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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2352: Die Revolutionären Obleute 1916-1919 und die KPD


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 2 · Februar 2019
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Versäumte linke Einheit
Die Revolutionären Obleute 1916-1919 und die KPD

von Manuel Kellner


Die Revolutionären Obleute spielten während des Krieges und in der Novemberrevolution eine zentrale Rolle. Sie waren unabhängig von den bestehenden Gewerkschaftsstrukturen gewählte betriebliche Vertrauensleute und in zahlreichen Industriebetrieben, besonders in den Berliner Rüstungsbetrieben, verankert. Sie lehnten sich gegen die Unterstützung des Krieges durch die SPD und gegen die Burgfriedenspolitik auf.


Im Sommer 1916 organisierten sie Proteststreiks gegen die Verhaftung von Karl Liebknecht, der im Dezember 1914 - bei der zweiten Abstimmung - als einziger Reichstagsabgeordneter der SPD gegen die Kriegskredite gestimmt hatte.

Auch bei den Streiks im Januar 1917 mit den Schwerpunkten in Braunschweig und Leipzig spielten sie die führende Rolle. Diese Streiks forderten einen Frieden ohne Annexionen, Demokratie statt dem Kaiserreich und eine Reihe sozialer Maßnahmen gegen das zunehmende Massenelend. Die russische Oktoberrevolution im November 1917 bestärkte die Revolutionären Obleute darin, für eine Räterepublik einzutreten. Nach deren Abspaltung von der SPD traten sie in die USPD ein, in der auch der Spartakusbund bis Dezember 1918 blieb, und waren dort Teil des linken Flügels. An den Massenmobilisierungen der Novemberrevolution waren sie maßgeblich beteiligt und daher in vielen Arbeiterräten vertreten. Ihre Mitglieder hatten reichlich Autorität in ihren Betrieben und waren in der Lage, viele Arbeiterinnen und Arbeiter zu Aktionen auf die Beine zu bringen.

Im Vergleich zu ihnen war der Spartakusbund Ende 1918 eine kleine, in den Betrieben nicht verankerte und in den Arbeiter- und Soldatenräten nur in bescheidenem Maße vertretene Organisation, die wahrscheinlich nicht mehr als 1000 Mitglieder hatte. Doch er hatte führende Mitglieder wie Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht mit ihrem enormen Prestige, wobei Karl Liebknecht zudem ein unermüdlicher, sehr begabter und massenwirksamer Redner war. Der Spartakusbund hatte auch eine Organisation mit Beitragszahlung, eigener Presse und vielen hochgebildeten Intellektuellen. Die Revolutionären Obleute ihrerseits hatten außer Ernst Däumig und Georg Ledebour keine Intellektuellen und mussten jede ihrer Aktionen bei Bedarf zuvor durch Spendensammlungen in den Betrieben finanzieren.


Regierung gegen Räte

Am 10. November 1918 wurde der sechsköpfige Rat der Volksbeauftragten nach der offiziell behaupteten Abdankung des Kaisers am 9. November die neue deutsche Regierung. Von der sog. MSPD (Mehrheits-SPD) gehörten ihm Friedrich Ebert, Philipp Scheidemann und Otto Landsberg an; die USPD war mit Hugo Haase und Wilhelm Dittmann von ihrem rechten Flügel sowie mit Emil Barth, einem führenden Mitglied der Revolutionären Obleute, vertreten. Am selben Tag traten im Zirkus Busch 3000 Delegierte der Arbeiter- und Soldatenräte zusammen und bestätigten (oder je nach Lesart "wählten") diesen Rat der Volksbeauftragten per Akklamation. Sie wählten auch einen mit MSPD- und USPD-Migliedern weitgehend paritätisch besetzten 28köpfigen Vollzugsrat, der die neue Regierung "kontrollieren" sollte.

Letzteres gelang nicht, wobei auch im Vollzugsrat SPD- und rechte USPD-Mitglieder das Übergewicht hatten, die keineswegs eine Räterepublik wollten und den Räten bestenfalls eine ergänzende Rolle in einer parlamentarischen Republik zubilligten. Sie beschlossen mit großer Mehrheit - wie auch der vom 16. bis 23. Dezember 1918 in Berlin tagende, aus deutschlandweiten Wahlen hervorgegangene Kongress der Allgemeinen Arbeiter- und Soldatenräte, die rasche Durchführung von Reichstagswahlen.

Im Rat der Volksbeauftragten waren Friedrich Ebert und Hugo Haase formell gleichberechtigte Vorsitzende. Doch gelang es Friedrich Ebert rasch, die unangefochten führende Rolle in dieser Regierung zu spielen. Dafür konnte er sich vor allem auf den im Amt gebliebenen bürokratischen Apparat des Kaiserreichs stützen. Dessen Beamte sahen in Ebert nach seiner "Ernennung" zum Reichskanzler durch den scheidenden Vorgänger Max von Baden einen legitimen Nachfolger, während sie auf die Beschlüsse des "Rätepöbels" keinen Pfifferling gaben. Bereits an dieser Stelle wurde die Macht der Räte praktisch vom ersten Tage der Revolution an systematisch unterhöhlt.

Der Rat der Volksbeauftragten zerbrach an der "Blutweihnacht": Die SPD-Führer hatten eine brutale Militäraktion gegen die unliebsame Volks-Marinedivision angeordnet, daraufhin treten die USPD-Mitglieder aus der Regierung aus (siehe auch SoZ 12/2018). Für die Revolutionären Obleute stellte sich damit die Frage, wie sie sich dazu verhalten sollten. Mehrheitlich wollten sie - ähnlich wie Rosa Luxemburg - zumindest bis zu deren nächstem Kongress in der USPD bleiben, um in ihr eine linke Mehrheit zu erreichen oder zumindest mit deren linkem Flügel eine neue revolutionäre Partei aufzubauen.


Spartakus prescht vor

Im Verlauf des Dezember 1918 berieten mehrmals führende Revolutionäre Obleute und Spartakusleute, wie ein organisatorisches Zusammengehen gelingen könne. Die Mehrheit des Spartakusbunds wollte eine rasche Trennung von der USPD. Die Revolutionären Obleute waren damit nicht einverstanden. Da beide Strömungen sich in den allgemeinen Fragen der politischen Orientierung sehr nahestanden, vereinbarten sie, ohne gegenseitige Absprache nichts zu unternehmen. Am 24. Dezember forderte der Spartakusbund von der USPD-Führung die Einberufung eines Kongresses noch im laufenden Monat und rief zugleich seine Mitglieder für den 30. Dezember zu einer Konferenz in Berlin auf, wo dann durch Zusammenschluss mit den Internationalen Kommunisten Deutschlands (IKD) die Kommunistische Partei Deutschlands (Spartakus) gegründet wurde.

Die Revolutionären Obleute beschlossen fünf Forderungen, von deren Annahme sie den Beitritt zu dieser KPD(S) abhängig machten:

1. Rücknahme des Beschlusses, nicht an den Reichstagswahlen teilzunehmen,

2. Parität bei der Besetzung des Parteivorstands,

3. Überarbeitung der sogenannten "Straßentaktik" und Verzicht auf Aktionen ohne ihre Zustimmung,

4. Einfluss auf die Rote Fahne und andere Parteipublikationen,

5. Streichung des Namenszusatzes "Spartakus".

Die neu gegründete KPD lehnte diese Forderungen ab. Die Revolutionären Obleute blieben also außen vor, zumal sie trotz aller gemeinsamen Kritik an der opportunistischen Gewerkschaftsführung dagegen waren, die Gewerkschaften zu verlassen, und Rosa Luxemburg es auf dem Gründungsparteitag nur mit knapper Not schaffte, eine Entscheidung über diese Frage zu vertagen.


Unkoordinierte Aktion

Die Kämpfe vom 4. bis 12. Januar 1919 in Berlin begannen mit der Absetzung von Emil Eichhorn als Polizeipräsident von Berlin durch die seit dem 29. Dezember 1918 von ihren USPD-Mitgliedern "befreite" Reichsregierung; Eichhorn war USPD-Mitglied und den Räten und der Arbeiterschaft gegenüber loyal. Am Abend des 4. Januar 1919 tagte der Berliner Vorstand der USPD zusammen mit der Führung der Revolutionären Obleute und beschloss einen Aufruf zu Protestaktionen am Sonntag, dem 5. Januar. Vom Sturz der Regierung Ebert war in diesem Aufruf ebenso wenig die Rede wie in demjenigen, den die KPD zeitgleich verfasste - alle Linken waren sich einig, dass sich eine in Berlin isolierte linke Regierung nicht würde halten können.

Die Demonstration am 5. Januar wurde viel größer, als erwartet worden war. Ein Teil der Demonstrierenden forderte wütend den bewaffneten Kampf gegen die Regierung Ebert. Die Massen standen bis in den Abend hinein vor dem Polizeipräsidium und warteten auf Weisungen, die nicht kamen. Aus der Demonstration heraus hatte eine militante Minderheit unter anderem die Redaktionsräume des Vorwärts, der Zeitung der SPD, besetzt. Führende USPD-, KPD-Mitglieder und Obleute berieten, ohne zu einem Ergebnis zu kommen.

Am späteren Abend tagten etwa 70 Revolutionäre Obleute zusammen mit dem Vorstand der USPD Berlin und zwei Mitgliedern der KPD-Zentrale, Karl Liebknecht und Wilhem Pieck. Ein überoptimistischer Bericht eines Leutnants Dörrenbach über die angebliche Bereitschaft der Volks-Marinedivision, den Sturz der Ebert-Regierung zu unterstützen, machte viel Eindruck. Karl Liebknecht sagte ohne Wissen und Meinungsbildung der KPD-Führung, der Sturz der Regierung stehe nun an. Richard Müller von den Revolutionären Obleuten sprach entschieden dagegen. Wilhelm Pieck verlangte die sofortige Abstimmung, die sechs Stimmen Mehrheit für den Sturz der Regierung ergab. Ein 53köpfiger Revolutionssausschuss mit den Vorsitzenden Ledebour, Scholze und Liebknecht wurde gewählt, der den Aufstand leiten sollte - und dazu, wie wir wissen, auch nicht annähernd in der Lage war.

Am 12. Januar wurde die verebbende Massenbewegung blutig niedergeschlagen. Am 15. Januar veranlasste der Offizier Waldemar Pabst in Komplizenschaft mit der Regierung Ebert die Misshandlung und Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht - dem war eine beispiellose Hetzkampagne auch der SPD-Spitze gegen die beiden vorangegangen.


Das Ende der Obleute

Aus Sicht der Revolutionären Obleute beinhaltete die "Straßentaktik" der Spartakusleute die Gefahr, mit radikalen Phrasen zum Scheitern verurteilte Minderheitsaktionen besonders radikalisierter, meist außerhalb der Betriebe stehender Elemente auszulösen, obwohl Spartakusbund, und dann auch die KPD, programmatisch gegen Putsch und gewaltsame Minderheitsaktionen waren. Die Problematik wurde in den Januartagen besonders deutlich anhand der Besetzungen des Vorwärts und anderer Gebäude, bei der wenig geschulte Leute durchaus glauben konnten, im Sinne der scharf formulierten Erklärungen des Spartakusbunds zu handeln. Doch die Obleute und die KPD-Mitglieder kamen nicht mehr dazu, diese schwierigen Fragen gemeinsam produktiv zu klären - im Feuer der stürmischen Bewegung der ersten Januarhälfte schon gar nicht, zumal sie tragischerweise organisatorisch getrennt geblieben waren.

Beim Generalstreik vom März 1919 spielten die Revolutionären Obleute noch einmal eine wichtige Rolle. Doch nach der Niederschlagung der Bremer und der Münchener Räterepublik durch die SPD-geführte Reichsregierung mithilfe der Reichswehr und von Freikorps ging ihr Einfluss zurück und ihre Handlungsfähigkeit als organisierte Strömung zersetzte sich allmählich.

Viele ihrer ehemaligen Mitglieder traten gegen Ende des Jahrs 1920 in die durch die Vereinigung einer Mehrheit der USPD mit der KPD entstandene VKPD ein. Andere blieben in der allmählich unbedeutend werdenden USPD und kehrten später in die Reihen der SPD zurück. Eine kleine Minderheit schloss sich der anarchosyndikalistischen Freien Arbeiterunion Deutschlands (FAUD) an.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 2, 34. Jg., Februar 2019, S. 20
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Februar 2019

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