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VORWÄRTS/895: Nach dem Mist die Repression


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.05/06 vom 15. Februar 2013

Nach dem Mist die Repression

Von der Redaktion



Am 30. Januar 2013 fand in Bern das Asylsymposium der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) statt. Diese liebäugelt mit der Übernahme eines zahlungskräftigen Leistungsauftrags im Bereich der Rechtshilfe. AktivistInnen protestierten gegen die herrschende Lagerpolitik und gegen die Mitverwaltung - und begegneten in erster Linie der Repression von Seiten des Staates.


An der Asylkonferenz vom 19. Januar 2013 einigten sich VertreterInnen von Bund und Kantonen auf Eckwerte einer neuen Ära von Lagerpolitik: Asylsuchende, Bundesamt für Migration (BFM), Rechtsvertretung, Rückkehrhilfe, Dokumentenprüfende, Polizei, Pflegepersonal und so weiter werden am gleichen Ort konzentriert. Hierzu werden in der Umgebung der fünf Empfangszentren je vier Lager von bis zu 400 Plätzen und zu den 430 bestehenden Haftplätzen weitere 700 für Ausschaffungs- oder Beugehaft geschaffen. Die neuen Bundeslager gehen mit einer massiven Erhöhung des Sicherheits- und Repressionsapparates einher.


NGO's verwalten mit

Diese neue Lagerpolitik soll nun vermehrt auch durch Nicht-Regierungs-Organisationen (NGO's) gestützt werden. Bundesrätin Simonetta Sommaruga unterstrich die Einbindung der NGO's ins Asylwesen. Damit erhofft sie sich wesentliche Einsparungen für den Bund, denn NGO's arbeiteten - da nicht profitorientiert - billiger. Doch hinter den Plänen der Bundesrätin steckt natürlich auch das Ziel, eine breitere Akzeptanz für die aktuelle Stossrichtung in der Asyl- und Migrationspolitik zu finden. In gut "schweizerischer" Tradition soll eine regelrechte "migrations-politische Sozialpartnerschaft" geschaffen werden. Und so liebäugelt die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) mit der Übernahme eines zahlungskräftigen Leistungsauftrags im Bereich Rechtshilfe. Am 30. Januar 2013 fand ihr Asylsymposium statt. Statt der fremdenfeindlichen Lagerpolitik eine radikale Absage zu erteilen, lassen sich Hilfswerke, Menschenrechtsorganisationen und WissenschaftlerInnen vor den Karren spannen. Sie boten den Machern der Lagerpolitik - Bundesrätin Sommaruga und BFM-Chef Gattiker - eine Plattform.


Argumente gegen die Lagerpolitik

Das offizielle Ziel der Lagerpolitik wird in der Botschaft des Bundesrates so formuliert: "Um die Attraktivität der Schweiz als Zielland von Asylsuchenden zu senken, ist es notwendig, die Verfahrensabläufe zu beschleunigen und effizienter auszugestalten. Die durchschnittliche Gesamtdauer der Asylverfahren soll auf 100 Tage herabgesenkt werden. Hierfür soll innerhalb von acht Tagen ein erstinstanzlicher Asylentscheid vorliegen und etwa die Hälfte der Asylsuchenden soll nach 140 Tagen bereits ausgeschafft sein. Ein Blick auf die letzten Jahre genügt, um die brutalen Folgen dieser Absichten zu erahnen: Die Gesamtdauer eines Asylverfahrens betrug etwa 1400 Tage. Allein die Beschaffung von Reisepapieren dauerte durchschnittlich fünf Monate und die Hälfte der Ausschaffungen scheiterte. Das wird sich auch durch die neuen Lager nicht ändern. Die Asylsuchenden werden stattdessen in den Lagern zermürbt oder in die neugeschaffenen Gefängnisse transferiert.


Protest von Lagergegnerinnen

Während der Rede von BFM-Chef Gattiker am Asylsymposium, in welcher er die versammelten Gäste von der neuen Lagerpolitik zu überzeugen versuchte, wurde der Saal an der Universität Bern von AktivistInnen betreten. Mit einer Ladung Mist erteilten sie der diskutierten Lagerpolitik eine stinkende Abfuhr. Zeitgleich demonstrierten vor dem Gebäude weitere AktivistInnen gegen die repressive Umstrukturierung im Asylwesen. Die Aktion erinnert die anwesenden VertreterInnen der SFH, des UNHCR und weitere Menschenrechtsorganisationen im Saal, dass sie mit der Strategie des Dialogs und der kleinen Schritte die Lagerpolitik mitverwalten. Bezeichnend für die Lagerpolitik: An jedem Eingang des Hauptgebäudes der Universität standen mehrere PolizistInnen.


Repression des Staates

Vier AktivistInnen wurden aufgrund der Anzeige durch die Universität Bern festgenommen und auf den Polizeiposten beim Waisenhausplatz gebracht. Dort wurden sie über drei Stunden festgehalten, mussten sich bis zur Unterwäsche ausziehen und sich den mühsamen Fragen der "Ordnungskräfte" stellen. Zudem wurden den AktivistInnen "erkennungsdienstliche Merkmale", sprich DNA-Proben, erfasst. Die einen Tag später eingetroffene schriftliche Verfügung argumentiert wie folgt: "... die Personen stehen in Verdacht (...) anlässlich einer Veranstaltung des 5. Schweizer Asylsymposiums, in einem Raum der Universität Bern Mist über das Rednerpult und den Boden verstreut und dadurch an fremden Sachen Schaden verursacht zu haben. (...) Bei der Überprüfung ihrer Personalien stellte sich heraus, dass eine Person am 21.01.2013 bereits die Asylkonferenz hatte stören wollen. (...) Unter den gegebenen Umständen ist bei den vier beschuldigten Personen mit einer substanziell erhöhten Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass sie sich in der Vergangenheit oder in der Zukunft anderer Delikte von gewisser Schwere schuldig gemacht haben oder machen werden. Die erkennungsdienstliche Erfassung erweist sich damit als verhältnismässig".

Durch die Erfassung der DNA-Proben bereitet sich der Staat auf weitere Mobilisierungen im Rahmen der Lagerpolitik vor. Diese Form der Kriminalisierung sollte weitere Proteste abschrecken und muss als Bestandteil der herrschenden Migrationspolitik verstanden werden. Die Politik der so genannten "Asylkrise" darf weder mitverwaltet noch humanisiert werden. Es ist an der Zeit, die entschiedenen Kräfte zu mobilisieren und durch zivilen Ungehorsam gegen alle Orte vorzugehen, wo sich die Lagerpolitik manifestiert oder reproduziert.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 05/06 - 69. Jahrgang - 15. Februar 2013, S. 1
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. März 2013