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VORWÄRTS/1177: Verzweiflung und billiges Geld


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 11/12 vom 26. März 2016

Verzweiflung und billiges Geld

Von Thomas Schwendener


Die Europäische Zentralbank versucht, mit einer Ausweitung ihrer Politik des billigen Geldes, die Eurozone aus dem ökonomischen Sumpf zu ziehen.


Seit dem 16. März können sich Geschäftsbanken bei der Europäischen Zentralbank (EZB) gratis Geld leihen. Die Senkung des Leitzinses von 0,05 Prozent auf 0,00 Prozent ist Teil eines grösseren Massnahmenpakets, das die EZB kürzlich bekannt gab. Zum Paket gehört auch die Erhöhung des Strafzinses von -0,3 Prozent auf -0,4 Prozent auf Einlagen bei der Zentralbank. Wer also Geld bei der EZB parkieren will, wird künftig mehr bezahlen müssen. Auch das Quantitative Easing, den Ankauf von Anleihen, will die Bank ausdehnen. Monatlich sollen nicht mehr 60, sondern 80 Milliarden Euro ins Finanzsystem gepumpt werden. Das Gesamtprogramm erhöht sich damit auf rund 1,74 Billionen Euro bis Ende März 2017. Ausserdem wird die Massnahme künftig auf Unternehmensanleihen ausgeweitet. Das heisst, dass die EZB den Unternehmen billiges Geld in grossem Umfang direkt zur Verfügung stellen wird, statt wie bisher zu hoffen, dass sich dies vermittelt über die Geschäftsbanken bewerkstelligen liesse. Schliesslich plant die Zentralbank ab Juni 2016 Darlehen zu Nullzinsen an Banken zu vergeben und ihnen einen Bonus zu bezahlen, wenn es diesen gelingt, das Geld weiter zu verleihen. Sie bekommen dann also Geld dafür, dass sie sich Geld bei der EZB leihen.


Der Zweck der Übung

Was will die EZB mit diesen doch recht symbolträchtigen Schritten erreichen? Zum einen hat der EZB-Chef Mario Draghi verlauten lassen, dass man damit die Banken veranlassen wolle, billige Kredite an die sogenannte "Realwirtschaft" - im Produktionsprozess tätige Unternehmen - zu vergeben. Damit will man die Konjunktur in der Euro-Zone ankurbeln, um aus der lang anhaltenden Krise zu kommen. Zudem soll einer Deflation entgegengewirkt und eine "gesunde" Inflation um die 2 Prozent stimuliert werden. "Wir werden nicht vor der niedrigen Inflation kapitulieren", erklärte Draghi dazu. Ein weiterer angestrebter Effekt war die Absenkung des Euro-Kurses. Dies hätte der Exportwirtschaft der Eurozone unter die Arme gegriffen, weil deren Waren auf dem Weltmarkt damit billiger geworden wären. Allerdings liegt der Euro nach dem EZB-Entscheid sowohl gegenüber dem Dollar als auch dem Schweizer Franken höher als zuvor. Die Schweizer Nationalbank kann sich also zurücklehnen; sie war möglicherweise mit Devisenkäufen an der Entwicklung mitverantwortlich. Schweizer Exportindustrie und Tourismus können sich freuen; die offiziell wegen des "Frankenschocks" eingeleiteten Entlassungen und Verschlechterungen werden deswegen aber kaum gebremst.

Auch wenn es ein wenig nach einem Mantra klingt: Die spektakulären Massnahmen der EZB und die Reaktionen der Märkte zeigen vor allem, dass die Krise noch nicht ausgestanden ist und eine Kettenreaktion wie 2008 durchaus im Bereich des Möglichen liegt. Das aktuelle Rezept der EZB hat in der Vergangenheit nicht funktioniert. Das billige Geld ist schlicht nicht beim produzierenden Kapital gelandet und die angestrebte Inflationsrate wurde ebenfalls nicht erreicht. Deshalb ist der Entscheid der EZB wohl auch ein wenig als ein Anzeichen der Verzweiflung zu deuten.


Ursache und Regulierung

Das Geld ist zum allergrössten Teil in die spekulative Sphäre geschwemmt worden, wo es zu enormen Blasenbildungen gekommen ist. Darum haben sich viele BeobachterInnen für eine Regulierung des Finanzsystems ausgesprochen und bemängeln heute, dass diese ausgeblieben sei. Diese Kritik, die häufig mit einer falschen kategorischen Scheidung in Real- und Finanzwirtschaft einhergeht, übersieht, dass dies bereits Symptom eines tiefer liegenden Problems ist: der Überakkumulation und Profitschwäche des im Produktionsprozess tätigen Kapitals. Dieses Problem kann die Geldpolitik der EZB nicht lösen. Aber sie kann seine Folgen aufschieben; mit der Konsequenz, dass der Absturz umso grösser sein wird.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 11/12 - 72. Jahrgang - 26. März 2016, S. 4
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. April 2016

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