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VORWÄRTS/984: Kambodscha - Aufstand gegen Hungerlöhne


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.1/2 vom 17. Januar 2014

Aufstand gegen Hungerlöhne

Von Michi Stegmaier



Der soziale Aufstand hat Kambodscha erreicht. Was am 24. Dezember als Streik Hunderttausender in der Textilbranche Arbeitender begann, endete am 3. Januar des neuen Jahres mit der blutigen Niederschlagung des Aufstands durch die Militärpolizei.


Das südostasiatische Kambodscha erlebte in den letzten Wochen eine Protestwelle, die im von Langzeitherrscher Hun Sen mit fester Hand geführten Land bis vor kurzem undenkbar war. Inspiriert durch die Massenproteste im (verhassten) Thailand besetzt die Opposition schon seit Wochen den Freiheitspark in der Hauptstadt Phnom Pehn. Ganz nach dem Motto: "Was die Thais können, können wir auch". Die oppositionelle "Cambodia National Rescue Party" (CNRP), welche bei den Wahlen im Juli 2013 stark zulegen konnte, fühlt sich durch die seit fast dreissig Jahren regierende "Cambodian People Party" (CPP) um den Wahlsieg betrogen und forderte immer lauter Neuwahlen, falls Hun Sen nicht einer unabhängigen Überprüfung des Wahlresultates zustimmt. Schliesslich wurden Mitte Dezember mehrere Plätze von der Opposition besetzt.


160 Dollar zum Leben

Letztendlich brachte am 24. Dezember die Ankündigung des Arbeitsministeriums, den Mindestlohn von 80 Dollar pro Monat bloss um 20 Prozent - statt der geforderten Verdopplung auf 160 Dollar - anzuheben, das Fass zum Überlaufen. Kambodscha erlebte einen sozialen Aufstand gegen Hungerlöhne und Ausbeutung durch multinationale Konzerne sowie lokale Subunternehmen, wie es das kleine Königsreich in seiner jüngeren Geschichte noch nicht erlebt hatte. Schon gleichentags wiesen die verschiedenen Gewerkschaften der Näherinnen und Näher das Angebot entschieden zurück und riefen stattdessen zum Generalstreik auf. Trotz Warnungen und Drohungen des Regimes und Erpressungsversuchen des mächtigen Verbandes der Textilhersteller (GMAC) schlossen sich innert Tagen Hunderttausende dem Generalstreik an. Auf unzähligen Hauswänden und Plakaten erschien nun überall die Zahl 160. Die 160 Dollar als Symbol einer jungen Zivilgesellschaft, die die Schreckensherrschaft der Roten Khmer nie selber erlebte und die nun für gerechte Löhne und ein würdevolles Leben auf die Strasse geht. So kam die Produktion in der ganzen Textilbranche zum Stillstand und die Lage wurde für die Regierung von Hun Sen immer ungemütlicher.


Markenklamotten für den Westen

In Kambodscha sind rund 650.000 Menschen, überwiegend junge Frauen, in rund 800 Bekleidungs- und Schuhfabriken tätig. Mit einem jährlichen Umsatz von fünf Milliarden Dollar erwirtschaftet die Textilindustrie rund 80 Prozent der Exporteinnahmen. Produziert wird vor allem für die Märkte in den USA und in Europa. Gerade wegen der billigen Arbeitskräfte lassen bekannte Firmen wie H&M, Adidas, Levi Strauss oder Puma gerne in Kambodscha produzieren. Zwar besserte die Regierung zum grossen Ärger der Arbeitgeber das Angebot nochmals auf 100 Dollar auf, doch das ist heutzutage auch in Kambodscha, selbst mit Nachtarbeit und Sonderschichten, kein existenzsicherndes Einkommen mehr. Die Lebensunterhaltskosten sind bei gleich bleibenden Löhnen in den vergangenen zehn Jahren explosionsartig gestiegen. So steht heute eine kleine Elite einer Bevölkerung gegenüber, die in bitterer Armut lebt.

Zwar gerieten die asiatische Textilindustrie und die Machenschaften der multinationalen Konzerne und ihre Billiglohnpolitik nach dem Einsturz des Fabrikgebäudes Rana Plaza in Bangladesch Ende April 2013 in die mediale Kritik. Mehr als 1100 Menschen kamen damals in den Trümmern der illegal gebauten Fabrik ums Leben und über 2500 wurden verletzt. Als Reaktion auf diese unbeschreibliche Tragödie wurden in Bangladesch im Mai 2013 Brand- und Gebäudeschutzabkommen verschärft, doch das Problem der extrem geringen Löhne und ausbeuterischen Arbeitsverhältnisse besteht weiterhin. So blieb die Forderung der dortigen Gewerkschaften nach einem Mindestlohn von 75 Euro bei einem durchschnittlichen Arbeitspensum von 60 Stunden pro Woche bis heute ignoriert. Stattdessen drohen die Produzenten überall dort, wo ArbeiterInnen gegen die unmenschlichen Arbeitsbedingungen und Hungerlöhne aufbegehren, mit einer Abwanderung in Billiglohnländer mit weniger aufmüpfigen ArbeiterInnen. Ebenso wie Bangladesch gehört Kambodscha zu den wichtigsten globalen Produktionsstätten der Textilindustrie. So warnte der GMAC bereits vor einer drohenden Abwanderung westlicher Auftraggeber in andere Länder und droht der Regierung offen damit, falls es zu weiteren Zugeständnissen an die Streikenden käme, diese mit allen juristischen Mitteln zu bekämpfen. Gleichzeitig erhöhte auch der Ministerrat den Druck und forderte am 30. Dezember vom Arbeitsministerium, den AnführerInnen der Streiks die Gewerkschaftslizenz zu entziehen. Doch selbst als Hun Sen ankündigte, die Proteste und Streiks durch das Militär auflösen zu lassen, kam es zu immer wütenderen Protesten und die Lage spitzte sich weiter zu.


Kriegszone Pnohm Pehn

Als die Situation immer mehr in einen offenen Aufstand umschlug, schickte Hun Sen das Militär, um wieder für Ruhe und Ordnung zu sorgen. So rückten loyale Spezialeinheiten und die Militärpolizei vor und schossen schliesslich am 3. Januar mit AK47-Sturmgewehren in die aufgebrachte Menge. Dabei wurden mindestens fünf Arbeiter erschossen. Am darauffolgenden Tag wurde auch das CNRP-Camp auf dem Freiheitsplatz gewaltsam geräumt. BeobachterInnen sprachen gar von einer regelrechten Kriegszone. Schliesslich verkündete Pa Socheatvong, Gouverneur der kambodschanischen Hauptstadt, erst wieder Demos und Protestmärsche zu erlauben, "wenn die nationale Sicherheit und öffentliche Ordnung wieder hergestellt ist". Daraufhin sagten die verschiedenen Gewerkschaften sowie die Opposition weitere Proteste ab, um Schlimmeres zu verhindern. Dabei dürften wohl auch Vereinnahmungsversuche der Streikbewegung durch die CNRP eine Rolle gespielt haben. Gleichzeitig betonte Ath Thon, Präsident der kambodschanischen TextilarbeiterInnengewerkschaft, gegenüber den internationalen Medien, dass die Forderung nach einer Verdoppelung des Mindestlohnes bestehen bleibt, und gab sich kämpferisch. "Wenn wir nichts erreichen, streiken wir wieder!". Vorerst ist in Kambodscha wieder Ruhe eingekehrt, doch die Ereignisse der vergangenen Wochen dürften dem autoritären Regime von Hun Sen einen gehörigen Schrecken eingejagt haben. Die Wucht und grosse Spontanität sowie die Dauer der Massenproteste zeigen, dass Kambodschas Jugend und die mutigen NäherInnen in Zukunft eine ernstzunehmende gesellschaftliche Kraft darstellen werden.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 1/2 - 70. Jahrgang - 17. Januar 2014 , S. 8
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Februar 2014