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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1741: Was früher das Dienstmädchen war, ist heute die Pflegekraft aus dem Osten


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5 - Mai 2013
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Was früher das Dienstmädchen war, ist heute die Pflegekraft aus dem Osten
Häusliche 24-Stunden-Pflege und die Rechte von migrantischen Pflegearbeiterinnen

Von Maria Kontos



An allen Rechtsnormen vorbei hat sich mit dem EU-Beitritt der Länder Mittel- und Osteuropas ein globaler Arbeitsmarkt in der Pflege entwickelt.


Die zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen, die fehlende Beteiligung von Männern in der Hausarbeit, der erhöhte Pflegebedarf für ältere Familienangehörige und die Schrumpfung öffentlicher Pflegeangebote haben zu einer Versorgungslücke im System der häuslichen Care-(Sorge-) und Pflegearbeit geführt. Unterstützt auch durch die niedrigen und zweckungebundenen Zahlungen der Pflegeversicherung an die Versicherten, ist ein expandierender Arbeitsmarkt für gering bezahlte Haus-, Sorge- und Pflegearbeit von Migrantinnen entstanden.

Schätzungsweise 200.000 Migrantinnen aus den EU-Staaten Mittel- und Osteuropas, aber auch aus Drittstaaten, arbeiten in der häuslichen 24-Stunden-Pflege von alten Menschen.


Die Feminisierung der Migration

Die Migration von Frauen in die Sorge- und Pflegearbeitsmärkte ist zu einem weltweiten Phänomen geworden. Nach Angaben der ILO (2010) sind in den Entwicklungsländern 4-10% aller Beschäftigten, in den Industrieländern 1-2,5%, Haushalts- und Sorge-Arbeiterinnen. Die expandierenden Sorge-Arbeitsmärkte in den Aufnahmeländer und die dauernden ökonomischen Krisen in den Heimatländern verursacht eine Feminisierung der Migration, bei der immer mehr Frauen autonom und nicht als Familienmitglieder migrieren. Globale ökonomische Umstrukturierungen, Staatsverschuldung und ungerechte Handelsverträge zementieren die ökonomische Krise in vielen armen Ländern und zwingen Menschen zur Auswanderung.

Die Migration in Sorge-Arbeitsmärkte ist aber auch das Produkt einer globalen Umwälzung der Geschlechterverhältnisse. Immer weniger Familien entsprechen dem Modell des männlichen Familienernährers, in den reichen wie auch in den ärmeren Ländern. Frauen aus den ärmeren Ländern wandern als Familienernährerinnen in die Sorge-Arbeitsmärkte der reicheren Länder.


Migrantinnen in der 24-Stunden-Pflege

Die 24-Stunden-Pflege kann nur von allein migrierenden Frauen verrichtet werden. Geografische Distanz zur eigenen Familie ist Voraussetzung. Die Trennung von der Familie kann nur durch die Erwartung eines Verdienstes motiviert und kompensiert werden, der wegen der Einkommenskluft zwischen Arbeits- und Herkunftsland hoch ausfällt. Durch dieses Arbeitsarrangement entstehen transnationale Familien und globale Fürsorgeketten.

Gerade die Trennung der Arbeiterin von ihrer Familie erzwingt es, die eigene Migration als eine temporäre zu begreifen, auch wenn die Migrantinnen über mehrere Jahre oder Jahrzehnte im Ausland bleiben und arbeiten. Wenn der geografische Abstand, die Reisekosten und die Einreisebestimmungen es jedoch erlauben - wie das für Mittel- und Osteuropäerinnen der Fall ist -, greifen Migantinnen auf Pendelmigration zurück, um die Trennung von ihren Familien zeitweise aufzuheben und ihren eigenen Sorgeaufgaben gerecht zu werden.

Es fragt sich, ob 24-Stunden-Arbeit mit modernen Arbeitsnormen kompatibel ist. Die Gesetzgebung in Deutschland ist diesbezüglich nicht eindeutig. Das Arbeitszeitgesetz beschränkt die wöchentliche Arbeitszeit auf 48 Stunden, macht aber eine Ausnahme für ArbeitnehmerInnen, die in häuslicher Gemeinschaft mit der anvertrauten Person zusammenleben und sie eigenverantwortlich erziehen, pflegen oder betreuen. Das heißt, Migrantinnen, die verantwortlich für eine ältere Person sorgen und in häuslicher Gemeinschaft mit ihr wohnen, wie es meistens der Fall ist, sind von der Norm der wöchentlichen Höchstarbeitszeit von 48 Stunden ausgenommen. Über den Begriff "Eigenverantwortlichkeit" wird jedoch noch gestritten.


Der politische Rahmen

Um diesen Sektor als Jobquelle zu erschließen, sind Bemühungen gestartet worden, die informellen Hausarbeits- und Sorge-Arbeitsmärkte zu formalisieren. Steuerliche Anreize, Haushaltsschecks, Erhöhung der Minijob-Verdienste waren bislang nicht erfolgreich. Zudem waren diese Instrumente eher für stundenweise in Haushalten Beschäftigte konzipiert.

Die Politik in Deutschland hat nur sehr wenige Aktivitäten entwickelt, um die Versorgungslücke zu entschärfen, und scheint im Zuge der Privatisierung der Sorgearbeit die informelle Arbeit von Migrantinnen in der 24-Stunden-Pflege zu tolerieren. Nach einer Mobilisierung von Arbeitgebern zugunsten der Regularisierung irregulärer Migrantinnen in der Im-Haus-Pflege wurde im Jahr 2001 die Anwerbestoppausnahmeverordnung reformiert; dies ermöglichte die temporäre Zuwanderung und Beschäftigung von Haushaltshilfen in Haushalten mit pflegebedürftigen Personen. Die EU-Osterweiterung und die Herstellung der Personenfreizügigkeit im Mai 2011 hat dieses Programm, das hauptsächlich mit den neuen Beitrittsländern Anwerbevereinbarungen geschlossen hatte, obsolet gemacht, da zeitliche Begrenzung und Steuerung des Aufenthaltes nicht mehr durchsetzbar sind. Laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit war die Zahl der nach dem Anwerbeprogramm rekrutierten Haushaltshilfen (Paragraph 21 der Beschäftigungsverordnung) relativ niedrig (1948 Anwerbungen im Jahr 2010).


Arbeitsbedingungen

Die meisten der heute in Deutschland in der Im-Haus-Pflege arbeitenden EU-Migrantinnen sind temporär Entsandte einer im EU-Ausland angemeldeten Firma im Rahmen der EU-Dienstleistungsdirektive. Ihre Entlohnung und ihr Versicherungsverhältnis werden nach den Regeln des Landes gestaltet, in dem die Firma ihren Sitz hat. Damit befinden sich die Arbeiterinnen zwar in legalen Arbeitsverhältnissen, jedoch ist ihre Entlohnung kaum höher als die irregulärer Arbeitsverhältnisse, und eine Kontrolle über die Einhaltung von Arbeitsgesetzen ist in einem Arbeitsverhältnis in der Privatsphäre des Arbeitgebers nicht durchsetzbar.

Ein weitaus kleinerer Teil der Migrantinnen in der Im-Haus-Pflege stammt aus außereuropäischen Ländern (Philippinen, Lateinamerika, Ukraine u.a.), in den meisten Fällen sind sie irregulär hier. Die Politik scheint den Im-Haus-Pflegebedarf mit dem billigen Arbeitskräftereservoir aus den ehemals sozialistischen Ländern Mittel- und Osteuropas decken zu wollen. Das hat zur Entstehung eines EU-internen, transnationalen Niedriglohn- und Niedrigstandard-Arbeitsmarktes geführt. Hier wird die prekäre und ungeschützte 24-Stunden-Arbeit toleriert, da die Haushalte kaum in der Lage wären, die Kosten für ein regulär beschäftigtes Drei-Schichten-Pflegepersonal zu tragen, was die Alternative wäre.


An der Grenze zur Zwangsarbeit

Trotz einiger Versuche, das Thema in die EU-Institutionen einzubringen, ist die irreguläre und informelle Sorge-Arbeit der Migrantinnen in den Texten der Kommission kein Thema. Die migrationspolitischen Ziele der EU-Kommission sprechen vorwiegend die Hochqualifizierten an. Wenn sie Niedrigqualifizierte ansprechen, dann nicht die Haus- und Sorgearbeiterinnen. In den Texten über die Langzeitpflege werden die Migrantinnen kaum erwähnt. Die Richtlinie zur Bekämpfung illegaler Migrantenbeschäftigung sieht leichtere Strafen für Arbeitgeber illegaler Hausarbeiterinnen vor als für andere Arbeitgeber.

Es ist wichtig, hier zu erwähnen, dass im Europarat die Situation der Migrantinnen in der Haus- und Sorgearbeit unter den Aspekten "Zwangsarbeit", "Menschenhandel" und "moderne Sklaverei" diskutiert wurde. Im Jahr 2001 und 2004 verabschiedete der Europarat Empfehlungen gegen den "Menschenhandel" im Bereich der Hausarbeit. Als Beispiel für Ausbeutungsverhältnisse, welche die Bezeichnung "Zwangsarbeit" und "Menschenhandel" verdienen, wurden insbesondere Beschäftigte in Diplomatenhaushalten und in Haushalten von Angestellten internationaler Organisationen genannt, die einen Diplomatenstatus haben. Sie genießen nach dem Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen von 1961 Immunität und können nicht belangt werden, wenn sie die Menschenrechte ihrer Hausangestellten verletzen.


Die ILO-Konvention

Inzwischen wurden auf internationaler Ebene jedoch wichtige Schritte für die Rechte der Migrantinnen in der Hausarbeit unternommen. So hat die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) im Jahr 2011 die Konvention "Menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte" verabschiedet. Die Konvention fordert die Mitgliedstaaten auf, die Arbeitsrechte der Hausarbeiterinnen zu schützen und zu sichern. Bezüglich anderer Rechte, z.B. das Recht auf ein Familienleben, enthält die ILO-Konvention allerdings keine weitreichenden Aussagen. Sie betont zwar das Recht der Hausarbeiterinnen auf Mutterschaftsurlaub, enthält jedoch keinen Hinweis auf die Aufhebung der Trennung von der eigenen Familie, die durch die 24-Stunden-Sorge notwendig wird.

Bislang wurde die Konvention von nur vier Ländern ratifiziert: Uruguay, den Philippinen, Mauritius und Italien. Immerhin hat die EU-Kommission Ende März 2013 die EU-Länder aufgefordert, die ILO-Konvention zu ratifizieren.


Maria Kontos ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main. Ihre Forschungsschwerpunkte sind u.a. Migrationssoziologie und Soziologie der Geschlechterverhältnisse. Derzeit arbeitet sie u.a. an einem EU-Forschungsprojekt zur Integration von Migrantinnen in Arbeitsmarkt und Gesellschaft.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5, 28. Jg., Mai 2013, S. 12
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juni 2013