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VORWÄRTS/1039: Eine neue Armee für den kommenden Aufstand


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.31/32 vom 19. Sept. 2014

Eine neue Armee für den kommenden Aufstand

Von Jonas Komposch



Die vom Bundesrat angestrebte Weiterentwicklung der Armee entspricht den internationalen militärstrategischen Trends. Mit kleineren aber modernisierten Beständen sollen neuartige Bedrohungen bewältigt werden. Das scheinbar Neue ist aber bloss der wiederbelebte Krieg gegen die Armen.


Vor sechs Jahren begann die Arbeit an der "Weiterentwicklung der Armee" (WEA). Anfang September präsentierte Ueli Maurer, Chef des "Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport" (VBS), die tiefgreifenden Neuerungspläne, über die das Parlament noch zu bestimmen hat. Bis 2017 soll der Truppenbestand auf 100.000 halbiert werden. Auch bei Teilen der Infrastruktur würde der Abbau walten. Das bedeutet das Ende für etliche Tigerjets, Leopard-Panzer, Haubitzen, Festungsminenwerfer, Piranhas und Bisongeschütz. Alles Material also, das für herkömmliche, zwischenstaatliche Schlachten im offenen Felde taugt. Der ideologische Boden dieser Ausrüstung ist in den gehegten Bedrohungsfantasien des Kalten Krieges zu suchen. Die Angst vor der übermächtigen, von Osten einmarschierenden Sowjetmacht ist jedoch passé. Heute bedrücken andere Sorgen die herrschende Klasse. Und so muss auch anderes Kriegsgerät her; etwa mehr Drohnen und neue Aufklärungstechniken, die - so die Begründung - gegen TerroristInnen und im Cyber War eingesetzt werden können.

Kritik gegen die WEA hagelte es von Links und Rechts. Die Stahlhelmfraktion schaudert's, weil ihre geliebte Massenarmee endgültig das Zeitliche segnet und die Wehrpflicht dadurch noch weniger Bedeutung erhält. Die "Gruppe Schweiz ohne Armee" (GSoA) wiederum sieht die Gefahr von häufigeren Einsätzen der Armee im Innern. Schliesslich würden die Militärpolizeibataillone verdoppelt und erweiterte Kompetenzen erhalten sowie stärker mit den Polizeicorps zusammenarbeiten. In finanzieller Hinsicht ändert sich mit dem WEA kaum etwas. Bereits 2011 beschloss das Parlament die Erhöhung des Militärbudgets von 4.7 auf 5 Milliarden Franken.


Im globalen Trend

Grossheere haben nach wie vor ihre Bedeutung für Territorialkonflikte und die Sicherung globaler Machtansprüche. Allerdings zeichnet sich international eine Tendenz ab, die neben oder anstatt dem herkömmlichen Heer flexible und schnelle Armeen für asymmetrische Kriege hervorbringt. Der 2003 publizierte NATO-Bericht mit dem Namen "Urban Operations in the year 2020" weist ganz in diese Richtung. Dort sind "asymmetrische Bedrohungen, Technologieentwicklung und Einsätze in Städten grundsätzliche Charakteristika und mögliche Herausforderungen künftiger Einsätze der Allianz." Ebenso beklagt die amerikanische RAND-Corporation, ein militärwissenschaftlicher Think Tank, dass die USA trotz einer "Verstädterung der Revolte" nicht hinreichend für die Aufstandsbekämpfung gerüstet seien. Diese Überlegungen finden sich auch in der WEA. Maurer will innerhalb von zehn Tagen 35.000 Mann aufbieten können, was heute unmöglich sei. Angesichts der jüngsten unerwarteten Aufstände erscheint diese Fähigkeit für den Staat jedoch elementar.

Die grosse Reserve an Proletarisierten ist zwar überlebenswichtig für das an tiefen Lohnkosten interessierte Kapital, doch in der Krise nimmt diese Masse, ob sie es will oder nicht, wieder die totgesagte Rolle der "gefährlichen Klasse" ein. Was folgt, ist der Krieg gegen die Armen. Exemplarisch hierfür sind die Angriffe der so genannten Befriedungspolizei UPP (Unidade de Polícia Pacificadora) in den brasilianischen Armensiedlungen. Vordergründig geht es dort stets um die Jagd auf Drogengangs. Die Präsenz krimineller Banden ist hingegen von staatlichem Interesse, denn sie legitimiert die gewalttätige Intervention in potentiell aufständische Territorien. Übrigens waren es auch in Baselland "kriminelle Einbrecherbanden", mit welchen der zivile Einsatz der Militärpolizei gerechtfertigt wurde. Solche Interventionen lassen sich bei entsprechendem Bedürfnis problemlos auf andere Bereiche ausweiten. In Brasilien etwa gegen Protestierende, die aus ihren Quartieren vertrieben wurden.


Ein Problem der Peripherie?

Es ist offensichtlich, worauf die neue Armee zu zielen hat. Gerne verweist Ueli Maurer auf die arabischen Aufstände oder auf den Konflikt in der Ukraine. Bei Ersterem sind abrupte und unkontrollierte Migrationsbewegungen das Problem, bei der Ukraine ist es der unerwartete Kriegsausbruch durch eine spontane Revolte. In Brasilien wiederum ist es das verarmte und rebellierende Proletariat, das sich darüber hinaus noch mit informeller Wirtschaft über Wasser hält. Sind solche Szenarien also nur im Elend ferner Länder denkbar? Jeder Schweizer Rekrut lernt, dass bei bedrohter innerer Sicherheit die Armee aufgeboten werden kann. Dieser Möglichkeit bedienten sich die Generäle bis in die 30er Jahre regelmässig - nicht ohne tödliche Folgen für die protestierenden ArbeiterInnen. Und auch heute bestätigen dienstleistende Soldaten das Üben von Einsätzen gegen DemonstrantInnen. Erinnert sei zudem an das Militärbataillon 1, das im Januar letzten Jahres mit einem originalen Anti-WEF-Transparent den Einsatz im Innern probte.

Weil es sich aber so schön bewährt hat, dient primär "Terrorismus" als Legitimation für neue Militärtechniken. Doch auch solche finden in Wirklichkeit längst Verwendung im Bereich der Crowd Control. Militärdrohnen und Superpumas der Armee unterstützten in den letzten Jahren die Zürcher Polizei bei der Unterbindung der autonomen 1. Mai-Proteste. Bezahlen musste die Stadt keinen Rappen; dankend übt das Militär am realen Objekt. Es lässt sich also kaum bestreiten, dass die neuen Armeen nicht nur für den Einsatz an der Peripherie und an den Grenzen der Wohlstands-Festungen konzipiert sind, sondern besonders auch im Zentrum, in den widerspruchsvollen und umkämpften Metropolen der Industrienationen zum Einsatz kommen werden.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 31/32 - 70. Jahrgang - 19. Sept. 2014, S. 1
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. September 2014