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VORWÄRTS/1354: Ein globaler Wendepunkt


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 03/04 vom 1. Februar 2018

Ein globaler Wendepunkt

von Damian Bugmann


Im Frühjahr vor 75 Jahren siegte die Rote Armee der Sowjetunion nach massenhaften, grausamen und verlustreichen Zerstörungen, Misshandlungen und Tötungen in Stalingrad über die faschistische deutsche Wehrmacht. Dies führte zu einer Wende im sowjetisch-deutschen Krieg und im Zweiten Weltkrieg.


Anfang November 1942 hatte die Wehrmacht 90 Prozent des Stadtgebiets von Stalingrad erobert. Doch die vollständige Eroberung der zerstörten Stadt gelang aufgrund des enormen Widerstands der Roten Armee nicht. Die deutschen Truppen und ihre Verbündeten, vor allem RumänInnen und KroatInnen, wurden am 19. November 1942 durch die sowjetische Gegenoffensive eingekesselt. In Deutschland wurde noch an Weihnachten 1942 in Radio und Wochenschauen innige Verbundenheit mit den mannhaft tapferen (in Wirklichkeit ausgehungerten, traumatisierten, kranken und erfrierenden) SoldatInnen zelebriert und Durchhaltewillen und Siegeszuversicht markiert. Doch andere, zum Beispiel chinesische KommunistInnen, schätzten die Lange ganz anders ein: "Ich glaube fest daran, dass der Jahrestag der Oktoberrevolution in diesem Jahr nicht nur den Wendepunkt im sowjetisch-deutschen Krieg, sondern auch den Wendepunkt auf dem Weg zum Sieg der antifaschistischen Weltfront über die Front des Faschismus bedeutet", schrieb Genosse Mao Zedong zum 25. Jahrestag der Oktoberrevolution am 6. November 1942.


Einkesselung der Deutschen

Wie gleichzeitig vor Leningrad wurden die NaziinvasorInnen in Stalingrad im Frühjahr 1943 mit ihrer eigenen und für sie vorher sehr erfolgreichen Einkesselungstaktik besiegt. Der identitätsstiftende, verlustreiche Abwehrkrieg gegen die FaschistInnen in den Ruinen der Stadt stärkte das Selbstbewusstsein der Sowjetunion gegen innen und aussen. Hitlers Verbündete Italien, Ungarn und Rumänien mussten in Stalingrad erhebliche Verluste hinnehmen und begannen danach, sich von Deutschland zu distanzieren, um einen Separatfrieden mit der Antihitlerkoalition zu schliessen. In Italien trug die Niederlage ein paar Monate später zum Sturz des Diktators Benito Mussolini bei und führte dazu, dass Italien im Krieg die Seiten wechselte. Die spanische Falangistendivision wurde ins Francoland zurückbeordert, doch ein Teil von ihr blieb bis zur Kapitulation in Berlin dabei.

Mit neuem Elan machte sich die Rote Armee zum Gegenstoss bis Berlin auf, wo sie Anfang Mai 1945 eintraf. Der grosse Erfolg ermunterte die PartisanInnenkämpfe in den besetzten Gebieten und den Vorstoss der Westalliierten nach Deutschland. Bis heute aber spielen bürgerliche Geschichtsschreibung und Massenmedien in Einklang mit der 1947 lancierten antikommunistischen Propaganda den grossen Beitrag der UdSSR zum Sieg über die Nazis herunter oder ignorieren ihn, um die Erfolge der USA und der Westalliierten zu erhöhen.


Umkämpfte Stadt

Bis 1925 hiess die Stadt an der Wolga noch Zarizyn, dann wurde sie zu Ehren von Josef Stalin, der hier im Bürgerkrieg als Armeekommissar tätig gewesen war, in Stalingrad ("Stalinstadt") umbenannt. Während der sogenannten Entstalinisierung wurde sie 1961 schliesslich Wolgograd getauft. Die Stadt liegt etwa 1000 Kilometer südöstlich von Moskau am westlichen Ufer der Wolga und rund 400 km nördlich der Mündung des Flusses ins Kaspische Meer. Sie erstreckt sich heute in einer Breite von bis zu 10 Kilometern über 60 Kilometer am Ufer der Wolga entlang.

Bereits im sogenannten Bürgerkrieg, dem Krieg der Weissen Truppen und der Westalliierten gegen die Oktoberrevolution von 1917 bis 1920, hatte es um Wolgograd erbitterte Kämpfe gegeben, um die Stadt an der Kreuzung der Transportwege vom Süden des Landes nach Moskau und Petrograd/St. Petersburg (Leningrad). Während des Eroberungsfeldzugs von Nazideutschland fanden in Stalingrad (wie vor Leningrad und Moskau) 1942/43 grausame Kämpfe zwischen faschistischen deutschen und sozialistischen russischen Truppen statt, enorme Zerstörungen blieben zurück. Von Nazideutschland wurde der von 1941 bis 1945 dauernde Krieg als "Russland- oder Ostfeldzug" bezeichnet, von der Sowjetunion als "Grosser Vaterländischer Krieg", die bürgerliche Geschichtsschreibung nennt ihn "Deutsch-Sowjetischer Krieg". Der Krieg begann am 22. Juni 1941 mit dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion ("Unternehmen Barbarossa") und endete nach der Schlacht um Berlin am 8./9. Mai 1945 mit dem Selbstmord Hitlers und der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht. Er forderte zahlreiche Millionen Todesopfer.


Symbolische Bedeutung

Im Rahmen der sowjetischen "Operation Uranus" in Stalingrad wurden die sowjetischen Truppen von über 230.000 SoldatInnen der deutschen 6. Armee im Spätsommer 1942 von drei Seiten eingekesselt. Der deutsche Angriff hatte am 23. August 1942 mit einer massiven Bombardierung der Stadt durch die Luftwaffe begonnen. Im September erreichten die Kämpfe die Innenstadt, wobei mehrere zentrale Punkte, darunter der Hauptbahnhof und der Mamajewhügel, mehrmals von beiden Kriegsparteien erobert wurde. Die verteidigenden Truppen der Roten Armee konnten nur durch Schiffe ihren Nachschub vom unbesetzten Ostufer der Wolga erhalten. Ziel der Wehrmacht war es, durch die Einnahme der Stadt den Schiffsverkehr auf der Wolga zu unterbinden, über die unter anderem Hilfslieferungen der Alliierten vom Persischen Korridor und durch das Kaspische Meer nach Nord- und Zentralrussland transportiert wurden. Für die Deutschen war es symbolisch wichtig, die Stadt, die den Namen des wichtigen Bolschewiki, Generalsekretärs des Zentralkomitees der KPdSU und Vorsitzender des Rats der Volkskommissare trug, zu erobern, für die RussInnen, sie nicht den faschistischen Truppen zu überlassen.


Alptraum statt Vernichtung

Am 31. Januar 1943 ergaben sich die Reste der 6. deutschen Armee unter Generalfeldmarschall Friedrich Paulus im Südkessel, am 2. Februar 1943 im Nordkessel. Der Traum vom Blitzkrieg zur Knechtung der slawischen Untermenschen, der Vernichtung von Bolschewismus und Ostjudentum und für Land, billige Arbeitskräfte und Erdöl war zum Alptraum geworden und nach 200 Tagen vorüber. Über 100.000 deutsche und verbündete SoldatInnen gingen in Gefangenschaft. Stalingrad war fast vollständig zerstört. Mit dem Wiederaufbau wurde unmittelbar nach der Befreiung im Februar 1943 begonnen. Im selben Jahr wurde auch die Städtepartnerschaft mit dem durch deutsche Luftangriffe stark zerstörten englischen Coventry geschlossen. 1945 erhielt Stalingrad den offiziellen Titel "Heldenstadt". In der Stadt wurden die drei sowjetischen Kriegsgefangenenlager und das Kriegsgefangenenspital eingerichtet.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 03/04 - 74. Jahrgang - 1. Februar 2018, S. 7
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Februar 2018

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