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VORWÄRTS/1091: La Via Campesina - der bäuerliche Weg


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 11/12 vom 27. März 2015

La Via Campesina - der bäuerliche Weg

Von Ulrike Minkner


Auch die schweizerische BäuerInnengewerkschaft Uniterre ist Mitglied des internationalen Netzwerks La Via Campesina. Beide setzen sich zur Zeit stark für die Ernährungssouveränität ein. Ulrike Minkner, Bäuerin und Uniterre-Sekretärin, über Struktur und Zweck der internationalen und kämpferischen BäuerInnenorganisation.[*]


La Via Campesina (zu deutsch "der bäuerliche Weg") ist, wie der Name schon erahnen lässt, eine Organisation, die bäuerliche Interessen und eine bäuerlich geprägte Landwirtschaft vertritt. Sie wurde 1993 von 46 Vertretern aus unterschiedlichen Teilen der Welt in Mons in Belgien gegründet. Beteiligt waren bestehende regionale Organisationen wie die Landlosenbewegung MST aus Südamerika und ASOCODE für Zentralamerika, die Karibik und Nordamerika, Regionen, in denen La Via Campesina auch heute noch besonders stark aufgestellt ist, sowie die Bauernbewegung der Philippinen (KMP) und die Europäische Landwirte Koordination (CPE) für Westeuropa. Mit heute rund 150 Mitgliedsorganisationen aus 70 Ländern ist La Via Campesina eine in weiten Teilen der Welt vertretene basisdemokratische Massenbewegung, die sich aus den rund 200 Millionen BäuerInnen, LandarbeiterInnen, Landfrauen, Landlosen, Landjugend und Indigenen aus den nationalen und regionalen Organisationen bildet. Daraus ergibt sich eine beeindruckende Vielfalt an Menschen, Kulturen, Sprachen und Formen der Landwirtschaft, die einmalig sein dürfte. (...) La Via Campesina ist nicht nur auf der Straße präsent, sondern auch dort, wo letztlich die Entscheidungen getroffen werden. Durch die breite Basis und die globalen Aktivitäten ist die Organisation weltweit anerkannt und wird von zahlreichen Regierungen und Parlamenten sowie wichtigen internationalen Organisationen wie der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) und der UN gehört. (Quelle: Abl, A. Heubuch)


Eine Frau führt die Geschicke von La Via Campesina

Seit Januar 2014 ist Elizabeth Mpofu, Bäuerin aus Simbabwe, die internationale Koordinatorin von La Via Campesina. Anfang März war sie in Genf. Valentina Hemmeler Maïga, Uniterre, hat sie zur Situation in Afrika befragt.

In Afrika gibt es 15 Mitgliedorganisationen. Die Tatsache, dass sich das internationale Sekretariat jetzt in Afrika befindet, erleichtert die Dynamik auf unserem Kontinent. Es gab auch schon zahlreiche internationale Treffen, wie in Mali zu Themen wie Land-Grabbing, Saatgut und - erst kürzlich - zur Agrarökologie. Unser Ziel ist es, die Bürgerbewegung in Afrika zu stärken, um der Gier der Grosskonzerne standzuhalten. Das geht unter anderem durch Allianzen mit den Konsumenten, namentlich in den Städten. Die UNAC, eine Mitgliedorganisation in Mosambik, hat es beispielsweise geschafft, einen regionalen Workshop über multinationale Konzerne zu organisieren und hat Regierungsmitglieder eingeladen, die auch tatsächlich gekommen sind. Die internationalen Konzerne versprechen uns das Blaue vom Himmel, brauchen unsere Ressourcen auf, und wenn nichts mehr übrig bleibt, verschwinden sie wieder. Das kann so nicht mehr weitergehen. Die Ausbildung und der Erfahrungsaustausch ist ein weiterer wichtiger Punkt. So haben wir zum Beispiel vier Schulen für Agrarökologie gegründet. (Quelle Uniterre)


Ernährungssouveränität als Ziel

Trotz dieser Fülle von Unterschieden vereint alle diese Menschen eine grundlegende Idee, welche es zu verteidigen oder wieder zu erlangen gilt: Die Ernährungssouveränität. Dieser auf der Welternährungskonferenz 1996 im wesentlichen von La Via Campesina geprägte Begriff bezeichnet das Recht der agrar- und ernährungspolitischen Selbstbestimmung von Ländern, Regionen und Volksgruppen und ist als politisches Konzept zu verstehen. Er beschreibt einen Zustand, in dem Lebensmittel regional durch angepasste Formen der Landwirtschaft so produziert werden, dass einerseits die Versorgung der Bevölkerung vor Ort sicher gestellt ist und andererseits die natürlichen Ressourcen nicht ausgebeutet werden. Ernährungssouveränität ist das Recht aller Menschen auf gutes und kulturell angepasstes Essen, das mittels nachhaltiger Produktionsmethoden hergestellt wurde, sowie das Recht der Menschen, Nationen und Staatengemeinschaften, ihre Ernährungs- und Agrarpolitik selbst zu bestimmen. Ernährungssouveränität ist aber auch die Verpflichtung, die Landwirtschaft anderer Länder nicht zu beeinträchtigen. Sie beruht auf der Etablierung von lokalen Produktionssystemen, der Stärkung der lokalen Kontrolle und der internationalen Solidarität. (Quellen: I.Salzer ÖBV-la Via Campesina u. Abl. A.Heubuch)


Nyeleni - Forum für Ernährungssouveränität in Europa

2007 veranstaltete La Via Campesina gemeinsam mit einigen anderen Organisationen in Mali das erste weltweite Forum für Ernährungssouveränität, das nach einer berühmten malischen Bäuerin "Nyeleni" genannt wurde. Durch dieses Forum stieg die Anzahl von Bewegungen und Initiativen, für die Ernährungssouveränität zu einem zentralen Thema geworden ist, enorm. Heute zählen dazu unter anderem die Umweltschutzorganisation Friends of the Earth International, das europäische Attac-Netzwerk, die Menschenrechtsorganisation FIAN sowie die Frauenbewegung World March of Women. 2011 fand in Krems in Österreich das erste europäische Forum für Ernährungssouveränität "Nyeleni Europe 2011" statt. 400 Delegierte aus 32 Ländern erarbeiteten Grundsätze und Aktionspläne für eine im Aufbau begriffene europäische Bewegung für Ernährungssouveränität. (Quelle: Irmi Salzer ÖBV-La Via Campesina. Überall in Europa werden Nyeleni-Veranstaltungen organisiert. Die letzten grösseren Treffen fanden in Berlin (2014 und 2015) statt.
http://nyeleni.de/2014/11/nyeleni-bildungstage/
)


Gemeinsam und stark in Europa

Die Europäische Koordination Via Campesina (ECVC) trifft sich einmal jährlich zur grossen gemeinsamen Mitgliederversammlung, dieses Jahr fand die GV Anfangs März in Brüssel statt. Die Themen Freihandelsabkommen und die Klimapolitik waren sehr bestimmend. Unter anderem fand eine Konferenz mit Repräsentanten der EU-Kommission statt. In Arbeitsgruppen wurden Positionen erarbeitet und Informationen ausgetauscht. So berichtete die Rumänische Delegation vom Problem der Zunahme der Landaufkäufen von finanzstarken Investoren (div. Quellen sprechen davon, dass sich bereits bis zu 8 Prozent des Agrarlands in den Händen von transnationalen Konzernen befindet) und dem Verbot von GVO in der Region. Bauern aus Italien sprachen u.a. von der Weltausstellung in Mailand. Sie wollen Gegenveranstaltungen organisieren und boykottieren die Expo. Für die Expo wurden bereits 200 ha Kulturland verbetoniert und asphaltiert, für die Bauplätze, für Parkplätze und die Zufahrtsstrassen. Im Zuge der Bautätigkeiten kam es zu Landenteignungen. Der Fokus der Gegenveranstaltungen ist die regionale bäuerliche Landwirtschaft. Uniterre wird die Anliegen der italienischen Bauern und Bäuerinnen im Rahmen der "Agro statt Business"-Tagung in Basel einbringen. Einzelne Organisationen stehen diesen Problemen in ihren Ländern häufig machtlos gegenüber. Aber im Bündnis mit la Via Campesina bekommen wir das nötige Gewicht.


Uniterre in der Schweiz

In der Schweiz hat Uniterre als Mitglied von La Via Campesina das Thema der Ernährungssouveränität mit der Initiative auf die politische Bühne gebracht. Wir vertreten die Anliegen von Via Campesina und suchen den Dialog mit der Bevölkerung. So wie hier entstehen Initiativen für Ernährungssouveränität überall auf der Welt, welche sich vernetzen und gemeinsame Aktionen planen. Viele Bewohner_innen in der Schweiz setzen die Vision bereits um. Getragen werden die Ideen von Vertragslandwirtschaftsprojekten, von Hofgemeinschaften, von Gemüsegenossenschaften, von Food-Coops, von Agriculture-Projekten in der Stadt und auf dem Land. Alle diese Initiativen sind die Basis von neuen Landwirtschafts- und Ernährungssystemen. Um uns gegen die Liberalisierungspolitik unsrer Regierung zu wehren und den Vorhaben von immer weiteren Freihandelsabkommen von Bundesrat Schneider Ammann die Stirn zu bieten, brauchen wir die politische Debatte. Weltweit kämpfen wir, so unterschiedlich die Bedingungen auch sind, mit den gleichen Problemen: Ausbreitung der GVOs, die Veränderung des Weltklimas, Patentierung von Pflanzen und Saatgut, kranke Tiere in der Massentierhaltung, Antibiotikaskandale, Landgrabbing und der Industrialisierung unserer Nahrungsmittelproduktion. Unsere Initiative greift diese Problematik auf und ist, wie von La Via Campesina gefordert wird, ein umfassendes Gegenkonzept zum Ausverkauf von Landwirtschaft, Natur, Gesundheit und Ernährung.

Unsere Argumente und mehr Informationen zur Initiative für Ernährungssouveränität finden Sie auf unserer Homepage:
http://www.souverainete-alimentaire.ch/in/de/


[*] Der Schattenblick veröffentlicht die von der Autorin aktualisierte Fassung dieses Artikels.

*

Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 11/12 - 71. Jahrgang - 27. März 2015, S. 4
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: Vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
Telefon: 0041-(0)44/241 66 77,
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Internet: www.vorwaerts.ch
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. April 2015

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