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VORWÄRTS/1052: Französische Kolonialpolitik reloaded


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 35/36 vom 17. Oktober 2014

Französische Kolonialpolitik reloaded

Von Tarek Idri



Das Sommerloch nutzend hat der französische Präsident François Hollande im Juli die Operation "Barkhane" angeordnet und ab dem 1. August 3000 SoldatInnen in fünf Sahelstaaten stationier. Aus der Intervention in Mali ist nun eine ständige Mllitärpräsenz Frankreichs In Afrika geworden. Die Medien wischten die Sache unter den Teppich, die Öffentlichkeit war in den Ferien.


Die Operation "Barkhane" kam nicht aus dem Nichts. Bereits Anfang Jahr hatte Verteidigungsminister Le Drian angekündigt, den Kontinent mit einem breiten Band aus Militärbasen zu überziehen. Das Ganze soll verstärkt werden durch ein mobiles Kontinmgent, das in der Lage sein soll, "diskreter von einem Punkt zum anderen zu springen". Wird es dann in Zukunft zu militärischen Einsätzen kommen, sollen die Behörden der betroffenen Länder nur noch informiert werden.

Das Vorhaben wurde wahr gemacht. Konkret sieht die Operation jetzt folgendermassen aus: Neben dem Hauptquartier in der tschadischen Hauptstadt N'Djamena werden sechs weitere Miitärbasen eingerichtet in Burkina Faso, Mali, Mauretanien und Niger. Die Truppen sind mit zwanzig Helikoptern, sechs Kampfjets, zehn Transportflugzeugen und mehreren Drohnen ausgerüstet. Die Verantwortung für "Barkhane" trägt General Palasset, der mit der Intervention in der Elfenbeinküste von 2010 und in Afghanistan bereits ausgiebig Kriegserfahrung sammeln konnte.


Krankes Frankreich

Über die Kosten der militärischen Einrichtungen wird nicht viel gesagt. Die Frage stellt sich: Kann sich Frankreich ein solches Unterfangen überhaupt leisten? Die ökonomische Situation Frankreichs sieht nicht gerade glänzend aus und schon länger wird es als der neue "kranke Mann Europas" bezeichnet. Der Einsatz dürfte für Hollande politisch äusserst riskant sein, wenn man bedenkt, dass die Bevölkerung noch immer unter der Wirtschaftskrise und der Sparpolitik leidet. So gesehen war der Zeitpunkt der Bekanntgabe der Operation ziemlich geschickt gewählt: Die Berichterstattung in den Medien war kaum wahrnehmbar, das öffentliche Interesse gering. Ein weiterer Faktor besteht vermutlich darin, dass die nun abgeschlossene Operation "Serval" - die Miitärintervention in Mali - von der französischen Regierung als Erfolg vermarktet wird. Laut Verteidigungsminister Le Drian seien die Ziele jener Operati6n erfüllt worden. Die TerroristInnen seien eliminiert und ihre Waffenlager aufgelöst worden. Jetzt soll bloss das Wiedererstarken der DschihadistInnen verhindert werden. Ein Hohn, wenn man sich die gegenwärtige Lage in Mali ansieht. Weder Frieden noch Sicherheit sind in das Land eingekehrt. Die Tuareg-SeparatistInnen sind stärker als vor der Intervention. Und die DschihadistInnen sind bloss geschwächt, nicht besiegt. Nachdem die Al-Qaida-nahen KämpferInnen vorübergehend in den Niger und Libyen abgetaucht waren, sind sie in kleineren Einheiten im Norden Malis wieder aktiv geworden. Aus dem offenen Krieg wurde ein Schattenkrieg. Auch konnten die staatlichen Strukturen Malis bislang in der Region nicht wiederaufgebaut werden. Beispielsweise ist die Stadt Kidal fest in den Händen von Tuareg-RebellInnen. Als malische Regierungstruppen im Mai die Stadt erobern wollten, erlitten sie eine blutige Niederlage. Nicht nur für die malische Regierung, auch für Europa wäre die Angelegenheit peinlich gewesen, wenn der Westen denn überhaupt davon Notiz genommen hätte: Die Truppen waren von den EuropäerInnen ausgebildet worden, besonders Deutschland war stark in das Trainingsprogramm involviert.


Die Probleme Malis

Die Probleme der Region sind komplexer, als dass man deren Ursache dem "Islamismus" und "Terrorismus" zuschieben könnte. Hier vermischen sich organisierte Kriminalität mit Separatismus, religiöser Hetze und staatlicher Korruption, und dann ist da noch die erdrückende Armut der Bevölkerung. Die französische Aggression hat keine dieser Elemente, die in die Krise geführt haben, beseitigt. Die malische Regierung hat ihrerseits auch kaum versucht, eine Lösung der Krise im Norden des Landes zu finden. Der 2013 im Eiltempo gewählte Präsident von Mali Ibrahim Boubacar Keïta hat sich ein kostspieliges Privatflugzeug genehmigt, hat Ämter und Posten auf Familienmitglieder verteilt, statt dass er auf die sozialen und politischen Forderungen des Nordens eingegangen wäre.

Zu Beginn begrüsste ein nicht unbedeutender Teil der malischen Bevölkerung den Eingriff Frankreichs. Neueren Umfragen zufolge ist aber bei der grossen Mehrheit die Dankbarkeit gegen Misstrauen gewichen. Das Schwenken von Trikolorefähnchen beim Einmarsch der ehemaligen Kolonialmacht war wohl bloss ein Zeichen für fehlendes politisches Bewusstsein der Menschen. Das hat sich geändert. Heute warnen malische Oppositionelle wie die Globalisierungskritikerin Aminata Traoré vor dem französischen Eingreifen, vor Operationen wie "Serval" und ihrer Fortsetzung "Barkhane". Man dürfe Ursache und Folge von Dschihadismus nicht verwechseln. Sie wies darauf hin, dass die Militarisierung der Sahelregion auch im Namen des von den USA geführten "Globalen Antiterrorkriegs" erfolgte und dass insbesondere die vor allem von Frankreich betriebene Zerschlagung Libyens 2011 die Bedrohung des Dschihadismus erst geschaffen hat. Die wahren Probleme des Sahel seien sozialer Natur und militärisch nicht zu lösen.


Uran aus dem Niger

Präsident Hollande hat den Beginn der Operation "Barkhane" während seiner dreitägigen Afrikareise angekündigt. Begleitet wurde er von einer grossen Delegation französischer Unternehmen. Die Interventionen werden mit der bedrohten Sicherheit Frankreichs und Europas begründet. Es gibt allerdings zu denken, dass beispielsweise in der Elfenbeinküste 800 französische Konzerne tätig sind, darunter auch multinationale wie Orange, Bouygues und Bolloré. Und besonders der Niger spielt für Frankreichs Wirtschaft eine zentrale Rolle: Der französische Atomkonzern Areva fördert im Niger 40 Prozent des Uranbedarfs von Frankreich. Mit einem Atomstromanteil von 70 Prozent würde dem Land ohne diese Rohstoffquelle bald das Licht ausgehen. Seit längerem haben die beiden Staaten über ein neues Bergbaugesetz verhandelt, wonach Areva statt wie bisher 5.5 Prozent Steuern neu 12 Prozent zahlen muss. Im Mai wurde bekannt gegeben, dass sich die nigrische Seite durchsetzen konnte. Aber zu welchem Preis? Könnte das Einlenken Frankreichs etwas mit "Barkhane" zu tun haben? Schliesslich hat der Areva-Konzern noch Anfang Jahr zwei Minen stillgelegt. Um Druck auszuüben? Der Niger ist nun wieder ein Protektorat Frankreichs. Zufall?

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 35/36 - 70. Jahrgang - 17. Oktober 2014, S. 8
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. November 2014