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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1563: Der Geißler-Vorschlag bringt Bewegung ins Spiel


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 8/9 - August/September 2011 Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Der Geißler-Vorschlag bringt Bewegung ins Spiel
Die Bahn hat den Stresstest nicht bestanden und die Basis des Widerstands ist stabil, sagt Werner Sauerborn

Interview der SoZ-Redaktion mit Werner Sauerborn


Das Zeitfenster wird enger. Die strittigen Fragen sind weiterhin offen: für wichtige Bauabschnitte gibt es keine Baugenehmigung, wichtige Rechtsfragen sind nicht geklärt. Es laufen verschiedene Verfahren - jedes einzelne davon könnte das Projekt zum scheitern bringen. Nach wie vor gibt es keinerlei Transparenz in der Kostenfrage, die Bahn hat bisher alle diesbezüglichen Anfragen ignoriert, auch die Landesregierung erhält keine befriedigenden Antworten.

Andererseits kündigt die Bahn an, noch vor der Volksabstimmung, die am 4. Dezember stattfinden soll, weiter vollendete Tatsachen zu schaffen - sie vergibt Bauaufträge und kündigt, was die Sache dramatisch machen würde, den Abriss des Südflügels sowie Baumfällungen im Schlosspark an.

Die SoZ sprach mit Werner Sauerborn, früher Gewerkschaftssekretär bei Ver.di, Mit-Initiator der GewerkschafterInnen gegen Stuttgart 21 und für diese im Aktionsbündnis gegen S21.


SOZ: Was sind das für Gerichtsverfahren, die anhängig sind?

WERNER SAUERBORN: Zum einen geht es um die Frage, ob die Finanzierung von Stuttgart 21 verfassungsgemäß ist: Dürfen Stadt und Land ein Projekt des Bundesverkehrswegeplans mitfinanzieren? Namhafte Verfassungsrechtler sagen, es geht nicht, dass Stadt und Land in diesem Ausmaß - bei beiden geht es ja um mehrere hundert Millionen - Einfluss auf Investitionsentscheidung des Bundes nehmen.

Dazu gab es ein Bürgerbegehren, dessen Hürden haben wir locker in kürzester Zeit genommen. Der Gemeinderat hat das Bürgerbegehren aber nicht angenommen, dagegen reichen die Initiatoren des Bürgerbegehrens jetzt Klage ein.

Dann geht es um die Wasserentnahme. Da der Riesentrog für den Tiefbahnhof quer zur Fließrichtung des Grundwassers gelegt würde, müsste sehr viel Wasser oberhalb der Baustelle entnommen werden, das hinter ihr wieder eingeleitet bzw. direkt in den Neckar geleitet wird. Mit den Wassermengen, die da anfallen, hat man sich völlig verkalkuliert, es hat sich herausgestellt, dass man doppelt so viel entnehmen muss, wie geplant und genehmigt worden ist.

Jetzt sagt der BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz): Man kann nun nicht einfach die Baugenehmigung etwas großzügiger auslegen, sondern es braucht eine neue Baugenehmigung. Wenn wir damit im Hauptsacheverfahren durchkommen - die einstweilige Verfügung hat erstmal nicht geklappt - dann müsse die Bahn einen ganz neuen Antrag stellen.

Es gibt noch viele Dinge mehr: z.B. die Tunnelstrecke im sog. Filderbereich - das ist der Tunnel, der zum Flughafen führt . Für diesen Abschnitt gibt es nicht einmal eine Baugenehmigung. Im Flughafenbereich ist die Streckenführung umstritten, weil die ICEs auf S-Bahn-Schienen und durch S-Bahn-Tunnels geleitet werden müssten, was sie eigentlich nicht dürfen. Die fangen an zu bauen, ohne zu wissen, ob sie für ganz entscheidende Bauabschnitte eine Genehmigung bekommen und welche Kosten dadurch entstehen würden.

SOZ: Die 4,5-Milliarden-Grenze wird wohl deutlich überschritten. Trotzdem zeigt sich die SPD in der Landesregierung davon unbeeindruckt und meint, die Deckelung dieses Betrags, die im Koalitionsvertrag steht, gelte nicht.

WERNER SAUERBORN: Doch, an die Deckelung würden sie sich halten, das steht im Koalitionsvertrag, dass die Landesregierung nicht mehr zahlen wird. Die Bahn behauptet jedoch, sie kommt weiter mit 4,1 Milliarden plus Puffer aus, und daran gibt es erhebliche Zweifel.

Es gibt bahninterne Papiere, die zeigen, dass Bahnmanager von Kostensteigerungen schon wussten, noch bevor die Verträge geschlossen wurden. Auch hierzu gibt es Rechtsverfahren, wobei noch zur Debatte steht, ob eine arglistige Täuschung der Parlamente oder ein Informationsvorenthalt vorliegt, das prüfen unsere "Juristen gegen Stuttgart 21" noch.

Die Frankfurter Rundschau und der Spiegel haben diese internen Papiere dokumentiert, die eine gezielte Verheimlichungsstrategie der Bahn belegen. Das ist gezielter Betrug an den Vertragspartnern. Getäuscht wurden dabei die Regierungen, aber die haben sich ja täuschen lassen. Nun wird geprüft, wer der Geschädigte ist und wer klagen kann.

Es ist also juristisch vieles unklar, aber auch faktisch. Ein Beispiel: Die Gäubahnstrecke über Singen in die Schweiz sollte mit dem Bau des Tiefbahnhofs stillgelegt werden. Das wurde schon in der Geißler-Schlichtung abgelehnt, weil das eine ganz wichtige Entlastungsstrecke auch für den S-Bahn-Verkehr ist. Der S-Bahn-Verkehr verläuft unterirdisch unter dem geplanten Tunnel, und wenn es da Störungen oder Engpässe gibt - und das kommt relativ häufig vor - dann können die über diese Strecke ausweichen und den Verkehr in die südlichen Vororte nach Böblingen, Sindelfingen, führen. In der Schlichtung war klar, die Gäubahnstrecke muss bleiben, da hat die Bahn auch zugestimmt, und sie müsste natürlich an den geplanten Tiefbahnhof angeschlossen werden. Es gibt dafür aber keine bauliche Lösung, weil es einen großen Höhenunterschied gibt.

Ein weiterer Punkt ist die Klage der Privatbahnen. Das sind vor allem private Güterverkehrsanbieter, die sich zu einer Interessengemeinschaft zusammengeschlossen haben. Die klagen nun gegen die Bahn, weil sie Strecken stilllegt, und zwar die oberirdischen Kopfbahnhofstrecken, die für die Privaten als Gütertransporter wichtig sind. Seit der Bahnprivatisierung gibt es ein Gesetz, dass die Bahn, bevor sie eine Strecke stilllegt, vorher fragen muss, ob noch jemand diese Strecke nutzen will. Das hat sie bei den stillzulegenden Strecken im Gleisvorfeld des Kopfbahnhofs nicht getan.

Die Privaten sagen jetzt, der Antrag hätte gestellt werden müssen, sie haben ein Interesse, das Netz weiter zu benutzen. Die Bahn sagt, dass wäre mit abbedungen durch den Antrag auf einen Tiefbahnhof, es gehe nicht um Streckenstilllegung, sondern um ein neues Nutzungskonzept, in dessen Rahmen die Stilllegung automatisch mitgenehmigt wurde. Das bestreiten die Privaten, denn sie können die Streckenführung des Tiefbahnhofs nicht nutzen, die ist überhaupt nicht güterverkehrstauglich. Die Bahn hat schon öfter ähnliche Verfahren verloren, sie ist jetzt ziemlich nervös deswegen.

SOZ: Habt ihr nicht Sorge, dass sich die juristischen Klagen zeitlich so sehr hinziehen, dass sie für euch nicht wirklich wirksam werden?

WERNER SAUERBORN: Das ist eine von vielen Strategien, wobei man jetzt nicht weiß, welche am Ende den Erfolg bringen wird. Es kann sein, dass es die Blockaden sind, es kann sein, dass es die SPD irgendwann nicht mehr aushält, die Bundesregierung kann stürzen wegen der aktuellen Schuldenkrise, Bahnchef Grube könnte dann fliegen - deshalb wollen wir an allen Punkten den maximalen Druck machen.

Die rechtlichen Auseinandersetzungen helfen ja nicht erst dann, wenn es zu einer Entscheidung kommt, sie führen zu einer erheblichen Verunsicherung. Diese rotzfreche Haltung, wir machen einfach weiter, entspricht ja nicht dem, was intern bei der Bahn vorgeht, die wissen, dass sie vielleicht auf Investitionen sitzen bleiben, weil sie sich verkalkuliert haben.

SOZ: Eine Frage zum Stresstest. Der schien ja für die Bahn positiv verlaufen zu sein. Was hat der gebracht?

WERNER SAUERBORN: Das ist ein großes Problem unseres Widerstands. Der Stresstest wurde von der Gegenseite erfolgreich als bestanden kommuniziert. Das liegt daran, dass die hiesige Presse stark konzentriert ist und ein Monopol in der öffentlichen Meinungsbildung hat. Die Medien kolportieren, die Bahn hätte den Stresstest bestanden, es war aber genau das Gegenteil der Fall und wir haben es nicht vermocht, das breitenwirksam darzustellen.

Der Stresstest ist eine Folge der Schlichtung vom 30. November, betrifft aber nur einen kleinen Ausschnitt der dort getroffenen Verabredungen - wobei wir da aber etwas überrumpelt wurden. Im Stresstest ging es nur noch um die Frage, ob der Tiefbahnhof 30% mehr Leistung gegenüber dem Ist-Zustand des bestehenden Kopfbahnhofs bringen kann. Das "Ist" beschreibt nicht, was der Kopfbahnhof könnte, sondern nur, was zur Zeit gefahren wird. Der ehemalige Bahnhofsvorsteher des Stuttgarter Hauptbahnhofs, Egon Hopfenzitz, der beste Kenner dieses Bahnhofs, kann aber jedem an Hand der alten Fahrpläne beweisen, dass das, was jetzt dort gefahren wird, fast 30% unter dem liegt, was gefahren werden könnte. In der Hauptverkehrszeit fuhren in den 70er Jahren da 50 Züge in der Stunde. Derzeit sind es 37; der Tiefbahnhof soll auf 49 Züge kommen.

Die Frage, was der bestehende Kopfbahnhof, geschweige ein modernisierter, leisten könnte, wird also völlig ausgeklammert. Da sind schon die Prämissen des Stresstests total manipulativ. Und selbst diese engen Vorgaben hat der Stresstest nur mit tausend Einschränkungen bestanden.

Die SMA, die den Test durchgeführt hat, ist ein bahnabhängiges Institut, weil sie an ihren Aufträgen hängt. Auftrag und alle Vorgaben wurden ausschließlich von der Bahn formuliert, wir haben den Auftrag nicht einmal gesehen. Die SMA hat natürlich einen fachlichen Ruf zu verlieren und hat ihr Dilemma so gelöst, dass sie gesagt hat: Unter all den Bedingungen, die wir nachstehend aufführen, würde ein Tiefbahnhof gehen. Und dann kommen all die Einschränkungen im Kleingedruckten. Boris Palmer, der OB von Tübingen, hat es auf den Punkt gebracht: Wenn man den Bericht vollständig liest, kommt man zum Schluss: Der Stresstest ist nicht bestanden.

Die Journalisten haben sich aber nicht weiter damit befasst und die Botschaft der Bahn einfach übernommen. Zwei Tage später lässt die Bahn eine Umfrage machen, die ergibt: Die Mehrheit der Bevölkerung ist jetzt dafür, dass S21 weiter gebaut wird. Gegen diese PR-Strategie sind wir bis jetzt nicht angekommen.

SOZ: Wie beurteilst du die Intervention von Heiner Geißler? Er hat sich wohl letzten Endes zwischen alle Stühle gesetzt.

WERNER SAUERBORN: Das gehört mit zur Frage der Aufrichtigkeit dieses Stresstests. Die SMA, die der Bahn attestiert, der Stresstest sei bestanden, sagt im gleichen Atemzug, das Kombi-Modell, das Heiner Geißler vorgeschlagen hat (den Kopfbahnhof für den Regionalverkehr, den Tiefbahnhof für den Fernverkehr), ist dreimal so effektiv und nur halb so teuer. Die Idee für einen solchen Kompromissvorschlag wollen Geißler und SMA-Chef Stohler auf einer gemeinsamen Zugfahrt von Stuttgart nach Singen ausgebrütet haben. Wenn es etwas so viel Besseres gibt, kann die Bahn ja wohl nicht gleichzeitig den Stresstest bestanden haben.

SOZ: Hat das in der öffentlichen Meinung eine Rolle gespielt?

WERNER SAUERBORN: Es hat bisher nur eine kurzfristige Rolle gespielt. Letztlich haben die Befürworter von S21 schnell versucht, das aus der Diskussion zu drängen. Auch die SPD erklärte, das sei kalter Kaffee. Dahinter steht die Sorge, wenn sie sich auf eine solche Diskussion einlassen, bedeutet das Baustillstand. Dann wäre Stuttgart 21 vermutlich abgesoffen. Für uns wäre dieser Kompromissvorschlag ein Moratorium: Man könnte neu überlegen und S21, die katastrophalste Lösung, wäre erstmal vom Tisch.

Es gibt bei dem Kompromissvorschlag aber auch noch eine inhaltliche Seite, darüber ist nun eine heftige Diskussion im Gang. Eine Seite, die vor allem Winfried Wolf vertritt, sagt: Das wäre die Kombination der Nachteile beider Systeme.

Das scheint mir voreilig. Unsere Fachleute sagen, da sind Aspekte drin, die gar nicht so schlecht sind. Zunächst sieht es so aus, als würde die gleiche Grube gebaut, aber dieser Tiefbahnhof wäre viel schmaler, mit weniger Gleisen (4 Gleise und 2 Bahnsteige), der ganze Trog bräuchte viel weniger Länge; es wäre in jedem Fall ein geringerer Eingriff in den Schlossgarten als bei S21. Noch dazu bräuchte man eine Ebene weniger, nur noch die Gleisebene, nicht mehr die Ebene für den Wechsel der Reisenden zwischen den Gleisen, weil die oberirdich möglich wäre. Der Südflügel würde so vermutlich erhalten werden können.

SOZ: Und es würden nicht die ganzen Flächen der
Immobilienspekulationen geopfert.

WERNER SAUERBORN: In der Tat, das ist auch der Grund, warum sie das überhaupt nicht gut finden. Da würde nur eine Restnutzung übrig bleiben - damit wäre auch eine wesentliche Finanzierung für das Projekt verloren.

SOZ: Die Grünen haben im Koalitionsvertrag ja wohl einige Kröten geschluckt, die sie nicht hätten schlucken müssen. Z.B. die Durchführung des Volksbegehrens als ein landesweites Volksbegehren. Gibt es da Widerstand von der grünen Basis?

WERNER SAUERBORN: Da muss man zwei Abschnitte unterscheiden. Zunächst gab es eine Bereitschaft in der Bewegung gegen S21, die sehr weitgehenden Kompromisse zu akzeptieren, weil sonst die Koalition womöglich nicht zustande gekommen wäre.

Nun aber geht es darum: Was machen sie auf der Basis dieses Koalitionsvertrages? Da ist die Kritik sehr deutlich, parteiintern bei den Grünen und auf den Montagsdemos. Hopfenzitz, um die 80 Jahre alt und eine Galionsfigur des Widerstands, ein ehemaliger CDU-Wähler, sagt offen: "Herr Kretschmann, regieren Sie. Ich habe Sie diesmal gewählt, damit Sie diesen Bahnhof verhindern. Und ich sehe nicht, dass Sie etwas tun." Ähnlich Gerhard Pfeifer, Regionalgeschäftsführer vom BUND, ein paar Montagsdemos später: Er greift Kretschmann an und sagt, wir erwarten mehr.

Die Landesregierung betreibt Leisetreterei. Der Koalitionspartner SPD bekennt sich flammend zu Stuttgart 21, die Grünen aber bekennen sich nicht flammend zum Widerstand. Ich vermisse, dass Winfried Hermann auf einer Montagsdemo spricht, ich vermisse, dass die Landesregierung eine Verbindung zum Widerstand sucht. Ich würde mir wünschen, dass Hermann sich tragen lässt vom Widerstand, statt sich zurückzuhalten und aus der Schusslinie zu nehmen. Wir sehen natürlich, dass sie mit Verträgen umgehen müssen und von Amts wegen bestimmte Dinge tun müssen, wir sehen aber nicht, dass sie ihre Spielräume wirklich ausnutzten.

SOZ: Und die SPD? Deren Mauern müsste man doch einreißen. Wer mauert denn da hauptsächlich, die IG Metall oder andere?

WERNER SAUERBORN: Die IG Metall spielt eine große Rolle. Die Grünen haben während der Koalitionsverhandlungen immer gesagt, die SPD beruft sich bei S21 auf die Gewerkschaften. Die Gewerkschaft ist in Baden-Württemberg v.a. die IG Metall, sie ist mit Abstand die größte Gewerkschaft, doppelt sie groß wie Ver.di, sie bestimmt im Wesentlichen, was der DGB tut. Die Führung der IG Metall hat von Anfang an S21 befürwortet. Nachdem die Kritik daran nun auch intern lauter geworden ist, sagt sie offiziell, sie hält sich raus und ist unparteiisch.

Die Gewerkschaften in diesem Konflikt sind ein längeres Thema. Im Moment sieht es so aus, als würden sie den Geißler-Vorschlag unterstützen. Das finde ich gut, denn das heißt, dass sie sich überhaupt wieder ins Spiel bringen. Wenn die Gewerkschaften die Geißler-Position ernsthaft vertreten - und es ist noch nicht ganz klar, ob die IG Metall sich dahinter stellt - dann wird es für die SPD noch schwerer. Intern haben sie schon die Sozialdemokraten gegen Stuttgart 21 am Hals, die wir kürzlich ins Bündnis aufgenommen haben, und dann hätten sie auch die Gewerkschaften nicht mehr hinter sich. Die SPD ist eine Sollbruchstelle in diesem Konflikt.

SOZ: Ist euer Widerstand geschrumpft? Wie sieht es mit der Breite der Bewegung und der Handlungsfähigkeit aus?

WERNER SAUERBORN: Die Mobilisierung schwankt natürlich. Wenn große Eingriffe passieren, nimmt sie zu. Bemerkenswert ist jedoch: Selbst wenn nichts Dramatisches passiert, wie in den letzten Monaten, ist die Mobilisierung absolut stabil. Die Montagsdemos sind zwar aus der Tagesschau raus, aber jeden Montag kommen 5000 Leute. Wo hat es das je gegeben? Letzten Freitag (am 19.8.) gab es zwei Demos. Mittags sind 300 Leute zur Staatsanwaltschaft gezogen, weil die die Wohnungen des webcam-Senders cams21 durchsucht hatte. Abends sind 5000 Menschen zur SPD gelaufen - 5000, wie aus dem Nichts! Diese vielen Aktionen und Vernetzungen fangen immer wieder die Verunsicherungen auf, die durch das tendenziöse Medienbild aufkommen.

Die Basis dieses Widerstands ist das hohe Wissen um die vielen Widersprüche von S21. Die Leute haben so oft gesehen, dass sie immer wieder Recht hatten. Die Gegenseite schwimmt, weil sie im Grunde genommen die ganzen Widersprüche nicht lösen kann. Das hat sich so verfestigt, dass dieser Widerstandskern nicht zu brechen ist.

SOZ: Was sind eure nächsten Schritte?

WERNER SAUERBORN: Meiner Ansicht nach gibt es zweierlei, was man jetzt forcieren muss. Einerseits die Blockaden, die tun ihnen richtig weh. Wir blockieren die Baustellen. An vielen Morgen kommen da zwischen 50 und 300 Leute und verhindern für ein, zwei Stunden, dass weiter gearbeitet werden kann. Damit ist immer ein hoher Polizeieinsatz verbunden, das nervt sie. Die Blockaden sind sehr kontinuierlich, aber auf noch zu geringem Niveau. Viele im Aktionsbündnis fürchten, der zivile Widerstand könnte eskalieren, und halten sich auf Distanz.Das Bündnis ist ja nur ein, wenn auch der wichtigste politische Faktor im Widerstand. Es ist aber wichtig, dass sich der gesamte Widerstand hinter die Blockaden stellt.

Und wir müssen kommunikativ in die Gegenoffensive kommen. Wir können nicht zulassen, dass vermittelt wird, die Bahn kann einfach weiter bauen. Wir werden jetzt eine große Infokampagne landesweit machen, die wir auch brauchen werden, wenn es zu einer Volksabstimmung kommt.

Die Volksabstimmung ist ein wichtiger Punkt. Alle wissen, dass das ein riesiger Betrug ist, weil das Quorum von 30% aller Wahlberechtigten kaum zu schaffen ist, da bräuchten wir mehr Stimmen, als Rot-Grün bei der Landtagswahl zusammen hatte.

Nun stellt sich die Frage: Wie reagiert der Widerstand, wenn die Volksabstimmung trotzdem kommt? Die einen sagen, weil das ein Betrug ist, boykottieren wir das. Die anderen, und das ist die große Mehrheit im Widerstand, sagen: Wenn die Volksabstimmung kommt, werden die Grünen ohnehin dafür kämpfen, dann wäre es verheerend, wenn ein Teil von uns dafür und ein Teil dagegen ist. Unser Ziel wird dann nicht sein, das Quorum zu erreichen, das ignorieren wir, das ist eine antidemokratische Klausel. Unser Ziel ist, eine Mehrheit der Abstimmenden gegen Stuttgart 21 zu bekommen, das halten wir für möglich. Das haben wir bei den Wahlen schon einmal hinbekommen, und wir glauben, dass die Pro-Seite nicht so mobilisierungsfähig ist.

Und wenn es im Land keine Mehrheit gibt, in der Region aber schon, dann wird der Widerstand weiter gehen, denn die Region Stuttgart hat die Hauptlast dieses Wahnsinns zu tragen, auch wenn die anderen vielfach indirekt mitbetroffen sind.


Siehe: www.kritisches-stuttgart.de; www.cams21.de.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 8/9, 26.Jg., August/September 2011, Seite 5-6
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. September 2011