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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2146: 100 Jahre russische Revolution, Teil 3


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5 · Mai 2017
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

100 Jahre russische Revolution, Teil 3
Der Krieg und sein Klassencharakter

von Manuel Kellner


Der Sturz der Kapitalherrschaft durch Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte hat viele spätere antikapitalistische Bewegungen inspiriert. Die bürokratische Diktatur diskreditierte jedoch die sozialistische Idee. 1991 wurde die Sowjetunion aufgelöst. Was bleibt - 100 Jahre nach der Oktoberrevolution?(*)


Vier Tage, nachdem Lenins Aprilthesen öffentlich geworden waren, erklärte die unter der Leitung von Kamenew und Stalin stehende bolschewistische Zeitung Prawda: «Was das allgemeine Schema des Genossen Lenin betrifft, so erscheint es uns unannehmbar, insofern es von der Einschätzung der bürgerlich-demokratischen Revolution als einer abgeschlossenen ausgeht und mit der sofortigen Umwandlung dieser Revolution in eine sozialistische Revolution rechnet.» Das bedeutete auch eine zweideutige Haltung zur Provisorischen Regierung und zum Krieg. Die Zarenherrschaft war gestürzt. Verteidigte die russische Armee denn jetzt nicht die Revolution gegen das deutsche Kaiserreich? Lenin erreichte in der bolschewistischen Partei bald eine Mehrheit für seine Position, und dazu gehörte die Forderung, den Krieg zu beenden.

Trotzki schrieb in seiner Geschichte der russischen Revolution: «Vom Baltischen bis zum Schwarzen Meer, vom Schwarzen bis zum Kaspischen, und weiter in das Innere Persiens, auf der unübersehbaren Front, standen 68 Infanterie- und 9 Kavalleriekorps. Was sollte mit ihnen nun werden? Was mit dem Kriege?» Schon im Februar, März und April waren die meisten Soldaten zunehmend kriegsmüde, zumal es sie drängte, nach Hause zu gehen und sich die gutsherrlichen Ländereien anzueignen. Dennoch schwankte die Masse der Soldaten - sie waren gegen Angriffshandlungen, aber immer noch halb bereit, in der Verteidigung zu verharren, um die Revolution zu schützen.

Lenin sah einen großen Unterschied zwischen der Haltung der Provisorischen Regierung unter dem Fürsten Lwow als einer Regierung des Kapitals und der Grundbesitzer und der Haltung der Arbeiter und Arbeiterinnen, Soldaten und armen Bauern. Wenn die Regierenden von der Verteidigung des Vaterlands und der Revolution sprachen, dann wollten sie das Volk betrügen und den Krieg als imperialistischen Raubkrieg weiterführen. So sprach der Außenminister Miljukow von Offensiven zur Eroberung von Teilen Kleinasiens und Konstantinopels. Wenn einfache Leute von Verteidigung sprachen, dann meinten sie ehrlich die Verteidigung der Revolution. Den imperialistischen Charakter des Krieges auch von Seiten Russlands erkannten sie nicht. Man musste sie geduldig aufklären und den politischen Lernprozess unterstützen, den die jeweils neuen Ereignisse auslösten.

Eine solche Erfahrung war eben die offen imperialistische Sprache Miljukows. Der war bald nicht mehr zu halten. Am 5. Mai wurde er durch Kerenski ersetzt, der sich der Sozialrevolutionären Partei angeschlossen hatte. Das war die zweite Regierung Lwow und zugleich die erste Koalitionsregierung, an der auch Vertreter der «gemäßigten Sozialisten» teilnahmen, also der Sozialrevolutionäre und der Menschewiki. Diese Regierung sprach nun von einer Vorbereitung der Armee für «defensive und offensive Aktionen zur Abwendung einer etwaigen Niederlage Russlands und seiner Verbündeten», der Entente (Frankreich, Großbritannien, und inzwischen waren auch die USA in den Krieg eingetreten). Sie sprach auch von einer «aktiven Außenpolitik zugunsten des Friedens». In Wirklichkeit wollte die Regierung sich auf den Krieg stützen, um die Fortschritte der Revolution zu hemmen und alle wichtigen Fragen - wie die Einberufung der Konstituierenden Versammlung und die Agrarreform - zu verschieben. Patriotische Gefühle sollten ihr eine Bindung zu breiteren Massen verschaffen. Zugleich wurde die Rätebewegung immer stärker, und in ihr eroberten die Bolschewiki langsam aber sicher Unterstützung für ihre Positionen.

Diese erklärte Lenin zum Beispiel am 7. Mai a.St. (20. Mai n.St.) in einem Offenen Brief an die Delegierten des Gesamtrussischen Kongresses der Bauerndeputierten. Zur Frage des Krieges führte er aus, dass dieser Krieg ein Eroberungskrieg sei, den die Kapitalisten aller Länder zu Eroberungszwecken führen, um ihre Profite zu erhöhen. Die Bolschewiki als «Partei der klassenbewussten Arbeiter und der armen Bauern» lehnten es ab, den Krieg der eigenen Kapitalisten zu rechtfertigen. Die gemäßigten Sozialisten, die an der Regierung beteiligt waren, wollten Kapitalisten und Gutsbesitzer davon überzeugen, einen gerechten Frieden zu schließen. In Wirklichkeit würden sie ihnen aber helfen, den Krieg und seine Leiden in die Länge zu ziehen.

Lenin prangerte das Festhalten der Regierung an den Geheimverträgen an und erklärte, dieser verbrecherische Krieg müsse sofort beendet werden, nicht durch einen Separatfrieden mit Deutschland, sondern durch einen allgemeinen Frieden «gegen die Kapitalisten». Dafür müsse die Staatsmacht in die Hände der Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte übergehen.

Die Bolschewiki verbanden die Haltung zum Krieg mit dem Klassencharakter von Regierung und Staat. Eine Rätemacht, mit der die Arbeitenden und armen Bauern herrschen würden, hätte ihrerseits alles Recht der Welt, sich gegen imperialistische Aggression auch militärisch zu verteidigen. Erst die junge Sowjetrepublik brachte Anfang März 1918 den Frieden mit Deutschland - auf unerwartete und schmerzhafte Weise.

Anmerkung:
(*) In Teil 2 wurden die Februarrevolution und Lenins Aprilthesen behandelt.

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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2140: 100 Jahre russische Revolution - Teil 2

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5, 32. Jg., Mai 2017, S. 20
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juni 2017

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