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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1886: Die GDL holt für die anderen die Kastanien aus dem Feuer


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 12 - Dezember 2014
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Lokführerstreik und Tarifeinheit
Die GDL holt für die anderen die Kastanien aus dem Feuer

Von Manfred Dietenberger



In der aktuellen Tarifauseinandersetzung zwischen der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) und der Deutschen Bahn (DB) geht es längst nicht mehr um 5% mehr Geld, eine Arbeitszeitverkürzung um zwei Stunden, die Reduzierung der Überstunden und eine bessere Schichtplanung. Es geht um die Neubewertung des verfassungsmäßig geschützten Guts "Tarifautonomie" und um das Recht einer Gewerkschaft, Tarifverhandlungen für alle ihre Mitglieder zu führen.


Schon 2007, als die Lokführer einen eigenständigen Tarifvertrag erstreikten, schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (4.11.2007): "In diesem Konflikt geht es bei weitem nicht nur um etwas mehr Geld und nettere Arbeitszeiten für ein paar Lokführer. Es geht auch um eine Neujustierung des Arbeitskampfrechts angesichts des in Deutschland vergleichsweise jungen Phänomens kampflustiger Spezialgewerkschaften."

In der Vergangenheit hatte die GDL bei der Bahn die Verhandlungsführerschaft für die Lokführer, die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) für das Zugpersonal. Doch das Bundesarbeitsgericht hat in seinem Grundsatzurteil von 2010 die bisherige Praxis verworfen, nur einen Tarifvertrag für eine Berufsgruppe in einem Unternehmen gelten zu lassen, das laufe dem Grundgesetz zuwider. Seitdem hat die GDL das Recht, für alle ihre Mitglieder eigene Tarifabschlüsse anzustreben.


Das Recht ist auf der Seite der GDL

Das aber will die Deutsche Bahn nicht anerkennen und fordert für sich auch weiterhin Tarifeinheit. Bislang zielte die Taktik der Bahn darauf ab, die Verantwortung für die von ihr gewünschte Tarifeinheit den Gewerkschaften GDL und EVG zuzuschieben. In den sich selbst gleichschaltenden Medien wird immer wieder der Vertretungsanspruch der GDL "für das gesamte Zugpersonal", also nicht nur für die bei ihr organisierten Lokführer, sondern auch für die Zugbegleiter, Bordgastronomen, Disponenten und Trainer Tarife skandalisiert.

Dieser vermeintliche universale Vertretungsanspruch der GDL bezieht sich aber ausschließlich auf diejenigen Kollegen, die bei ihr organisiert sind. Eigentlich nichts Aufregendes, sondern Normalität bei jeder Gewerkschaft: Tarifverträge werden für die eigenen Mitglieder abgeschlossen. Die Unternehmer wenden diese dann aber auch auf die Unorganisierten im Betrieb an, um den Gewerkschaften keine neuen Mitglieder zuzutreiben.

Das aber passt aber weder der DB noch der EVG. Die im DGB organisierte EVG will weiterhin ihre tarifpolitische Zuständigkeit für das Zugbegleitpersonal nicht an die GDL abgeben. Darauf hat sie aber keinen Rechtsanspruch mehr. Mit der Aufhebung des jahrzehntelangen Grundsatzes "Ein Betrieb - ein Tarifvertrag" kippte das Bundesarbeitsgericht 2010 die Tarifeinheit. Ihre Entscheidung begründeten die Richter unter anderem damit, dass "Tarifeinheit" ein rein "gewerkschaftliches Ordnungsprinzip" sei, ohne jedwede öäRechtsgrundlage: "Es gibt keinen übergeordneten Grundsatz, dass für verschiedene Arbeitsverhältnisse derselben Art in einem Betrieb nur einheitliche Tarifregelungen zur Anwendung kommen können." "Die Verdrängung eines von einer Gewerkschaft geschlossenen Tarifvertrages nach dem Grundsatz der Tarifeinheit stellt sowohl einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die kollektive Koalitionsfreiheit der tarifschließenden Gewerkschaften als auch in die individuelle Koalitionsfreiheit des an diesen gebundenen Gewerkschaftsmitgliedes dar."

Was Nahles nun im Auftrag des Kapitals in Gesetzesform gießen will, ist nichts anderes als der Versuch, den Rechtszustand von vor 2010 wiederherzustellen und damit die "Verdrängung von Tarifverträgen" und "nicht gerechtfertigte Eingriffe in das Koalitionsrecht" gegen die Arbeiterbewegung durchzuboxen - und gleichzeitig das Streikrecht weiter einzudämmen.


Ein Maulkorb-Gesetz

Das Schlimme daran ist, dass sie sich dabei nicht isoliert vorkommen muss. Schon 2010 starteten BDA und DGB eine gemeinsame Gesetzesinitiative mit dem Ziel der "Wiederherstellung der vor der BAG-Entscheidung gültigen Rechtslage". Zu welchem Preis das nur geschehen kann, erklärte 2013 die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Ingrid Schmidt so: "Ohne gesetzliche Regelungen des Arbeitskampfs sind einheitliche Tarifvereinbarungen für alle Beschäftigten eines Betriebes nicht machbar."

Detlef Hensche, ehemals Vorsitzender der IG Medien wurde Anfang dieses Jahres noch deutlicher: "Nein, was hier treuherzig als Rückkehr zur früheren Rechtsprechung eingefordert wird, erweist sich bei näherer Betrachtung als veritables Streikverbot. Der Kern der BDA-Initiative liegt nicht in der Tarifeinheit, sondern darin, dass die aus dem dominierenden Tarifvertrag folgende Friedenspflicht auch auf die konkurrierende Gewerkschaft erstreckt werden soll. Das ist neu und stellt nicht etwa frühere Rechtsprechung wieder her. Diese hatte nämlich die Einheitsdoktrin aus guten verfassungsrechtlichen Gründen nicht etwa dahin überdehnt, dass sie der konkurrierenden Gewerkschaft auch noch das Streikrecht beschnitten hätte. Genau dies aber soll in Zukunft geschehen."

Für die Notwenigkeit eines Gesetzes zur Tarifeinheit wird immer wieder behauptet, es wäre nicht möglich in einem Betrieb/Unternehmen mehrere Tarifverträge parallel zu haben. Doch unterschiedliche Tarifverträge sind heute längst vielerorts betriebliche Alltagswirklichkeit. Auch bei der Bahn. Auch dort gibt es heute schon für die Berufsgruppe der Lokführer drei Tarife: einen für die Beamten, einen für die "alten" Tarifkräfte und einen für die "neuen". Bei den privaten Konkurrenten der Deutschen Bahn sind parallele Tarifverträge von EVG und GDL eher die Regel als die Ausnahme. "Schwierigkeiten, etwa durch abweichende Arbeitszeiten oder Pausenregelungen, gibt es in der Praxis nicht", sagt Engelbert Recker, Chef von Mofair, dem Verband privater Nahverkehrsunternehmen.


Ver.di und NGG bleiben standhaft

Das Kabinett will das Gesetz zur "Tarifeinheit" am 3. Dezember auf den Weg bringen. In Kraft treten soll es zum 1. Juli 2015. Soweit ist es noch nicht, wenngleich der Vorstand der IG Metall den Gesetzentwurf zur Tarifeinheit begrüßt hat, weil er angeblich keine Einschränkung des Streikrechts vorsieht: "Die Auflösung von Tarifkollisionen nach dem Mehrheitsprinzip ist zu begrüßen." EVG und IG BCE signalisieren ebenfalls jetzt schon Zustimmung.

Anders jedoch Ver.di und die NGG. Michaela Rosenberger, Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten warnte Anfang November: "Der von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles vorgelegte Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Tarifeinheit birgt die Gefahr des Eingriffs in das Streikrecht durch die Hintertür. Wenn künftig auf Antrag einer Tarifvertragspartei gerichtlich festgestellt werden kann, welche Gewerkschaft in einem Betrieb die Mehrheit hat, um daraus abzuleiten, welcher Tarifvertrag angewendet wird, wird automatisch mitentschieden, wer streiken darf. Auch zu einem indirekten Eingriff der Gerichte in das Streikrecht darf es nicht kommen."

Für die NGG bleibe das Prinzip "Ein Betrieb, eine Gewerkschaft, ein Tarifvertrag" eine politische und keine juristische Aufgabe. In Richtung Unternehmer sagte sie: "Der Ruf nach gesetzlicher Regelung der Tarifeinheit hat nach wie vor zum Ziel, das Streikrecht zu reglementieren. Seit Jahren nutzen die Arbeitgeber zwischengewerkschaftliche Konkurrenz, um Tarifstandards abzusenken. Dort aber, wo Überbietungskonkurrenz droht, soll der Einfluss der Gewerkschaften durch gesetzliche Maßnahmen verringert werden."

Die NGG-Vorsitzende erinnerte auch daran, dass vor allem die Politik der Arbeitgeber selbst - durch Ausgliederungen von Betriebsteilen, Leiharbeit und Werkverträge - und auch die mögliche Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband ohne Tarifbindung die Tarifverträge ausgehöhlt habe. "Die Arbeitgeber sollten besser für höhere Tarifbindung sorgen und damit die Tarifautonomie stärken, anstatt nach dem Gesetzgeber zu rufen."

Macht sich da die Deutsche Bahn AG die Nähe zu ihrem Eigentümer Bund zunutze, oder bedient sich die Bundesregierung der DB zur Durchsetzung ihrer Streikrechtdemontage? Wahrscheinlich ist die Sache zweigleisig. Diese und alle anderen diesbezüglichen Fragen könnte von den Kolleginnen und Kollegen zum Anlass genommen werden, mal gemeinsam das Betriebsratsbüro aufzusuchen, um sich zu informieren. Wie wär's mit dem 3. Dezember 2014?


KASTEN
 
Die Berufsgewerkschaften

Neben der GDL spielen drei Berufsgewerkschaften eine Rolle bei Tarifverhandlungen in Deutschland: Die Vereinigung Cockpit (VC), die Unabhängige Flugbegleiter Organisation (UFO) und der Marburger Bund, in dem sich Krankenhausmediziner organisiert haben. Über Jahrzehnte hinweg kooperierten sie eng mit Vorgängerorganisationen der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di. 2010 hob das Bundesarbeitsgericht die Tarifeinheit auf.

Herausragende Streikbeispiele

In der Geschichte der BRD gab es immer wieder längere Streiks:
- 1956/57 kämpften 34.000 Beschäftigte der Metallindustrie in Schleswig-Holstein für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Der Streik dauerte 16 Wochen.
- 1984 streikten in Hessen und Baden-Württemberg die Beschäftigten der Metallindustrie sieben Wochen lang für die 35-Stunden-Woche. Die Drucker waren bundesweit sogar zwölf Wochen im Ausstand, worauf die Unternehmer mit massiven Aussperrungen reagierten. In beiden Branchen wurde die 38,5-Stunden-Woche durchgesetzt.
- 1994 legten 100.000 Drucker 17 Wochen lang die Arbeit nieder, um Vorruhestand-Regelungen und einen besseren Gesundheitsschutz sowie eine Gleichstellung von Frauen durchzusetzen. Die Arbeitgeber verpflichteten sich am Ende nur, über diese Themen zu verhandeln.
- 2004 blieben in Leverkusen die Busse 395 Tage lang in den Depots, weil die Beschäftigten einer Tochterfirma der Kraftverkehr Wupper-Sieg (KWS) höhere Löhne forderten. 2012/2013 streikten Beschäftigte des Verpackungsherstellers Neupack in Hamburg acht Monate lang, um einen Tarifvertrag durchzusetzen.
- 2013 legten Beschäftigte im Einzelhandel acht Monate lang immer wieder die Arbeit nieder, bis Anfang 2014 die letzten Lohnabschlüsse unter Dach und Fach waren. In mehr als 950 Betrieben wurde vorübergehend nicht gearbeitet.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 12, 29. Jg., Dezember 2014, Seite 3
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Dezember 2014


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