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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1530: Polen - "Die Zukunft der Kirche wird eine radikal andere sein"


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 4 - April 2011
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Polen
"Die Zukunft der Kirche wird eine radikal andere sein"
Interview mit dem Theologen Stanislaw Obirek

Von Norbert Kollenda


Von außen wird die römisch-katholische Kirche (in der Folge ist diese Kirche gemeint) in Polen als eine starke Kraft wahrgenommen, die fast die ganze Bevölkerung hinter sich hat. Volle Kirchen und Massenversammlungen prägen das Bild, aber stimmt es? In letzter Zeit nehmen die Vorwürfe gegen die Kirche in Polen zu. Jetzt hat nicht nur die antiklerikale Fakty i Mity, sondern auch die Gazeta Wyborcza deutliche Kritik an der Rückgabe von Vermögen an die Kirche geübt. Experten haben herausgefunden, dass der Kirche nominell ein Vermögen von 24 Milliarden Zloty zugesprochen wurde, der Wert der Grundstücke und Immobilien jedoch manipuliert worden sei und real bei 100 Milliarden (ca. 25 Mio. Euro) liege. Diese Fragen regelt eine Kommission aus Vertretern der Regierung und der Kirche, gegen sie gibt es kein Einspruchsrecht! Das Gesetz hat schon die Jaruzelski-Regierung - also vor 1989! - beschlossen. Hier geht es nicht nur um eine "Rückgabe", sondern um eine Bereicherung auf Kosten der Steuerzahler. Die Kommission hat die Grundstücke und Immobilien unter Wert veranschlagt und sich auch nicht gescheut, der römisch-katholischen Kirche Vermögen der evangelischen Kirche aus ehemaligen deutschen Gebieten zuzuschlagen.

Es gibt ein weiteres Problem, das Furore macht. Das ist das Medienimperium von Pater Rydzyk um Radio Maryja, ein Sender, der Vorurteile und Hasstiraden verbreitet. Dem gebieten die polnischen Bischöfe keinen Einhalt. Auf der anderen Seite werden hervorragende Theologen gemaßregelt, wenn sie Kritik an der Kirche üben. So auch der Theologe Wlawski, der dafür sorgte, dass endlich dem Posener Erzbischof Paetz, der sich Seminaristen ins Bett holte, das Handwerk gelegt wird. Der Bischof ging in Ruhestand und glänzt jetzt wieder bei Feierlichkeiten in der ersten Reihe. Prof. Wlawski dagegen fiel in Ungnade und verlor seinen Posten. Inzwischen ist er sogar aus der Kirche ausgetreten. Ein anderer Theologe, Bartos, verließ vorsorglich seinen Orden, um eine kritische Analyse über das Pontifikat des polnischen Papstes zu schreiben. Auch dem Theologen Stanislaw Obirek wurde ein Maulkorb verpasst.


Stanislaw Obirek ist ein hervorragender polnischer Theologe, er hat als Jesuit nicht nur In Polen, sondern auch in Neapel und an der Gregoriana in Rom studiert. Dort konnte er erleben, wie offen und kritisch nicht nur die Studenten aus aller Welt, sondern auch die Professoren sich mit Kirche und Religion befassten, ihm wurde ein Maulkorb verpasst, weil er es gewagt hatte, die Amtsführung des polnischen Papstes kurz nach dessen Tod zu kritisieren. Im Herbst 2005 trat er aus dem Orden aus und legte sein Priesteramt nieder. Er hat auch in Krakau in polnischer Geschichte habilitiert und ist jetzt Professor der Fakultät für Internationale Beziehungen und Politologie an der Universität Lódz. Norbert Kollenda befragte ihn zur Lage der Kirche In Polen.


SOZ: In der letzten Zeit nimmt die Kritik an der römisch-katholischen Kirche in den polnischen Medien zu. Viele Menschen sind sehr wütend über die Raffgier der katholischen Kirche, wie sie bei der Regelung der Vermögensfragen zum Ausdruck kommt. Wie siehst du das?

STANISLAW OBIREK: Das stimmt, aber es geht nicht nur um das Vermögen, das die römisch-katholische Kirche sich nimmt, und auch nicht nur um die Auffassungen, die die liberale Presse äußert.

Schon seit vielen Jahren zeigen soziologische Untersuchungen über Religiosität, dass die Bedeutung der Kirche im öffentlichen und privaten Leben der Polen schwindet. Darüber kann auch das Phänomen nicht hinwegtäuschen, dass zu bestimmten Anlässen Massenveranstaltungen das Bild bestimmen. Darüber gibt es zahlreiche Untersuchungen von Prof. Baniak aus Posen. Er orientiert sich nicht nur an oberflächlichen Zahlen, sondern stellt Fragen, aus denen sich Schlüsse über den erklärten Glauben und seine Umsetzung in die tägliche Praxis ziehen lassen. Die kirchlichen Feiern von Taufe, Hochzeit bis zur Beerdigung sind kein Ausdruck von Glaube und Religion, sondern gehören einfach zum gesellschaftlichen Brauchtum. Baniak führt seit Jahren zahlreiche soziologische Untersuchungen über das religiöse Verhalten der Menschen durch. Die Ergebnisse haben den kirchlichen Amtsträgern nicht gefallen - weil nicht sein kann, was nicht sein darf. So musste er die Theologische Fakultät verlassen und ist jetzt an der Soziologischen Fakultät in Posen.

SOZ: Die Kirche genoss früher ein großes Ansehen. Es wird davon ausgegangen, dass sie während der Teilung Polens der Kitt war, der die Polen zusammengehalten hat. In der Zeit der Volksrepublik Polen sei die Kirche der Hort des Widerstands gewesen.

STANISLAW OBIREK: Das ist einer der Mythen, die den Sachverhalt etwas überzogen darstellen. Das heißt allerdings nicht, dass die Rolle der Kirche bedeutungslos gewesen wäre. Ich selbst habe in den 70er Jahren in der Kirche einen wichtigen Ort des Widerstands gegen den Totalitarismus gesehen, und deshalb habe ich mich entschlossen, in den Jesuitenorden einzutreten.

Allerdings sollten wir beim genaueren Hinsehen etwas vorsichtiger sein und keine Schwarz-Weiß-Malerei betreiben. Erst jetzt beginnen Historiker, sich mit diesem Teil der polnischen Geschichte genauer zu befassen. Die kirchlichen Würdenträger haben sich in der Geschichte oft den politischen Gegebenheiten angepasst. Schließlich war es immer der Wunsch des Vatikans, den Status quo anzuerkennen. Von Gegnerschaft kann nicht unbedingt gesprochen werden. So war ein bekannter Bischof, Ignacy Krasicki, mit dem preußischen König Friedrich II. befreundet. Die Jesuiten waren unter der Zarin Katharina privilegiert und durften eine Schule leiten, in die orthodoxe Jugendliche gingen.

Aber auch die jüngste Geschichte belegt eine gewisse Zweischneidigkeit im Verhalten des Episkopats. So war Karol Wojtyla erst der fünfte Kandidat, den der Staat als Bischof von Krakau akzeptiert hat - von ihm haben sie wohl ein gewisses Wohlverhalten erwartet. Auch haben die vielbeschworenen "bösen Kommunisten" den Kirchenbau wohl behindert - aber es wurden in dieser Zeit mehr Kirchen gebaut, als in den Jahrhunderten zuvor.

SOZ: Viele Kritiker haben nach 1989 der Kirche und der Politik vorgeworfen, die neuen Gesetze unter dem Einfluss der kirchlichen Normen gemacht zu haben, das Konkordat habe quasi die Verfassung ersetzt.

STANISLAW OBIREK: So würde ich es nicht sagen. Das Konkordat reguliert die Beziehungen von Kirche und Staat, das gilt nicht nur für Polen. In der Verfassung ist ganz klar die Trennung von Kirche und Staat niedergeschrieben. Das Problem liegt nicht darin, dass es ein Konkordat gibt, sondern in seiner praktischen Anwendung. Sie führt dazu, dass die katholischen Bischöfe de facto zu einer mitregierenden Macht werden, das ist nicht nur irritierend, sondern auch gefährlich. Das ist nirgends geregelt, es wird hinter verschlossenen Türen gemacht. Oft scheint nur ein Stirnrunzeln eines Bischofs zu genügen. Als jüngstes Beispiel mag die Absicht der Staatssekretärin für Gleichstellung genannt sein. Teresa Jakubowska von der "Polnischen Linken Racja" ist eine aufmerksame Beobachterin, sie hat dies offen gelegt und zusammen mit anderen die Absetzung dieser Staatssekretärin gefordert. Leider ohne Erfolg.

SOZ: Die Kirche ist vor allem auch wegen ihrer verlogenen Sexualmoral in Verruf gekommen. Was ist passiert? Was bringt die Menschen auf?

STANISLAW OBIREK: Die Jugend lässt sich von der Kirche keine Vorschriften mehr machen. Doch besonders in diesem Bereich nehmen die Bischöfe Einfluss auf die Gesetzgebung.

Was den Missbrauch in der Kirche angeht, so wissen die Gläubigen zwar hier und da, was ihre Priester treiben, aber es wird unter den Teppich gekehrt, es kommt nicht an die Öffentlichkeit. Öffentlich wurden nur vereinzelte Fälle. Leider sind wir noch nicht soweit. Die Opfer werden eingeschüchtert, und auch die Justiz ist sehr "zurückhaltend", was Priester anbelangt. In den öffentlichen Medien ist darüber kaum etwas zu hören oder zu lesen. Die einzigen sind linke oder antiklerikale Publikationen, wie Fakty i Mity oder auch Internetportale, die darüber berichten und sich auch einsetzen.

SOZ: In den Schulen gibt es das Pflichtfach Religion oder Ethik. Ethik nur zu einem ganz geringen Prozentsatz angeboten wird. hat sich die Kirche angeboten, auch Ethikunterricht durchzuführen! alles römisch-katholisch!

STANISLAW OBIREK: Auch hier möchte ich mich auf die Untersuchungen von Prof. Baniak berufen. Aus ihnen geht eindeutig hervor, dass der Religionsunterricht in den Schulen der wichtigste Faktor ist, der die Jugendlichen aus der Institution Kirche vertreibt. Religion oder Ethik sind ein obligatorisches Schulfach, und Ethik wird fast gar nicht angeboten. So sind fast alle (über 90%) gezwungen, am Religionsunterricht teilzunehmen, den die große Mehrheit sehr kritisch sieht. Sogar in kleinen Städten, scheint es, bleiben Jugendliche gruppenweise dem Unterricht fern. Und die Religionslehrer sind frustriert, weil sie Hochschätzung und nicht Verachtung gewohnt sind.

SOZ: Früher gab es katholische Bewegungen von intellektuellen um die Zeitschrift ZNAK und andere, aber die sind wohl ausgestorben? Gibt es innerhalb der Kirche überhaupt eine kritische Bewegung?

STANISLAW OBIREK: In einem geringen Maße gibt es kritische Stimmen noch bei den erwähnten Zeitschriften, wie Znak, Wiez und Tygodnik Powszechny Katolicki. Schließlich waren sie für uns in der Jugend das Fenster, aus dem wir sehen konnten, dass eine andere Kirche möglich ist. Sie waren es auch, die damals den sexuellen Missbrauch durch Erzbischof Paetz (2002) in die Öffentlichkeit brachten. Sie brachten ein Interview mit Professor Tomasz Wlawski, dem Rektor des Priesterseminars, mit dem Titel: "Sünde in der Kirche".

Aber eine kritische Bewegung ähnlich wie in Deutschland, wie "Wir sind Kirche" oder "Kirche von unten", gibt es bei uns nicht, da hinken wir 200 Jahre hinterher. Es gibt eine offenbar lose Verbindung von Priestern, die verheiratet sind - jährlich hängen etwa 60 ihren Beruf an den Nagel. Dann gibt es noch manche Theologen. Wir haben uns die Finger verbrannt und haben keine Absicht, in irgendeiner Weise oppositionell tätig zu werden. Ich sehe meine Aufgabe eher darin, dies(e Fragen) in sokratischer Weise anzugehen. Das habe ich auch in meinem letzten Buch Liberated Mind: In Search of Mature Catholicism gemacht.

SOZ: Hat die römisch-katholische Kirche in Polen eine Zukunft und woran machst du sie fest?

STANISLAW OBIREK: Die Kirche hat sich niemals von innen heraus erneuert. Dies wurde ihr Immer von außen aufgezwungen. Jetzt sind es solche äußeren Bedingungen wie die Globalisierung und die Säkularisierung. Die Grenzen sind offen, unsere Landsleute lernen andere Länder und Kulturen kennen. Sie lernen auch andere Formen, Religion und Glaube auszuüben. Es liegt nach meiner Auffassung als Anthropologe in der Natur des Menschen, nach Ursprung und Sinn zu fragen, letzten Endes hat dann auch - auf welche Weise auch immer - die christliche Kirche eine Zukunft. Aber das wird eine radikal andere Zukunft sein, auf welche Weise, ist schwer zu sagen. Doch zunächst wird sie viele Federn lassen müssen. Spanien und Frankreich sind gute Beispiele dafür.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 4, 26.Jg., April 2011, S. 12
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Mai 2011