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VORWÄRTS/1241: Die Nyéléni-Bewegung für Ernährungssouveränität


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 41/42 vom 18. November 2016

Bewegung für Ernährungssouveränität

von Mathias Stalder


Das zweite europäische Nyéléni-Forum für Ernährungssouveränität fand vom 26. bis 30. Oktober im rumänischen Cluj-Napoca statt. Über 700 Teilnehmende aus rund vierzig Ländern diskutierten angeregt über die Möglichkeiten, sich die Nahrungsmittelproduktion und Landwirtschaft wieder anzueignen.

Die Nyéléni-Bewegung arbeitet daran, "anpassungsfähige Produktionssysteme für Nahrung, die gesunde und sichere Lebensmittel für alle Menschen in Europa garantieren, zur Verfügung zu stellen". Unser Lebensmittelsystem kommt durch die Monopolisierung des Saatgutes, der Patentierung sowie der Gentechnologie immer mehr unter Druck. Die Agrarindustrie, die industrielle Landwirtschaft mit ihrem zerstörerischen Umgang mit den natürlichen Ressourcen sowie Freihandelsabkommen wie etwa TTIP oder Ceta bedrohen die bäuerliche Landwirtschaft.

Die Nyéléni-Bewegung zeigte im rumänischen Cluj-Napoca eine enorme Vielfalt, die als Stärke begriffen wird. Seit dem letzten Treffen vor fünf Jahren, ist die Bewegung in vielerlei Hinsicht gewachsen. Gerade die Proteste gegen TTIP und Ceta haben aufgezeigt, dass die Bevölkerung wachsam und mobilisierbar ist. Die Alternative, die Nyéléni ganz praktisch umsetzt mit Agrarökologie sowie lokalen landwirtschaftlichen und urbanen Initiativen, stösst auf wachsendes Interesse. Die Idee und Praxis der Agrarökologie hat ein breites Publikum erreicht. Die wachsende Zahl an Vertrags- und solidarischen Landwirtschaften verdeutlicht das.

Zukunftsmodell der Landwirtschaft

Auch bei internationalen Organisationen wie der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) ist mittlerweile Konsens, dass kleinbäuerliche Strukturen das Zukunftsmodell der Landwirtschaft sind. Auf der Ebene der EU allerdings werden "noch immer, kosteneffiziente, industrielle Produktionsmodelle begünstigt, um auf dem globalen Markt wettbewerbsfähig zu bleiben". Eindrücklich zeichnete dies Stanca Becheva von "Friends of the Earth" in ihrer Eröffnungsrede am Forum nach. Sie verliess vor 16 Jahren den elterlichen Hof im Süden von Bulgarien, um sich auf die Suche zu machen, von wo aus die zerstörerische Landwirtschaftspolitik gesteuert wird. Wenig verwunderlich ist sie in Brüssel gelandet, wo nun ihr Büro unweit des europäischen Parlamentes liegt. Das Argument der Wettbewerbsfähigkeit ist für viele BäuerInnen zu einem Messer am Hals geworden. Die Macht der Lebensmittelindustrie ist immens: So kontrollieren nur zehn Supermarktketten rund vierzig Prozent der europäischen Lebensmittelversorgung. Der Preisdruck ist enorm und wirkt sich auf die Löhne, Arbeitsbedingungen und die Produktion aus.

Charles-Bernard Bolay, Präsident der BäuerInnengewerkschaft Uniterre stellt fest: "Die Produktion und Kommerzialisierung der Nahrungsmittel wurden von der bäuerlichen Landwirtschaft gekappt, und wir haben darüber keine Macht mehr."

Am Forum konnten etwa RepräsentantInnen der indigenen Völker von Tchouktches aus Russland, den traditionellen zypriotischen BäuerInnen sowie den KleinbäuerInnen aus Irland ihre alltäglichen Probleme, aber auch ihren alternativen Lösungsansätzen auszudrücken.

Eine positive Alternative

Ulrike Minkner, Vize-Präsidentin von Uniterre, sagt: "Durch Unternehmen kontrollierte Landwirtschaft bedeutet in der Regel zerstörerische Monokulturen. Das Nyéléni-Forum repräsentiert eine vielfältige und positive Alternative: Menschen aus allen Zusammenhängen unterstützen gemeinsam die Forderung nach Ernährungssouveränität. Deshalb hat Uniterre gemeinsam mit über siebzig weiteren Organisationen die Initiative für Ernährungssouveränität in der Schweiz erfolgreich eingereicht." Am Forum wurde eine neue gemeinsame Agrar- und Ernährungspolitik diskutiert, die die Bedürfnisse der ProduzentInnen und KonsumentInnen widerspiegelt. Uniterre stellte am Nyéléni-Forum die "Volksinitiative für Ernährungssouveränität" vor und stiess damit auf grosses Interesse.

Für die rumänische BäuerInnenorganisation Ecoruralis war es zudem eine grosse Chance, Gastgeberin des Nyéléni-Forums zu sein. So konnten sie auf die Situation der rund 4,7 Millionen KleinbäuerInnen im Land aufmerksam machen. Mit dem Beitritt Rumäniens in die EU verschärfte sich die Lage für die bäuerliche Bevölkerung, die Industrialisierung der Landwirtschaft schreitet voran und verdrängt die ländlichen Gemeinschaften und ihre traditionelle Lebens- und Produktionsweisen. Rumänien hofft, durch das Nyéléni-Forum ins Blickfeld der europäischen Zivilgesellschaft zu gelangen und so Solidarität und Unterstützung aus anderen Ländern zu erhalten.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 41/42 - 72. Jahrgang - 18. November 2016, S. 8
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Dezember 2016

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