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VORWÄRTS/669: Heute ich - morgen du!


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 26/27/2010 vom 9. Juli 2010

Heute ich - morgen du!


ata. Am 26. Juni protestierten in St. Petersburg 30 Homosexuelle und Lesben gegen das erneute Verbot der slawischen Gay Pride. Dieser mutige Protest vor dem Eingang des weltberühmten Eremitage Museum hatte gute und schlechte Folgen im Kampf gegen die krasse Homophobie in Russland.


Es wäre die erste Gay-Pride seit drei Jahren gewesen. Drei Anfragen, sechs Routen und eine Versammlung der Aktivisten und Aktivistinnen wurden abgelehnt. Das Gesetz in Russland verlangt immer einen Gegenvorschlag für Zeit und/oder Ort. Die russischen Behörden gaben aber keine Alternativen an. Die zweite Anfrage wurde abgelehnt, weil eine der vorgeschlagenen Routen in der Nähe eines Geschäftes für Kinder vorbei führte. Dies hätte laut den Behörden das normale Arbeitsgeschehen im Geschäft zerstört. Als die Organisatorin Maria Yefremenkova am gleichen Tag eine dritte Anfrage mit drei weiteren Orten abschickte, bekam sie keine Antwort. "Ich hoffe, dass unser Protest das wahre Gesicht von St. Petersburg zeigen wird. Unsere Bürgermeisterin Valentina Matwijenko wurde kürzlich von der UNESCO für ihren Einsatz für Toleranz und Gewaltlosigkeit gelobt. Wo ist ihre vielgepriesene Toleranz geblieben?", so Yefremenkova zwei Tage vor dem Protest.


Nicht nachgeben

Im Vorfeld hatten mehrere xenophobe Organisationen im Internet aufgerufen, die Aktivisten und Aktivistinnen zu attackieren. "Es waren die gleichen Gruppen, die letzten April Homosexuelle während einer Aktion brutal angegriffen haben. Daher müssen wir diese Drohungen sehr ernst nehmen", erklärt Yefremenkova. Sie beschwerte sich, dass die Aktivisten und Aktivistinnen keinen Polizeischutz zugesichert bekommen haben. Trotz dieser Drohungen und dem Verbot der Gay-Pride wagten sich rund 30 Personen in St. Petersburg auf die Strasse. "Wir werden in jedem Fall auf die Strasse gehen, wie wir es in den letzten Monaten in Minsk und Moskau trotz Verbote gemacht haben. Das schlimmste wäre nämlich unseren Gegnern jetzt nachzugeben", betont Nikolai Alekseev, der Organisator der Gay-Pride in Moskau. Auf dem Plakat eines Aktivisten stand: "Heute verbieten sie die Homosexuellen - morgen verbieten sie dich." Die Aktion endete auf dem zentralen Stadtplatz für Maria Yefremenkova und vier weitere Aktivisten in einem Polizeiwagen. Der Rest mischte sich glücklicherweise noch rechtzeitig unter die Touristen, denn kurz danach tauchten 20 schwarzgekleidete mit Baseballschläger auf.

Am 24. Juni reichten die Organisatoren eine Beschwerde über das Verbot der Gay-Pride beim St. Petersburger Gericht ein. Am 13. Juli wird das Gericht darüber entscheiden.


Blick nach Moskau

In Moskau wurde auch dieses Jahr, wie schon in den Jahren von 2006 bis 2009, eine Gay-Pride verboten. Der Bürgermeister Yury Luschkow sagte dazu: "Seit Jahren wird ein Druck auf Moskau ausgeübt solch eine Pride hier durchzuführen. Solch eine Pride kann nur als eine teuflische Machenschaft bezeichnet werden und wir werden diese Pride in unserer Stadt nicht zulassen. Alle sollten das als einen unmittelbar einleuchtenden Grundsatz verstehen". Er hat ein allgemeines Verbot für alle öffentlichen Aktivitäten von Homosexuellen und Lesben erlassen. Luschkow ist für seine homophoben Äusserungen bekannt und wurde deshalb von den Organisatoren der Gay-Pride verklagt und aufgefordert, sich öffentlich zu entschuldigen. Die Organisatoren bezogen sich auf den Auftritt Luschkows am 2. Juni 2009 im Fernsehkanal "TV-Center". Luschkow: "Es gibt zwei Gründe, warum eine Gay-Pride nie in Moskau stattfinden wird. Das erste ist die soziale Moral. Unsere Gesellschaft mit einer gesunden Moral akzeptiert diese Schwuchteln nicht. Der zweite Grund ist die Unversehrtheit der Demonstranten. Angenommen sie versammeln sich und nehmen wir sogar an, dass die Gay-Pride erlaubt wird, dann werden sie alle getötet. Wir haben christlich radikale Gruppierungen, die diese (gemeint sind die Homosexuellen) als teuflische Erscheinungen bezeichnen." Das Gericht lehnte am 1. Juli die Anklage der Organisatoren ab und behauptete, dass "Schwuchteln" keine beleidigende Bemerkung sei. Nikolai Alekseev, einer der Organisatoren, will die Anklage nun bis zum Europäischen Gerichtshof der Menschenrechte weiterziehen. In Strassburg läuft schon ein Verfahren gegen die Verbote der Prides in den Jahren 2006, 2007, 2008.

Trotz allem: Eine positive Sache hat das Ganze, denn es wird eine slawische Pride am 26. Juni 2011 in St. Petersburg durchgeführt.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 26/27/2010 - 66. Jahrgang - 9. Juli 2010, S. 6
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. August 2010