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VORWÄRTS/672: Gut, gibt's die Schweizer Bauern


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 28/29 vom 13. August 2010

Gut, gibt's die Schweizer Bauern

Von Mattia Battaglia


Landwirte, die links wählen, sind nach wie vor in der Minderheit. Dabei ist das gemeinschaftliche Denken und Arbeiten unter Bauern weit verbreitet: Die Landwirtschaft weist mittlerweile den grössten Anteil an Genossenschaften auf - zum Vorteil vieler Betriebe, die sich in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage befinden.


Die Chinesen seien schon ziemlich überrascht gewesen, erzählte ein Bauer aus dem Emmental nicht ganz ohne Stolz. Sie waren erstaunt darüber, wie im Hinterland der kapitalistischen Schweiz die Landwirtschaft und die Lebensmittelproduktion funktionieren. Dies, nachdem die Delegation des chinesischen Landwirtschaftsministeriums die Käsereigenossenschaft besuchte, bei welcher der genannte Bauer zweimal täglich die Milch seiner Kühe abliefert. Dafür bekommt er nicht nur einen besseren Preis pro Liter als bei grossen Lebensmittelkonzernen, sondern hat zusammen mit den anderen Genossenschaftern auch das Bestimmungsrecht über den Betrieb. Wenn die Käserei ein gutes Ergebnis erzielt, bekommt er zudem einen Anteil am Gewinn ausbezahlt. Zum Schutz der Genossenschaft sind die Landwirte selbst verpflichtet. Will ein Bauer die Genossenschaft verlassen und seine Milch an einen anderen Betrieb liefern, so muss er eine Ablösesumme bezahlen. Die Genossenschaft kann mit diesem Geld eine Lösung finden, um weiterhin genug Milch für die Produktion zur Verfügung zu haben.


Genossen seit 1500 Jahren

Besonders in den Schweizer Randregionen existieren viele solcher Genossenschaften und sind, wie im anfangs genannten Falle, oftmals eine wichtige Grundlage für das Weiterbestehen der Betriebe. Zwar sind auch ihre Produkte dem Preisdiktat des Marktes unterworfen. Die Bauern bekommen aber aufgrund des Selbstverwaltungsprinzips einen entscheidend höheren Anteil am Erlös der hergestellten Milchprodukte. Das Bewusstsein dafür - und möglicherweise auch eine etwas konservative Grundhaltung der Bauern - haben diese Strukturen davor bewahrt, von der neoliberalen Welle überrollt zu werden, die nicht zuletzt von derjenigen Partei vorangetrieben wird, die sich gerne als die Partei der Schweizer Bauern aufspielt.

Dass dies nicht als unglaubwürdig angesehen wird, mag an der geschickten Propaganda der SVP, aber auch an der langen Tradition des Genossenschaftswesens im Landwirtschaftsbereich liegen. So existieren beispielsweise im Kanton Schwyz noch 70 sogenannte "Genosssame". Die Geschichte dieser Genossenschaften geht zurück bis ins fünfte Jahrhundert, also bedeutend weiter als diejenige der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Die alemannischen Bauern, die damals das Gebiet des Kantons Schwyz besiedelten, gründeten die "Korporation Oberailmeind", um jenes Land zu verwalten, das nicht in Privatbesitz war, sondern der Allgemeinheit gehörte. Darin enthalten waren nebst den meisten Alpen auch einige Weiden und Wälder. Heute existieren zahlreiche dieser Genosssamen. Viele besitzen zahlreiche Immobilien, die auf Genossenschaftsland stehen und die gemeinschaftlich verwaltet werden. Die Genossenversammlung als oberste Instanz verteilt das Land zur Bewirtschaftung an die Genossenschafter oder beschliesst Bauvorhaben und Unterhaltsarbeiten an den gemeinsamen Gebäuden. Am Jahresende wird, wenn es der Gewinn erlaubt, der sogenannte Genossennutzen ausbezahlt. Jedem einzelnen Genossen gleich viel.


Zusammen arbeiten

In den letzten Jahrzehnten hat sich in Politik und Wirtschaft das marktwirtschaftliche Denken als zwingend durchgesetzt, und Privatisierungen und Firmenübernahmen sind an der Tagesordnung. Das Streben nach Gewinn lässt nicht nur die Schere zwischen Arm und Reich aufgehen, sondern zerstört auch kleinere lokale Strukturen, die besonders für wirtschaftlich schwächere Regionen sehr wichtig sind. Dabei zeigt gerade das Beispiel der landwirtschaftlichen Genossenschaften, dass gemeinschaftliches Arbeiten ohne den Zwang auf Kapitalrendite weder die Produktivität hemmt, noch den Beteiligten die Eigenverantwortung entzieht. Vielmehr bringt es durch einen besseren Verdienst für die Arbeitenden und die grössere wirtschaftliche Sicherheit eine entscheidende Stärkung der Beteiligten mit sich.

Die Schweizer Landwirtschaft befindet sich in einem Spannungsfeld zwischen Wirtschaftlichkeit, Tradition und Versorgungsauftrag. Die massive staatliche Unterstützung durch Direktzahlungen an die Landwirte ist wenig umstritten, weil sie als sozial, kulturell und auch ökologisch sinnvoll erachtet wird. Zusammen mit der Mentalität unter breiten Teilen des Bauernstandes, in welcher die Gemeinschaft einen grossen Stellenwert hat, ergibt sich ein Widerspruch zwischen der liberalen Wirtschaftspolitik und der alltäglichen Realität in der Landwirtschaft. Um die ländliche Bevölkerung als Wähler nicht zu verlieren, fährt die SVP in der Landwirtschaftspolitik einen Sonderkurs gegenüber ihrem sonst wirtschaftsliberalen Kurs. Dabei wäre es für die Bauern und die Bevölkerung auf dem Land wichtig, diese Grundsätze auch in andere Bereiche einfliessen zu lassen, etwa dem Kampf gegen die Privatisierung der Post, des Strommarktes oder des öffentlichen Verkehrs.

Somit bildet die Landwirtschaft einen Bereich, der für die linken Parteien durchaus interessant ist und von ihnen nicht kampflos anderen überlassen werden sollte.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 28/29 - 66. Jahrgang - 13. August 2010, S. 1
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
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vorwärts erscheint 14-täglich,
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Jahresabo: Fr. 160.-
reduziert (AHV, Studenten): Fr. 110.-


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. August 2010