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VORWÄRTS/1217: Profit und gesellschaftlicher Zusammenhalt


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 31/32 vom 9. September 2016

Profit und gesellschaftlicher Zusammenhalt

Von Thomas Schwendener


Auch wenn die Welt in Scherben fällt, darf sich die Schweiz nicht ändern. Der jährliche Bericht der Bundeskanzlei zu den Zielen der Regierung erlaubt einen Einblick in die Zwecke staatlichen Handelns.


Jeweils Ende Jahr publiziert die Bundeskanzlei der Schweiz die "Ziele des Bundesrates" für das folgende Jahr. Die in der Broschüre formulierten Absichten "sollen die Marschrichtung der bundesrätlichen Politik vorgeben. Das Papier ist wenig überraschend, weil darin die Staatsraison vor dem Hintergrund ökonomischer Entwicklungen und demokratischer Entscheide formuliert wird. Es ist aber zugleich sehr aufschlussreich, weil offen dargelegt wird, was die radikale Linke behauptet. Die Regierungspolitik orientiert sich insbesondere an zwei Zwecken: Der Akkumulation von Kapital und dem gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die grossen Themen des Bundesratsbeschlusses vom 4. November 2015 lauten darum auch in die warmen Worte des "Allgemeininteresses" gekleidet: Sicherung des Wohlstandes, nationaler Zusammenhalt und Sicherheit.


Wohlstandssicherung und Profit

In der kapitalistischen Produktionsweise sind alle InsassInnen einer Nation vom guten Abschneiden des berühmten Wirtschaftsstandortes abhängig. Damit die verschiedenen Arten von Einkommen generiert werden können, muss die Wirtschaft eines Landes funktionieren. Eine Bedingung dafür ist - insbesondere auf einem krisenhaften Weltmarkt -, dass der sogenannte Wirtschaftsstandort global wettbewerbsfähig ist. Der Bundesrat trägt diesem Zusammenhang Rechnung, wenn er schreibt, dass er seine Politik "zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit und zur Steigerung des wirtschaftlichen Wohlstandes fortführen" wolle. Die Frage ist, wie sich die Wettbewerbsfähigkeit herstellt und wie sich der wirtschaftliche Wohlstand bemisst.

In der kapitalistischen Wirtschaft ist alles dem Profit untergeordnet: Nur wenn längerfristig von den Unternehmen genügend Gewinn gemacht werden kann, wird das erzielte Plus wieder investiert. Die Folge: die Wirtschaft wächst, die Steuereinnahmen sind garantiert und im Idealfall werden Arbeitsplätze geschaffen. Damit das sichergestellt ist, müssen die hiesigen Betriebe Lohnstückkosten erzielen, die ihnen auf dem Weltmarkt den Absatz sichern. Die Löhne, die ja immerhin den "wirtschaftlichen Wohlstand" der ArbeiterInnen darstellen, sind in dieser Rechnung ein Negativposten. Sie verteuern tendenziell die Produkte und sie sind ein direkter Abzug von den Profiten der Unternehmen. Wenn der Bundesrat also schreibt, dass für ihn "Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit prioritär bleiben" und gleichzeitig abstrakt von der Steigerung des "Wohlstandes" spricht, dann ist damit nicht etwa das Portemonnaie der Proletarisierten gemeint, sondern möglichst gute Bedingungen für die Akkumulation von Kapital in der Schweiz. Natürlich kommen die ArbeiterInnen in der Kalkulation auch vor, und zwar als Arbeitskräfte, die auf einen Arbeitsplatz angewiesen sind. Sie sind in die bundesrätliche Absicht "zur Wahrung und Schaffung von Wertschöpfung und Arbeitsplätzen" eingeschlossen. Die Arbeitsplätze sind aber eine von der Wertschöpfung abhängige Grösse. Das spricht der Bundesrat offen aus, wenn er die "Steigerung der Arbeitsproduktivität" zu einem wichtigen Moment der Konkurrenzfähigkeit erklärt; denn höhere Produktivität heisst, dass weniger ArbeiterInnen für die gleiche Menge Waren gebraucht werden.


Sozialstaat und Zusammenhalt

Ein weiteres Mittel zur Erreichung der Wettbewerbsfähigkeit ist die Absenkung des nationalen Lohnniveaus. Was seit dem sogenannten Frankenschock sehr intensiv betrieben wird, hat auch längst Eingang in die Perspektiven der Landesregierung gefunden. Unter dem Sichtwort der "Schuldenbremse" soll mittels eines Stabilisierungsprogramms der Bundeshaushalt "entlastet" werden; ab 2019 jährlich um 1 Milliarde Franken. Was gegenüber den internationalen Finanzmärkten ein wichtiges Zeichen ist, hat zugleich den Vorteil, dass damit die Proletarisierten - über den Abbau von Sozialleistungen - leichter erpressbar werden und darum das Lohnniveau abgesenkt werden kann; Deutschland hat es mit der Agenda 2010 unter sozialdemokratischer Führung vorgemacht.

Der Abbau der Sozialleistungen und die Folgeerscheinungen des sogenannten Frankenschocks haben in der Schweiz bisher zu keinem grösseren Widerstand geführt. Objektiv wird die Politik der Regierung damit akzeptiert und in den Wahlentscheiden jeweils abgesegnet. Dennoch ist die Regierung bemüht, einem allfälligen Widerstand bereits präventiv zu begegnen und mögliche gesellschaftliche Desintegrationserscheinungen abzufangen. Dazu sind die weiteren Kapitel im Papier des Bundesrats gedacht: Einerseits soll der nationale Zusammenhang gesichert und andererseits möglichen AusreisserInnen repressiv begegnet werden. Auch wenn die innenpolitischen Übungen des Militärs momentan noch etwas paranoid anmuten, folgen sie der klaren Devise des Bundesratsbeschlusses: Die Schweiz darf sich nicht ändern, auch wenn die Welt in Scherben fällt.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 31/32 - 72. Jahrgang - 9. September 2016, S. 4
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. September 2016

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