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VORWÄRTS/1102: Antifaschistin aus Anstand


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 15/16 vom 24. April 2015

Antifaschistin aus Anstand

Von Michi Stegmaier


Marlene Dietrich war Deutschlands erster internationaler Star und schon zu Lebzeiten ein Mythos. Sie war nicht nur Hollywood-Ikone und "Femme Fatale", sie war auch eine überzeugte Antifaschistin, weshalb sie Zeit ihres Lebens bei vielen Deutschen als "Vaterlandsverräterin" galt. Die kumpelhafte Göre zeigte den Anständigen, was Anstand ist.


Geboren wurde die Maria Magdalena Dietrich am 27. Dezember 1901 als zweites Kind eines preussischen Offiziers und einer Juwelierstocher. Streng nach dem Prinzip der wilhelminischen Offiziere erzogen, wächst sie in einem gutbürgerlich geprägten Milieu auf. Schon früh erlebt die kleine Marlene den Krieg als etwas Zerstörerisches, der in das behütete Leben der Familie eindringt. Sie ist 15, als ihr Stiefvater Eduard von Losch im 1. Weltkrieg fällt - ihr leiblicher Vater starb schon früh an Herzversagen. Sie wächst zusammen mit ihrer Schwester, Mutter und Gouvernante in einer Frauenwelt auf, die sie selbst als unabhängig und durchsetzungsfähig wahrnimmt. Als Berlin nach dem 1. Weltkrieg zum intellektuellen Zentrum einer neuen Avantgarde wird, ist die Weltmetropole für die junge Marlene vor allem ein Abenteuerplatz, wo sie alle frivolen Facetten ihrer Identität auslebt. Es ist die Zeit der Befreiung und der Goldenen 20er-Jahre, in denen die sittenstrenge Gesellschaft der Kaiserzeit aufgebrochen wird und Tabus fallen. Marlene Dietrich emanzipierte sich früh. Dies in einer Zeit, in der es in Berlin unzählige Theater gibt, die die Stadt zu einem einzigartigen Schmelztiegel machen.


Der Durchbruch mit "Marokko"

Während der Dreharbeiten für den Stummfilm "Tragödien der Liebe" 1923 lernt Marlene den Produktionsassistenten Rudolf Sieber kennen, den sie später heiratet. 1929 kommt der aufstrebende US-Regisseur Josef von Sternberg nach Berlin, der für den Film "Der blaue Engel" eine Hauptdarstellerin sucht. Fasziniert von der eiskalten Ausstrahlung und ihrem verächtlichem Desinteresse, besetzt von Sternberg die Rolle der frechen Lola mit Dietrich. Während das deutsche Filmstudio UFA das Potenzial von Dietrich nicht erkennt, nimmt sie Paramount sofort unter Vertrag. Marlene reist gleichentags in die USA, wo ihr mit dem Film "Marokko" der grosse Durchbruch gelingt und sie auf Anhieb zur Ikone Hollywoods und einem Weltstar wird. Ständig Zigaretten qualmend, mit rauchig-erotischer Stimme, Hosenanzüge und Zylinder tragend, mischt sie die damaligen Rollenklischees kräftig durch und gibt sich einen androgynen sowie hedonistisch-verruchten Anstrich. Vorwürfe der Bisexualität lassen sie kalt. "Ja, soll denn etwas so Schönes nur einem gefallen, die Sonne, die Sterne gehören doch auch allen", erwidert sie für diese Zeit sehr provokativ.


Im Pariser Exil

Durch ihre engen Kontakte zu jüdischen KünstlerInnen und Intellektuellen, von denen immer mehr aus Deutschland fliehen, nimmt sie den immer brutaler werdenden Antisemitismus in ihrer Heimat sehr genau wahr. Für viele EmigrantInnen ist Paris damals die erste Anlaufstation. Hier trifft sich Marlene immer wieder mit ihrem Ehemann Rudi Sieber, von dem sie sich unterdessen getrennt hat, aber trotz unzähligen Liebesbeziehungen in inniger Freundschaft verbunden bleibt und nie scheiden lässt. "Als wir nach Paris kamen, war das Zimmer meiner Mutter, zum Beispiel ihre Suite im George V, ein Ort, den jeder Flüchtling, insbesondere aus Berlin, aufsuchte. Sie wussten, hier bekamen sie etwas zu essen, hier bekamen sie Geld, hier bekamen sie Arbeit, wenn es welche gab", erinnert sich Marlenes Tochter Maria an die Zeit in Paris. Und sowohl Marlene wie ihr Ehemann, der noch in Düsseldorf lebte, wussten schon anfangs der 30er-Jahre - lange bevor es die Presse und Weltöffentlichkeit wahr haben wollten - was damals in Deutschland geschah, wie jüdische MitarbeiterInnen plötzlich aus den Dienstplänen und von der Bildfläche verschwanden. In dieser Zeit werden in Deutschland auch einige Filme mit Marlene Dietrich verboten.


"Judenfreundin" und "Ami-Hure"

Tatsächlich wollen die Nazis Marlene Dietrich unbedingt wieder "Heim ins Reich" holen. Es wäre ein grosser Propaganda-Coup gewesen, wenn sie, und sei es nur für einen Film, wieder nach Deutschland zurückgekehrt wäre. Sozusagen ein Sieg Nazi-Deutschlands über das "jüdische Hollywood". In dieser Zeit lässt ihre Popularität in den USA nach, auch weil man ihr übel nimmt, dass sie Deutsche ist. Als "Kassengift" verspottet, floppen mehrere Filme mit ihr desaströs. An diesem Tiefpunkt ihrer Karriere erhält Dietrich sehr lukrative Rollenangebote von deutschen Produktionsfirmen. Das NS-Propagandaministerium verspricht ihr gar, jegliche Negativpresse künftig zu unterbinden. Zwar war Dietrich schon damals für die breite Masse Nazi-Deutschlands eine moralisch fragwürdige Figur und anrüchige Person, doch Hitler und Goebbels waren beide eingefleischte Fans der Stilikone. Es wurde alles versucht, um sie wieder zurück nach Berlin zu lotsen; gleich mehrmals wurde Aussenminister Ribbentrop nach Paris geschickt, um die Dietrich umzustimmen, damit sie "Königin der Filmstars und Juwel der Nazi-Filmkrone wird", wie sich Marlenes Tochter Maria erinnert, die sich mit ihrer Mutter an den Kostümen der Nazi-Delegationen belustigten. Hitler versprach ihr gar im Falle einer Rückkehr einen Triumphzug durchs Brandenburger Tor. Marlenes harsche Antwort: "Nur wenn mein (jüdischer) Mann mitfahren darf". Dietrich war ziemlich wütend, dass die Nazis dachten, sie würde eine Rückkehr überhaupt in Erwägung ziehen, und meinte immer wieder: "Hitler ist nie über den Strapsgürtel im Blauen Engel hinweggekommen. Das habe ich jetzt davon." Als Reaktion auf die Angebote des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels beantragt sie schliesslich 1937 die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. Der "Stürmer" schrieb dazu: "Die lange Verbindung der deutschen Schauspielerin Marlene Dietrich mit Juden hat ihren Charakter undeutsch gemacht. Der jüdische Richter nimmt ihr den Eid ab, mit dem sie das Vaterland verrät." In der Folge, wird sie im 3. Reich als "Judenfreundin" und "Ami-Hure" gebranntmarkt, was der deutschen Bevölkerung auch lange nach dem 2. Weltkrieg im Gedächtnis bleiben wird.


Soldatin unter Soldaten

1937 flüchtet sie sich aus der Realität in die High Society an der französischen Riviera. Erst 1939 bekommt sie wieder eine Hauptrolle und ist als eingebürgerte Amerikanerin nun wieder en vogue. Zurück in Hollywood, öffnet Marlene ihre Villa der europäischen Exilanten-Szene. Wie schon in Paris geht sie intensive Verbindungen mit Intellektuellen wie etwa Fritz Lang, Erich Maria Remarque oder Max Reinhard ein. Hier trifft sie auch auf den französischen Schauspieler Jean Gabin, die grosse Liebe ihres Lebens. Als die Nazis Paris besetzen, erscheint vielen Europaflüchtlingen die Neutralität der USA immer unerträglicher. Sowohl Gabin wie Dietrich fühlen sich schuldig. Und jetzt, wo sie Amerikanerin ist, will Dietrich nicht nur Flüchtlinge unterstützen und gegen Hitler predigen.

Nach dem Angriff auf Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 tritt auch die USA in den 2. Weltkrieg ein. Gabin meldet sich als Freiwilliger bei der französischen Befreiungsarmee und Marlene bleibt allein zurück, nicht wissend, ob sie ihn je wieder sehen wird. Stattdessen dreht sie weiter Filme und macht Werbung für Kriegsanleihen. Dazu meint sie später einmal: "Ich gehe auf Tournee, um für Kriegsanleihen zu werben, mit deren Hilfe man Bomben kauft, um damit Berlin zu bombardieren, wo Mutter immer noch lebt. Ich versuche nicht darüber nachzudenken, denn wenn ich das täte, könnte ich nicht mehr weitermachen." Sie wendet sich an die US-Truppenbetreuung. Sie will an Frontshows auftreten, mitten im Kriegsgebiet. Schliesslich kommt sie 1943 nach Nordafrika, wo Jean Gabin stationiert ist. Später geht es nach Italien, Alaska, Island, Grönland und an die französisch-deutsche Front. Sie besucht Feldlazarette, gibt Bühnenshows und gestaltet Radioprogramme. In der Folge arbeitet sie im innersten Zirkel der Propaganda-Abteilung des US-Geheimdienstes OSS. Sie schreibt Songs und spricht über das Radio zu den deutschen Soldaten und fordert sie auf, mit dem sinnlosen und verbrecherischen Krieg aufzuhören. Bei der Schlacht in den Ardennen entgeht Dietrich nur knapp der Gefangennahme. Und sie will immer an die Front, um eine Soldatin unter Soldaten zu sein, nicht der glamouröse Hollywood-Star, der rasch vorbeischaut und ein paar Lieder trällert. Ein Filmstar in Uniform und ganz ohne Leibwächter und sonstiges Stargehabe, das macht Eindruck auf die Soldaten, die Marlene im Gegenzug vergöttern und auf den Händen tragen. Später wird sie einmal sagen, dass die Zeit mit den "Boys" im Kampf gegen die Nazis die glücklichste Zeit ihres Lebens gewesen sei.


"Deutschland? Nie wieder!"

Ab den 50er Jahren steht Dietrich überwiegend als Sängerin auf der Bühne. Zu ihren berühmtesten Liedern zählen unter anderem "Von Kopf bis Fuss auf Liebe eingestellt", "Lili Marleen" und "Sag mir, wo die Blumen sind". Bei einer zweiwöchigen Tournee durch Deutschland 1960, ist sie in der Presse starken Anfeindungen ausgesetzt. Es kommt zu Protesten und tumultartigen Szenen. Dietrich wird angespuckt und als Verräterin denunziert. Umso herzlicher der Empfang in Osteuropa, wo man ihre Rolle während dem Krieg nicht vergessen hat und wo sie mitten im Kalten Krieg als erste Deutsche auf der Bühne steht. Ihrer Heimat kehrt sie aber für immer den Rücken zu und wird später mal einem Journalisten sagen: "Deutschland? Nie wieder!", woraus später anfangs der 90er im Rahmen einer Kampagne der radikalen Linken gegen die Wiedervereinigung der antifaschistische Slogan "Nie wieder Deutschland!" entstanden sein soll. Marlene Dietrich starb am 6. Mai 1992 in Paris.

Noch 1996 gab es in Berlin Kontroversen rund um die Benennung einer Strasse nach ihr. Während Stars wie Heinz Rühmann, Zarah Leander oder Hans Albers, die mit schmalzigen Filmen während der NS-Zeit gross wurden, populärer denn je sind, ist Marlene Dietrich bis heute in Deutschland eine der meist unterschätzten Persönlichkeiten. Sie, die von sich selber einmal sagte: "Ich bin aus Anstand Antifaschistin geworden." Sie, die Unmoralische, der Glamourvamp, die kumpelhafte Göre, die laszive Diva, der verführerische "Puma", wie Ernest Hemingway sie mal in einem Liebesbrief nannte, die den Anständigen zeigte, was Anstand ist.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 15/16 - 71. Jahrgang - 24. April 2015, S. 16
- Sonderbeilage zum 1. Mai
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Mai 2015

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