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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1545: Was ernährt die Welt?


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 6 - Juni 2011
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Was ernährt die Welt?

Von Angela Klein


Die Jahre 2007-2009 werden uns in Erinnerung bleiben, nicht allein wegen der Immobilienblase und des darauf folgenden Bankenkrachs, sondern auch wegen des scharfen Anstiegs der Nahrungsmittelpreise und den dadurch in zahlreichen Ländern des Südens ausgelösten Hungerrevolten.


Für den Preisanstieg spielte die Spekulation anlagesuchender Investoren kurzfristig eine erhebliche Rolle. Dass sie diese Rolle spielen konnte und kann, liegt jedoch an längerfristigen Trends der weltweiten Agrarproduktion: an den zunehmenden wirtschaftlichen und finanziellen Konzentrationsprozessen in der Landwirtschaft, an der wachsenden Kontrolle der Agrarproduktion durch einige wenige Lebensmittelkonzerne, an der immer stärkeren Integration der Landwirtschaft in industriellen Prozesse (am sinnfälligsten beim Agrosprit), und schließlich an der immer dreisteren Aneignung von Grund und Boden durch die Konzerne, um sog. agroindustrielle Rohstoffe selbst anbauen zu können.

Auf der Strecke bleibt dabei nicht nur der Bauer, sondern auch der Verbraucher in den Städten und tendenziell das Ackerland selbst - die Grundlage unserer Existenz. Eine Milliarde Menschen auf der Welt hungern, und das, obwohl genügend Lebensmittel erzeugt werden, um alle - auch bei den derzeitigen Ernährungsgewohnheiten - satt zu machen.


Seit zur Jahrtausendwende die Vereinten Nationen das Ziel verkündet haben, bis zum Jahr 2015 Hunger und Armut auf der Welt zu halbieren, hat sich die Situation verschärft: Die seit 2003 anhaltende, manchmal galoppierende Preissteigerung bei Grundnahrungsmitteln (Weizen, Reis, Mais) geht Hand in Hand mit der Enteignung und Vertreibung von Kleinbauern von ihrer Scholle (vor allem in Asien), mit der Auflösung der (preispuffernden) Lagerhaltung für Getreide, mit dem Abbau staatlicher Subventionen für die Landwirtschaft bzw. ihrer Umleitung in die Kassen der Konzerne (wie in der EU der Fall).

Es mehren sich die Berichte von UN-Organisationen und Nichtregierungsorganisationen, dass in zehn, fünfzehn Jahren das Ackerland nicht mehr reichen wird, um die steigende Weltbevölkerung zu ernähren. Der Run auf die Ressource Boden hat bereits begonnen. Wie jeder weiß, sind knappe Güter teuer, und hohe Preise machen Aktionäre fett, für einen wachsenden Teil von Menschen aber wird das mehr Hunger bedeuten.

Was ist der Grund für die Verknappung des Bodens? Einige sagen: Es gibt zuviele Menschen auf der Welt. Laut UN-Prognosen soll ihre Zahl 2050 einen Höchststand von 10 Milliarden erreichen (heute sind es etwa 7 Milliarden). Doch die Wachstumskurve flacht seit 1963 kontinuierlich ab. Ein Auslöser von Knappheit oder Preissteigerung ist das Bevölkerungswachstum dennoch nicht: Seit 1989 liegt der Zuwachs der weltweiten Produktion von Weizen, Mais und Reis konstant über dem Zuwachs der Weltbevölkerung, das Pro-Kopf-Angebot an diesen Grundnahrungsmitteln hat zugenommen. Man muss also woanders nach den Gründen suchen.

Allerdings rechnet die Welternährungsorganisation FAO auch damit, dass bis 2050 der Nahrungsmittelbedarf weltweit um 70% steigen wird (in Afrika gar um 100%), während der Zuwachs an landwirtschaftlicher Fläche nur noch 10% betragen wird. Für die nächsten 15 Jahre erwartet sie jedoch noch einen Nettozuwachs an genutzter Gesamtfläche (dabei sind die Flächenverluste schon abgezogen) - und zwar auch in den Ländern des Südens. Wir haben also noch ein Zeitfenster, ein Grund mehr, uns mit den Ursachen der Bodenverknappung genauer zu befassen.


Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WGBU) identifiziert - neben der Klimaverschlechterung und der Flächenversiegelung durch Urbanisierung und Verkehr - vor allem zwei Gründe, die Ackerland knapper machen: die Bodenerosion und die Zerstörung der Bodenfruchtbarkeit.

Bei der Bodenerosion konstatiert er eine rasante Beschleunigung: Waren 1994 15% der globalen Landfläche von der Erosion betroffen, so waren es 2008 bereits ein Viertel. Zwar bildet sich auch jedes Jahr Boden neu, doch bleibt der Aufbau hinter dem Abbau zurück, in Asien, Afrika und Lateinamerika viel stärker als in Europa, und hier ist vor allem Südeuropa betroffen. Der Weltagrarbericht der UNO kommt zum Schluss, dass ein Viertel der Bodenzerstörung auf das Konto der landwirtschaftlichen Produktion selbst geht; die Überweidung, die häufig angeführt wird, scheint demgegenüber zweitrangig.

Eine große Rolle spielt dabei die Konzentration auf den Anbau einiger weniger Nutzpflanzen: Die zehn am meisten angebauten Nutzpflanzenarten ergeben fast 90% der statistisch erfassten Weltproduktion. Die starke Abhängigkeit von einzelnen Arten macht Gesellschaften anfälliger für Dürren, Plagen und somit für Hungersnöte. Der Hauptgrund für die Konzentration des Anbaus auf so wenige Arten aber ist die Subventionierung der industriellen Landwirtschaft in den OECD-Ländern (mit etwa 250 Mrd. Euro im Jahr). Sie macht auch einen Großteil der staatlichen Förderprogramme für die deutsche Landwirtschaft aus.

Für die Zerstörung der Bodenfruchtbarkeit (seine chemische Degradierung) sind vor allem Nährstoffverlust, Versalzung, Kontamination und Versauerung der Böden verantwortlich. Ein hoher Anteil der degradierten Flächen leidet unter Nährstoffmangel.

"Paradoxerweise ist ein Verlust der Bodenfruchtbarkeit nicht selten eine Langzeitfolge von Nährstoffzuführung, nämlich anorganischer Düngung, und zwar besonders dann, wenn im Rahmen industrieller Anbaumethoden auf die arbeitsintensivere organische Düngung gänzlich verzichtet wurde, was insbesondere bei empfindlicheren Böden zur Verarmung an Humus führt", schreibt Peter Clausing in der jungen Welt (28.3.). Was seit Liebigs Zeiten zur Steigerung der Bodenproduktivität eingesetzt wurde, droht nunmehr ins Gegenteil umzuschlagen, die kurzfristige Steigerung der Ertragskraft wird langfristig mit ausgelaugten Böden erkauft, die von Wind und Wasser leicht weggespült werden.


Der Weltagrarbericht der UNO hält den Einsatz ökologischer Landwirtschaft für einen zentralen Hebel, um die Bodenproduktivität zu verbessern. Ausgelaugte Böden werden erfolgreich mit ökologischen Anbaumethoden restauriert. Für Millionen Bäuerinnen und Bauern, vor allem in Afrika, Asien und Lateinamerika, bringt der Umstieg auf nachhaltige Methoden Ertragssteigerungen bis zu 150% und die Sicherstellung einer ausgewogenen Ernährung durch Steigerung der Artenvielfalt.

Die Rückkehr zur bäuerlichen Landwirtschaft erweist sich immer deutlicher als Voraussetzung dafür, das wir auch in 40 Jahren noch die gesamte Weltbevölkerung ernähren können. Dabei steht nicht die Maximierung des Ertrags einzelner Flächen im Vordergrund, sondern die Optimierung ihrer Nutzung, die Beachtung des natürlichen Kreislaufs von Anbau, Verzehr, Verdauung, Düngung. Tierhaltung, Getreideanbau und Weidewirtschaft müssen lokal und regional in einem ausgeglichenen Verhältnis stehen. Sie vertragen keinen Wachstumszwang.

Beispiele aus der Massentierhaltung in Niedersachsen zeigen, welche Schäden angerichtet werden, wenn dieser Kreislauf zerstört wird.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 6, 26.Jg., Juni 2011, S. 11
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juni 2011