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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1652: Jürgen Kaiser plädiert für ein geordnetes Staateninsolvenzverfahren


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 6 - Juni 2012
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Schulden müssen tragfähig sein
Jürgen Kaiser plädiert für ein geordnetes Staateninsolvenzverfahren



Hätte es den Schuldenschnitt vom Februar 2012 schon im April 2010 gegeben, läge Griechenlands Staatsverschuldung jetzt bei 82% des Bruttoinlandsprodukts - und nicht bei 158% Ende 2011 mit Aussicht auf eine Absenkung auf 129% - im Jahr 2020! Das Schuldenmanagement der Troika ist also klar gescheitert, ob aus Unfähigkeit oder aus dem Willen, Griechenland auf ewig in der Schuldknechtschaft zu halten, um das Land einfacher ausbeuten zu können, das bleibt noch abzuwarten.

Jürgen Kaiser ist politischer Koordinator von erlassjahr.de. Die Initiative mit dem Nachsatz "Entwicklung braucht Entschuldung" ist ein breites gesellschaftliches Bündnis, zu dem derzeit etwa 700 Mitträgerorganisationen gehören, darunter Landeskirchen, Diözesen, entwicklungspolitische Organisationen, Eine-Welt-Gruppen, Vereine, Kirchengemeinden und Weltläden. Erlassjahr.de ist eingebunden in ein weltweites Netzwerk von über 50 ähnlichen Kampagnen und Bündnissen, das sich einsetzt für faire und transparente Entschuldung, vor allem der Länder des Südens. Erlassjahr unterstützt auch die Initiative für ein Schuldenaudit.


SOZ: Euroland hat Griechenland gedroht, es fliegt aus dem Euro raus, wenn die Griechen am 17. Juni wieder die falschen Parteien wählen. Kommt es jetzt zum Showdown?

Jürgen Kaiser: So oder so wird es dazu kommen. Es ist nicht möglich, so weiter zu machen wie bisher. Wir haben schon im April 2010 gesagt, Griechenland braucht einen Schuldenschnitt und zwar einen erheblich tieferen, als den, der dann zwei Jahre später beschlossen wurde. Die Politik entschied sich jedoch dafür, sich durchzuwursteln und immer wieder Schuldenschnitte auszuschließen, bis man sie doch machen musste. Erwartungsgemäß war das, was dann beschlossen wurde, nicht ausreichend durchdacht, um dem Land einen Neuanfang zu ermöglichen.

Jetzt muss sich was ändern. Entweder man zwingt den Griechen noch dramatischere Sparpakete auf, oder man macht den nächsten Schuldenschnitt - oder es gibt eine politische Implosion, das kann natürlich auch sein.

SOZ: Warum reichte der erste Schuldenschnitt nicht?

Jürgen Kaiser: Er hatte zwei Fehler. Zunächst einmal kam er entschieden zu spät. Insolvenzverschleppung kostet: Wenn Griechenland den gleichen Schuldenschnitt im April 2010 bekommen hätte, dann hätte der Schuldenstand im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) etwa 80% betragen. Das ist soviel, wie Deutschland im Moment hat, aber es hätte eine Chance für einen Neuanfang gegeben. Doch in den letzten zwei Jahren ist das BIP stark gesunken, die Schulden hingegen sind weiter gestiegen.

SOZ: 50% Schuldenerlass haben also nicht gereicht, wieviel hätte es denn sein müssen?

Jürgen Kaiser: Es gibt keine international verlässliche Größe für ein tragfähiges Schuldenniveau. Das hängt sehr von der Qualität der Regierungsführung, den öffentlichen Institutionen und natürlich vom Charakter der Schulden ab. Die Schuldenobergrenze von 60%, die der europäische Stabilitätspakt vorsieht, sind immerhin ein brauchbarer Anhaltspunkt. Japan überlebt mit 200%, dort herrschen aber auch besondere Bedingungen. Viele afrikanische Länder waren mit 70-80% vollkommen überschuldet, für Griechenland kämen unserer Ansicht nach zwischen 60% und 82% in Frage.

SOZ: Das heißt, es sollen Griechenland alle Schulden erlassen werden bis zu einem Schuldenniveau von 60 bis 82%?

Jürgen Kaiser: So funktioniert ein Schuldenerlass international: Man definiert eine Tragfähigkeitsgrenze, und was darüber hinausgeht muss weg. Das ist genau wie bei einer Unternehmensinsolvenz.

SOZ: Ließe sich das jetzt noch nachholen?

Jürgen Kaiser: Ein zweiter Schuldenschnitt müsste mindestens nochmal so hoch sein wie der erste. Wichtig ist, dass die Schuldentragfähigkeit von Griechenland wieder hergestellt wird.

SOZ: Wächst eine solche Einsicht auch in anderen Kreisen, oder dreht man da eher auf stur?

Jürgen Kaiser: Es gibt nicht viel Grund zu Optimismus, was die Einsichtsfähigkeit der Politik angeht. Diese Message haben wir auch beim Katholikentag bekommen: Die Politiker halten am unfassbaren Mythos fest, dass Staaten nicht pleite gehen. Sie meinen die Alternative zu einer geregelten Insolvenz Griechenlands bestünde darin, dass die Griechen weiter zahlen. In Wirklichkeit besteht die Alternative darin, dass Griechenland in die ungeregelte Pleite geht. Der Glaube, dass Staaten nicht pleite gehen können und dass sie in der Lage sind, bis zum St.Nimmerleinstag weiter zu bezahlen, das ist der Grundton des verfehlten Schuldenmanagements in der Eurozone - ähnlich übrigens wie in der Schuldenkrise der Dritten Welt.

SOZ: Was ist der Unterschied zwischen einer geregelten und einer ungeregelten Pleite?

Jürgen Kaiser: Eine geregelte Pleite ist ungefähr das, was wir als Staateninsolvenzverfahren bezeichnen und fordern: Im Fall Griechenland hätte das bedeutet, dass zu dem Zeitpunkt, als Papandreou ankündigte, das Zahlenwerk der Vorgängerregierung habe nicht gestimmt, das Land habe gravierende Liquiditäts- und letztlich auch Solvenzprobleme, Griechenland die Möglichkeit einzuräumen, alle Zahlungen einzustellen - an alle Gläubiger. Es hätte eine Institution geben müssen, an die es sich hätten wenden können, die die Aufgabe gehabt hätte, unparteiisch die Verhandlungen zwischen Griechenland und seinen Gläubigern zu organisieren - wie dies bei einem geregelten Unternehmensinsolvenzverfahren auch der Fall ist.

Ein solches Verfahren muss es erst einmal geben. Die Kanzlerin hat versucht, ab April 2010 Verhandlungsprozesse dafür auf den Weg zu bringen, doch sie ging es völlig unorganisiert und bodenlos tolpatschig an. Die Gläubiger haben ihre Hausaufgaben bis heute nicht gemacht und es gibt nach wie vor keinen Insolvenzmechanismus.

SOZ: Worin liegt denn der Vorteil eines solchen Mechanismus?

Jürgen Kaiser: Der Vorteil liegt in erster Linie darin, dass das Land die Chance auf einen tatsächlichen Schuldenerlass bekommt, der tief genug ist. Ein unabhängiger Insolvenzrichter hat kein Interesse daran, dass die Parteien binnen einer Woche wieder vor ihm auftauchen, weil der Schuldenschnitt nicht tief genug war. Wenn die Gläubiger allerdings Kläger und Richter in einer Person sind - und das haben wir in der Schuldenkrise der Dritten Welt und jetzt in der der Eurozone erlebt -, passiert dies immer wieder.

Ein zweiter wichtiger Vorteil ist, dass dann alle Gläubiger an einem Tisch sitzen. Das war in Griechenland, wie in vielen Schwellenländern, unglaublich schwierig. Wenn nicht alle Gläubiger am Tisch sitzen, gibt es für die Gläubiger keinen Anreiz, Konzessionen zu machen. Denn ein Gläubiger, der verzichtet, könnte letztendlich nur den konkurrierenden Gläubiger bedienen, der Schuldner aber wäre genauso schlecht dran wie vorher. Deshalb sitzen bei einem Unternehmens- oder privaten Insolvenzverfahren aus gutem Grund alle Gläubiger am Tisch. So schafft man auch so etwas wie Rechtssicherheit für Gläubiger, die im guten Glauben handeln und nicht nur ihre Schäfchen ins Trockene bringen wollen.

SOZ: Kann man die Gläubiger denn zwingen, am Tisch zu erscheinen?

Jürgen Kaiser: Nein, aber man kann einen starken Anreiz schaffen. Der Unterschied zwischen einer Unternehmensinsolvenz und einer staatlichen Insolvenz ist ja der, dass man einen Staat nicht pfänden kann, weil der Staat das möglicherweise pfändbare Vermögen durch seine eigene Gesetzeshoheit blockieren kann und die wichtigen Besitztümer im Ausland in der Regel der diplomatischen Immunität unterliegen. Deshalb ist ein Schuldnerstaat in einer vergleichsweise starken Position, wobei aber nur sehr wenige Staaten diese tatsächlich zu ihrem Vorteil ausnutzen.

Die Gläubiger haben einen Vorteil davon, sich am Verfahren zu beteiligen, dann können sie mitreden und aufpassen, dass nicht IWF und andere erst mal 100 Prozent kassieren und alle anderen nur kriegen, was übrig bleibt.

SOZ: Könnte man unterstellen, dass die Regierungen der Euromitgliedsstaaten kein Interesse an einem geregelten Insolvenzverfahren haben? Kann es sein, dass sie Griechenland nicht aus den Schulden entlassen wollen?

Jürgen Kaiser: Das könnte sein. Die Hauptproblemländer sind Frankreich und Deutschland. Dort sind es private Institute, die am stärksten exponiert sind. Wenn der Grundtenor aber der ist: Wir reden einfach nicht drüber und dann zahlen die schon irgendwie oder sie mobilisieren öffentliche Mittel, möglicherweise aus multilateralen Quellen, dann neigen Politiker dazu, zu sagen: Wir stellen den kurzfristigen Cash-Flow an unsere Banken sicher und im übrigen hätt et noch immer jot jejangen.

SOZ: Welche deutsche Banken sind denn Hauptgläubiger?

Jürgen Kaiser: Ganz genau weiß man das nicht, denn die Banken haben zwar im Sommer 2010 dem Bundesfinanzminister wortreich versprochen, sich nicht aus Griechenland zurückzuziehen, sie haben aber dennoch getan. Zu Beginn der Krise war es so, dass die bekannten Pleitebanken ganz besonders exponiert waren, also die HypoReal-Estate, einige der Landesbanken und die Commerzbank. Wer sich da jetzt wie weit zurückgezogen hat, darüber hab ich keine aktuellen Informationen.

SOZ: Hältst du das Programm von Tsipras für machbar? Er will ja mindestens das zweite Memorandum und die damit verbundenen Sparmaßnahmen nicht anerkennen, aber auch den Euro behalten und die Schulden neu verhandeln.

Jürgen Kaiser: Ich halte diesen Ansatz im Moment für richtig, da die griechische Regierung sich wirklich sehr unter Druck hat setzen und einschüchtern lassen, weil sie dachte, sie könnte mit der Refinanzierung des laufenden Schuldendienstes Zeit kaufen. Dieser Mythos ist nun geplatzt.

Es braucht Kräfte in Griechenland, die einen weitergehenden Schuldenschnitt fordern, jemand muss das auf der Schuldnerseite fordern, sonst wird es das nicht geben. Das ist eine unglaublich schwierige und kritische Situation für eine griechische Regierung, die versucht, die Interessen der Griechen zu verteidigen. Ob es gut geht, kann ich nicht sagen, aber definitiv ist es eine Alternative zur bisherigen Durchwurstelei und sie geht in die richtige Richtung.

SOZ: Können wir aus deiner Sicht aus Deutschland in irgendeiner Weise unterstützend wirken?

Jürgen Kaiser: Erlassjahr hat das versucht, wir haben ständig die Bundesregierung daran erinnert, dass sie die Forderung nach einem geordneten Insolvenzverfahren doch in ihrem Koalitionsvertrag stehen hat. Sie hat es ja auch versucht, aber sie hat es nicht gut gemacht. Diese kurzsichtige Politik, nur zu verhindern, dass unsere Banken Ausfälle beim Rückfluss der Schuldentilgung aufweisen, führt nirgendwo hin. Es gibt da, wenn man in diesen nationalen Kategorien denken will, auch ein ganz genuines deutsches Interesse. Denn diese Krise betrifft ja nicht nur Griechenland. Auch für Deutschland stellt diese Art von Politik überhaupt keine Lösung dar.

Ob sich in Griechenland noch etwas reparieren lässt, lässt sich nicht sagen, wesentliche Momente, die Krise einzudämmen, wurden verpasst. Entscheidend wird sein, dass wir ein strukturell anderes Verfahren bekommen, das kurzfristig aktiviert werden kann, wenn wir in die nächste Krise stolpern. Und wir sind schon dabei. Es ist gar nicht mehr so hilfreich, nur auf Griechenland zu schauen, aktuell ist die zentrale Frage: Wie wollen wir mit Spaniens Insolvenz umgehen?

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 6, 27.Jg., Juni 2012, Seite 5
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juni 2012