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VORWÄRTS/1027: Wahl des Europaparlaments - Vielerlei Unzufriedenheit


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 21/22 vom 6. Juni 2014

Vielerlei Unzufriedenheit

von David Hunziker



Für sich genommen hat die Wahl des Europaparlaments keine grosse Bedeutung. Sie kann Jedoch als Seismograph für die politische Stimmung in Europa dienen. Dieses Mai sind sowohl rechts als auch links ein paar starke Ausschläge festzustellen.


Obwohl dem Europaparlament seit dem Vertrag von Lissabon (2009) mehr Kompetenzen zukommen, verfügt es im Vergleich zu anderen Gremien der EU noch immer über wenig Macht. Für die Gesetzgebung etwa ist der Rat der Europäischen Union wichtiger, der sich aus MinisterInnen der Mitgliedsländer zusammensetzt. Auch die Exekutive der EU, die Europäische Kommission, besitzt mehr Kompetenzen. Und die Strategie der EU wird vom Europäischen Rat festgelegt, in dem die Staats- und Regierungschefs sitzen. Weil sich die Konsequenzen der Wahl fürs EU-Parlament daher in Grenzen halten, wird sie auch als Symbol- oder Protestwahl bezeichnet.

Allerdings hat die Wahl eine wichtige ideologische Funktion, denn das Parlament ist das einzige direkt von den EU-BürgerInnen gewählte Gremium des Staatenbunds. Weil auch gemässigte KritikerInnen der EU ein sogenanntes Demokratiedefizit vorwerfen, wurde dieses Jahr enorm viel Geld investiert, um die bisher bei jeder Wahl sinkende Wahlbeteiligung etwas aufzupolieren. Wenn man sich mit der Chimäre der "demokratischen EU" jedoch gar nicht erst beschäftigen will, kann das Wahlergebnis als Indikator für die Stimmung in der Bevölkerung dienen.

Dabei lässt sich, plump gesagt, vor allem eine interessante Tendenz feststellen: Im reichen Norden wird rechts gewählt, im armen Süden links. Natürlich ist es nicht so einfach, wenn man genauer hinschaut, gibt es jedoch einige interessante Resultate. Der Vormarsch der rechtsextremen EU-KritikerInnen hat vor allem in den Kern-EU-Ländern Frankreich und England stattgefunden: Nachdem Marine Le Pen ihren Front National (FN) von der antisemitischen Rhetorik ihres Vaters und aus der rechten Schmuddelecke befreit hat, taugt die rechtsextreme Partei in Frankreich bald zur Volkspartei: 24 Prozent bei der EU-Wahl sind ein deutliches und düsteres Zeichen. Auch in England landet eine Rechtspartei auf dem ersten Platz: Nigel Farages United Kingdom Independence Party (UKIP) erzielt gar 27,5 Prozent.

Namhafte Erfolge konnten rechtsextreme Parteien auch in anderen Ländern verbuchen, so die Schwedendemokraten (9,7), die Wahren Finnen (12,9), die ungarische Jobbik (14,7), die Freiheitliche Partei Österreichs (19,7) sowie die Dänische Volkspartei (26,6). Wie der FN und die UKIP fordern all diese Parteien eine starke Beschränkung der Zuwanderung und den Austritt ihres Landes aus der EU oder zumindest eine Stärkung der nationalen Souveränität. Auch die gemässigtere Alternative für Deutschland (7) tendiert nach rechts.

Anders sieht das Ergebnis in Griechenland und Portugal aus, wo linke Parteien die Wahl gewinnen konnten. Syriza, das griechische Bündnis der radikalen Linken, erzielte 26,6 Prozent. In Portugal kam die Demokratische Einheitskoalition, die sich aus Grünen und KommunistInnen zusammensetzt, auf 12,7 Prozent, der Linksblock auf weitere 4,6 Prozent. Umso beachtlicher ist das Resultat in Portugal, weil es gegen die sozialdemokratische Wahlsiegerin "Partido Socialista" erzielt wurde. In Spanien erzielte die Vereinigte Linke, in der die Kommunistische Partei Spaniens die führende Rolle einnimmt, 10 Prozent.

Es ist kein Zufall, dass diese linken Erfolge in Länder erzielt würden, in denen die Bevölkerung stärker unter der Krise zu leiden hatte. Im offiziellen EU-Jargon gilt sie bereits als überwunden. Dass die Bevölkerung vielerorts - linke und rechte - Parteien wählt, die der EU kritisch bis feindlich gegenüberstehen spricht zumindest dafür, dass nicht alle die herrschende Krisenpolitik befürworten. Aus dieser Unzufriedenheit ziehen sie jedoch andere Schlüsse: Die einen kämpfen gegen den freien Personenverkehr, weil sie ihren Wohlstand gefährdet sehen; die anderen gegen die Austeritätspolitik, die ihnen den Wohlstand in weite Ferne rückt.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 21/22/2014 - 70. Jahrgang - 6. Juni 2014, S. 6
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juni 2014