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VORWÄRTS/728: Atomausstieg jetzt! Aber subito!


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 19/20/2011 vom 27. Mai 2011

Atomausstieg jetzt! Aber subito!

Von Michi Stegmaier


Nach dem erfolgreichen Protestmarsch gegen AKWs am Pfingstsonntag 2010, war für die Organisatorinnen die Motivation hoch, auch 2011 wieder einen "Menschenstrom gegen Atom" auf die Beine zu stellen. Vor einem Jahr ahnte niemand, welche tragische Aktualität und Brisanz der diesjährige Protestmarsch bekommen würde


Schon am frühen Morgen treffen die ersten Anti-AKW-GegnerInnen an den beiden Treffpunkten ein. Sie kommen aus allen Landesteilen. Die längere Route (gute 10 Kilometer) für FrühaufsteherInnen, die kürzere (etwas mehr als drei Kilometer) für LangschläferInnen und Unsportliche. Nach der erfolgreichen Mobilisierung im Vorjahr mit rund 4.500 Teilnehmenden, war es der zweite Marsch mit dem Motto "Menschenstrom gegen Atom". Es werden immer mehr, die im Halbstundentakt in völlig überfüllten Regional- und Extrazügen im aargauischen Hinterland einfallen. Es ist ein bunter, fröhlicher und friedlicher Aufmarsch, der sich über Kilometer in die Länge zieht. Viele Fahnen und Transparente verleihen dem Protest noch weiteren Nachdruck. Unter den protestierenden Wandernden hat es auffallend viele Familien mit Kleinkindern und auch meine Generation (die Mittlere) ist, verglichen mit dem Vorjahr, einigermassen angemessen vertreten. Trotzdem, das Gros der Teilnehmenden stellen auch in diesem Jahr wieder die Alten und die ganz Jungen. Während dem mehrstündigen Mammutprogramm mit vielen politischen Statements sowie kabarettistischen und musikalischen Einlagen, kommen immer mehr Menschen bei der Abschlusskundgebung an, während andere sich schon wieder auf die Heimreise begeben. Vor allem die Grussbotschaften aus Japan und dem nahen Ausland bekommen viel Applaus.

Entsprechend happy und gut gelaunt ist man beim Organisationskomitee. "Wir sind sehr zufrieden mit dem heutigen Tag. Es ist ein Riesenerfolg und mit 20.000 Teilnehmenden ist es der grösste Anti-AKW-Protest seit 25 Jahren. Für uns ein riesiger Aufsteller und unsere Erwartungen wurden bei weitem übertroffen", freut sich der Mediensprecher Michael Tanner. Für Tanner ist klar, dass es nun vorwärts gehen muss, die nächsten Tage und Wochen werden für die Anti-AKW-Bewegung sehr entscheidend sein. "Es ist wichtig, dass nun die Weichen für die erneuerbaren Energien gestellt werden. Die Atomwirtschaft und der Bundesrat müssen zur Kenntnis nehmen, dass ein grosser Teil der Bevölkerung nach Fukushima den sofortigen Atomausstieg befürwortet." Vor allem die drei veralteten Schrottmeiler Beznau I und II und Mühleberg sind dem sympathischen Aktivisten ein Dorn im Auge. Auch hier findet Tanner klare Worte: "Die drei alten Meiler müssen sofort vom Netz. Es ist inakzeptabel mit dem Leben und der Gesundheit der Menschen zu spielen". Und das aus gutem Grund. Zwar war ursprünglich geplant, dass die Notstromgeneratoren jeweils doppelt eingebaut werden, letztendlich wurde aber aus Kostengründen darauf verzichtet. 2007 deckte dann die Organisation "Fokus Anti-Atom" einen Zwischenfall auf, bei dem die Notstromgeneratoren nicht einsatzfähig waren. Trotzdem räumte die Atomaufsichtsbehörde "Ensi" der Axpo als Betreiberin der beiden AKWs in Beznau eine äusserst kulante Frist bis ins Jahr 2014 ein, um die veralteten Anlagen zu modernisieren und ein zweites Notfallgeneratorsystem zu installieren.


Der Fukushima-Effekt

"Die Kundgebung hat eines deutlich gemacht: Bundesrat und Parlament müssen den Sorgen der Menschen und ihren Hoffnungen auf eine atomfreie Zukunft endlich gerecht werden. Die Politik muss nächste Woche konkrete Schritte für den schnellen Ausstieg vollziehen. Wir werden die Sondersession aufmerksam verfolgen und nicht ruhen, bis das letzte AKW in der Schweiz abgeschaltet wird", sagt Michaela Lötscher, Sprecherin der Vorbereitungsgruppe. Im Mittelpunkt stehen die drei Hauptforderungen: Ausstieg aus der Atomenergie, keine neuen Atomkraftwerke in der Schweiz und die Förderung der erneuerbaren Energien. Tatsächlich standen die Zeichen für einen Atomausstieg selten unter einem so guten Stern wie heute, auch wenn der Auslöser für dieses plötzliche Umdenken in weiten Teilen der Bevölkerung dem tragischen Unfall in Fukushima zu verdanken ist. "Die Katastrophe in Fukushima hat die gesamte Energiedebatte verändert. Politik und Stromwirtschaft können das nicht mehr ignorieren", hält Michaela fest und sie fügt hinzu: "Ich wünsche mir, dass der Bundesrat mit den Energiebeschlüssen von nächster Woche und das Parlament in der Sondersession im Juni den Sorgen der Menschen und ihrer Hoffnung auf eine atomfreie Zukunft gerecht werden. Wir müssen jetzt die Weichen in Richtung erneuerbare Energien stellen."


Fette Gewinne

Bleibt zu hoffen, dass es dieses Mal mit dem Atomausstieg auch wirklich klappt. Schon nach Tschernobyl wäre ein solcher Atomausstieg längst überfällig gewesen. Trotzdem gelang der Atomlobby der Sprung vom Schafott und es bleibt zu befürchten, dass auch dieses Mal die milliardenschwere Atomindustrie wieder im letzten Moment den Kopf aus der Schlinge ziehen kann. Eins ist klar: Ob nun mit AKWs oder ohne, die fetten Gewinne werden einmal mehr die Energiegiganten einfahren. Nicht die Sicherheit von Mensch und Umwelt werden den Kampf um eine zukünftige Energiepolitik entscheiden, sondern wo es am meisten Rendite einzustreichen gibt. Den Gewinn haben die einen, dass Risiko alle anderen. Und solange diese Logik nicht durchbrochen wird, wird die Motivation der Atomlobby für den Atomausstieg gering bleiben.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 19/20/2011 - 67. Jahrgang - 27. Mai 2011, S. 1
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juni 2011