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VORWÄRTS/1195: Bargeld, Terror und Bank Run


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 19/20 vom 20. Mai 2016

Bargeld, Terror und Bank Run

Von Thomas Schwendener


Was sind die Gründe für die anstehende Abschaffung des 500-Euro-Scheins? Steckt dahinter wirklich der Kampf gegen Kriminalität Und Terror, wie die Europäische Zentralbank behauptet?


Die Europäische Zentralbank (EZB) hat kürzlich definitiv beschlossen, dass sie den 500-Euro-Schein aus dem Verkehr ziehen will. Nach einem Plan ihres Banknotenausschusses (Banco) soll die Ausgabe der grössten Euro-Banknote gegen Ende 2018 eingestellt werden. Die Note wird aber auch danach als gesetzliches Zahlungsmittel gelten. Offiziell will die EZB mit dieser Massnahme sowohl kriminelle Machenschaften als auch die Finanzierung des Terrors erschweren. Wer an die nächste Geldübergabe in einer dunklen Seitengasse einen Koffer mit 10 Millionen Dollar mitbringen will, der muss statt 20 Kilo 500-Euro-Scheine künftig weit schwerer schleppen. Oder aber er greift auf die Schweizer "Ameise", die 1000-Franken-Note, zurück. Diese ist seit der Abschaffung der 10.000-Dollar-Note (7.200 Franken) in Singapur im Jahr 2014 die mit Abstand wertvollste Banknote der Welt. Deshalb kommt die 1000-Franken-Note, auch zusehends unter öffentlichen Druck. "Die Welt soll die Schweiz dazu bewegen, dass sie die Ausgabe der 1000er-Note stoppt", forderte etwa der ehemalige US-Finanzminister und heutige Harvard-Professor Lawrence Summer kürzlich in der "Financial Times". Die Schweizer Nationalbank (SNB) zeigt sich bisher unbeeindruckt und liess über ihren Sprecher Walter Meier verlauten: "Es ist alles andere als offensichtlich, dass eine Abschaffung grosser Noten eine massgebliche Reduktion krimineller Tätigkeiten bewirken würde."


Umstrittene Massnahme

Tatsächlich ist der Effekt der Massnahme auf kriminelle und terroristische Umtriebe umstritten. Carl-Ludwig Thiele, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank, etwa erklärte, dass Kriminelle einfach auf die Cyber-Währung Bitcoin oder auf grosse Scheine einer anderen Währung ausweichen könnten. Der Schattenwirtschaftsexperte Schneider postulierte gegenüber dem "Tagesanzeiger" ein noch fundamentaleres Problem: Heute laufe die Geldwäsche längst überwiegend bargeldlos über Scheinfirmen. Die Massnahme bewirkt aber sicherlich eine bessere Kontrolle der Geldströme und der Finanztransaktionen und erschwert die Abhebung grösserer Beträge bei der Bank. Darin ist dann vermutlich auch der Grund zu suchen, warum seit einigen Jahren eine Diskussion über den Bargeldverkehr im Allgemeinen und die grossen Banknoten im Besonderen entbrannt ist. Auch wenn sich EZB-Chef Mario Draghi beeilte zu versichern, dass die aktuelle Massnahme nichts mit einer Verringerung des Bargelds zu tun habe, muss man die Entwicklung auch unter diesem Gesichtspunkt diskutieren.


Bank Run, Negativzins, Kontrolle

Bei der UBS kam es im Herbst 2008 in der Folge der Finanzkrise zu einem sogenannten Bank Run. Es wurden innerhalb kürzester Zeit über 25 Milliarden Franken von der Bank abgezogen. Daraufhin wurde vom Schweizer Staat und der SNB ein milliardenschwerer Notfallplan ausgearbeitet und der Bank mit Finanzspritzen unter die Arme gegriffen; ein sogenanntes Bail-out. Solche Panikreaktion will man von Seiten der KleinsparerInnen künftig verhindern, zudem dürfte in vielen Ländern mittlerweile ein sogenanntes Bail-in gelten: Im Falle eines drohenden Bankenkonkurses dürfen die betroffenen Institute auf die Vermögen von SparerInnen zurückgreifen. Diese Massnahme wurde in Zypern, Italien und Portugal bereits praktiziert. Unter diesen Bedingungen werden es sich die SparerInnen zweimal überlegen, ob sie ihr Erspartes nicht in Form von Bargeld in Sicherheit bringen wollen. Die Abschaffung grosser Banknoten erschwert dieses Unterfangen und liegt darum wohl im Interesse der auf Stabilität bedachten EZB.

Zwar sollen nach EU-Abwicklungsrichtlinien Einlagen, die von der Einlagensicherung geschützt sind, nicht von einem Bail-in betroffen sein. Diese Sicherung schützt in der Regel Bankeinlagen in der Höhe von 100.000 Euro beziehungsweise Franken. Dennoch dürfte nach den Ereignissen in Zypern und anderswo die Angst vor der Verunsicherung der SparerInnen beachtlich sein. Zudem gibt es ein weiteres Problem für die Banken: der sehr niedrige Zinssatz auf Spareinlagen. Je tiefer der Zinssatz, desto weniger hoch die Motivation sein Erspartes auf der Bank anzulegen. Sollten die Banken irgendwann der EZB und der SNB folgen und einen Negativzins auf Einlagen einführen, dürften viele AnlegerInnen ihr Guthaben von der Bank abheben wollen. Ergänzt werden diese beiden Problematiken von einem steigenden Kontroll- und Regulierungsbedürfnis der Staaten und ihrer Notenbanken, das durch die anhaltenden ökonomischen Probleme erzeugt wird.


Ein Krisenphänomen

Die Erschwerung illegaler Geldtransaktionen dürfte sich als bequemer Effekt herausstellen, der aber von den genannten Absichten überlagert wird. Wie schon die Negativzinsen und das Quantitative-Easing-Programm mit seinen Billionen von billigen Euros sind auch die aktuellen Massnahmen letztlich eine Folge des Krisenprozesses in Europa. Die Folgen bleiben aber auch für die ExpertInnen unabsehbar: So kann niemand sagen, in welchen Formen die Menschen versuchen werden, ihr Erspartes in Sicherheit zu bringen. Die aktuelle Entwicklung könnte einen Run auf physisches Gold oder andere stabile Wertanlagen auslösen. Das kann zu einem Problem für das Finanzsystem werden, falls daraus eine Abwertung des Papiergeldes folgt. Ob ein solcher Run folgt oder nicht, eines steht fest: Die Massnahmen der EZB sind durch die ökonomische Entwicklung erzwungen und stellen einen Versuch dar, das ökonomische Schlamassel in den Griff zu kriegen; mit höchst fraglichem Ausgang für KleinsparerInnen und die Nationalökonomien.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 19/20 - 72. Jahrgang - 20. Mai 2016, S. 5
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juni 2016

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