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VORWÄRTS/936: Erste Frauenkonferenz des Mittleren Ostens


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.23/24 vom 21. Juni 2013

Erste Frauenkonferenz des Mittleren Ostens

von Cenî - Kurdisches Frauenbüro für Frieden e.V.



Vom 31. Mai bis zum 2. Juni fand in Amed (Diyarbakir) die "Erste Frauenkonferenz des Mittleren Ostens" statt. Die Konferenz stand unter dem Motto "Frauen - Leben - Freiheit" und war den drei am 9. Januar in Paris ermordeten kurdischen Politikerinnen Sakine Cansiz, Fidan Doan und Leyla Saylemez gewidmet.


Drei Tage diskutierten 250 Frauen aus 26 Ländern des Mittleren Ostens sowie Nordafrikas über ihre Erfahrungen und Perspektiven im Kampf für die Befreiung vom patriarchalen Herrschaftssystem und über die aktuellen politischen Entwicklungen in der Region. Am zweiten Tag der Konferenz wurde im Namen der Teilnehmerinnen mit einer vor dem Tagungsort verlesenen Presseerklärung die Polizeigewalt in Istanbul verurteilt. "Der Taksim-Platz gehört allen", hieß es in der Erklärung: "Die Angriffe richten sich gegen demokratisch legitimierte Rechte der Bevölkerung, wie das Recht auf Protest und Einspruch." Am Ende der dreitägigen Konferenz hielt die Co-Vorsitzende der BDP, Gültan Kisanak, im Namen der Delegierten eine Rede, in der sie auf den Zweck der Konferenz hinwies: die Stärkung der internationalen Solidarität und des gemeinsamen Kampfes "fernab des westlich-orientalistischen Blickwinkels". Zu den im Mittleren Osten und in Norafrika stattfindenden Entwicklungen erklärte Gültan Kisanak: "Für uns Frauen birgt diese kritische Phase sowohl neue Möglichkeiten als auch Risiken. Wir tragen die historische Verantwortung, uns in diesen Veränderungsprozess organisiert und richtungsweisend einzubringen."


Die Abschlussresolution

In der anschließend verlesenden Abschlussresolution heißt es: "Wir werden ein Kommunikationsnetzwerk für alle Konferenzteilnehmerinnen aufbauen. Um unsere Zusammenarbeit zu stärken, wird bis zur Durchführung der zweiten Konferenz eine rotierende Koordinationsgruppe die Kommunikation und die politische Solidarität zwischen den Delegierten gewährleisten. Wir werden eine Beobachtungsgruppe für die Flüchtlingslager zusammenstellen, in denen vor dem Krieg in Syrien geflohene Frauen leben. Auch Frauen sind von den Veränderungen im Mittleren Osten und Nordafrika betroffen. Sie beteiligen sich aktiv an den stattfindenden Kämpfen.

Aber bei jedem Machtwechsel werden die Rechte von Frauen weiter abgebaut. In Kollaboration mit dem patriarchalen Herrschaftssystem werden Gewalt, Übergriffe und Vergewaltigungen als Mittel eingesetzt, um uns Frauen aus dem politischen und öffentlichen Bereich und den Entscheidungsgremien raus zu drängen. Unser Geschichtsbewusstsein und unsere Erfahrungen zeigen, dass radikale Religiosität und ein auf der Vorstellung eines monistischen Nationalstaates beruhender Laizismus zu den grundlegenden Gefahren für die Freiheit von Frauen gehören. Eines unserer Hauptziele ist es daher, den Kampf gegen diese beiden Modelle zu verstärken und den gegenwärtigen Veränderungsprozess in eine Frauenrevolution umzuwandeln. Keine Ideologie, Religion oder Glaubensrichtung darf als Druckmittel gegen Frauen verwendet werden.

Wir erklären, dass wir gegen Vergewaltigung, Steinigung, weibliche Genitalverstümmelung, Frauenmorde, staatliche und patriarchale Männergewalt gegen Frauen kämpfen werden, genauso wie gegen die neoliberale Politik, die Frauen in ungesicherte Arbeitsverhältnisse drängt. Wir stellen uns gegen jede Form der Diskriminierung aufgrund von ethnischer Herkunft, Ideologie, religiöser Überzeugung, sexueller Identität und Orientierung. Auch die Rechte derjenigen ohne religiöse Überzeugung müssen verteidigt werden. Alle Völker haben das Recht, ihre Muttersprache zu bewahren und zu verteidigen. Das Recht auf Bildung und Leben in der Muttersprache gehören zu den Forderungen von Frauen. Wir sind gegen jede Form von Besatzung und äußerer Intervention. Wir glauben daran, dass nationale und soziale Kämpfe nicht von dem Kampf für Frauenrechte getrennt werden können und dass diese Kämpfe zusammen geführt werden müssen. Gegen die imperialistische Politik kämpfen wir für die Geschwisterlichkeit der Völker. Der Kampf gegen Faschismus und jede Art der Diktatur gehört zu unserer Grundhaltung.


Freilassung der politischen Gefangenen

Wir fordern die Freilassung der kurdischen politische Gefangene Zeynep Celaliyan; der tunesischen Aktivistin Amina, die inhaftiert wurde, weil sie sagte "mein Körper gehört mir"; der palästinensischen Politiker Ahmat Saadat und Marwan Barguti sowie des Menschenrechtsaktivisten Abdulhadi Al Khawaja aus Bahrein. Als Frauen lehnen wir politisch, ideologisch und ethnisch begründete Diskriminierungen hinsichtlich der Rechte und Freiheit von Frauen ab. Wir erklären, dass wir unabhängig von der politischen Meinung und ideologischen Herangehensweise gemeinsam gegen unsere gemeinsamen Probleme kämpfen werden, mit denen wir aufgrund unseres Frauseins konfrontiert sind. Deshalb werden wir zeitgleich eine gemeinsame Kampagne gegen staatliche und patriarchale Gewalt durchführen, um damit die gegen Frauen gerichtete Gewalt im öffentlichen und privaten Raum sichtbar und bekannt zu machen. Als Zeitpunkt schlagen wir den 25. November vor, den Kampftag gegen Gewalt an Frauen. Die Konferenz stellt für uns Frauen eine neue Ausgangsbasis für einen internationalen gemeinsamen Kampf gegen die Herrschenden, die Diktatoren und das patriarchale Herrschaftssystem dar. Es liegt an uns, diese Grundlage kontinuierlich zu stärken. Wir Frauen vertrauen uns selbst und wir sagen, dass es Frauen sein werden, die dieser Region den Frieden bringen."

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 23/24 - 69. Jahrgang - 21. Juni 2013, S. 2
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juli 2013