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VORWÄRTS/600: Eure Krise zahlen wir nicht!


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 31/32 vom 21. August 2009

Eure Krise zahlen wir nicht!

Von Tristan P. Dzikowski


Die Meldungen überschlagen und widersprechen sich: In den herrschenden Medien ist von Krise die Rede, und dass in der Schweiz die Arbeitslosenzahlen steigen werden. Gleichzeitig melden Deutschland und Frankreich positive Konjunkturdaten. Das Ende der Talsohle scheint erreicht - doch niemand weiss im Kapitalismus genau, wo wir uns eigentlich befinden.


Was innerhalb der EU und den USA passiert, ist aus ökonomischer Sicht für die Schweiz von existentieller Bedeutung. Beide Wirtschaftsräume zählen zu den wichtigsten für das Land. Innerhalb der EU bilden Deutschland und Frankreich die bedeutendsten Wirtschaftsräume. Wer also wissen will, wie es um die Ökonomie der Schweiz steht, dem sei ein Blick auf die Wirtschaft der Deutschen, der Franzosen und natürlich der US-Amerikaner zu empfehlen. "Kräftiges Wachstum in Deutschland erwartet", so der Titel dieser Tage im Wirtschaftsteil des Tages-Anzeigers. Was Volkswirte erwarten und was wirklich passiert, sind zwei Paar Stiefel. Das Blatt meldet: Die Anzeichen für ein baldiges Ende der Wirtschaftskrise verdichten sich weiter. Die Kollegen des Tagi formulieren das wirklich vorsichtig. Verschwiegen wird allerdings in dieser Meldung, dass die Arbeitsbedingungen der Lohnabhängigen in Deutschland seit Jahren sich stetig verschlechtern. Würde es also in der Tat nach kapitalistischer Logik zu einem Ende der Rezession kommen, was selbst mächtige Medien in dieser Form noch nicht wagen zu melden, dann wäre damit über die soziale Situation der Lohnabhängigen noch gar nichts gesagt.


Schuften für Millionäre?

Denn inzwischen etabliert sind in Deutschland die Schicht der besonders Ausgebeuteten, wie zum Beispiel die der NiedriglohnempfängerInnen, der LeiharbeiterInnen und natürlich der "Hartz IV"-BezieherInnen. Selbige Tendenzen, gemeint ist die seit Jahren kontinuierlich betriebene Strangulation der Kaufkraft der Massen, verzeichnet Frankreich und auch die Schweiz, wobei die soziale Situation der US-amerikanischen Lohnabhängigen mit Abstand am prekärsten sein dürfte. Die Katze beisst sich in den Schwanz: Wer kein Geld in den Händen hält, kann es auch nicht ausgeben. Und wer Geld nicht ausgibt, der stimuliert die Wirtschaft nicht. Wenn Auftragsbücher sich langsam wieder füllen, muss niemand die Frage stellen, wer diese Aufträge abarbeiten wird. Fragen muss man aber, zu welchem Lohn und zu welchen Sozialleistungen dies geschieht. Und hier zeigt die Tendenz seit Jahren für die Betroffenen nach unten. Auch Frankreich meldet dieser Tage positive Konjunktursignale. Leider ist damit weder die Automobil- noch die Stahlindustrie gemeint: Die Luxusgüterindustrie meldet positive Zahlen. Sie alleine kann aber unmöglich eine Volkswirtschaft wie die der Franzosen nachhaltig stimulieren. Dafür ist die Schicht der Käufer zu dünn. Doch das Beispiel zeigt, dass die weiter wachsende ungerechte Einkommensverteilung dazu führt, dass wenige Reiche gut konsumieren, was den weniger Reichen Arbeitsplätze sichert. Schuften für Millionäre - ist das die Zukunft? So jedenfalls könnte man die "positiven Signale" aus Frankreich auch interpretieren. Renault zum Beispiel hängt weiter am Staatstropf. Der Konzern lässt sich aushalten von Geldern der Steuerzahler.

Und in den USA? 70 Prozent des US-Bruttoinlandsproduktes beruhen auf privaten Konsum, so die Berner Zeitung. Das bedeutet, der Privatkonsum ist für die US- und die gesamte Weltwirtschaft sehr wichtig. Und wie entwickelt sich dieser? Er ist weiterhin rückläufig. "Minuswachstum" nennt man sowas in der Logik des Kapitals. Ein interessanter Hinweis auf das Konsumverhalten der US-Amerikaner bietet die Wirtschaftslage des weltgrössten Detailhändlers "Wal Mart". Und wir unterhalten uns jetzt nicht darüber, ob die Arbeitsbedingungen bei Wal-Mart, Mc Donalds oder der Kaffee-Kette Starbucks am katastrophalsten sind. Gemeint sind hier die Wirtschaftsdaten des Einzelhändler-Konzerns: die Umsätze sinken, die Gewinne stagnieren. Was bedeutet das für die Angestellten? Destrukturierungsmassnahmen, auf Deutsch: Kündigungen sind zu erwarten. Soweit eine Kostprobe zum Konsum der US-Amerikaner. Und dies ist auch kein Zufall: Wer einen Job hat, hält sein Geld in der Krise zusammen. Und wer in USA keinen Job hat, der kann nicht wirklich konsumieren. Die Arbeitslosigkeit steigt weiter in USA, im Juli waren es 9,4 Prozent. Über die Dunkelziffer kann man nur spekulieren.


Die Profite gehören uns!

Und was wird nun aus der Schweiz, wenn immerhin Länder der EU "positive Signale" senden? Der Tages-Anzeiger weiss es: Die Industrie ist bei weitem nicht ausgelastet. Eine Welle von Entlassungen erwartet uns im Herbst. Ende Jahr soll es in der Schweiz 5 Prozent Arbeitslose geben. Nun dreht sich auch hierzulande die Spirale der sinkenden Kaufkraft weiter nach unten. Denn auch in der Schweiz ist der Konsum ein wichtiger Indikator für den Zustand der Gesamtwirtschaft. Kommt es zu immer mehr Arbeitslosen, schrumpft selbstverständlich der Konsum. Das Absinken der Binnennachfrage hat direkten Einfluss auf die Konjunktur. Was aus kapitalistischer Sicht in dieser Situation vernünftig wäre, das wären Lohnerhöhungen für all jene, die noch einen Job haben. Dass es aber dazu kommt, darf bezweifelt werden. Und selbst wenn dies geschehen sollte, so muss die Frage erlaubt sein, in welchem System wir eigentlich leben, das es nötig hat, Menschen auf die Strasse zu setzen, damit andere in die Arbeit gehen können? Wer dies nicht will, geht demonstrieren: Am 19. September in Bern. Unter dem Motto "Wir wollen nicht für eure Krise zahlen. Arbeit und Renten sichern", sollten wir noch hinschreiben: und die Profite gehören uns!


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 31/32 - 65. Jahrgang - 21. August 2009, Seite 1
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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vorwärts erscheint 14-täglich,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. September 2009