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VORWÄRTS/1463: Aufruf zum Frauen*streik vom 14. Juni 2019


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 13/14 vom 26. April 2019

Aufruf zum Frauen*streik vom 14. Juni 2019


1. Wir, Frauen, Lesben, inter-, non-binary- und Transpersonen, mit oder ohne Partner*in, in einer Gemeinschaft, mit oder ohne Kinder, mit oder ohne Arbeit, unabhängig von der Art der Arbeit, gesund oder krank, mit oder ohne Beeinträchtigung, jung, erwachsen oder alt, hier oder in einem anderen Land geboren, unterschiedlicher Kultur und Herkunft, wir alle rufen auf zum Frauen*streik am 14. Juni 2019. Wir wollen die tatsächliche Gleichstellung und wir wollen selbst über unser Leben bestimmen. Deshalb werden wir am 14. Juni 2019 streiken!

2. Wir sind es, die für Hausarbeit, Erziehungsarbeit und die Pflege zu Hause sorgen, ohne die unsere Gesellschaft und Wirtschaft nicht funktionieren könnten. Wir sind es, die sich um das Wohlergehen der Kinder und der betagten Eltern kümmern und sorgen. Aber es fehlt uns an Geld und an Zeit.

3. Wir wollen gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit. Wir wollen eine Aufwertung der 'Frauenberufe' und deren angemessene Entlöhnung. Wir wollen Sozialversicherungen, die unsere Existenz sichern. Wir wollen Renten, die uns ein Leben in Würde ermöglichen, ohne dass unser Rentenalter erhöht wird. Wir wollen Arbeitsbedingungen, die uns die echte Gleichstellung in der bezahlten und unbezahlten Arbeit garantieren.

4. Wir fordern eine Wirtschaftspolitik, die bezahlte und unbezahlte Carearbeit ins Zentrum stellt und diese finanziert. Wir wollen die Anerkennung und gerechte Verteilung der Haus- und Sorgearbeit, ihre ökonomische Aufwertung und Anrechnung und in den Sozialversicherungen einen längeren Mutterschaftsurlaub, eine Elternzeit und einen Urlaub im Falle kranker Kinder und Angehöriger. Wir fordern einen ausreichenden und kostenlosen Service public für die Betreuung unserer Kinder, für die Sorge für unsere älteren Menschen und für unser Leben.

5. Wir wollen die generelle Reduktion der Arbeitszeit, bei gleichbleibendem Lohn und einen Mindestlohn, damit die bezahlte und unbezahlte Arbeit besser verteilt werden kann. Und weil das kapitalistische Wirtschaftsmodell die Menschen abwertet und herabsetzt und auch damit wir die natürlichen Ressourcen unseres Planeten nicht weiter ausbeuten. Wir wollen Zeit für Familie und Sozialleben. Wir wollen Zeit, unser Leben zu leben.

6. Wir wollen einen geregelten Status und eine Gesetzgebung, die jene Frauen* schützt, die aus anderen Ländern kommen, oft um als Betreuerinnen für Kinder, Kranke und betagte Menschen zu sorgen und andern Frauen* wie auch ihren Partner*innen dadurch ermöglichen, ihren Beruf auszuüben und auch Karriere zu machen. Wir bekräftigen unsere Solidarität und fordern für alle das Recht auf gute Arbeits- und Lebensbedingungen. Wir bekämpfen die Doppeldiskriminierung, die Migrantinnen* erleben.

7. In einem patriarchalen kapitalistischen System, in dem das "Männliche" und das "Weibliche" nicht als gleichwertig betrachtet werden, sind wir diejenigen, die Sexismus, Diskriminierung, Stereotypiserung und Gewalt ausgesetzt sind, am Arbeitsplatz, in der Ausbildung, auf der Strasse, zu Hause und in den staatlichen Institutionen. Wir sind Opfer spezifischer Unterdrückungen aufgrund unserer Hautfarbe, unseres sozialen Hintergrunds, unserer Situation als Mütter und Grossmütter, wegen unserer Beeinträchtigung, unserer sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität.

8. Wir wollen frei entscheiden können über unsere Sexualität und Geschlechtsidentität. Wir fordern Respekt gegenüber unserem Körper und unserem Leben und wir lehnen geschlechtsspezifische und FLINT-phobe Gewalt ab.

9. Wir wollen der Straffreiheit und Bagatellisierung von sexuellem Missbrauch ein Ende bereiten und fordern einen nationalen Präventionsplan zur Bekämpfung von Gewalt, mit dem auch die Istanbul-Konvention umgesetzt wird. Sexistische und sexuelle Gewalt soll als Asylgrund anerkannt werden.

10. Wir wollen Massnahmen zum Schutz von Migrantinnen, die in ihren Herkunftsländern, auf ihrem Migrationsweg oder hier bei uns psychische, physische und sexuelle Gewalt erlebt haben und erleben. Wir fordern für sie ein Bleiberecht.

11. Wir wollen selbst über unseren Körper bestimmen. Wir wollen Barrierefreiheit und Assistenz, damit Frauen* mit Beeinträchtigung ein selbstbestimmtes Leben führen können. Wir wollen Abtreibung und Empfängnisverhütung zum Nulltarif und Behandlungen zur Geschlechtsanpassung, die auf Selbstbestimmung beruhen. Wir wollen die Abschaffung der rosa Steuer für weibliche Hygienprodukte.

12. Wir sind diejenigen, über die in den Geschichtsbüchern nichts steht, die in der von Männern und für Männer geprägten Öffentlichkeit und Politik nur in Klammern erscheinen und die man dazu erzieht, sich einem stereotypen Rollenbild der "Frau" unterzuordnen, oder die von der Macht ferngehalten werden.

13. Wir wollen, dass die Schule, die Hochschulen, die Universitäten und andere Bildungseinrichtungen ein Ort der Emanzipation und Bildung zu kritischem Denken und Gleichstellung sowie einvernehmlichem Handeln, sexueller Vielfalt und gegenseitigem Respekt sind.

14. Wir wollen die Abschaffung von geschlechtsspezifischen Stereotypen in der Kultur, den Medien, der Erziehung und der Werbung. Wir wollen den öffentlichen Raum und die Politik neu besetzen und den Platz einnehmen, der uns zusteht, mindestens die Hälfte.

15. Wir wollen eine gesellschaftliche Debatte lancieren über dieses kapitalistische Wirtschaftssystem, von dem nur eine Minderheit profitiert, während die Mehrheit der Weltbevölkerung, insbesondere Frauen*, ausgebeutet wird, in Armut lebt und das Klima gefährdet ist.

16. Wir sind stark in unserer Vielfalt, und wir fordern das Recht auf ein freies Leben in einer Gesellschaft, die gleiche Rechte für alle garantiert, eine solidarische, gleichberechtigte und eine gewaltfreie Gesellschaft, insbesondere gegenüber Frauen* und frei von Femiziden. Wir unterstützen, was die Isländerinnen sagen: "Ändern wir nicht die Frauen, ändern wir die Gesellschaft!"

17. Darum werden wir am 14. Juni 2019 streiken. Wir bestreiken die bezahlte Arbeit, die Hausarbeit, die Sorgearbeit, die Schule, den Konsum. Auf dass unsere Arbeit sichtbar werde, unsere Forderungen gehört werden, der öffentliche Raum uns allen gehöre!

Der Aufruf wurde von der nationalen Streikversammlung am 10. März 2019 verabschiedet.



* Inkl. Personen, welche nicht Cisgender sind

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 13/14 - 75. Jahrgang - 26. April 2019, S. 9
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
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vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
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Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Mai 2019

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