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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1343: Werft in Palermo - "Ich kämpfe um meine Würde"


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 11 - November 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Fincantieri, eine Werft in Palermo
"Ich kämpfe um meine Würde"

Von Angela Huemer


Auf der Werft in Sizilien kämpfen Arbeiter für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz. Dafür werden sie entlassen. Angela Huemer sprach mit Salvatore Palumbo.


Palermo im Oktober 2009. Früher Abend am Hafen, lebhaftes Kommen und Gehen, die großen Fähren bereiten sich auf ihre Ausfahrt vor. Neben und hinter dem Hafen für Fracht-, Fahr- und Kreuzfahrtschiffe sind die Hallen und großen Kräne des Schiffsbauunternehmens Fincantieri. Fincantieri ist die größte italienische Werft, zu 98% in Staatsbesitz, der Hauptsitz befindet sich in Triest. In den Häfen Monfalcone und Marghera (Venedig) an der Adria und in Genua am Ligurischen Meer werden Kreuzfahrtschiffe gebaut. Weitere Werften betreibt das Unternehmen in Ancona, Castellamare di Stabia (bei Neapel) und Palermo.

Während die Kreuzfahrtwerften boomen, eine kleine neue Abteilung in der ligurischen Hafenstadt La Spezia Megayachten baut und in den USA Kriegsschiffe gebaut werden, wird die Werft in Palermo seit den 70er Jahren immer mehr vernachlässigt. Wurden hier früher ganze Schiffe gebaut, entstehen heute nur noch Schiffsteile. In den 60er Jahren waren hier noch 15.000 Menschen beschäftigt, schon in den 70er Jahren aber nur noch rund 2000. Heutzutage arbeiten wenig mehr als 500 Menschen bei Fincantieri direkt, rund 700 für diverse Zuliefererfirmen.

Inmitten der Container und Lastwagen, die sich in eine der Fähren einschiffen, treffe ich Salvatore Palumbo, einen Arbeiter von Fincantieri. Er will mir seinen Arbeitsplatz zeigen, die Werft Fincantieri - d.h. seinen ehemaligen Arbeitsplatz, denn seit dem 30. August 2007 darf er dort nicht mehr arbeiten. Seither kämpft er um seine Wiedereinstellung, bislang vergeblich. Eigentlich kämpft er um seine Würde, sein Anliegen, die Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen sicherer zu machen; dieser Kampf begann schon, als er noch für Fincantieri arbeitete: Und natürlich geht es auch um die Existenzgrundlage für ihn und seine Familie.


Klassenkampf

Am Tag zuvor erzählt mir Salvatore in ruhiger Umgebung mit Blick auf die Kräne von Fincantieri seine Geschichte. Oft nimmt er dabei Wörter wie "lotta di classe", "Klassenkampf", "dignità del lavoratore" in den Mund. Aus seinem Mund haben diese Wörter eine ganz andere Bedeutung, sie geben Hoffnung. Er erzählt mir seine Geschichte von Anfang an. Aufgewachsen ist er in einem Arbeitervorort von Palermo, Borgonovo. Sein Vater arbeitete für das Fährunternehmen Tirrenia, oft war er nicht da. Sein Onkel Giuseppe, der Bruder seiner Mutter, wurde zu einer Art Ersatzvater. Keine 8 Jahre alt, wurde er damit konfrontiert, wie gefährlich Arbeit sein kann: Sein geliebter Onkel Giuseppe kommt bei der Arbeit ums Leben, ein Riesenschock - er wurde wohl geköpft, ich will nicht genauer nachfragen, wie es passiert ist. Während unseres Gesprächs fällt es Salvatore schwer, sitzen zubleiben, fast ist es so, als ob er all das, was er mir erzählt, in dem Moment auch direkt wieder erlebt.

Seine Frau Angela, hat er schon im Kindergarten kennengelernt, als Teenager emigrierte sie mit ihrer Familie in den Norden, nach Bologna. Salvatore vermisst sie, mit 17 geht auch er in den Norden, zum Militär nach Padua. Nach zwei Jahren beim Militär geht er zu Angela nach Bologna, er wird Facharbeiter, Metallarbeiter. Als er genügend Erfahrung hat, arbeitet er selbstständig, zwei Monate für die eine, drei Monate für die andere Firma. Er und Angela heiraten, der älteste Sohn wird geboren. Es geht ihnen gut in Bologna, seine Frau arbeitet für eine Wäschefirma, gemeinsam verdienen sie gegen Ende der 90er Jahre rund 7000 Mark im Monat.

Doch das Heimweh nagt. Als sie nach Weihnachten wieder die Fähre in den Norden nehmen, meint er zu seiner Frau, wie es denn wäre, hier am Hafen, in der Werft zu arbeiten. Sie entscheiden zurückzukehren. 2001 bewirbt er sich bei Fincantieri Palermo und bekommt etwas zu hören, was im Süden Italiens (und nicht nur dort) zum traurigen Standard gehört: "Haben Sie eine Empfehlung?" Salvatore gibt nicht auf, er ruft die Zentrale des Unternehmens in Triest an und meldet den Zwischenfall. Mit Erfolg, doch man fragt ihn auch, ob er denn tatsächlich in Palermo für Fincantieri arbeiten will, die Niederlassung dort sei auf dem absteigenden Ast. Tatsächlich, schon zwei Jahre später, 2003, werden in Palermo keine ganzen Schiffe mehr gebaut.

Doch Salvatore tritt seine Arbeit an, zu groß ist der Wunsch, wieder nach Sizilien zu kommen. Die zwei jüngeren Söhne werden geboren. Nach und nach merkt er, worauf er sich eingelassen hat. "Beruflich und menschlich bin ich im Norden erwachsen geworden", meint Salvatore. Unter seinen Kollegen gebe es kein Klassenbewusstsein, von vornherein seien sie unterwürfig, "sie senken den Kopf, nur um sich ihr täglich Brot zu verdienen", meint er. Schon nach 20 Tagen Arbeit bei Fincantieri macht er anonym auf untragbare Verhältnisse aufmerksam: Dort, wo der Schiffsrumpf gebaut wird, herrschen verheerende hygienische Verhältnisse. Theoretisch müssten die Toiletten jede Stunde gereinigt werden. Ein Subunternehmen ist dafür verantwortlich. Das Unternehmen hat anfangs noch 1 Mio. Euro dafür erhalten, erzählt Salvatore, dann hat Fincantieri es unter Druck gesetzt, der Auftrag würde nur vergeben zum Preis von 700.000 Euro. Das Resultat: Die Klos sind unbenutzbar, die menschlichen Bedürfnisse werden am oder nahe beim Arbeitsplatz erledigt. Die Gesundheit der Arbeiter leidet. "Ich hab diese Dinge angezeigt, zunächst anonym."


Unsichere Bedingungen mit dramatischen Folgen

Neben der mangelnden Hygiene gibt es viele Sicherheitsprobleme: Keine geeigneten Leitern, Löt- und Malereiarbeiten werden ohne die notwendigen Absaugegeräte durchgeführt. Wenn sich ein Arbeiter verletzt, wird ihm nahegelegt, sich aus anderen Ursachen krank zu melden, damit die Statistik über Arbeitsunfälle geschönt werden kann. Fast jeden Tag gab es etwas, was er melden musste.

2002 explodiert eine Sauerstoffleitung, das schadhafte Teil der Leitung war nicht ersetzt worden, nur mangelhaft repariert. Ein Arbeiter wird schwer verletzt. Zwei Jahre danach dann das einschneidende Erlebnis. Einer seiner Kollegen, der sein bester Freund geworden war, Enzo, stürzt von einer Leiter und stirbt vor seinen Augen. Enzo war verheiratet, seine kleine Tochter war nur drei Monate alt, als er verunglückte. Salvatores Engagement wird noch intensiver. Noch vor dem Tod Enzos hat er wegen mangelnder Sicherheitsbedingungen die Arbeit an einem großen Schiff blockiert, 1000 Arbeiter unterbrachen ihre Tätigkeit. Er wird bedroht, man verabreicht ihm Valium. Der Arbeitgeber versucht, ihn gegen seine Kollegen auszuspielen, ihn eine Weile als Privilegierten darzustellen, um den Neid der anderen anzustacheln. 2007 wird er von der Werft abgezogen und in das Hafenbecken versetzt, einen Monat arbeitet er unter Tage, obwohl er nachweislich unter Klaustrophobie leidet.


Die Entlassung

Für die Entlastung des Unruhe stiftenden Arbeiters hat man sich bei Fincantieri einen Vorwand ausgedacht. Während der Arbeitszeit sei Salvatore im Bereich des Werftbeckens, wo er arbeitete, "in flagranti" beim Angeln erwischt worden. Tatsächlich hatte er die illegale Anwesenheit eines Fischerbootes angezeigt - illegal, weil es das Gelände der Werft war und weil in diesem Bereich die Wasserqualität nicht annähernd zum Fischen geeignet ist.

Hier entleeren bisweilen die großen Kreuzfahrtschiffe ihre Fäkalientanks. Salvatore hat den Beweis, der seine Entlassung null und nichtig machen kann, er spürt die Fischer wenige Tage später auf, sie geben an, sich dort befunden zu haben. All diese Unterlagen hat er bei sich.

Als er mir seine Geschichte erzählt, zeigt er mir wiederholt Dokumente und Fotos, er hat noch keinen Computer, sagt er, darum trägt er das alles in dieser Form mit sich. Auf seinem kleinen, tragbaren DVD-Player zeigt er mir Fotos vom Inneren des Werftbeckens. Haarsträubende Dinge sind zu sehen, u. a. ungesicherte Starkstromkabel nicht weit entfernt von kleinen Wasserpfützen.

Kurz bevor er entlassen wird, bietet ihm Fincantieri 25.000 Euro und eine Anstellung in Genua - nur um ihn loszuwerden. Doch er weigert sich. Er legt seine Beweise vor, ein "Versöhnungstermin" zwischen ihm und Fincantieri wird beim Arbeitsamt der Provinz Palermo anberaumt. Kein Vertreter von Fincantieri erscheint. Zudem wird ihm die Anwendung des sog. Art. 700 verweigert: Dieser Artikel besagt, dass ein Arbeiter wieder angestellt wird, solange um die Rechtmäßigkeit der Kündigung gestritten wird.


Die Offensive

Salvatore gibt nicht auf. Gemeinsam mit einem Kollegen stellt er ein minutiöses Dossier zusammen, das die unsicheren Arbeitsbedingungen dokumentiert. In Kenntnis der lokalen Praxis des "Unter-den-Tisch-fallen-lassens" legen sie das Dossier zunächst der städtischen Polizei vor und lassen es sich bestätigen. Dann gehen sie zu den Carabinieri und später zur Gesundheitsbehörde. Um ein Zeichen zu setzen, steigt Salvatore im Juni 2008 auf die Säule, die zum Gedenken des ermordeten Staatsanwaltes Giovanni Falcone errichtet worden war - Falcone wurde Anfang der 9oer Jahre von der Mafia ermordet. Kurz darauf führen die Behörden erfolgreich eine Razzia bei Fincantieri durch - erfolgreich auch deshalb, weil sie zwei Tage vor dem angekündigten Termin durchgeführt wurde.

Die Arbeitskollegen helfen Salvatore, sie sammeln, viele geben ihm den Lohn für vier Stunden Arbeit. Immer noch unterstützen sie ihn finanziell. Er erhält nämlich keinerlei Arbeitslosengeld. Ein halbes Jahr nach seiner Entlassung, im Dezember 2007, wird er Mitglied des "Rete nazionale per la sicurezza sui posti di lavoro" (Nationales Netzwerk für Sicherheit am Arbeitsplatz). Dieses Netzwerk versucht Basisgewerkschaften, Betroffene, Hinterbliebenenverbände, lokale Netzwerke und Unterstützer, wie Intellektuelle und Journalisten, zusammenzuführen. Salvatore wird Vertreter für Sizilien. Zum Treffen in Rom Mitte Oktober kann er nicht fahren, er hat das Geld nicht dazu. "So geht es vielen unserer Mitstreiter", erzählt Enzo Diano, ein Vertreter des Netzwerks aus Ravenna, Mitglied der "Cobas", der Basisgewerkschaft, "wir finanzieren uns alles selbst. Unser nächstes großes Vorhaben ist eine Demonstration in Turin am 10. Dezember anläßlich eines Prozesses wegen Asbestverseuchung."


Fortsetzung folgt...

Salvatores Kampf geht weiter. Eben hat er ein Angebot von Fincantieri abgelehnt, für eine Zahlung von 80.000 Euro seinen Kampf um Wiedereinstellung aufzugeben.

Es ist Abend geworden, Salvatore hat mir auch noch das "bacino" gezeigt, das Becken, in dem er unter Tage arbeiten musste. Die Arbeiter ließen uns rein für kurze Zeit. Wir bleiben nicht lange, "sonst holen sie doch noch die Carabinieri", meint Salvatore. Wir fahren beim Haupteingang der Werft vorbei, einige Arbeiter stehen davor, grüßen Salvatore, der Wärter drückt ein Auge zu, "eigentlich dürftet ihr hier nicht mit einer Kamera sein, aber ich habe Verständnis für euer Anliegen". Dann führt Salvatore mich in eine Seitenstraße und zeigt mir Graffitis, "Stellt Salvatore wieder ein", "Padroni Assassini". Solche Transparente waren eine Weile hier überall zu sehen, sagt er stolz.

Wir fahren zurück ins Zentrum. Als ich mich bei der Kathedrale verabschiede, kommt zufällig einer seiner Kollegen vorbei, Salvatore stellt mich vor und erzählt dem Kollegen, dass er weiter kämpft und soeben 80.000 Euro abgelehnt hat. Gut so, meint dieser, wir stehen zu dir. In Kürze plant Salvatore eine weitere Aktion, er will sich als Fincantieri verkleiden und an einer Kreuzung Palermos Windschutzscheiben putzen; Mitte Oktober hatte er an einem Sit-In vor dem Werfteingang teilgenommen. Die Polizisten und Carabinieri sind wohlwollend, erzählt er, er ist aber auch schon massiv bedroht worden.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 11, 24.Jg., November 2009, Seite 14
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Dezember 2009