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VORWÄRTS/1197: Die Räuberinnen von Bern


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 19/20 vom 20. Mai 2016

Die Räuberinnen von Bern

Von Sabine Hunziker


Am 19. Februar hat das Frauenkollektiv Ronja ein leerstehendes Haus in der Berner Länggasse besetzt. Die Räuberinnen von Bern sind auch Monate nach ihrem Einzug noch da. Ein Interview.


"Wir waren sieben. Links, radikal, anarchistisch. Zornig, zärtlich, zauberhaft", so etwa beginnt der Film "Die Ritterinnen" - ein autobiographische Spiel-Doku-Kombination über eine autonome Frauengruppe in Berlin-Kreuzberg. Was die Protagonistinnen hier in Angriff nehmen, ist ein Urtraum jeder politischen Frau.

Ein Traum, den sich das Kollektiv Ronja in Bern diesen Februar erfolgreich erkämpft und ein Haus an der Waldheimstrasse 49 im Berner Länggassquartier besetzt. So soll ein Ort für Frauen, Lesben, Inter- und Transsexuelle geschaffen werden. Anders als im Film "Die Ritterinnen" leben in Bern mehr als sieben Aktivistinnen in der Besetzung. Das Haus ist alt. So alt dass man nicht weiss, ob der Boden schräg ist oder die Wände. Kein Licht im Treppenhaus. Oben in einer Wohnung sind Plättli zu den Füssen gesprungen. Klappstühle und ein Tisch sind da, Platz nehmen kann man auch auf einem Bänkli. Sonnenblumenkerne, Teller und Tassen liegen herum, Stapel mit Flyer und Zeitungen. Klebzettel, damit sich die Frauen miteinander verlinken können, haften an einer weissen Mauer. Wer sucht eine Band? Wann ist die VV? Wer hat Lust bei der Aktion 1 mitzuhelfen? Sonst ist es eher kahl. Wie im Film "Die Ritterinnen" fallen die Parolen und Bilder auf dem Mauerwerk auf. Man fühlt sich, wie in eine andere, scheinbar längst vergangene Zeit versetzt. Eine Zeit, in der man noch nicht so verdammt politisch vereinzelt war und eingekeilt von zig Zwängen, die eigentlich keine sind.

"Wir geben uns den Platz, den wir zum Atmen, Leben, Träumen und Denken brauchen", heisst es in der Medienmitteilung der Gruppe Ronja. Anfangs provozierten diese simplen Worte Aufschreie, vor x allem auch bei männlichen Aktivisten. Denn Cis-Männer müssen - im Gegensatz zu Transmännern - draussen bleiben.

Eine Besetzung, in der Männer keinen Zutritt haben? Es mag in der jetzigen Zeit tatsächlich etwas ungewohnt sein, dass sich Frauen, Inter- und Transsexuelle ihren Raum für sich alleine nehmen. Frühere Bestrebungen dazu wie etwa der Frauentisch im Reitschulrestaurant Sous le Pont sind längst Relikte oder muten, wie die Frauendemo in Zürich, bei der Männer nicht mitlaufen dürfen, "historisch" an. Und dennoch: Die Ronja ist da - und sie ist gekommen, um zu bleiben.


Interview mit den Räuberinnen:

vorwärts: Rund drei Monate sind vergangen, seit ihr in das Haus in der Berner Länggasse eingezogen seid. Was ist die Idee von Ronja?

Räuberinnen: Die Idee der Ronja ist es, einen politischen, freien, kreativen Raum für FLTI*-Menschen (FrauenLesbenTransIntersex) zu schaffen. Alle, welche was machen wollen sind herzlich dazu eingeladen dies zu tun, sei es eine Sitzung für eine nächste Demo, eine Diskussionsrunde oder einen gemeinsamen Büroraum. So entstehen verschiedene Veranstaltungen nach den unterschiedlichen Bedürfnissen der Ronjas. Wir bringen uns gegenseitig Sachen bei (wie Buchbinden oder Sprayen), wir diskutieren über alltägliche Diskriminierungen (beim Stammtisch Erfahrungsaustausch zu patriarchalen Machtstrukturen oder bei unserer Küche für alle), treffen uns mit "älteren" FeministInnen im Generationentreff oder malen Transparente für eine antirassistische Demo.


vorwärts: An welchen Aktionen seid ihr momentan?

Räuberinnen: Soeben haben wir den ersten Abend organisiert, welcher offen für alle war. Wir diskutierten über Privilegien - was gibt es für Privilegien, was heisst überhaupt privilegiert zu sein, wie gehen wir mit unseren Privilegien um? Es war ein sehr spannender Abend, die Ronja war mit ca. 50 Menschen voll. Nächste Woche findet das nächste Treffen von FLTI*-of Colour/Women of Colour statt, am Samstag feiern wir die Ronja mit einer Party, verschiedene Gruppen machen ausserdem unter der Woche Sitzungen in der Ronja.


vorwärts: Welches waren die wichtigsten Diskussionen und Prozesse, durch die eure Gruppe gehen musste?

Räuberinnen: Viele Ronjas kamen in den ersten Tagen sehr frustriert in die Ronjaburg, genervt durch das ständige Erklären und Rechtfertigen der Notwendigkeit dieser Raumeinnahme. Es waren anstrengende Diskussionen, die viele führen mussten, es war aber auch bereichernd und bestärkend, das Erlebte und den Umgang mit dem Widerstand innerhalb der "Linken" in der Ronja zu besprechen. Unglaublich, dass wir solche Diskussionen - wie es bereits unsere Mitkämpfer*innen vor 20 Jahren - noch führen müssen! Doch wir haben auch Solidarität erfahren, wir bekommen wöchentlich selbstgebackenes Brot, ein Solidaritätschreiben wurde im Internet publiziert. Es bewegt sich was in Bern!


vorwärts: Mittlerweile ist Ronja umgezogen, von der Waldheimstrasse direkt um die Ecke an den Genoss*innenweg 24. Wie lange könnt ihr bleiben?

Räuberinnen: Wir können bis Ende Juni bleiben. Dann werden wir sehen.


vorwärts: Was ist in Zukunft geplant?

Räuberinnen: Die (feministische) Revolution vorantreiben!

*

Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 19/20 - 72. Jahrgang - 20. Mai 2016, S. 7
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: Vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
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vorwärts erscheint 14-täglich,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juni 2016

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