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VORWÄRTS/1001: Faschistische Gefahr in der Ukraine?


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.9/10 vom 14. März 2014

Faschistische Gefahr in der Ukraine?

Von David Hunziker



Die EU unterstützt die ukrainische Übergangsregierung, obwohl sich faschistische PolitikerInnen in ihren Reihen finden. Die Russen wiederum sagen dies deutlich. Ihre Absichtserklärung, die russische Bevölkerung vor den rechten Kräften schützen zu wollen, ist dennoch bloss ein zynischer Vorwand.


In der gegenwärtigen Situation in der Ukraine sind - so könnte man sagen - zwei Arten von Faschismus am Werk. Die eine zeigte sich in Form schlagfertiger Kampftrupps auf dem Maidan, die aus der neofaschistischen Bewegung in der Ukraine stammen und den Ausgang der Proteste in Kiew mit ihrem gewalttätigen Eingreifen entscheidend mitgeprägt haben. Die andere Art von Faschismus ist ein dem Sowjet-Denken geschuldeter Teil der russischen Propaganda und dient der Rechtfertigung des imperialistischen Vormarschs Russlands auf der Krim. Dahinter stehen zwei Weltbilder, die einander direkt gegenüberstehen und zwei unterschiedlichen Deutungen der ukrainischen Geschichte entspringen. Diejenige des ukrainischen Nationalismus besagt, dass der nationale Befreiungskampf der Ukrainer von der Sowjetunion niedergeschlagen wurde; diejenige der Sowjetunion besagt, dass die Rote Armee die Ukraine von der Besetzung der Nazis befreit hat.


Ideologische Konstruktionen

Daraus lässt sich auch erklären, warum die DemonstrantInnen des Maidan es auf der einen Seite als symbolische Geste der Freiheit empfinden, die letzten Lenin-Statuen von ihren Sockeln zu stossen und alte Nazi-Parolen zu rufen, und die DemonstrantInnen der Krim auf der anderen Seite immer wieder sowjetische Flaggen schwenken und davon überzeugt sind, bei sämtlichen GegnerInnen der russischen Politik müsse es sich um FaschistInnen handeln. Mit der Wahrheit haben die beiden Geschichten zwar wenig zu tun, ihre Wirkung ist dennoch gross. Die ideologischen Konstruktionen tragen direkt zu einem gewaltsamen Ausgang der Situation bei. Statt sich für ihre Rechte und die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen zusammenzuschliessen, bejubeln die UkrainerInnen das dreckige Spiel der einen oder anderen Machthaber. Emanzipatorische Hoffnungen zerbrechen zwischen den Fronten. Wie die russische Armee derzeit langsamer aber unaufhaltsam die Krim in den Würgegriff nimmt, wird breit dokumentiert. Eher noch in den Hintergrund gerät die unrühmlichere Seite der "Helden vom Maidan", die vonseiten der EU - vor allem aus Deutschland - und den USA schon sofort nach Ausbruch der Proteste grossen Zuspruch erhielten und noch immer geniessen.


Faschistische Gruppen auf dem Maidan

Auch wenn sich ExpertInnen über das Mass ihres Einflusses streiten, markierten die faschistischen Gruppen auf dem Maidan deutliche Präsenz. Der "Prawyj Sektor" - ein paramilitärischer Zusammenschluss faschistischer Splittergruppen - scheint massgeblich zum Ausbruch der Gewalt auf dem Maidan beigetragen zu haben. Das wiederum hat den EU-ExponentInnen eine einfache Rechtfertigung zum Eingriff geliefert. Zum "Prawyj Sektor" gehört etwa UNA-UNSO, eine antisemitische Partei mit paramilitärischem Flügel, auf deren Seiten man sich in die Metaphysik rassischer Ideologie einlesen kann. Mit dem "Prawyj Sektor" verbündet und mit europäischen Rechtsparteien wie der deutschen NPD, der British National Party oder der ungarischen Jobbik vernetzt ist die "Swoboda"-Partei. Sie zählt immerhin halb so viele Mitglieder wie Vitali Klitschkos UDAR-Partei. Vor ihrem Aufstieg aus der Bedeutungslosigkeit musste sich die Sozial-Nationale Partei der Ukraine, wie die "Swoboda" früher hiess, einen gemässigten Anstrich verleihen. Das faschistoide Logo wurde durch eine harmlose gelbe Hand auf blauem Grund ersetzt und ihr Parteiführer Oleh Tjahnybok unterliess die Diffamierung von Juden. Dafür wurde die Partei reich belohnt: In der Übergangsregierung stellt sie drei Minister und den Vize-Premierminister. Dass die ukrainische Regierung mitten in der Krim-Krise den Gebrauch der russischen Sprache gesetzlich einschränken wollte, zeugt vom Einfluss der "Swoboda".


Nichts neues in der Ukraine?

Dennoch wird die Übergangsregierung von der EU unterstützt. Ganz neu sind die Spielereien mit rechtsextremem Gedankengut in der ukrainischen Regierung derweil nicht. 2010 verlieh der nach der "Orangen Revolution" an die Macht gekommene Wiktor Juschtschenko dem ukrainischen Unabhängigkeitskämpfer und Nazi-Kollaborateur Stepan Bandera (1909-1959) im Zweiten Weltkrieg den Ehrentitel "Held der Ukraine". Der prorussische Osten und Süden der Ukraine tobte. Im Westen des Landes wird Bandera, der auch an Massenmorden an JüdInnen und PolInnen beteiligt war, als Nationalheld gefeiert. Und nun hat es sein Portrait massenhaft auf den Maidan geschafft.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 9/10 - 70. Jahrgang - 14. März 2014 , S. 5
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. April 2014