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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1297: Der UAW-Chrysler-Deal


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 7/8 - Juli/August 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Der UAW-Chrysler-Deal
Ein großer Betrug
Die Übernahme von Chrysler durch die Gewerkschaften bedeutet für die Arbeiter erhöhte Ausplünderung

Von Angela Klein


Um Chrysler vor der Insolvenz zu retten, hat die Gewerkschaft UAW dem Chrysler-Konzern enorme Zugeständnisse gemacht - in der Hoffnung auf den Erhalt ihrer Arbeitsplätze. Jetzt ist ihr Geld weg, Chrysler trotzdem bankrott und die Arbeitsplätze futsch. Eine Kriminalstory der eigenen Art.


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Am 26. April unterzeichnete die US-amerikanische Automobilarbeitergewerkschaft UAW ein Abkommen mit dem Chrysler-Management über den Beitrag der Arbeiter und Rentner zur "Rettung" von Chrysler. Die Obama-Regierung hatte das Abkommen zur Voraussetzung für eine Staatshilfe von 6 Mrd. Dollar gemacht; die Summe wurde inzwischen auf 8 Mrd. aufgestockt. Die Vereinbarungen zwischen der UAW und dem Chrysler-Management gelten bis 2015.

Parallel dazu forderte die US-Regierung von den Aktionären, auf Forderungen von 6,9 Mrd. Dollar zu verzichten; dafür sollten sie mit 2,5 Mrd. Dollar entschädigt werden. Die Mehrheit der Aktionäre lehnte dies ab - viele mit der Begründung, ihre Kreditversicherung würde sie im Falle einer Insolvenz gegen den Wertverlust schützen, im Falle eines freiwilligen Abkommens jedoch nicht. Am 29. April platzten deshalb die Verhandlungen zwischen dem US-Finanzministerium und den aus mehr als 40 Hedgefonds bestehenden Gläubigern.

Die Arbeiter waren die einzigen, die bereit waren, Chrysler zu retten und dafür auch mit eigenem Geld einzustehen. Jetzt stehen sie mit leeren Händen da: Chrysler musste Insolvenz anmelden, damit sind die Voraussetzungen, unter denen die UAW ihr Abkommen mit Chrysler geschlossen hat, eigentlich hinfällig. Denn die Eröffnung eines Konkursverfahrens nach Kapitel 11 des US-amerikanischen Insolvenzrechts gibt noch einmal jeder Partei die Gelegenheit, eigene Ansprüche zu formulieren, auch den Aktionären, die leer ausgegangen sind; und natürlich kann der Konkursrichter entscheiden, dass der Deal UAW-Chrysler noch einmal unterboten werden muss. Laut New York Times wird sich das Konkursverfahren noch bis Ende August hinziehen.


Zugeständnisse der UAW

Nachdem das Abkommen mit der UAW unter Dach und Fach war, macht Fiat seinen Deal mit Chrysler perfekt. Fiat bekommt demnach in einer ersten Stufe 35% der Chrysler-Aktien; dafür nutzt es alle Produktplattformen gemeinsam mit Chrysler und verpflichtet sich, in einem Chrysler-Werk in den USA einen Kleinwagen zu produzieren. Fiat stellt Chrysler seine Motorentechnologie zur Verfügung (den 3-Liter-Diesel und den 1,4-Liter Gasmotor), verschiedene Dienstleistungen im Management-, Verkaufs- und Marketingbereich, und übernimmt eine führende Rolle in der Vermarktung von Chrysler-Autos außerhalb Nordamerikas.

Angeblich will Fiat 8 Mrd. Dollar in Chrysler investieren - dazu sollen auch neue Jobs gehören. Zunächst einmal aber werden Jobs abgebaut.

Als die Chrysler-Arbeiter am 29. April dem Abkommen mit Chrysler zu 80% zustimmten, vertrauten sie Gewerkschaftsboss Ron Gettelfinger, dass Chrysler dadurch vor dem Bankrott bewahrt und die Werke erhalten würde. Auch das Chrysler-Management streute diese Behauptung. Im Abkommen werden Werksschließungen mit keiner Silbe erwähnt.

Das war der blanke Betrug. Schon einen Tag nach der Abstimmung wurde bekannt, dass das Werk in Ohio und weitere sieben Werke geschlossen werden sollen. 25.000 Arbeiter sollen ihren Job verlieren.

Was hatten die Arbeiter dafür hergegeben?
Das Abkommen mit Chrysler nötigt ihnen harte Zugeständnisse ab:

alle Vereinbarungen über Lohnerhöhungen aus dem Jahr 2007 sind aufgehoben;
Neueingestellten wird der Lohn um die Hälfte gekürzt - von 29 Dollar Stundenlohn auf 14 Dollar; ihre Einstellung ist bis 2015 befristet, und für die Dauer des Abkommens kommen sie in keine höhere Lohnstufe;
bis 2015 gibt es kein Prämie und keine Lohnerhöhung;
Zuschläge für Überstunden, Samstags- und Sonntagsarbeit gibt es erst, wenn in der vorangegangenen Woche 40 Stunden gearbeitet wurden (und nicht schon nach einem 8-Stunden-Tag). Das Management will vier 10-Stunden-Tage pro Woche als Normalarbeitszeit durchsetzen;
in einer 8-Stunden-Schicht wird die Pausenzeit von 46 auf 40 Minuten herabgesetzt;
der Ostermontag wird als bezahlter Urlaubstag gestrichen;
Leistungszuschläge werden 2009 und 2010 gestrichen, Neueingestellte erhalten gar keine;
Weihnachtsgeld wird 2009 und 2010 gestrichen;
zwischen dem 1. Juni und dem 1. September werden die Arbeiter zwei Wochen lang in Zwangsurlaub geschickt; sie können sich in der Zeit nicht arbeitslos melden;
die Facharbeiter werden in nur noch zwei Lohngruppen zusammengefasst, was bedeutet, dass sie für unterschiedliche Arbeiten eingesetzt werden können.

Kritische Gewerkschafter fürchten, dass hoch bezahlte Arbeit in der US-Autoindustrie bald nur noch bei den Zulieferern zu finden sein wird: "Wir werden jedermanns Arbeit machen" - und das wird nicht nur den Lohn, sondern langfristig auch die Zahl der Arbeitsplätze drücken. Wenn die Arbeit entwertet ist, lassen sich die Arbeitsplätze leichter auslagern.


Streikverbot

Jede Abweichung vom geltenden Abkommen bedarf der Zustimmung des Vizepräsidenten der UAW.

Im Jahr 2011 soll das Abkommen revidiert werden. Wenn es dann Streit gibt, dürfen die Arbeiter aber nicht streiken; ungelöste Konflikte landen zwangsläufig vor dem Schiedsrichter, und auch der ist nicht frei in seinen Entscheidungen, weil Löhne und Zusatzleistungen denen der konkurrierenden Autokonzerne angepasst sein müssen - einschließlich der Unternehmen, in denen es keine Gewerkschaft gibt.

Die Verhandlungen werden zwischen der UAW und der Konzernleitung geführt; die Arbeiter dürfen über ein revidiertes Abkommen nicht einmal abstimmen.

Das ist sicher das schlimmste Zugeständnis - und macht aus einer Interessenvertretung einen Boss.


UAW wird Miteigentümerin

Wenn Arbeiter in den USA im Alter ein Minimum an Krankenversicherung wollen, müssen sie in einen betrieblichen Altersgesundheitsfonds einzahlen - bei Chrysler heißt er Freiwilliger Solidaritätsfonds für die Beschäftigten (VEBA).

Die VEBA ist bereits Ergebnis eines Mammutzugeständnisses, das die UAW im Jahr 2007 an Chrysler gemacht hat, als der Konzern, der 1998 mit Daimler fusioniert hatte, abstürzte und Daimler seine Anteile an die Heuschrecke Cerberus Capital Management verkaufte. Die UAW erließ Chrysler damals Zahlungen in den Altersgesundheitsfonds in Höhe von 12 Mrd. Dollar. Chrysler sollte dafür 8,6 Mrd. Dollar in die neu gegründete VEBA einzahlen.

Aus dem Altersgesundheitsfonds bezahlt die UAW jetzt ihren Anteil an Chrysler-Aktien (55%), der sie zur Mehrheitsaktionärin des Konzerns macht. Die Hälfte des Vermögens von VEBA (es beträgt insgesamt 4,587 Mrd. Dollar) wird in Aktien des neu strukturierten Chrysler-Konzerns umgewandelt.

Die Arbeiter von Chrysler geben dem Konzern also eine Liquiditätsspritze in Höhe von fast 2,3 Mrd. Dollar; dafür bekommen sie 55% der Chrysler-Aktien. Die UAW pumpt über 2 Mrd. Dollar in Aktien, die nichts mehr wert sind, nachdem sie vor zwei Jahren schon einmal auf 3,4 Mrd. Dollar verzichtet hat - immer auf Kosten der Gesundheitsversorgung der verrenteten Chrysler-Arbeiter und durch Raub an ihrem Ersparten.

Der Rentenfonds wird von einem elfköpfigen Ausschuss verwaltet, der aus fünf Gewerkschaftsmitgliedern und sechs "Unabhängigen" besteht. Der Fonds kann, mit Zustimmung der UAW, ein Mitglied in den Chrysler-Vorstand entsenden (der zugleich Aufsichtsratsfunktionen hat). Auf dem Papier hält die Gewerkschaft die Aktienmehrheit, aber sie darf nur einen Vorstand stellen und hat "keine weiteren Managementrechte", wie die Regierung betont. Das Aktienpaket der UAW wird außerdem vom Finanzministerium verwaltet.


Fiat gewinnt

Den Reibach macht Fiat. Der italienische Autokonzern, der mit allen Mitteln versucht, durch preiswerten Zukauf und Ausschlachtung strauchelnder Konkurrenten selber zu überleben, übernimmt 35% der Anteile - das gibt ihm ein Anrecht auf drei Vorstandssitze und überträgt ihm die Kontrolle über das operative Geschäft. Fiat wird alle Freiheiten haben, Chrysler nach Belieben auszuweiden; die Arbeiter dürfen zahlen und sollen ansonsten den Mund halten.

Die verbleibenden 10% Aktienanteile teilen sich Kreditgeber und die US-Regierung. In den neuen Chrysler-Vorstand werden neun Personen entsandt: von Fiat (3), der UAW (1), der kanadischen Regierung (1) und der US-amerikanischen Regierung (4).

Wenn der zeitweilig ausgesetzte Handel mit Chrysleraktien wieder anläuft, kann VEBA seine Aktien wieder verkaufen. Allerdings darf VEBA maximal 4,25 Mrd. Dollar Erlös daraus erzielen; alles, was darüber hinausgeht, muss der Fonds an die Regierung abtreten - dies sei die Gegenleistung der UAW für den 8-Mrd-Dollar-Kredit der US-Regierung, heißt es. Wurde Fiat eine ähnliche Auflage gemacht?

Darüber hinaus werden auch noch die Leistungen aus dem Altersgesundheitsfonds gekürzt: Zahnbehandlungen und viele weitere Leistungen werden nicht mehr ersetzt; für andere werden Zuzahlungen verlangt.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 7/8, 24.Jg., Juli/Aug. 2009, Seite 14
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juli 2009