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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1771: Tarifrunde Einzelhandel - Zeit für eigene Forderungen


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 11 - November 2013
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Tarifrunde Einzelhandel
Zeit für eigene Forderungen

Von Helmut Born



In der Tarifrunde des Einzelhandels ist auch nach fünf Monaten keine Lösung des Konflikts in Sicht.


In den ersten Verhandlungsrunden nach der Sommerpause, die in mehreren Bundesländern stattfanden, beharrten die Einzelhandelsbosse auf ihrer Forderung nach Verschlechterungen im Manteltarif- und Lohn- oder Gehaltstarifvertrag. Vor allem die Einführung einer neuen Niedriglohngruppe für Auffüller und die Streichung der Nachtarbeitszuschläge für diese Beschäftigten scheint ihnen besonders wichtig zu sein.

Dahinter stehen knallharte Forderungen vor allem solcher Unternehmen, die die verlängerten Ladenöffnungszeiten bis 24 Uhr nutzen, denn der Nachtarbeitszuschlag von 55% ist schon ab 20 Uhr zu zahlen. Hier ist vor allem die Metrotochter real und die Supermarktkette Rewe zu nennen. In beiden Firmen werden die Regale nachts von Leiharbeitskräften aufgefüllt. Bisher bekommen sie einen Stundenlohn von 6,63 Euro, der nach dem Tarifvertrag des Deutschen Handels- und Industrieangestelltenverbands, einer Organisation des Christlichen Gewerkschaftsbunds, mit einem Logistikverband gezahlt wird. Würden diese Beschäftigten nach dem Einzelhandelstarifvertrag bezahlt, bekämen sie einen Stundenlohn von 12,45 Euro und den Nachtarbeitszuschlag von 55%, macht zusammen 19,30 Euro die Stunde. Das ist eine Differenz von gut 12 Euro pro Stunde. Da aber in den Leiharbeitsunternehmen, die diese Arbeit verrichten lassen, eine sehr hohe Fluktuation herrscht und die vereinbarte Anzahl von Arbeitskräften oft nicht anwesend ist, kommt es häufig zu leeren Regalen in den Supermärkten. Um aus diesem Dilemma und der Kritik an diesen Arbeitsverhältnissen herauszukommen, sind die Einzelhandelsbosse auf die Idee einer neuen Niedriglohngruppe gekommen, in der die Kosten nicht höher sind als bei den Leiharbeitsunternehmen.

Dies ist nur ein Beispiel für die Forderungen der Einzelhandelsbosse. Weitere Beispiele sind ihre Forderung nach Streichung von tariflichen Zuschlägen und der Einführung von Vertrauensarbeitszeit: Es geht ihnen dabei um eine Absenkung der Lohnkosten und um weitgehende Flexibilisierung.

Zum 1. August gab es in allen grossen Einzelhandelsunternehmen eine einseitige Lohnerhöhung von 2,5% - als sog. freiwillige Leistung. Das entspricht der Strategie der Einzelhandelsbosse in dieser Tarifrunde: Sie wollen Ver.di eine Lösung des Tarifkonflikts nach ihren Bedingungen diktieren. Wieder einmal versucht ein Unternehmerverband durch knallharten Klassenkampf von oben einer Gewerkschaft eine Niederlage beizubringen.

Dass dies von Ver.di nicht akzeptiert werden kann, dürfte jedem Gewerkschaftsmitglied bewusst sein. Leider ist aber nicht zu erkennen, dass Ver.di bereit ist, auf diese Kampfansage eine ebensolche Antwort zu geben. Was sollen die Beteuerungen nach fairer Behandlung und fairer Bezahlung bei solchem Verhalten des Einzelhandelsverbands? Auch das Angebot, über den Manteltarifvertrag und eine neue Entgeltstruktur ab Januar 2014 zu verhandeln, wurde von den Unternehmern brüsk zurückgewiesen.

Was wir brauchen, ist eine deutliche Erwiderung der Kampfansage der Bosse. Insbesondere muss die Öffentlichkeit über die Strategie der Unternehmer unterrichtet werden. Es handelt sich hier um klassische Lohndrückerei, diesmal über eine tarifliche Regelung. Dass die Öffentlichkeit auf sowas reagiert, konnten wir in den letzten Jahren bei Lidl, Schlecker, Kik usw. schon mehrmals erleben.

Außerdem muss Ver.di aus der defensiven Haltung raus. Die Forderungen der Unternehmer müssen durch eigene Forderungen gekontert werden. Warum fordert Ver.di nicht eine bessere Bezahlung von Fachverkäufern oder eine generelle Arbeitszeitverkürzung zumindest auf 35 Stunden pro Woche, um der zunehmenden Arbeitsverdichtung entgegenzuwirken? Dazu bedarf es natürlich einer intensiven Diskussion in der Mitgliedschaft, an der es bisher gemangelt hat. So wurde der Vorschlag von Ver.di, ab Januar mit den Bossen über den Manteltarifvertrag zu verhandeln, der Tarifkommission in NRW ohne jede Diskussion als Verhandlungsgrundlage präsentiert. Solch ein Vorgehen kann gerade in solch einer schwierigen Tarifrunde sehr negative Folgen haben.

Jetzt ist offensichtlich die Strategie vom Frühjahr, keine Verhandlungen mit den Unternehmern über den Manteltarifvertrag zu führen, an ihr Ende gelangt. Die harte Haltung der Unternehmer zwingt gerade dazu, sich über die eigenen Forderungen Gedanken zu machen. Dass diese breit in der Mitgliedschaft diskutiert werden, ist eine Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Tarifrunde.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 11, 28. Jg., November 2013, S. 8
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. November 2013