Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1528: Kroatien - Soziale Proteste und Forderung nach Neuwahlen


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 4 - April 2011
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Kroatien
Soziale Proteste und Forderung nach Neuwahlen

Von Heiko Bolldorf


Seit dem 22. Februar finden in Zagreb Demonstrationen gegen die konservative Regierung von Ministerpräsidentin Jadranka Kosor von der Partei HDZ (Hrvatska Demokratska Zajednica - Kroatische Demokratische Gemeinschaft) statt. Tausende gehen auf die Straße, und die Proteste haben sich auch auf andere kroatische Städte ausgeweitet.


Hintergrund ist die soziale Ausgrenzung Im Land: Im Februar wurden 336.411 Personen als erwerbslos registriert - das ist das höchste Niveau seit fünf Jahren. Hinzu kommen 70.000 Beschäftigte, die seit Monaten keinen Lohn mehr erhalten haben. Ein besonderes Problem ist die Jugenderwerbslosigkeit: Unter den 15- bis 24-Jährigen betrug sie Ende 2009 25%, über die Hälfte der Erwerbslosen sind Frauen. 88% aller 2010 Neueingestellten erhielten einen befristeten Vertrag.

Hintergrund für diese Situation ist die Deindustrialisierung Kroatiens: In den 90er Jahren fiel ein Großteil der Betriebe an wenige dem Präsidenten Tudjman nahestehende Personen, denen es nur darum ging, Vermögen abzuziehen statt in die Produktion zu investieren. Infolgedessen lebt Kroatien heute einseitig von Tourismus, Handel und Finanzgeschäften - auf letzterem Gebiet dominieren österreichische Banken. Deren Kredite ermöglichten die von 2002 bis 2007 beachtlichen Wachstumsraten von 4-5%. Das Wachstum auf Pump - 2009 mussten 43% der Kroaten mehr als 20% ihres Einkommens für den Schuldendienst aufbringen - endete mit dem Beginn der Weltwirtschaftskrise 2008; die Kreditbedingungen sind seitdem restriktiver, das Wachstum sank 2008 unter 3%, 2010 schrumpfte die Wirtschaft um 1,7%. Die Regierung antwortete mit einem rigorosen Sparprogramm, zu dem Gehaltskürzungen im öffentlichen Dienst und eine befristete Krisensteuer gehörten. Zu dieser Situation hinzu kommen regelmäßig Korruptionsskandale in den Reihen der Regierungspartei HDZ.

Inhaltlich sind die Proteste diffus: Ihr gemeinsamer Nenner ist die Forderung nach sofortigen Neuwahlen. Von anarchistischen und kommunistischen bis zu faschistischen Organisationen ist das gesamte Spektrum vertreten. Die Koordination findet ausschließlich über Facebook statt, gemeinsame Plena, wo über inhaltliche Orientierungen diskutiert werden könnte, gibt es nicht. Ein großes Problem ist die Passivität der Gewerkschaften: Die fünf repräsentativen Dachverbände haben sich auf einen Forderungskatalog mit Antikrisenmaßnahmen geeinigt, der der Regierung im Wirtschafts- und Sozialrat, einem tripartistischen Gremium, vorgelegt werden soll; stimmt sie nicht zu, rufen die Gewerkschaften ihre Mitgliedschaft für Ende März zu Protesten auf - nicht etwa jetzt, wo die Menschen schon auf der Straße sind!

Laut Umfragen unterstützen 70% der Bevölkerung die Proteste, 75% sind mit der Arbeit der Regierung unzufrieden. Gleichzeitig gilt die oppositionelle Sozialdemokratie den meisten nicht als Alternative.

Deshalb stellt sich die Frage, ob das inhaltliche Vakuum Raum für eine rechtspopulistische Formierung bieten könnte. Ein Anknüpfungspunkt könnte die Anti-EU-Stimmung sein - gegenwärtig ist die Mehrheit gegen den EU-Beitritt. Hinzu kommen zwei potenzielle Führerfiguren von rechts: zum einen der als eine Art Bewegungssprecher gehandelte Ivan Pernar, der auf der Homepage seines Savez za promjene (Bund für Veränderungen) einen vollständig deregulierten Kapitalismus fordert und Südkorea als Vorbild preist. In Redebeiträgen warf er in einem Rundumschlag allen linken Organisationen, selbst den Anarchosyndikalisten, vor, sie wollten eine Ein-Parteien-Diktatur errichten. Seine Regierungskritik beschränkt sich auf Antikorruptionismus. Die andere Figur ist Pero Kovacevic. Er wurde wegen seiner Unterstützung der Proteste aus der Leitung der HSP (Hrvatska Stranka Prava - Kroatische Partei des Rechts) ausgeschlossen. Diese Partei ist mit einem Sitz im Parlament vertreten und repräsentiert den äußersten rechten Rand des Konservatismus.

Gegen die Befürchtung spricht zum einen die Tatsache, dass Nationalfahnen zwar zu sehen sind, aber das Bild der Demonstrationen nicht dominieren. Zum anderen wird eine Beteiligung der Gewerkschaften von den Teilnehmenden selbst gefordert, was auf den Wunsch nach einer schlagkräftigen sozialen Interessensvertretung hinweist.

So bleibt die Hoffnung auf eigenständige Lernprozesse der Demonstranten jenseits von etablierten Organisationen. Wesentlich wäre hier die Vernetzung mit Protesten in anderen südost-europäischen Ländern wie Griechenland - so könnte die Anti-EU-Stimmung in eine sozial progressive statt nationalistische Richtung gelenkt werden und dem verschärften neoliberalen Kurs der EU Grenzen setzen.


*


Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 4, 26.Jg., April 2011, S. 11
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
Telefon: 0221/923 11 96
E-Mail: redaktion@soz-verlag.de
Internet: www.sozonline.de

Die Soz erscheint monatlich und kostet 3 Euro.
SoZ-Probeabo: 3 Ausgaben für 10 Euro
Normalabo: 55 Euro
Sozialabo: 26 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. April 2011