ihren Platz einmal im Palast der Republik und waren Eigentum der DDR. Danke dem reichen Förderer in Potsdam - aber wie war das, damals, als die Gemälde abgehängt wurden? Als sie Eigentum der Bundesrepublik wurden, ein in jener Zeit alltäglicher Vorgang ...

Unsere Mächtigen hatten nichts mehr zu sagen, vorher sprachen sie oft geschwollen, pathetisch und hohl. Peinliche Erinnerung an das Konterfei des damaligen Landesvaters, das anläßlich der Leipziger Messe gezählte 87 oder 78 mal in meiner Zeitung erschien.

Trotzdem haben wir als ganz normale Bürger dieses Landes allein durch unsere Arbeit solche Ansprüche erworben, auch Wertungen, die hatten nicht unbedingt mit Geld zu tun, aber ich würde sie mir von niemandem nehmen lassen. Wir waren viele, die manchmal alles auf einmal ändern wollten, unter ihnen nicht wenige, deren Konterfei man inzwischen sogar in bunten Heften der Regenbogenpresse sehen kann. Das Unsterbliche an uns Menschen ist ja vielleicht das, was wir mitten in der Arbeit und beim Nachvornblicken zurückstellen - oder erst heute endlich wichtig genug finden.

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LESERBRIEFE

"Trump ist der Kopf einer Gang", schreibt der US-Investigativ-Journalist David Cay Johnston in seinem neuen Buch, das seit Mitte Januar 2018 auch auf Deutsch vorliegt.
Johnston reißt Trump gnadenlos die Maske vom Gesicht: "Ein Trickbetrüger und bösartiger Narzißt mit der emotionalen Reife eines Dreizehnjährigen." Er bezahle seine Schulden nicht, haue Leute übers Ohr, sei ein Meister windiger Geschäftemacherei und pflege beste Verbindungen zur Mafia. Darüber hinaus sei er eine gestörte Persönlichkeit, rachsüchtig, ahnungslos von jeglicher Politik und der internationalen Lage. In seiner Präsidentschaft gehe es ihm einzig und allein um sich selbst.

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Die USA betrachten nicht mehr - falls sie das jemals getan haben - den Kampf gegen den Terrorismus als ihre wichtigste Aufgabe, sondern die Abwehr der großen Mächte China und Rußland. Das stünde jetzt im Fokus der Politik der US-Administration, wie Verteidigungsminister James Mattis im Januar in Washington erklärte. Zugleich vergeht kaum ein Tag ohne US-amerikanische Drohnenangriffe in Afghanistan und anderswo.
Nach einer Agenturmeldung vom 7. März sind bei einem solchen Einsatz in der nordöstlichen afghanischen Provinz Kunar 27 angebliche Taliban getötet worden. Die Menschen hatten sich im Bezirk Schultan in einer Koranschule befunden, teilte ein Mitglied des Provinzrates mit. Insgesamt 116 zivile Drohnentote meldete die US-Administration bis Sommer 2016. Das "Bureau of Investigative Journalism" zählte jedoch 1427 Opfer, laut ehemaligen US-Militärs wurden sogar 6000 oder mehr "unrechtmäßig" getötet. Seit Beginn des "Kriegs gegen den Terror" gehören Drohnenangriffe in Afghanistan, Irak, Pakistan, Somalia und vielen anderen Ländern zum Bestandteil der US-geführten Kriege. Allein in seinem letzten Amtsjahr autorisierte Friedensnobelpreisträger Barack Obama den Abwurf von 26.172 Bomben. Die Drohnen waren ursprünglich unbemannte Aufklärungsflugkörper. Sie wurden im Krieg gegen Afghanistan eingesetzt und zu Kampfdrohen weiterentwickelt. Auf einen getöteten Kämpfer kommen dabei etwa 18 getötete Zivilisten. Die Drohneneinsätze sind faktisch eine Hinrichtung von Menschen ohne Gerichtsverfahren. Sie sind selbst nach US-Recht eigentlich unzulässig und obendrein völkerrechtswidrig.

Dr. Matin Baraki, Marburg


Bei den von Putin in seiner Rede am 1. März an die Nation vorgestellten neuen strategischen Waffensystemen handelt es sich m. E. um einen Übergang von bisher überbetonten quantitativen zu qualitativen militärischen Faktoren, welche das internationale Kräfteverhältnis künftig bestimmend beeinflussen werden. Sie demonstrieren einen echten technologischen Durchbruch des Landes. Diese Systeme wurden durch geplante und bilanzierte Arbeit im Rahmen der für die Verteidigung Rußlands bereitgestellten Mittel entwickelt und produziert. So ist z. B. das Raketensystem "Avangard", welches sich mit einer Geschwindigkeit von 20 Mach auf sein Ziel zubewegt, bereits in die Serienproduktion überführt worden. Der weltweit erste und einzige Hyperschall-Komplex "Kinshal" (Dolch) befindet sich bereits im Einsatz. Keine dieser neuartigen Waffen könne mit den derzeitigen Abwehrsystemen abgefangen werden, so Putin. "Diese strategischen Raketensysteme", führte er aus, "haben wir als Reaktion auf den einseitigen Ausstieg der USA aus dem Vertrag über Raketenabwehr und die De-facto-Stationierung solcher Systeme auf dem Gebiet der USA und außerhalb der US-Grenzen (die USA und deren Verbündete wollen 400 Anti-Raketen-Systeme rund um Rußland basieren), geplant und entwickelt."
Entscheiden sich die USA und die NATO-Staaten erneut, von Putin vorgeschlagene Verhandlungsangebote über Rüstungs-, Begrenzungs- und Kontrollabkommen, die Kernwaffen eingeschlossen, nicht wahrzunehmen, würde eine weitere Chance vertan. Wer keinen "kalten Krieg 2.0" oder heißen Weltkrieg will, ist gut beraten, sich mit Rußland an den Verhandlungstisch zu setzen. Das Land tritt schon lange für ein weltweites Sicherheitssystem, welches große und kleine Staaten umfaßt, ein. Ich meine, der Westen sollte sich dem anschließen.

Oberst a. D. Gerhard Giese, Strausberg


Wir leben in einer Zeit des sich beschleunigenden Umbruchs. Eine der treibenden Kräfte hierbei ist die digitale Revolution, die im Zusammenwirken mit der oft genannten Globalisierung tiefgreifende gesellschaftliche Verwerfungen hervorruft, die bei vielen Menschen Zukunftsängste erzeugt. Dazu im krassen Widerspruch steht der heuchlerische Wahlslogan der CDU, daß wir in unserem Land "gut und gerne leben". Doch die Wirklichkeit ist von unhaltbaren Zuständen geprägt.
Es gibt ein hochinteressantes Werk von Wilkinson und Pickett, die in ihrem Buch "Gleichheit", die berechtigte Frage stellen, ob die gegenwärtige Gesellschaft trotz ihres vermeintlichen Wohlstandes als gescheitert betrachtet werden kann. Diese Frage ist bei etwas tiefgründigerer Betrachtung wohl zu bejahen. Ein Blick über den Atlantik genügt. Das Land, in dem "bürgerkriegsähnliche" Zustände herrschen, ist nach wie vor bestrebt, sein destruktives Gesellschaftsmodell auch mit militärischen Mitteln weltweit durchzusetzen. Es ist erstaunlich, wie ein solches System, vor allem auch in Europa, als beispielgebend betrachtet wird. 30 Jahre haben dem Neoliberalismus genügt, um seine zerstörerischen Kräfte offenzulegen, seine "Zukunftsuntauglichkeit" zu offenbaren.
Offensichtlich ist es den regierenden Politikern nicht gegeben, dies zu erkennen. Andererseits auch nicht verwunderlich, wenn man weiß, daß die eigentliche Regierungsgewalt von ganz anderen Kräften gesteuert wird. Der bei uns herrschende "Regierungsjournalismus" tut sein übriges, die Bevölkerung ruhigzustellen. Noam Chomsky sagt: "Unter dem Diktat der Privatwirtschaft ist es für die Medien viel einfacher, die Verbreitung bestimmter Meinungen zu verhindern, als unter staatlicher Zensur! Desinformation, wo man hinschaut, Non-stop-Krimiberieselung rund um die Uhr."
Doch der Höhepunkt der Weltmacht USA scheint überschritten, was die Unberechenbarkeit ihrer strategischen Zielsetzungen erhöht. George Friedman, Direktor des Stratfor-Think-Tanks, redet ganz unverhohlen davon, daß es ein "schönes Gefühl" sei, "weltweit bei den Ländern intervenieren zu können, ohne etwas befürchten zu müssen" (Vortrag am 4.2.2015 in Chicago). Leider gibt es in Deutschland eine ganze Armada von sogenannten Atlantikern, die nichts weiter tun, als diese unheilbringende Saat der Amerikanisierung zu pflegen - Aspen-Institut, Atlantikbrücke und andere sind deren Anlaufstellen.

Unter diesen geschilderten Voraussetzungen kann man Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine nur viel Erfolg wünschen für ihre neue Initiative, linke Kräfte zusammenzuführen.

Volker Büst, Kalbe


Zu Arnold Schölzel: Was bleibt von der SPD? (RF 241, S. 1)
Um die Worte eines prominenten SPD-Mitglieds zu wiederholen: Die SPD schafft sich ab! "Agenda 2010", Steuergeschenke für Banken, Konzerne und Reiche, Hartz IV, exzessive Ausweitung des Niedriglohnsektors, von Leiharbeit, Selbstausbeutung in Ich-AGs, Privatisierung gesellschaftlichen Eigentums, Rente mit 67, Absenkung des Rentenniveaus einhergehend mit Altersarmut und Rentenbetrug à la Riester zugunsten von Banken und Versicherungskonzernen, Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 % markieren diesen Weg. Nicht zu vergessen die erstmalige Entsendung deutscher Soldaten nach 1945 zu imperialistischen Kriegseinsätzen ins Ausland - ein Zustand, der bis heute anhält. Leider haben viele der enttäuschten Wähler ihr (Un-)Heil in der Wahl einer vermeintlichen Alternative für Deutschland gesucht. Zu all dem genannten Übel kommt das erbärmliche Bild, welches die SPD-Spitze abgibt im Bestreben, Zuflucht in einer "GroKo" zu suchen sowie beim egoistischen Streit um die einträglichen Ministerposten.
Die antagonistischen Widersprüche des globalisierten Monopolkapitalismus treten immer offener zutage und werden sich aufgrund der rasenden Entwicklung der Produktivkräfte infolge der Digitalisierung in den nächsten Jahren noch dramatisch verschärfen. Die SPD hat dazu, wenn überhaupt, nur Antworten innerhalb des kapitalistischen Systems und ist damit per se nicht zukunftsfähig.
Da inzwischen leider auch die tonangebenden Teile der PDL-Führung vom zersetzenden Gift des Sozialdemokratismus infiziert sind, sich im bürgerlichen Parlamentarismus häuslich eingerichtet haben und von Regierungen mit SPD und Grünen träumen, stellte sich natürlich auch für mich die Frage nach einer - allerdings progressiven - Alternative. So habe ich mich - auch durch die Anregungen aus dem RF - intensiv mit dem Partei- und Wahlprogramm der DKP beschäftigt und dieser Partei, die auf marxistisch-leninistischen Positionen steht, meine Stimme gegeben.

Peter Krüger, Berlin


Der Leitartikel von Arnold Schölzel "Was bleibt von der SPD?" im Februar-RF regt zum Nachdenken an und bringt mich zu der Erkenntnis: nicht viel. Mit ihrer "neuen" Rolle, die sie nach 1989 übernahm, verloren sich zunehmend echte sozialdemokratische Inhalte. Die Vertretung von Interessen des werktätigen Volkes waren mehr oder weniger nur Lippenbekenntnisse. Oskar Lafontaine steht für eine linke Sammlungsbewegung, zu der Die Linke unbedingt eine konstruktive Haltung einnehmen sollte. Sonst gibt auch diese Partei ihre Ziele und Forderungen preis. Gemeinsam muß es gelingen, mehr soziale Gerechtigkeit durchzusetzen und Widerstand gegen Aufrüstung und Krieg zu organisieren. Dazu wird jeder gebraucht. Der Frieden muß siegen!

Christa Spenke, Oderwitz


Dem Leitartikel von Arnold Schölzel zur gegenwärtigen Situation in der SPD stimme ich zu. Leider wurde nichts zu der zwar kleinen, aber konsequent zum Ziel der Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse stehenden DKP gesagt.
Das Anliegen Oskar Lafontaines und Sahra Wagenknechts zur Sammlung linker Kräfte unterstütze ich, befürchte aber, daß kommunistische und auch sozialistische Kräfte damit nicht gemeint sind. Wie wäre es, wenn wir erleben könnten: Lafontaine und Köbele "vertragen" sich!

Hans-Georg Vogl, Zwickau


Zu Hermann Jacobs: Über Arbeitsproduktivität und Systemvergleich (RF 241, S. 17)
In seinem Beitrag zitiert Jacobs aus einer Rede von Georg Fülberth, daß die einzige Form des Sozialismus, die bisher über Jahrzehnte Bestand hatte, an der Unreife ihrer Ökonomie und ihrer Unterlegenheit in der Systemauseinandersetzung zugrunde ging. Dem kann ich zustimmen. Das war ein wichtiges Kriterium, sicher nicht der einzige Grund. Nicht einverstanden bin ich mit der Feststellung, daß aus dem "Frühsozialismus" kaum etwas für einen etwaigen künftigen Sozialismus gelernt werden kann. Doch ein solcher wäre undenkbar ohne bereits in der DDR Errungenes, wie das Recht auf Arbeit, das Recht auf Wohnen, das Recht auf Bildung und das Recht auf gesundheitliche Betreuung - Dinge, die im Kapitalismus nicht vorstellbar sind. Vor allem aber ist das gesellschaftliche Eigentum an den wichtigsten Produktionsmitteln entscheidend, wobei die Verfügungsgewalt darüber in den Händen der Werktätigen liegen müßte. Schön wäre es ja, wenn wir uns - wie Herman Jacobs meint - gewiß sein könnten, daß eine alternative Gesellschaftsordnung zum Kapitalismus möglich ist. Doch gegenwärtig stehen die Zeichen eher auf Krieg.

Es ist ja richtig, wenn Thomas Weißenborn in seinem Beitrag "Wie tauglich sind geistige Waffen?" den ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss mit Worten zum Frieden zitiert. Man sollte trotzdem nicht vergessen, daß Heuss 1933 dem Ermächtigungsgesetz zugestimmt hat.
Verdienstvoll ist es, wenn Horst Jäkel (Der rote Pfarrer von Kapellendorf) das Buch von Peter Franz rezensiert, der 1997 als Pfarrer Berufsverbot erhielt, weil er für die sozialistische, antifaschistische, friedliche und solidarische DDR und deren Macht- und Eigentumsverhältnisse Partei ergriff. Da sieht man, wie es mit der freien Meinungsäußerung hierzulande bestellt ist!

Dr. Kurt Laser, Berlin


Hermann Jacobs äußert sich im Februar-RF über Arbeitsproduktivität und Systemvergleich, was mein Interesse findet. Eins habe ich bei den Überlegungen jedoch vermißt, nämlich den Bezug dazu, wie in vielen Betrieben wirklich gearbeitet wurde. Wieviel Arbeitszeit wurde regelrecht vergammelt oder mit privaten Tätigkeiten verbracht? Vom Pfusch wegen mangelhafter Organisation oder fehlendem Material mal ganz abgesehen. Sicher war das nicht überall so, aber es war ein sehr weit verbreitetes Dilemma. Welches Potential ging da verloren! Ich meine, dies sind durchaus wichtige Fragen, welche bei einer ehrlichen Analyse mit bedacht werden sollten.

Thomas Fenner, Chemnitz


Arbeitsproduktivität ist eine wichtige Kennziffer für den Vergleich des wirtschaftlichen Entwicklungsstandes von Branchen und Volkswirtschaften, obwohl sie, wie Hermann Jacobs schreibt, schwer zu fassen ist und detaillierter analysiert werden muß. Ökonomische und gar politökonomische Aussagen brauchen ihrer Komplexität wegen aber meist ein Dutzend Kennziffern und das Bedenken einer Vielzahl von Zusammenhängen und Wechselbeziehungen. Was im kalten Krieg von kommunistischen Parteien vernachlässigt wurde, war die Größenordnung volkswirtschaftlicher Wertschöpfung.

Willi Lauterbach, Schwerin


Der "RotFuchs" befaßte sich in seiner März-Ausgabe in der Reihe Wissenschaftliche Weltanschauung mit Lenins "Ökonomik und Politik in der Epoche der Diktatur des Proletariats".
Noch heute gibt es dazu viel zu sagen und noch mehr zu tun. In der Bundesrepublik stößt man Lenin vom Sockel und verfolgt eine Wirtschaftspolitik, die Reichtümer in wenige Hände konzentriert, was Mächtige mächtiger macht, wo geostrategische Ziele verfolgt werden, auch mit Waffengewalt. Wo Aufrüstung statt Abrüstung, Krieg statt Friedensstrategie gilt - im Wettlauf um Weltmachtpositionen.
Politisch Verantwortliche bemühen sich gebetsmühlenartig, uns begreiflich zu machen, daß die "westliche Wertegemeinschaft" weltweit für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte eintritt. Wie kann das sein, wenn USA und NATO einen Krieg nach dem anderen anfangen?
Suchen wir den Schulterschluß mit allen fortschrittlichen Kräften, im Bewußtsein, daß Karl Marx aktueller nicht sein kann.

Ernst Jager, Panketal


Die Beiträge des RF über die Weltfestspiele der Jugend und Studenten erinnern mich an diese Zeit. Inmitten von Trümmern gab es eine große Begeisterung für den friedlichen Aufbau und die Solidarität mit der Jugend der Welt. Während Hetzblätter aus den Westsektoren auf uns herabschwebten, sangen wir an der Sektorengrenze unsere FDJ-, Friedens- und Kampflieder. Als Gegenreaktion schob man Bananen und Apfelsinen über den "Zaun". Unsere Antwort: Wir warfen die Köder zurück.
Bei seinerzeit noch offener Grenze versuchte man vom Westen aus mit vielfältigen Mitteln, den Erfolg des Jugendtreffens zu verhindern. Es gelang nicht, trotz lange vorbereiteter Aktionen insbesondere der "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit" (KgU). Ihr terroristischer Anführer Hildebrand erhielt nach dem Sieg der Konterrevolution das Bundesverdienstkreuz.
Während des Festivals versuchte man u. a. durch Desinformationen die Versorgung für die Teilnehmer zu sabotieren. Die für Großveranstaltungen errichtete Bühne mit großer Bildschirmleinwand sollte mittels Brandsätzen zerstört, Angst und Unruhe sollten verbreitet werden. In Koordinierung mit der Volkspolizei wurde der Terroranschlag verhindert. Die KgU wurde durch das MfS mit mehr als 70 Festnahmen zerschlagen. Die Geheimdienste stellten daraufhin deren Finanzierung ein. Obwohl alle Dokumente der KgU und anderer feindlicher Zentralen vorliegen und deren Ziele, Strukturen und Pläne dokumentiert sind, machen die staatlichen "Aufarbeiter" um dieses Thema einen großen Bogen.

Günter Sabel, Suhl


Im vergangenen Jahr waren es 160 Jahre seit der Erstveröffentlichung des Werkes "Kein Hüsung" von Fritz Reuter. Darin protestierte er offen und leidenschaftlich gegen die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse. Das brachte ihm den Zorn der damals Mächtigen ein. Sie versuchten alles, diesen ehrlichen Demokraten, der sich auch durch lange Haft nicht brechen ließ, zu einem dem Wein ergebenen humoristischen Stammtischplauderer zu degradieren. Sie nannten sein Werk ein "Schandidyll, gottlos und aller menschlichen und göttlichen Autorität hohnsprechend". Dagegen erhob schon Clara Zetkin ihre Stimme.
In dieses Werk legte er sein "Herzblut", wie er es ausdrückte. Der Not und dem Elend der unterdrückten mecklenburgischen Gutsarbeiter in vollständiger Abhängigkeit von den gesellschaftlichen Gegebenheiten gab er hier eine literarische Bühne. Ein Aufbegehren zu: "Fri Bahn möt wi hewwen! Un Brot möt wi hewwen! Un Hüsung möt wi hewwen! Un lihren möten uns Göhren wat!" (Freie Bahn müssen wir haben! Und Brot müssen wir haben! Und Behausung müssen wir haben! Und unsere Kinder müssen was lernen!) Ohne Zukunft zogen damals viele Mecklenburger in die "neue Welt" Amerika.
Die Aktualität des Werkes wird durch die jüngste Zeitgeschichte leider bestätigt, wenn auch in anderen Regionen und unter anderen Umständen. Heute sind es imperiale Ausbeutung, politische Einmischung, Mißbrauch von Religionen und militärischer Zwang, die Menschen zum Verlassen ihrer Heimat veranlaßt.
Die Globalisierung der Ausbeutung wird weitere Millionen Menschen auf die "Reise" schicken und ständig die Ärmsten aller Gesellschaften aufeinanderhetzen. Es bleibt zu hoffen, daß die Menschheit das endlich begreift und für eine gerechtere Welt zusammensteht. In diesem Kontext war es viel zu leise und kaum hörbar, daß dieses Werkes gedacht wurde.

Dieter Wegner, Graal-Müritz


Ich bin gebürtige Hamburgerin und in einem Elternhaus aufgewachsen, wo das Wort der SPD ein Evangelium war. Deshalb spielte sich ein Teil meiner Kindheit auch bei den Falken ab, übrigens damals gerne und auch heute noch mit guten Erinnerungen. Aber mit 18 Jahren war dann eine Mitgliedschaft in der SPD und bei den Jungsozialisten angesagt. (Ein Jahr später wurde ich wegen "parteifeindlichen" Verhaltens ausgeschlossen.)
Bei den Jusos ging man auch gerne abendlichen Vergnügungen nach, sprich Tanz. Und das war der Ausgangspunkt: Bei einem dieser Tanzvergnügen traf ich ihn und er mich.
Zu Hause erwähnte ich seinen Namen und wurde dann sofort gefragt, ob das der Sohn eines damals wegen linker "Umtriebe" aus der SPD Ausgeschlossenen sei. Mich interessierte der Sohn und nicht der Vater. Er war es, wie man feststellte. Aber Verliebte sind schlechter zu hüten als ein Sack Flöhe ...
Wir trafen uns und kamen uns näher. Eines Tages teilte er mir mit, daß er verreisen würde, irgendwohin nach Thüringen. Dann war er weg. Nach seiner Rückkehr eröffnete er mir, daß er in Moskau zu den Weltfestspielen gewesen war. Was die Weltfestspiele waren, wußte ich seinerzeit in meiner politischen Unbedarftheit nicht. Und so gab es viel und begeistert zu erzählen über das internationale Jugendtreffen, über die Stadt Moskau, über die Menschen und ihr Leben in diesem für mich damals noch feindlichen Land.
Es faszinierte und interessierte mich. Und damit bekam ich zunehmend ein ganz neues Weltbild; es wurde mit der Zeit immer lebendiger, farbiger und auch mit Theorie und Wissen klarer. Viele Besuche in der DDR fanden statt. Was mir noch in Erinnerung ist, war die regelmäßige Teilnahme an Tagungen des Bundesjugendrings. Das alles interessierte den Verfassungsschutz, der dann auch prompt ein Ermittlungsverfahren wegen Staatsverrats gegen mich eröffnete.
Gute Freunde, die das Procedere auch kannten, rieten mir, schriftliche Unterlagen schnellstens zu vernichten und bei Verhören nur meine persönlichen Daten anzugeben. Das führte dazu, daß das Verfahren ein halbes Jahr später wegen Mangels an Beweisen eingestellt wurde.
Mein damaliger Freund und heutiger Mann bekam noch mehr Probleme. Er wurde nach der 12. Klasse aus dem Gymnasium geworfen und verlor nach einem glänzenden Abschluß seiner Lehre bei der Deutschen Shell seinen Arbeitsplatz mit der Maßgabe, die Firma binnen einer Stunde zu verlassen. Am 1. September 1961 übersiedelten wir in die DDR.

Catharina Winkelmann, Rostock


Nach dem Ende des 2. Weltkrieges haben die Siegermächte auf der Grundlage des Potsdamer Abkommens der deutschen Bevölkerung sowohl in der SBZ als auch in den drei Westzonen den Antifaschismus im Einklang mit den wenigen deutschen Antifaschisten durch Kontrollratsgesetze und Befehle der Militärregierungen "verordnet". Das war richtig und gut so! Es war bitter nötig, klare Verbote auszusprechen, damit faschistische Kräfte nicht wieder ihr Haupt erheben und faschistische Ideologie allmählich aus den Köpfen verschwindet.
Auch die ostdeutsche Bevölkerung bestand mehrheitlich nicht aus Widerstandkämpfern, wenn auch der eine oder andere - wie heute - dies gern glauben machen wollte.
Ohne "verordneten Antifaschismus" in der DDR wäre die Umerziehung großer Teile der Bevölkerung der Kriegs- und Nachkriegsgeneration nicht möglich gewesen. Es ist ein Verdienst der DDR, ihrer Parteien von SED, CDU, LDPD, DBD bis NDPD, ihrer Lehrer und Hochschullehrer, Künstler usw., daß diejenigen, die in der DDR lebten, weit mehr den Antifaschismus verinnerlicht haben und auch bedeutend mehr Wissen über den Faschismus, über dessen Ideologie, dessen Verknüpfungen zwischen Nazis und den Industriellen haben als die, welche in der BRD gelebt haben.
Daß antifaschistischer Geist die DDR prägte, war kein Selbstläufer. Dazu bedurfte es "Verordnungen" und "Anordnungen". Ich kann darin nichts Verwerfliches erkennen, daß in der DDR Antifaschismus verordnet war. Im Gegenteil - wir sollten uns mit Stolz dazu bekennen.
Es wäre besser, wenn auch in der BRD Antifaschismus verordnet gewesen wäre. Die alte BRD kann nur froh sein, daß es Leute wie Fritz Bauer gab, die sich dem Antifaschismus verschrieben hatten. Heute versucht man, es so darzustellen, als ob das Wirken von Fritz Bauer dem damaligen Mainstream entsprochen hätte. Bauer selbst sagte, daß er, als er sein Büro verließ, "Feindesland" betrat, in dem die alten Nazis den Ton angaben. Zu einem verordneten Antifaschismus fehlte in der alten BRD sowohl der nötige Wille als auch die gesellschaftliche Kraft, ihn durchzusetzen.

Hans-Jürgen Joseph, Berlin


Zu Wilfried Steinfath: Als die DDR dem Westen davonflog (RF 241, S. 26)
Das erste deutsche Düsenpassagierflugzeug B 152 stürzte am 4. März 1959 auf seinem Flug zur Leipziger Frühjahrsmesse ab, nachdem es eine Flugvorführung über der Stadt Dresden absolviert hatte. Als Schüler der 12. Klasse an der Oberschule Dresden-Nord (heute Romain-Rolland-Gymnasium), habe ich die B 152 über Dresden fliegen sehen. Ein silberner Vogel am blauen Himmel. Am Abend ein Schock. Mein Vater arbeitete auf dem Flughafen in Klotzsche und war zur Absicherung der Absturzstelle eingesetzt. Er brachte die Schreckensbotschaft mit und berichtete, daß es bereits im Vorfeld mehrere Sabotageversuche gegeben habe. Trotz umfangreicher Absicherung wurden z. B. vor Triebwerkstests in den Aggregaten Schrauben und Muttern gefunden. Deshalb mußte auch der Erstflug am 20. Juni 1958 verschoben werden. Für uns Schüler der Oberschule Dresden-Nord besonders einprägsam: Der Sohn des Flugkapitäns Willi Lehmann ging in die 11. Klasse unserer Schule. Der Absturz der B 152 war geplant, Pullach hatte den Auftrag erteilt und den Tod von Menschen einkalkuliert, ebenso Witwen und Halbwaisen. Immer wieder hört man heute, daß die Opfer der "DDR-Diktatur" lebenslang Opferrenten beziehen müßten. Wer war nun am 4. März 1959 Opfer und wer Täter?

Horst Hommel, Berlin


Ich stimme Carsten Hanke (Leserbrief in RF 241, S. 38) völlig zu, ergänze aber wie folgt: Die meisten Spendenaufrufe, egal ob für einheimische Bürger, Kriegsopfer, Opfer von Naturkatastrophen, für die Krebshilfe usw. wären nicht nötig, wenn die Regierung endlich für die gerechte Besteuerung aller Bürger und Unternehmen sorgen würde. Die Regierungskassen wären dann so gut gefüllt, daß man nicht an uns, die wir oft recht bescheidene Renten und Löhne haben, appellieren müßte, davon noch etwas abzugeben. Aber wir wissen ja: "Sie dachten, sie wären an der Macht, dabei waren sie nur an der Regierung."

Wolfgang Reinhardt, Nordhausen


Im RF Nr. 241 schreiben Leser über ihre Eindrücke von Reisen in die Sowjetunion und ins heutige Rußland. Meine erste Bekanntschaft mit diesem Land machte ich 1971. In Leningrad wurden wir herzlich empfangen. Im Unterschied zu heute stand auch ein Besuch revolutionärer Stätten auf dem Programm. Beeindruckend waren die hellen Nächte, eine Newa-Rundfahrt bis Kronstadt oder auch der Anblick der Peter-Pauls-Festung um Mitternacht. Eine Fahrt mit der U-Bahn oder dem Bus kostete fünf Kopeken.
Mit welcher Selbstverständlichkeit jeder seinem Nachbarn diese Münze in die Hand drückte, um sie bis zum Automaten weiterzureichen, und mit welcher Selbstverständlichkeit der eingelöste Fahrschein zum Fahrgast zurückkam, ist mir bis heute in Erinnerung geblieben.
Der Unterschied zur Gegenwart ist gravierend. Die Menschen hatten eine andere Mentalität. Sie eigneten sich die kulturellen und revolutionären Traditionen an, wovon ich mich damals überzeugen konnte.

Gerd Schulz, Nahetal-Waldau


Als Lesermeinung zum RF möchte ich mit Majakowski sagen: "Für mein ganzes Leben Eindruck machte mir die Fähigkeit der Sozialisten, die Tatsachen zu entwirren, die Welt zu systematisieren." (Aus: Wladimir Majakowski, "Ich selbst")

Andrea Wohlfahrt, Hemmingen


Das Lebenshilfe-Werk Weimar-Apolda e. V. sowie die Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora werden aus Anlaß des 73. Jahrestages der Lagerbefreiung am 14. April um 16 Uhr im Bereich Weimar Kromsdorfer Straße 11/Andersenstraße zur Erinnerung an die jüdischen Häftlinge und an Hans-Gerhard Lehmann jeweils einen Baum im Rahmen des Gedenkprojekts "1000 Buchen" pflanzen.
Am 15. April findet um 10 Uhr im Kinosaal der Gedenkstätte Buchenwald das 9. Treffen der Nachkommen statt, das an den Judenpogrom vom 9./10. November 1938 und die Hilfe des Lagerwiderstands für die Juden im KZ Buchenwald erinnern wird. Im Anschluß wird es ein stilles Gedenken am ehemaligen Block 22 geben.
Wir laden herzlich ein, an unserer Veranstaltung und der anschließenden Ehrung teilzunehmen und würden uns freuen, Sie begrüßen zu dürfen. Die Gedenkveranstaltung des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos findet um 13.30 Uhr auf dem ehemaligen Appellplatz statt.
Um 15 Uhr wird es ein Gedenken am Mahnmal für die jüdische Opfer geben. Anschließend findet die Kranzniederlegung am Glockenturm statt.

Günter Pappenheim, Vorsitzender der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora
Elke Pudszuhn, Vorsitzende des Landesvorstandes Thüringen der VVN-BdA


Korrektur zum Leserbrief von Heinz Heikenroth im RF 242, S. 35
Stellvertretende Bürgermeisterin Teltows war Ellen Wisniewski.


Der im Februar 1998 gegründete "RotFuchs" ist eine von Parteien unabhängige kommunistisch-sozialistische Zeitschrift.

HERAUSGEBER: "RotFuchs"-Förderverein e. V.
Postfach 02 12 19, 10123 Berlin


Das Impressum für die obenstehende Ausgabe ist zu finden unter:
http://www.rotfuchs.net/files/rotfuchs-ausgaben-pdf/2018/RF-244-05-18.pdf

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Quelle:
RotFuchs Nr. 243, 20. Jahrgang, April 2018
Internet: www.rotfuchs.net


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Mai 2018

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