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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1753: Die Beschäftigten im Textilbereich können sich jetzt organisieren


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 7/8 - Juli/August 2013
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Die Beschäftigten im Textilbereich können sich jetzt
organisieren

Heiner Koehnen (TIE) über internationale Solidarität am Beispiel des Brandschutzabkommens für Bangladesh in einem Interview der SoZ-Redaktion



Am 24. April stürzte bei einem Brand in der Nähe von Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesh, ein achtstöckiges Gebäude mit mehreren Fabriken ein; 1100 Menschen verloren dabei ihr Leben, über 2500 wurden verletzt. Die Bilder gingen um die Welt und führten zu verbreiteter Empörung über die Arbeitsbedingungen im Bekleidungssektor in Südasien. Das war ein wichtiger Impuls für die laufende Bemühung von Gewerkschaften und NGOs, die großen Handelskonzerne, die in Bangladesh herstellen lassen, dazu zu bewegen, dass ihre Zulieferer ein Brandschutzabkommen akzeptieren und die Gewerkschaften an seiner Überwachung beteiligen. Nahezu alle großen Handelshäuser aus Europa und den USA, die in Bangladesh produzieren lassen, haben das Abkommen inzwischen unterzeichnet. Seine Bedeutung geht weit über den reinen Brandschutz hinaus.

Die SoZ sprach darüber mit Heiner Koehnen. Er arbeitet bei Trans International Exchange (TIE), ein globales Netzwerk von Basisaktivisten in Betrieben und Stadtteilen. Es umfasst Gewerkschafter und Nichtgewerkschafter aus dem formellen und informellen Sektor. Es dient der Förderung der Kooperation unter Beschäftigten und ihren Gewerkschaften weltweit. Das Netzwerk wurde 1978 gegründet und ist heute in Bangladesh, Brasilien, China, Kolumbien, Frankreich, Indien, Deutschland, Mali, Marokko, Mosambik, Nigeria, Südafrika, Sri Lanka und in der Türkei aktiv.


SoZ: Nach dem Gebäudeeinsturz im April in Bangladesh haben im Mai 38 Textilunternehmen, darunter Aldi, Lidi, H&M, Zara, Kik, Esprit, Primark, C&A u.ä., ein Brand- und Gebäudeschutzabkommen unterzeichnet (Stand: 24.5.). Was sieht es vor und was bringt es?

Heiner Koehnen: Vor allem schafft es neue Räume für gewerkschaftliche Organisierung. Erst dann, wenn die Leute sich selbst einmischen können, sich selbst vertreten können, wird es wirkliche Fortschritte geben. Unter anderem ist vorgesehen, dass Gewerkschaften an der Schulung von Beschäftigten beteiligt werden, das ist etwas völlig Neues, dagegen haben sich die Unternehmen bislang mit Zähnen und Klauen gewehrt. Zum erstenmal kommen die Gewerkschaften damit an die Listen der Zulieferer ran, es gibt also eine Öffentlichkeit.


SoZ: Was heißt Schulung in diesem Fall?

Heiner Koehnen: Die Zulieferer, das sind über 1000 direkte Zulieferer, sollen zum Thema Brandschutz geschult werden. Die Unternehmer wollten das zunächst auf einem rein technischen Niveau halten, wurden aber damit konfrontiert, dass es dabei um viel mehr geht, nämlich um das Recht der Beschäftigten, Beschwerde einzureichen, und um die Festlegung eines Beschwerdemechanismus, an dem die Gewerkschaften beteiligt sind, an die die Beschäftigten ihre Beschwerde weiterleiten können - und darum, dass diese ein Recht haben, sich gewerkschaftlich zu organisieren.

Die Gewerkschaften sind künftig an der Beschwerdepraxis beteiligt, an der Umsetzung beteiligt, an der Schulung beteiligt. Sie haben zu prüfen, dass bei all den hunderten von Zulieferern auch wirklich Arbeitsschutzkomitees eingerichtet werden. Rechtlich ist das nichts Neues, aber es kann jetzt eingefordert werden.

Die Umsetzung des Abkommens wird nicht einfach, aber das Abkommen ist ein Riesenfortschritt und geht weit über den reinen Brandschutz hinaus.


SoZ: Liegt das Problem darin, dass es gesetzliche Bestimmungen gibt, die nicht eingehalten werden? Oder gibt es sie gar nicht?

Heiner Koehnen: Beides. Es gibt in Bangladesh eine besondere Situation, die man nicht einmal mehr Korruption nennen kann: 80% der Exporteinnahmen kommen aus dem Bekleidungssektor. Der Großteil der Abgeordneten sind entweder selber Textilunternehmer oder sie haben einen in der Familie. Unternehmerklasse und politische Klasse sind quasi eins. Da ist es schwer, etwas zu fordern.

Die Arbeitsschutzkomitees stehen im Gesetz, aber sie werden nirgends umgesetzt. Auf dem Papier gibt es auch das Recht sich zu organisieren, aber in der Realität ist das überhaupt nicht der Fall. Nach der Rana-Plaza-Katastrophe gibt es derzeit jedoch eine Gesetzesinitiative, die gewerkschaftliche Organisierung zu erleichtern. So soll u. a. die Praxis, dass die Namen der Gewerkschaftsmitglieder automatisch an die Unternehmen weitergeleitet werden, abgeschafft werden.


SoZ: Hat es von deutscher Seite aus Druck auf die Textilkonzerne gegeben bzw. Unterstützung seitens unserer Gewerkschaften für ihre Partner in Bangladesh?

Heiner Koehnen: Ja. Betriebliche Initiativen, Ver.di, globale Gewerkschaftsverbände wie UNI und IndustrieAll haben zusammen mit NGOs wie die Kampagne Saubere Kleidung oder das Workers Rights Consortium an einem Strang gezogen.


SoZ: Was habt ihr gemeinsam gemacht?

Heiner Koehnen: TIE ist Teil des Exchains-Netzwerks, in dem seit über zehn Jahren Beschäftigte und Gewerkschaften aus dem Einzelhandel hier und den Zuliefererketten aus Südasien sich gegenseitig unterstützen. Seit eineinhalb Jahren setzen sich Betriebsräte von H&M, Zara oder Metro auf betrieblicher Ebene bspw. auf Betriebsversammlungen dafür ein, dieses Brandschutzabkommen zu erreichen. Aktivisten machten dazu Straßentheater. Ver.di hat das bspw. über Schulungen von Beschäftigten unterstützt. Die Beschäftigten hier fühlen sich von der Lage ihrer KollegInnen in Bangladesh betroffen, die Betriebsräte haben die Arbeit am Brandschutzabkommen als Teil ihrer alltäglichen Arbeit begriffen und nicht nur akut auf die Katastrophe reagiert. Die Gewerkschaft NGWF aus Bangladesh hat im Mai eine Solidaritätsadresse zum derzeitigen Tarifkampf geschickt, die Beschäftigten dort haben über die Situation der Einzelhandelsbeschäftigten in Deutschland informiert - da entsteht viel.

Ver.di, UNI (der internationale Gewerkschaftsdachverband im Dienstleistungssektor), IndustrieAll und die Kampagne Saubere Kleidung waren sich in den letzten Wochen vor Abschluss des Abkommens einig, bei den Verhandlungen auf keinen Fall nachzugeben. Das hat folgenden Hintergrund: In den letzten Monaten gab es einen Versuch der GIZ*, ein alternatives Brandschutzabkommen zu entwickeln, das in wichtigen Fragen wie der gewerkschaftlichen Beteiligung wesentlich schwächer ausgefallen wäre. An dem Punkt ist IndustriAll hart geblieben und hat zusammen mit UNI und der Kampagne Saubere Kleidung weiter mit den Einzelhandelsunternehmen (gegen die Initiative der GIZ) verhandelt. Wahrscheinlich ist es auch dem hohen öffentlichen Druck nach der Katastrophe geschuldet, dass es gelungen ist, Inditex/Zara und H&M zu gewinnen, das Abkommen zu unterschreiben - zwei Tage bevor die GIZ ihr verhandeltes Brandschutzabkommen unter Dach und Fach bekommen wollte. Die GIZ ist zwar jetzt auch an der Überwachung beteiligt, aber erst einmal ist deren Initiative gescheitert.


SoZ: Gibt es auf der Ebene der Beschäftigten Formen direkter Solidarität?

Heiner Koehnen: Ja, das ist möglich. Einiges organisieren wir über unser Netzwerk, z. B. kommen regelmäßig ein-, zweimal im Jahr Delegationen von Gewerkschaftern nach Deutschland, sprechen auf Betriebsversammlungen, besuchen Betriebsratstreffen usw. Umgekehrt haben wir Beschäftigte in Zulieferbetrieben in der Türkei, China, Bangladesh und Sri Lanka besucht. Das Netzwerk gibt einen regelmäßigen Newsletter heraus, wo wir uns gegenseitig informieren über die Situation des Einzelhandels hier und die Situation der Näherinnen dort, diese Newsletter werden auf den Betriebsversammlungen thematisiert oder auch in die eigenen Betriebszeitungen übernommen, usf.


SoZ: Führt das zu gemeinsamen Forderungen und Kampfperspektiven oder bleibt das eher auf der Ebene des Informationsaustausches?

Heiner Koehnen: Ersteres. Das Brandschutzabkommen wäre so nicht zustande gekommen, hätten neben einer Initiative wie der Kampagne Saubere Kleidung nicht auch die Beschäftigten und Ver.di gemeinsam Druck aufgebaut. Das war schon eine gemeinsame Forderung. Derzeit sind wir dabei, eine zweite Forderung zu einer gemeinsamen Kampagne zu entwickeln: Wir haben ausgerechnet, wenn man jeder Näherin in Bangladesh für die Produktion von Waren von H&M 50 Euro im Monat mehr zahlen würde, also statt 30 Euro 80 Euro, dann würde bspw. eine Hose hier zwischen 11 und 12 Cent mehr kosten. Wir wollen nicht deren Lohnverhandlungen ersetzen, aber die Gewerkschaften in Südasien sagen, die Preisspannen für die lokalen Kapitalisten sind so knapp, dass man auch diesen Spielraum nutzen muss. Im September werden wir über die Möglichkeit einer solchen Kampagne auf einem gemeinsamen Seminar in Sri Lanka sprechen. Vor Ort würden dann Lohnforderungen gestellt, die wir unterstützen, indem wir verlangen, dass der Einzelhandel einen höheren Produktionspreis fordert. Dann zahlt entweder der Konsument, oder die Profite werden kleiner.


SoZ: Wie lässt sich denn absichern, dass ein höherer Preis hier tatsächlich den Kolleginnen in Bangladesh zugute kommt?

Heiner Koehnen: Unsere Vorstellung geht dahin, die Gewerkschaften mit einzubeziehen, in der Weise, dass die sagen können: Das Geld kam bei den Kolleginnen an oder nicht. Da die Zulieferer jetzt bekannt sind, lässt sich sagen, der und der Zulieferer zahlt das und das, das kann die Gewerkschaft mitteilen.

Im Moment hat die Bekleidungsgewerkschaft NGWF glaube ich, 37 oder 38 offizielle Betriebsgewerkschaften, weil es sehr schwer ist, solche zu gründen. Aber es gibt in ca. 1000 Betrieben Gewerkschaftskomitees, die zum großen Teil informell oder heimlich, also ohne Wissen des Unternehmers, agieren. Über diese würde man versuchen, das zu überwachen.


SoZ: In Deutschland gibt es ja zum Teil auch Dritte-Welt-Verhältnisse, was die Arbeitsverhältnisse anbelangt.

Heiner Koehnen: Dritte-Welt-Bedingungen ist jetzt vielleicht ein großes Wort, aber der Einzelhandel arbeitet immer weniger mit Vollzeitstellen. H&M ist da so etwas wie ein Vorreiter, hier wurden Teilzeitstellen mit flexiblen Arbeitszeiten eingeführt, sie nennen sich Stundenlöhner oder Jahresarbeitszeitler. Stundenlöhner wissen am Anfang des Monats oft nicht, wieviele Stunden sie arbeiten, wann sie arbeiten, wieviel Lohn sie bekommen; die Jahresarbeitszeitler haben Verträge über eine durchschnittliche monatliche Stundenzahl, das können mal 10, mal aber auch 50 Stunden sein, und sie wissen nicht, wann sie sie leisten müssen. Das schafft Druck, wenn du nicht spurst, kriegst du die Stunden nicht.

Auch die gewerkschaftliche Betätigung wird immer wieder behindert. In Berlin wollte H&M ein ganzes Betriebsratsgremium auflösen, weil es die Personaleinsatzpläne nicht unterschreiben wollte. Die Geschäftsleitung hat das als geschäftsschädigendes Verhalten interpretiert. Gegen aktive Betriebsräte hagelt es immer wieder Abmahnungen. Das Recht auf gewerkschaftliche Betätigung steht auch hier oft genug nur auf dem Papier.

(*) Die GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) unterstützt nach eigener Darstellung "die Bundesregierung bei der Erreichung ihrer Ziele in der internationalen Zusammenarbeit".

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 7/8, 28. Jg., Juli/August 2013, S. 5
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. August 2013