Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

VORWÄRTS/912: Altersvorsorge - Ein radikaler Umbruch ist notwendig


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 11/12 vom 29. März 2013

Ein radikaler Umbruch ist notwendig

von Siro Torresan



An ihrer Nationalen Konferenz befasste sich die Partei der Arbeit der Schweiz (PdAS) mit der Frage der Altersvorsorge. Für die PdAS ist klar, dass nur eine starke AHV die Renten in Zukunft sichern kann. Die Konferenz wurde durch die Referate von Christiane Jaquet, Präsidentin der AVIVO Schweiz, und Beat Ringger, Geschäftsführer des linken Think-Tanks Denknetz bereichert.


Eine solide und solidarische AHV, um die heutigen und den zukünftigen RentnerInnen eine würdiges Leben zu ermöglichen: Dieses Ziel verfolgt die Partei der Arbeit der Schweiz (PdAS). Um es zu erreichen, schliesst sie die Möglichkeit der Lancierung einer Initiative nicht aus. Wenn von der Altersvorsorge die Rede ist, muss an folgendes erinnert werden: Die Rente ist kein Almosen, sondern ein von der Schweizer Verfassung garantiertes Recht! Artikel 112 der Bundesverfassung legt die Grundlagen der AHV und der IV fest. Ziffer b dieses Artikels besagt, dass die Renten der Alters-, Hinterbliebenen- und Invalidenversicherung "den Existenzbedarf angemessen zu decken" hätten. Artikel 113 enthält die Grundsätze der beruflichen Vorsorge (Pensionskassen) und lautet in Absatz a: "Die berufliche Vorsorge ermöglicht zusammen mit der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung die Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung in angemessener Weise". Die AHV-Rente soll laut Verfassung also die Existenzsicherung gewährleisten, die Rente der Pensionskasse darüber hinaus den erworbenen Lebensstandard sichern.


An der Grenze zur Armut

Man kann sich sicher darüber streiten, was "angemessen zu decken" genau bedeutet. Unbestritten ist aber, dass mit einem Betrag zwischen 1170 Franken (Mindestrente) und 2340 Franken (Maximalrente) kein "angemessenes" Leben möglich ist. So erstaunt es wenig, dass über 180.000 Personen auf die AHV-Ergänzungsleistungen angewiesen sind. "Die AHV ist die essentielle Einkunft für rund 80 Prozent der RentnerInnen, 16 Prozent von ihnen leben mit weniger als 2550 Franken im Monat", erklärt Christiane Jaquet, Präsidentin. von AVIVO Schweiz und Expertin in Sachen Sozialversicherungen.

Die Berufliche Vorsorge wurde ab 1982 obligatorisch. Im Gegensatz zum solidarischen und generationenübergreifenden Umlageverfahren der AHV, handelt es sich bei den Pensionskassen um eine persönliche Spareinlage im Kapitaldeckungsverfahren. Die Rentenhöhe hängt somit vom individuell einbezahlten "Sparkapital" ab. Heute verwalten die Pensionskassen in der Schweiz die schier unvorstellbare Summe von 700 Milliarden Franken, 100 Milliarden mehr als das jährliche Bruttoinlandprodukt! Doch statt die von der Verfassung vorgesehene "Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung in angemessener Weise" zu gewähren, führt die zweite Säule zu einigen Problemen: "Die zweite Säule ist für die Einkommen unter 24.500 Franken nicht obligatorisch. Dies benachteiligt die Frauen, die Temporär-Angestellten und ArbeiterInnen mit einem befristeten Arbeitsverhältnis", erklärt Jaquet. Die ehemalige PdAS-Nationalrätin erinnert auch daran, dass - entgegen allen pessimistischen Voraussagen des Bundesrates - die AHV "immer ein Gewinn ausgeschüttet hat, ausser im Jahr 2006".


Im Würgegriff des Finanzkapitals

Die Renten der Pensionskassen sind stark von den Finanzmärkten abhängig, in denen die Kassen das Sparkapital der Versicherten investieren. In Folge der Krise seit dem Jahr 2008 hat der Grossteil der Pensionskassen eine Durchschnittsrendite von unter 2,9 Prozent erzielt. Sie blieben weit vom selbstdeklarierten Ziel von 4,6 Prozent entfernt. Die tiefe Rendite war unter anderem der Grund, dass das Parlament den Umwandlungssatz bei den Pensionskassen schrittweise von 7,1 auf 6,4 Prozent senken wollte. Bei einem Kapital von 100.000 Franken bedeutete dies eine jährliche Mindestrente von 6400 statt 7100 Franken. Gegen diesen geplanten Rentenklau ergriff die PdAS als erste Partei das Referendum. Bald zogen andere linke Parteien und Organisationen sowie die Gewerkschaften nach und es wurden rekordverdächtige 205.000 Unterschriften eingereicht. Die Abstimmung wurde haushoch gewonnen. Dieser Sieg war einer der seltenen Glücksmomente der Schweizer Linken, der ihr vom Volk durch die Urne der Demokratie zugestanden wurde. Ein Beweis dafür, wie wichtig die Frage der Altersvorsorge in der Schweiz ist.

Doch trotz dem klaren Verdikt des Souveräns im 2010 "wollen heute die bürgerlichen Parteien, aber auch Sozialminister Alain Berset, den Umwandlungssatz auf 6,2 Prozent senken", weiss Christian Jaquet aus einem Treffen mit Bundesrat Berset zu berichten. Gleichzeitig soll im Jahr 2014 eine Milliarde Franken an Ausgaben eingespart werden.

Auch Beat Ringger, Geschäftsführer des linken Think-Tanks Denknetz, ging zu Beginn seines spannenden und aufschlussreichen Referats auf die Pensionskassen ein. "Die Pensionskassen unterstützen eine virtuelle Finanzwelt, in der der Reichtum für den Profit von Wenigen sorgt. Und die zweite Säule fördert die soziale Ungleichheit zwischen jenen, die nur eine AHV haben, jenen RentnerInnen mit einer zweiten Säule und jenen mit einer dritten Säule".


Nach 41 Jahren ist es Zeit für eine echte Alternative

Das Denknetz schlägt eine grundlegende Reform des Systems der Altersvorsorge vor. Im Denknetz-Jahrbuch 2009 ist zu lesen: "Unser Reformvorschlag strebt die sukzessive Überführung der obligatorischen Rentensicherung auf das einfache, transparente und einer demokratischen Steuerung unterworfene Regime des Umlageverfahrens an". Dabei sei das Ziel eine "Minimalrente von 3500 Franken für Einzelpersonen und von 5020 Franken für Paare", führte Ringger aus. Die Maximalrente liegt seinem Vorschlag nach bei 5000, respektive 7500 Franken. Für die Finanzierung müsste unter anderem der prozentuale Anteil der Staatsbeiträge zur Finanzierung der AHV von heute 19,5 auf 28 Prozent erhöht werden.

"Die Erhöhung der Staatsbeiträge ist mehr als gerechtfertigt", hält Ringger fest und zieht einen internationalen Vergleich mit der EU: Die Schweiz gesellt sich zu jenen Ländern, die am wenigsten Steuermittel in die soziale Sicherheit einbringen. Der Verzicht auf die steuerlichen Begünstigungen bei der so genannten dritten Säule (Private Altersvorsorge) würde weitere 450 Millionen Franken in die Staatskasse spülen. Weitere Steuereinnahmen könnten zum Beispiel mit einer stärkeren Steuerbelastung der hohen Einkommen, Vermögen und Erbschaften erzielt werden. Kurz: In einem der reichsten Länder der Welt ist die Finanzierung einer Rente nicht eine finanzielle sondern eine rein politische Frage. "Diese Reform wird zu einer Sicherung der Renten führen. Sie ermöglicht es auch, sich von der Abhängigkeit der Finanzmärkte zu lösen, garantiert ein transparentes System und führt zu einer deutlichen Verbesserung für die Frauen und Temporärangestellten, ist Ringger überzeugt.

Im Jahr 1972 wurde die PdAS-Initiative für eine Volksrente mit den Stimmen der SP und der Gewerkschaften abgelehnt. So wurde die Stärkung der AHV verhindert und gleichzeitig der Weg für das Obligatorium der zweiten Säule geebnet. 41 Jahre später ist es definitiv an der Zeit, eine kritische Bilanz dieser kapitalistischen Altersvorsorge zu ziehen und einen radikalen Wechsel vorzuschlagen.

*

Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 11/12/2013 - 69. Jahrgang - 29. März 2013 , S. 4
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: Vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
Telefon: 0041-(0)44/241 66 77,
E-Mail: redaktion@vorwaerts.ch
Internet: www.vorwaerts.ch
 
vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
Jahresabo: Fr. 160.-, reduziert (AHV, Stud.) 110.-
Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Mai 2013