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VORWÄRTS/772: Verfolgt im Iran, verhöhnt in der Schweiz


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 41/42 vom 18. November 2011

Verfolgt im Iran, verhöhnt in der Schweiz

von Johannes Supe


Die Geschichte der Familie Namehshiri zeigt, wie die Schweiz politische Flüchtlinge behandelt. Wir veröffentlichen die Medienmitteilung des Komitees, das sich zur Unterstützung des Prozesses auf Bleiberecht der politischen Flüchtlingsfamilie Namehshiri gegründet hat.

Vor zweieinhalb Jahren floh die Familie Namehshiri aus dem Iran in die Schweiz. Dem Vater Khosraw Namehshiri (51) droht wegen seiner politischen Tätigkeit in seinem Heimatland im schlimmsten Fall die Todesstrafe. Dem ältesten Sohn Siavash (21) droht Haft, da er den Vater politisch unterstützt hat. Dem Rest der Familie droht "Reflexverfolgung", das heisst Zugangsbeschränkungen zu Gesundheitsversorgung, Arbeitslosenversicherung und Bildung. Das Bundesamt für Migration (BFM) und das Bundesverwaltungsgericht (BVG) verschliessen die Augen und bemängelten die Dokumente als unglaubwürdig. Seit dem 1. Oktober ist die fünfköpfige Familie, deren drei Kinder perfekt Schweizerdeutsch und Deutsch sprechen, illegalisiert. In der Schweiz droht Khosraw und Siavash Haft - Abschreckungshaft. Am 29. September hat die Familie beim UN-Ausschuss gegen Folter Klage eingereicht.


Wie im Iran so auch in der Schweiz

Die Verfolgungen durch den iranischen Geheimdienst "Etlat" aufgrund politischer Aktivitäten in der "Komala-Partei" sind gut belegt. Fünf Kilogramm an Dokumenten wurden von Florian Wick, dem Anwalt der Familie Namehshiri, am 29. September 2011 beim UN-Ausschuss gegen Folter eingereicht. Dieser Kampf ist nur durch den finanziellen und emotionalen Rückhalt von vielen Schweizer Freunden möglich.

Bereits 1982 war Vater Khosraw wegen seiner politischen Aktivität gegen das Regime für fünf Jahre im Gefängnis. Danach musste er sich jeden Monat zweimal bei den Behörden melden. Zusätzlich wurde ihm die Ausreise aus dem Iran verboten. Trotzdem traf er sich 2008 im Irak mit Vertretern der irakischen "Komala-Partei". Einen Tag nach seiner Rückreise versuchte ihn der Geheimdienst zu verhaften. Vater Khosraw war nicht zu Hause, sondern nur seine Frau Farideh (45). Sie wurde geschlagen und bedroht. Die Familie beschloss zu fliehen und reiste getrennt in die Türkei und den Irak. Wir erinnern daran, dass Vater Khosraw "illegal" aus dem Iran ausgereist ist. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied am 9. März 2010, dass eine Rückschaffung eines illegal ausgereisten Iraners gegen Art. 3 EMRK "Verbot der Folter" verstösst.

Auf der Flucht mussten Siavash und Khosraw sieben Mal einen neuen Pass auftreiben. Die ganze Flucht kostete die Familie Namehshiri 80.000 Dollar.

Nachdem die Namehshiris in der Schweiz um Asyl ersucht hatten, wurden sie zuerst zwei Monate in der Transitzone des Flughafens Zürich (Duty-Free Bereich) festgehalten. Sie bekamen einen ersten Negativentscheid. Das Rote Kreuz erhob Einsprache für die Namehshiris, da die Familie, abgeschnitten von jeglichen Kommunikationsmitteln, keine Möglichkeit hatten, einen Anwalt zu kontaktieren. Als auch der Einspruch abgewiesen wurde, betraten um fünf Uhr morgens über 15 Polizisten den Schlafsaal und fesselten die schlafende Familie an Händen und Füssen. Im Gefangenentransporter beleidigte ein Polizist den Sohn Siamak (15, damals 13) und Siavash mit "Arschloch", "Ich ficke dich!" und weiteren entwürdigenden Ausdrücken. Der gefesselte Siavash wehrte sich verbal. Darauf drückten ihn drei Polizisten zu Boden und schlugen ihm einige Male mit der Faust ins Gesicht. Er trug eine Platzwunde im Gesicht davon. Ein Vertreter der Polizei entschuldigte sich drei Tage später.


Aktuelle Situation der Familie Namehshiri

Das Asylgesuch wurde am 8. September letztinstanzlich vom Bundesverwaltungsgericht (BVG) abgelehnt. Seit dem 1. Oktober sind die Ausweise der Familie Namehshiri nicht mehr gültig. Das heisst, sie sind nun Sans-Papiers. Folglich wird der Familie die ohnehin geringe humanitäre Hilfe massiv gekürzt. Zudem droht Khosraw und Siavash bei jeder Polizeikontrolle bis zu 18 Monate Ausschaffungshaft. Paradox an der ganzen Situation ist, dass die schweizerischen Medien und Behörden das Iranische Regime in die Nähe der Schurkenstaaten stellt. Dennoch finden Menschen, welche im Iran und der Schweiz gegen dieses Regime ankämpfen, weder politisches Gehör noch politische Anerkennung, noch Schutz vor Repression.

Die Anwaltskosten für den UND-Prozess belaufen sich bereits auf über 4600 Franken. Unterstützen können Sie die Familie Namehshiri mit einer Spende auf: Alternative Bank Schweiz AG, Olten, Postkonto: 46-110-7, Zugunsten von "Unterstützungskomitee Namehshiri", IBAN-Nr.: CH2508390031613510007.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 41/42/2011 - 67. Jahrgang - 18. November 2011, S. 5
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. November 2011