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VORWÄRTS/1170: Für eine bessere Zahnpflege


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 09/10 vom 11. März 2016

Für eine bessere Zahnpflege

Von Alexander Eniline


Die Partei der Arbeit Genf lanciert eine kantonale Initiative "Für die Rückerstattung der Zahnpflegekosten". Dabei soll die Zahnpflege obligatorisch versichert werden, allerdings nicht in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung, sondern mit einer Versicherung, die sich an der Finanzierung der AHV orientiert.


Im Kampf für die Interessen der ArbeiterInnenklasse und für soziale Gerechtigkeit wird die Partei der Arbeit Genf (PdAG) eine kantonale Volksinitiative mit dem Titel "Für die Rückerstattung der Zahnpflegekosten" lancieren. Die Initiative orientiert sich dabei am Vorbild der PdA-Sektionen im Kanton Waadt sowie Neuenburg, die jeweils ähnliche Initiativen gestartet haben. Die Lancierung der Initiative wurde am kantonalen Parteikongress im Dezember 2014 beschlossen und ist aus unserer Sicht längst überfällig. Der Initiativtext wurde bereits ausgearbeitet und wird in Kürze im Genfer Amtsblatt erscheinen.

Wir lancieren diese Initiative mit zwei Zielen für den Gesundheitsbereich und für einen gerechten Zugang zu qualitativ hochwertiger Pflege. Einerseits geht es darum, die Kosten der Zahnpflege im Budget der ArbeiterInnen stark zu reduzieren. Andererseits soll damit gegen den Ausschluss der prekarisierten Teile der Bevölkerung aus der erforderlichen Zahnpflege gekämpft werden.

Laut dem waadtländischen Regierungsrat Pierre-Yves Maillard (SP) ist die Situation alarmierend: "Die soziale Ungleichheit hat folgenschwere Auswirkungen, die Zahngesundheit der schlechter gestellten Bevölkerung im Kanton entspricht derjenigen der EinwohnerInnen von Entwicklungsländern." Gleiches gilt für den Kanton Genf. Schlimmer noch: Bis 1994 gab es konstante Verbesserungen, seither hat sich die Zahngesundheit von Kindern wieder stark verschlechtert. Gewisse ungesunde Essgewohnheiten, die von der Süssgetränkeindustrie gefördert werden, spielen eine Rolle, aber die Hauptursache liegt in der schlechteren Lage der Ärmsten der arbeitenden Bevölkerung.


Gesellschaftliche Diskriminierung

Wir sind von einer Feststellung ausgegangen: Die Zahnpflege steht bis heute nicht im Katalog der obligatorischen Krankenpflegeversicherung und 89 Prozent der Kosten müssen im Selbstbehalt gedeckt werden. Diese Kosten können belastend sein und sind Ursache für eine schreiende Ungleichheit in Bezug auf Zahnkrankheiten und deren Behandlung. In der Tat sind viele Menschen gezwungen, aus finanziellen Gründen bei der Zahnpflege zu sparen. Die Folgen sind katastrophal: Bei Kindern bis fünf Jahren aus ökonomisch schlecht gestellten Familien haben 40 Prozent kariöse Zähne, während es bei Kindern aus der Mittelklasse oder besser gestellten Familien lediglich 16 Prozent sind. Bei Erwachsenen ist der Verlust von Zähnen ebenfalls durch den sozioökonomischen Status beeinflusst: Bei besser gestellten Gruppen sind 14 Prozent der Personen vollständig zahnlos, während es bei schlecht gestellten Gruppen 32 Prozent sind. Ferner tragen herausnehmbare Zahnprothesen, die von 48 Prozent der zahnlosen Menschen mit tiefem Einkommen und 11,5 Prozent mit hohem Einkommen benutzt werden, zur Mangelernährung von älteren Menschen bei.

Eine Studie, die 2009 in der Revue médicale suisse (RMS) erschienen ist, beweist eine gesellschaftliche Diskriminierung bei Krankheiten, die durch den schlechten Zugang zu Pflege und Prävention verursacht werden. Es besteht eine Verbindung zwischen dem sozialen Status sowie der Bildung der Menschen und dem Risiko für parodontale Erkrankungen (d. h. im Gewebe, das die Zähne umgibt). Je tiefer die soziale Position der betroffenen Person, desto gravierender war die Krankheit. Laut Studie zeigten Personen mit tiefem Bildungsstand und Einkommen eine höhere Anfälligkeit für parodontale Erkrankungen als solche mit hohem Bildungsstand und Einkommen.

Offensichtlich hängt die Zahnpflege von den finanziellen Kapazitäten der Betroffenen ab und stellt eine immense Hürde für den gerechten Zugang dar. Eine Studie aus Schweden zeigt, dass ältere Menschen zwischen 50 und 75 Jahren, für die die Pflegekosten eine Bürde darstellen, sechsmal weniger oft zur ZahnärztIn gehen als andere.


Das Modell AHV

Um dieser Ungerechtigkeit entgegenzutreten schlägt die Partei der Arbeit Genf vor, eine obligatorische Versicherung zur Rückerstattung der Zahnpflegekosten sowie Massnahmen zur Verhinderung von Zahnkrankheiten einzuführen. Finanziert werden soll dies nach dem Modell der AHV für diejenigen, die sich daran beteiligen (circa 0,5 Prozent als Lohnbeiträge, bei einem gleich hohen Beitrag der ArbeitgeberInnen), und für diejenigen, die nichts beitragen können, durch eine entsprechende kantonale Gesundheitspolitik. Neben der Tatsache, dass zahlreiche weitere Studien den Nutzen einer solchen Versicherung für die Gesundheit der Bevölkerung beweisen, handelt es sich auch um einen Kampf für die soziale Gerechtigkeit, das heisst um einen Klassenkampf. Heutzutage sind alle sozialen Errungenschaften, für die wir während Jahrzehnten gekämpft haben, von Abbau und Kürzungen betroffen, die in der Regel von der herrschenden Klasse und ihren politischen VertreterInnen betrieben werden. In dieser Situation glauben wir, dass es höchste Zeit ist, die Offensive für den sozialen Fortschritt aufzunehmen. Es ist kein Zufall, dass wir als Basis für unsere Initiative das System der AHV nehmen, da es das fortschrittlichste, gerechteste und sicherste System der sozialen Sicherheit darstellt, das in unserem Land existiert. Wir betrachten es auch als eine Alternative zum pseudoliberalen System der obligatorischen Krankenpflegeversicherung, das ungerecht und teuer ist und vor allem den Interessen der Privatversicherungen dient.

Die Partei der Arbeit Genf hat bereits Massnahmen getroffen, um ein Unterstützungskomitee für diese Initiative zu konstituieren. Wir rufen all diejenigen, die sich angesichts der kapitalistischen Unterdrückung und dem neoliberalen Bleigewicht nicht geschlagen geben, dazu auf sich unserem Kampf anzuschliessen.

Weitere Infos:
www.pdt-ge.org

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 09/10 - 72. Jahrgang - 11. März 2016, S. 3
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: Vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
Telefon: 0041-(0)44/241 66 77,
E-Mail: redaktion@vorwaerts.ch
Internet: www.vorwaerts.ch
 
vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
Jahresabo: Fr. 160.-, reduziert (AHV, Stud.) 110.-
Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. März 2016

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