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VORWÄRTS/1017: Das internationale Kontrastprogramm


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 15/16 vom 25. April 2014

Das internationale Kontrastprogramm

von René Lechleiter (*)



Die ALBA-Länder Venezuela, Bolivien und Ecuador haben sich auf einen alternativen Weg begeben, um von der Dominanz der USA und den Mechanismen kapitalistischer Krisenanfälligkeit wegzukommen. Bis jetzt mit einigem Erfolg.


In einer historisch kurzen Zeit zwischen sieben und fünfzehn Jahren sind in verschiedenen Ländern Südamerikas die Grundsteine für eine grundsätzlich andere wirtschaftliche, soziale und politische Entwicklung gelegt worden. Ausgangspunkt für die teils spektakuläre Entwicklungen waren gerade die Krisenerscheinungen des Kapitalismus, welche erneut durch Sozialabbau sowie neoliberale Privatisierungsvorhaben "gelöst" werden sollten. Eine Mehrheit der Bevölkerung sagte "basta!", eine Minderheit protestiert und will zu den alten Verhältnissen zurück. Ein Streiflicht auf das Kontrastprogramm:

Aufbau von Volksmacht:
Inhaltliche Basis für die Transformationsprozesse in den drei Ländern Ecuador, Bolivien und Venezuela stellt die Ausarbeitung und Gutheissung einer völlig neuen Verfassung dar; in anderen Breitengraden erfolgen die substantiellen Abbaumassnahmen weitgehend auf Druck von aussen und werden per Dekret von Oben - unter Ausschluss der Bevölkerung - durchgesetzt.

Soziale Schere:
Venezuela ist eines jener Länder, das in Sachen Verminderung der Armut sowie der extremen Armut sehr weit fortgeschritten ist. Im Kontrast dazu steht beispielsweise Chile, wo einer hohen wirtschaftlichen Wachstumsrate eine immer grössere Verarmung gegenübersteht. Ganz zu Schweigen von europäischen Ländern wie Portugal, Spanien oder Griechenland.

Arbeitslosigkeit:
Während in den Ländern der Eurozone die offiziell verkündeten Arbeitslosenzahlen auf ein dramatisches Niveau gestiegen sind (im Durchschnitt aller Länder: 12 %), erreichte die Arbeitslosigkeit in Venezuela im Dezember 2013 einen Tiefstand von 5,6 Prozent. Dies bei einer starken Zunahme der ökonomisch aktiven Bevölkerung.

Altersvorsorge:
In Venezuela existierte bis 1998 nur für eine kleine privilegierte Schicht von Beschäftigten in der Erdölindustrie so etwas wie ein Rentensystem. Insgesamt gab es lediglich 370.000 Begünstigte. Gestützt auf die neue Verfassung hat die Regierung ein veritables AHV-System realisiert. Bis Ende vergangenen Jahres wurden darin 2.5 Millionen Empfänger erfasst. Das Rentenalter ist auf 60 Jahre für Männer und 55 Jahre für Frauen festgesetzt; die Höhe der Rente entspricht einem Mindestlohn und wird laufend der Teuerung angepasst. All diese Regelungen stehen in Kontrast zur kapitalistisch dominierten Welt, in der das Rentenalter sukzessive auf 67 Jahre erhöht und gleichzeitig die Renten gekürzt werden.

Gesundheitswesen:
Chávez erbte zu Beginn seiner ersten Regierungszeit (ab 1999) ein Land, in dem Ärzte und Spitäler nur für Zahlungskräftige zu Verfügung standen. Seither ist ein kostenloses Gesundheitswesen aufgebaut worden, das insbesondere für die Bewohner der Barrios (Favelas) zugänglich ist. Es konnte nicht zuletzt auf Basis der Erfahrung respektive einem Abkommens mit Kuba realisiert werden. Die Opposition nimmt das zum Anlass, gegen die Einmischung von Kuba zu protestieren.

Schul- und Bildungswesen:
Venezuela ist erst unter der Regierung Chávez frei geworden von Analphabetismus (von der UNESCO anerkannt), was die essentielle Voraussetzung ist, um überhaupt von einem Bildungswesen zu sprechen. Um der gesamten jungen Generation Zugang zu Schuleinrichtungen zu ermöglichen, auch in abgelegenen Gegenden, sind umfangreiche Fördermassnahmen und Schulbauten notwendig. Dies ist heute in Ecuador, Bolivien und Venezuela der Fall, und das öffentliche Bildungswesen wurde bis auf Universitätsebene ausgebaut. Davon können die Studierenden in Chile oder die Campesinos in den peruanischen Anden nur träumen.

Sozialer Wohnungsbau:
Die Wohnungsfrage ist weltweit eines der ungelösten Probleme. In Venezuela ist das Recht auf ein würdiges Wohnen in der Verfassung verankert. Im Zeitraum von drei Jahren (2011 bis Ende 2013) sind dort über eine halbe Million Sozialwohnungen errichtet und an Familien aus den Favelas übergeben worden.

Ökologie:
Rohstoffreiche Länder wie Ecuador, Bolivien und Venezuela haben nicht nur die Schlüsselindustrien unter staatliche Kontrolle gebracht, sondern knüpfen den weiteren Abbau an Umweltschutz-Auflagen.

Verschuldung:
Gemäss einer Studie der CEPAL hat in der Fünfjahresperiode 2008 bis 2012 die Aussenverschuldung der Länder Lateinamerikas extrem zugenommen (insgesamt um 45,2 Prozent); in der Gruppe der am höchsten verschuldeten Länder findet man Mexico, Brasilien, Argentinien und Chile - nicht aber Venezuela, Bolivien oder Ecuador.

Innere Sicherheit:
Zweifelsohne ist die Kriminalität eine der nicht gelösten Erscheinungen in allen lateinamerikanischen Ländern. Die zunehmende Gewaltbereitschaft ist eine erschreckende Erscheinung. Das Leben in Caracas, Quito oder La Paz ist jedenfalls nicht unsicherer als in Mexico oder Guatemala, auch wenn einem die Medien das einreden wollen. Sie Schweigen sich zudem aus über die Gewalt von oben, wie zum Beispiel in Kolumbien, wo seit Jahrzehnten jede soziale Protestbewegung geköpft und massakriert wurde, oder deren Aktivisten mit fadenscheinigen Anschuldigungen für Jahre in Gefängnissen verschwinden.

ALBA= Bolivarianische Allianz der Völker Amerikas: Wer die Desinformationskampagne der bürgerlichen Medien und der WOZ bezüglich Venezuela, Kuba und der weiteren ALBA-Staaten satt hat und sich für die Substanz der Transformationsprozesse interessiert, wende sich an das im September 2013 gegründete Komitee ALBA_Suiza. Dies ist eine Vereinigung neuen Typs, mit welcher sich Schweizer/Schweizerinnen und hier lebende Latinos dafür einsetzen, die bolivarianische "Initiative de los Pueblos de America" zu unterstützen.
Webseite (im Aufbau befindlich):
www.albasuiza.ch


(*) Der Schattenblick veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors die Originalfassung seines Artikels.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 15/16 - 70. Jahrgang - 25. April 2014, S. 5
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Mai 2014