Schattenblick → INFOPOOL → MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE


SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2187: Scheidung auf katalanisch


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 11 · November 2017
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Scheidung auf katalanisch
Dürfen die Katalanen aus dem Spanischen Staat aussteigen?

von Angela Klein


"Ein Dialog auf Augenhöhe über eine Verfassung des Spanischen Staates, der den in ihm wohnenden Völkern gleiche Rechte gibt", das ist der Preis des katalanischen Regierungschefs Carles Puigdemont, zu dem er auf eine einseitige Unabhängigkeitserklärung verzichten würde. Dass die spanische Verfassung stark reformbedürftig ist, sehen viele Verfassungsrechtler genauso. Madrid aber besteht auf dieser Verfassung und wirft den Katalanen egoistischen Nationalismus vor. Dürfen die Katalanen aus dem Spanischen Staat aussteigen?


Die spanische Verfassung sieht eine Loslösung einzelner Gebiete aus dem Staat nicht nur nicht vor, sie verbietet sie geradezu. Art.2 sagt: "Die Verfassung gründet sich auf die unauflösliche Einheit der spanischen Nation, gemeinsames und unteilbares Vaterland aller Spanier", und Art.8 sagt: "Die Streitkräfte ... haben die Aufgabe, die Souveränität und Unabhängigkeit Spaniens zu garantieren und seine territoriale Integrität und Verfassungsordnung zu verteidigen." Diese Zwangsjacke wollen die Katalanen schon lange nicht mehr anerkennen und betreiben seit dem Tod Francos die Ausweitung ihrer Autonomierechte. Die aber wurden im Zuge der Finanzkrise eher wieder eingeengt. Und alle Bemühungen, auf dem Verhandlungsweg mehr Rechte zu erreichen, haben nicht gefruchtet. Die Katalanen haben somit jedes Recht, einseitig ihre Unabhängigkeit zu erklären, da ihnen sonst jeder Weg versperrt ist.

Die spanische Regierung beruft sich auf den Standpunkt: "Das Gesetz und nur das Gesetz." Sie schämt sich nicht einmal, auf Art.37 des deutschen Grundgesetzes zu verweisen, der der Bundesregierung erlaubt, gegenüber den Länderbehörden - allerdings nur in Abstimmung mit dem Bundesrat! - Bundeszwang auszuüben. Dabei übergeht sie geflissentlich, dass das Grundgesetz, anders als die spanische Verfassung, dem Bürger ein Recht auf Widerstand gegen den Staat einräumt. Das unterscheidet einen demokratischen Staat von einem autoritären Obrigkeitsstaat.

Der britische Economist, des übertriebenen Demokratismus gänzlich unverdächtig, weist darauf hin, dass die britische Regierung 2014 in einer ganz ähnlichen Lage war, als Schottland erklärte, ein Referendum über seine Unabhängigkeit durchführen zu wollen. Der damalige britische Premierminister David Cameron hat das Referendum zugelassen und politisch für den Verbleib geworben. Die spanische Regierung aber hat sich entschieden, Art.155 anzuwenden, der ihr ermöglicht, den Autonomiestatus mit einem Federstrich wieder aufzuheben und die katalanische Regierung ihres Amtes zu entheben. Sie tut dies nicht, weil sie nicht anders könnte, sondern weil sie auf dem Standpunkt steht, dass die verschiedenen im Spanischen Staat lebenden Nationen sich der Dominanz der Kastilier und der Bourbonenmonarchie, der reaktionärsten in Europa, unterzuordnen haben. Dieser Herrenstandpunkt kommt immer wieder in den Kommentaren aus Madrid zum Ausdruck, etwa wenn es heißt, Barcelona müsse "alle 50 Jahre bombardiert werden", damit ihm sein unbotmäßiger Geist ausgetrieben wird. Hier wird eine Verfassung verteidigt, die nicht zu verteidigen ist.


Das Erbe der Diktatur

Spanien ist zudem ein Staat, der immer noch die Eierschalen der Francodiktatur mit sich herumträgt. Nach dem Tod des Diktators heckten sieben Personen in Hinterzimmern eine neue Verfassung aus, sie repräsentierten verschiedene Fraktionen der Eliten, darunter auch sog. Reformfranquisten. Die Kommunistische Partei war auch beteiligt, aber politische Kräfte, die den vollständigen Bruch mit der Franco-Diktatur forderten, waren nicht darunter. Garant dieses bruchlosen Übergangs war das spanische Königshaus, es repräsentiert immer noch die Brücke zur diktatorischen Vergangenheit. Im Einklang mit dieser Rolle hat der König in seiner Rede nach den Ereignissen vom 1.Oktober nicht etwa dazu aufgefordert, einen Dialog in Gang zu bringen, sondern Unterwerfung verlangt.

Der Unterschied zur Bundesrepublik könnte größer nicht sein: Diese hat zwar in der Rechtsprechung und im Personal viel Erblast von der Nazidiktatur übernommen, aber das Grundgesetz gehört nicht dazu, das stellt einen klaren Bruch mit der Nazivergangenheit dar. Die spanische Verfassung wie auch das Staatsverständnis aber atmen immer noch den Geist jenes Dreiklangs aus Monarchie, Armee und Katholizismus, der Franco den Weg geebnet hat. Diese Vergangenheit ist bis heute nicht aufgearbeitet, dem Land fehlt der Demokratisierungsschub, den die 68er-Bewegung in Deutschland gebracht hat.

Die Kontinuität zum Franco-Regime gibt es auch personell, nur zwei aktuelle Beispiele hierfür: Die Vizepräsidentin der Regierung, Soraya Saens de Santamaría, die den Polizeiterror gegen die Wahlen am 1. Oktober angeordnet hat, rühmt sich ihres Vaters, der am 27. September 1975 zwei Mitglieder der baskischen ETA und drei Mitglieder der FRAP hinrichten ließ und später zum Generaldirektor der Guardia Civil ernannt wurde. Pedro Sánchez, Vorsitzender der sozialdemokratischen PSOE und gleichfalls ein Scharfmacher, blickt auf einen Großvater zurück, der zur Zeit des Bürgerkriegs zu den Putschisten gehörte und "der Schlächter" genannt wurde.

Vor diesem Hintergrund versteht sich, warum die jetzige Auseinandersetzung um die katalanische Unabhängigkeit immer wieder Erinnerungen an den spanischen Bürgerkrieg weckt. Katalonien stand an der Spitze des Kampfes gegen das oligarchische Regime, das gegen die Erste Republik putschte (sie existierte nicht einmal zwei Jahre, 1873-1874), und bildete später die Hauptbastion im Bürgerkrieg gegen Franco. Als 1934 der damalige Präsident der katalanischen Regierung, Lluis Companys, in Reaktion auf den Eintritt der katholischen Rechten in die Madrider Zentralregierung die Unabhängigkeit Kataloniens ausrief, hob Madrid das Autonomiestatut, das die Zweite Republik 1932 für Katalonien eingeführt hatte, wieder auf und schlug diesen Akt des Ungehorsams mit Militärgewalt nieder. 1940 wurde Companys in Frankreich von der Gestapo festgenommen und an Franco ausgeliefert, der ihn umgehend hinrichten ließ. Er ist bis heute nicht rehabilitiert. Stattdessen wurde dem katalanischen Regierungschef Puigdemont nach dem Referendum vom 1. Oktober in Madrid nachgerufen, ihn werde dasselbe Schicksal ereilen wie Companys.


Ein linkes Projekt

Diese historische Einordnung zeigt, dass Kämpfe für mehr Autonomie im Spanischen Staat in erster Linie Kämpfe für mehr Demokratie sind. Das gilt nicht nur für die Katalanen, das galt auch schon für die Basken und gilt für Galizier, Andalusier, Valencianer, Balearen, Kanaren genauso. Charakteristisch dafür ist auch, dass sie traditionell - und auch jetzt wieder - von linken Kräften angeführt werden, nicht von rechten. Das linke Spektrum reicht dabei von Teilen der Arbeiterbewegung, zivilgesellschaftlichen Organisationen bis hin zum linken Flügel des Bürgertums, was aber nichts an der Tatsache ändert, dass es hier um mehr demokratische Rechte geht, nicht um weniger. Jeder Mensch, der Spanien bereist, berichtet vom anderen politischen Klima, das in Katalonien im Vergleich zu Kastilien geatmet wird.

Die katalanische Regierung hat in den letzten Jahren ein Gesetz gegen Zwangsräumungen erlassen und unterstützt die Initiative linker Stadtverwaltungen wie Barcelona, mehr Flüchtlinge aufzunehmen und würdig unterzubringen. Katalonien hat nicht ein einziges Flüchtlingsheim gebaut sondern alle Flüchtlinge dezentral untergebracht. Im Februar dieses Jahres forderte eine Massendemonstration "Wir möchten aufnehmen!" Im Zuge der Auseinandersetzungen für das Recht auf Selbstbestimmung ist in Katalonien ein riesiges Netz von zivilgesellschaftlichen Organisationen entstanden, die bereit und in der Lage sind, staatliche Funktionen wahrzunehmen - wie die Vorbereitung des Wahlgangs am 1. Oktober gezeigt hat.

Freilich gibt es auch einen katalanischen Nationalismus, der seine Überheblichkeit gegenüber anderen Bevölkerungen Spaniens zum Ausdruck bringt, anders aber als bei der rechtsextremen Lega Nord in Italien, die am 22. Oktober zu einem konsultativen Referendum für mehr Autonomie für die Lombardei aufgerufen hat, ist diese Strömung nicht dominant und der italienische Staat geht auch anders damit um.

Üblicherweise wird unterschieden zwischen dem Nationalismus unterdrückter und dem unterdrückender Nationen. Die unterdrückte Nation wird zumeist als die auch ökonomisch benachteiligte vorgestellt. Dieses Bild trifft für Katalonien jedoch nicht zu. Katalonien ist mit einem Anteil von 20 Prozent am spanischen Bruttoinlandsprodukt nach wie vor der florierendste Landstrich im Spanischen Staat. Er ist auch der kulturell entwickeltste und hat in einigen Bereichen die fortschrittlichste Gesetzgebung. Der katalanische Nationalismus speist sich aus dem Unwillen, eine rückschrittliche politische Macht zu ertragen, die die eigenen Fortschritte stets behindert hat. Der Verlauf der jüngsten Auseinandersetzungen um das Autonomiestatut belegen dies.

Wenn anfänglich im Zentrum des Kampfs für die Autonomie mehr Rechte für eine unabhängige katalanische Justiz, mehr Gesetzgebungsrechte und eine gleichberechtigte Mitsprache bei der Verwendung der Gelder standen, die Katalonien an Madrid abführt, so hat die Finanzkrise noch einen weiteren Aspekt hinzugefügt. Diese hat nämlich etliche autonomen Regionen in die Verschuldung getrieben, das galt insbesondere auch für Katalonien, das einen starken Bankensektor hat, der massiv in die Finanzkrise involviert war. Die Regierung in Madrid hat diesen Umstand genutzt, um ihre Kontrolle über diese Regionen zu verstärken. 2012 wurde eine Schuldenbremse in die spanische Verfassung eingeführt, womit auch Regionen, die "Rettungsgelder" aus Madrid in Anspruch genommen haben, unter die Kuratel der spanischen Finanzministers gestellt wurden.

Die postfranquistische Verfassung räumte Katalonien 1979 einen sehr schwachen Autonomiestatus ein, er wurde 2005, als die PSOE an der Regierung war, erweitert, die Hälfte der Artikel wurde dabei ausgetauscht. Die Erweiterung betraf u.a. die Anerkennung des Katalanischen als Amtssprache; die Überwachung der katalanischen Regierungstätigkeit und Gesetzgebung durch ein katalanisches Organ (vergleichbar unseren Landesverfassungsgerichten); die Aufwertung der katalanischen Justiz und ihre Mitsprache bei der Besetzung der obersten Richterposten; geteilte Gesetzgebung mit dem Zentralstaat; die Möglichkeit für Katalonien, über die Verwendung seiner Einkommen selbst zu bestimmen und auf gleicher Augenhöhe an einem Finanzausgleich teilzunehmen.

Mit den Stimmen der Linken, republikanischer und regionalistischer Parteien, aber gegen die Stimmen der konservativen PP wurde das reformierte Statut 2006 vom spanischen Parlament angenommen und durch ein Referendum in Katalonien bestätigt.

Im Jahr 2010 jedoch kassierte das Verfassungsgericht das neue Statut, indem es 14 Artikel darin für verfassungswidrig erklärte - nämlich diejenigen, die die oben genannten Fragen betrafen. Die Entscheidung löste große Empörung und Mobilisierung in Katalonien aus und setzte eine Bewegung für die Unabhängigkeit in Gang, in dessen Verlauf breite basisdemokratische Strukturen wie die Asamblea Nacional Catalana gegründet wurden und eine Vielzahl von Gemeinde- und Provinzparlamenten ihr Festhalten am erweiterten Statut bekräftigten. Einige gingen einen Schritt weiter und erklärten sich durch das Urteil des Verfassungsgerichts für "moralisch aus der spanischen Verfassung ausgeschlossen", denn das Streben nach Selbstbestimmung habe innerhalb der Verfassung keinen Platz mehr.

Die Entscheidung des Gerichts hat der Möglichkeit, im Rahmen der Verfassung eine föderalistische Lösung zu entwickeln, ein Ende bereitet. Zweimal, 2014 und 2017, hat die spanische Regierung den Katalanen verboten, über die Frage der Unabhängigkeit auch nur abzustimmen! Darüber haben sich die Katalanen am 1. Oktober hinweggesetzt. Wenn sie sich mit der Unterordnung unter den spanischen Zentralstaat nicht abfinden wollten, bleibt ihnen nur noch die Mobilisierung für einen Weg in die Unabhängigkeit - in der Hoffnung, andere Nationalitäten im Spanischen Staat werden es gleichtun.

Nach bürgerlichem Recht ist eine Ehe zerrüttet, wenn ein Partner dies so erklärt.

*

Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 11, 32. Jg., November 2017, S. 18
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
Telefon: 0221/923 11 96
E-Mail: redaktion@soz-verlag.de
Internet: www.sozonline.de
 
Die Soz erscheint monatlich und kostet 3,50 Euro.
SoZ-Probeabo: 3 Ausgaben für 10 Euro
Normalabo: 58 Euro
Sozialabo: 28 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. November 2017

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang