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BERICHT/180: Krisen in den Medien (spektrum - Uni Bayreuth)


spektrum 1/2010 - Universität Bayreuth

Krisen in den Medien
- oder einige Gedanken zu medienwissenschaftlich-transdisziplinären Annäherungen an Krisenberichte

Von Jürgen E. Müller


1. Krisen in den Medien

Ein Blick auf die Geschichte der 'alten' und 'neuen' Medien führt uns vor Augen, dass Medien und so genannte "Krisen" von Beginn an in engen und symbiotischen Beziehungen zueinander stehen. Berichte über Staatskrisen wurden in den frühen Hochkulturen und in der Antike nicht allein in mündlicher Form durch Boten, sondern auch in schriftlicher Form mittels Calculi oder Papyri bis in die letzten Winkel der damaligen Reichsgrenzen verbreitet und fanden sich als Geschichten von deren 'Bewältigung' auf Triumphbögen und Siegessäulen wieder.

Die Funktion dieser frühen (Schrift- und Bild-) Medien lag somit nicht allein in der häufig angeführten Abwicklung von Geschäften, Kommentaren zu religiösen oder staatsrelevanten Fragen, oder der Befehlsübermittlung, sondern auch in der Information über und der Reaktion auf krisenhafte Entwicklungen in den Bereichen von Gesellschaft, Klima, Landbau oder territorialen Ansprüchen. Die frühen Medien interagieren in komplexer Weise mit Krisen der frühen Hochkulturen und der Antike.

Selbst wenn die Kunst des Schreibens und Lesens über Jahrtausende nur einer ausgewählten sozialen Minderheit vorbehalten bleiben sollte, so lassen sich zahlreiche Spuren einer Verbindung von Krisen und Medien finden von der Antike, über das Mittelalter (z.B. im Falle der berühmten Tapisserie de Bayeux, die eine ikonisch-textuelle oder gar 'filmische' Repräsentation der Krise der Norman Conquest mit dem Höhepunkt der Battle of Hastings leistet), über Luthers Thesen und Bibelübersetzung, die Wochenblätter des 17. und 18. Jahrhunderts mit ihren Berichten über politisch-militärische Umwälzungen, Verbrechen etc., bis zu dem (in Europa) mit den Alphabetisierungskampagnen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einhergehenden "Illustrierten Zeitschriften" und deren Berichten über Kriege, Katastrophen, Unglücke, Zukunfts- und Bedrohungsszenarien der neuen Technologien und Verkehrsmittel.

Diese Verzahnung von Krisen und medialen Berichten und Repräsentationen erfährt in den (analogen) audiovisuellen Medien des 19. und 20. Jahrhunderts und den digitalen Medien unserer Tage facettenreiche und komplexe Fortsetzungen, die im Zeitalter der Medienkonvergenz intermediale Blüten permanenter Remediationen bzw. Recyclings von Krisenberichten in Presse, Massenmedien und Internet treiben. Aus medienwissenschaftlicher Sicht wäre es viel versprechend, eine vernetzte Geschichte der Krisendarstellungen in den Medien zu schreiben, die über die Rekonstruktion einzelner und isolierter Medienereignisse, etwa des 11. September 2001, hinausginge; angesichts des Sachverhalts, dass wir mit diesem kleinen Artikel die Zielsetzung einer heuristischen Öffnung des Feldes "Medien und Krisen" verfolgen, vertiefen wir diese Forschungsachse jedoch nicht weiter und klammern diesen Aspekt (im phänomenologischen Sinne) umgehend ein. Halten wir vorläufig fest: Berichte über Krisen sind eng mit der Geschichte der Medien - nicht allein im Sinne von deren Inhalten, sondern auch von deren 'Materialitäten' verknüpft. Sie haben im digitalen Zeitalter einen enormen Beschleunigungsschub erfahren und neue Produktions- und Verbreitungsformen im World Wide Web gefunden - und dies nicht allein aufgrund der vor Jahrzehnten von McLuhan skizzierten Prozesse und medialen Optionen des Global Village, sondern auch aufgrund der neuen Formen der Generierung und der Abrufbarkeit von Informationen über krisenhafte Ereignisse (die ihrerseits immer häufiger von den 'traditionellen' Massenmedien wie 'dem Fernsehen' genutzt werden, wie wir etwa am Beispiel der Twitter-Berichte zum Terroranschlag auf das Nobelhotel in Mumbai oder unlängst zu den Folgen des Vulkanausbruchs auf Island sehen und hören konnten). Die Formeln: "Crisis sells" bzw. "Krisenberichte ziehen die Aufmerksamkeit der Rezipienten auf sich", haben auch im digitalen Zeitalter des Web 2.0 nichts von ihrer Gültigkeit verloren und die bekannten vier "Ks", Kriege, Katastrophen, Krisen, Krankheiten, erweisen sich auch heute noch als Garanten für die Aufmerksamkeit der Rezipienten mit Blick auf Print- und audiovisuelle Massenmedien sowie für die Aktivitäten der User des Internets. Bei allen Unterschieden in der zeichenhaften und medialen Ausgestaltung dieser Berichte sollten wir uns eines grundlegenden Sachverhalts bewusst bleiben: Krisen sind nur dann präsent, wenn sie medial vermittelt werden und so ins kollektive Bewusstsein und ins (bisweilen sehr kurz angelegte) Gedächtnis unserer Gesellschaften eindringen können. Ohne diese medialen Vermittlungsprozesse hätten sie (nahezu) keinerlei soziales Wirkungs- und Funktionspotential. Aus diesem Grunde erweist sich eine medien- und kulturwissenschaftliche Rekonstruktion von Krisen-Darstellungen als zentral für die Untersuchung von deren gesellschaftlichen Funktionen und kann als einer der vielen Belege für die wissenschaftliche und soziale Relevanz unseres Faches gewertet werden.

Bislang haben wir den Begriff "Krise" mehr oder weniger im Sinne seiner alltagssprachlichen Denotationen und Konnotationen verwendet, ohne seine etymologischen, semantischen und funktionalen Dimensionen weiter auszuloten. Es empfiehlt sich daher, dies kurz nachzuholen und noch einen Blick auf einige ausgewählte Aspekte des 'Krisenhaften' zu werfen.


2. Dimensionen des 'Krisenhaften' - oder Krisen als mediale Syndrome

Der Terminus der "Krise" als "entscheidende Wendung" erfährt spätestens seit dem 16. Jahrhundert nicht allein im Französischen und im Feld der Medizin eine beständige konjunkturelle Entwicklung, die sich in unseren Tagen in Dutzenden von "Krisenszenarien" manifestiert. Schien in den ersten Jahrzehnten seiner Verwendung der Aspekt einer positiven Entwicklung und einer Heilung mehr oder weniger explizit in seinen Denotations- und Konnotationshöfen präsent, so geriet dieser in jüngerer Zeit mehr oder weniger in den Hintergrund und wir erinnern uns nur noch selten (meist unter der Last eines großen sozialen oder persönlichen Drucks) an die Chancen, die sich aus "Krisen" ergeben.

Aus medienwissenschaftlicher Sicht lässt sich mit Blick auf die Omnipräsenz des Begriffs und seiner zahlreichen Realisierungen in den vergangenen Jahren zweifellos eine inflationäre Tendenz feststellen, die parallel zu dessen permanenten Re-Funktionalisierungen zu einer 'Erosion' oder - mit Virilio gesprochen - zu einem rasenden Stillstand von Krisenerscheinungen führt. Die Verfallszeit medial repräsentierter Krisen hat sich enorm beschleunigt und es vergeht kaum eine Woche, in der wir in den Massenmedien und im Internet nicht mit neuen "Krisen" konfrontiert werden. Aktuell wäre dies die Krise der Luftfahrt als Folge des Ausbruchs des Eyjafjallajökull, die nun nach einigen Tagen der Medienhysterie in kritische Kommentare zu deren 'wirklicher' Tragweite zu kippen scheint. (1) Staatskrisen, Gesellschaftskrisen, Kriegskrisen, Terrorkrisen, Umweltkrisen (die Krisen des "Waldsterbens" oder des "Ozonlochs" der 1980er Jahre sind - wie viele andere - inzwischen längst in Tiefenschichten des kollektiven Gedächtnisses abgetaucht und wurden durch andere Items ersetzt), Klimakrisen, Naturkatastrophen, Ölkrisen (die ebenfalls vergessen sind), Finanzkrisen, Technikkrisen, Identitätskrisen, Rechtskrisen, Gesundheitskrisen, Midlife Crises, Geschlechterrollenkrisen, Beziehungskrisen etc. gehen mit mehr oder weniger professionellen Formen der medialen Aufbereitung und des medialen Krisenmanagements einher. Sie sind ein konstitutives Element zahlreicher Formate, deren Konturen zwischen "fake" und "fiction" oder 'Nachricht' und 'Illusion' oszillieren und erodieren. In einer medien- und kulturwissenschaftlichen Perspektive sollten wir unsere Aufmerksamkeit in diesem Zusammenhang nicht allein auf das Zusammenspiel von medialen Inhalten - oder genauer gesagt, von Krisenbildern und -tönen - mit Verfahren der Themenwahl und der medialen Umsetzung (dies auch im Sinne eines gatekeeping zur Steuerung der erwünschten oder unerwünschten Verbreitung bestimmter Themen) richten, sondern vor allem auf die Rekonstruktion des Funktionspotentials dieser medialen Re-Inszenierungen von Krisen. Die Erforschung der sozialen Funktionen von Krisendarstellungen in den Medien lässt sich Ziel führend allerdings nur in Form einer transdiziplinären Vernetzung verschiedener Forschungsachsen realisieren.

Es gilt z.B. die Rolle bestimmter Krisenszenarien für die Stabilisierung sozialer Identitäten herauszuarbeiten. Bin Laden, der 'Krisenauslöser' und die nicht fassbare (phantomartige) 'Verkörperung des Bösen' erschiene in diesem Licht als ein mediales Konstrukt, dessen 'Wirkmächtigkeit' u.a. mit den ein- und ausgrenzenden Vorstellungen des "Wir und die Anderen/bzw. der Andere" operiert. In einer historischen Perspektive wäre er ein Phänomen, welches die seit langem bestehende Tradition der Funktionalisierung des Fantastischen in Literatur und Film (etwa in der Gestalt des Fantômas zu Beginn des 20. Jahrhunderts) fortsetzt. Diese Untersuchungen medial inszenierter Krisen und von Krisen-Protagonisten führten uns zudem zu den Querverbindungen von deren intermedialen Repräsentationen und der sozialen Funktionen (alter?) gesellschaftlicher Mythen, welche durch die Medien - in mehr oder weniger effektiver Weise - immer wieder neue Nahrung erhalten. Die 'Sehrohstoffe von Krisen und Katastrophen' sind der Nährboden für Aufmerksamkeiten von Rezipienten und (aktiven) Usern des Web 2.0. Sie spielen auf Ohnmachtserfahrungen gegenüber dem Anderen, der Natur und der Technik sowie auf verdrängte und tief sitzende Ängste ein. Trotz aller Beschleunigungs- und Abnutzungseffekte dieser permanenten Berieselung mit Krisenszenarien durch die 'alten und neuen' Medien besitzen Krisen offenbar immer noch einen hohen Stellenwert in unserer Ökonomie der Aufmerksamkeit. Daran scheint auch die Tatsache nichts zu ändern, dass sich in den vergangenen Jahren bestimmte Bilder aus Krisengebieten als mehr oder weniger austauschbar erwiesen haben. Bildern aus Bagdad oder Kabul können wir - ohne entsprechenden Kommentar oder ohne Bildunterschriften - schon seit langem keine aktuellen Datierungen mehr zuschreiben. Sie sind audiovisuelle Wiedergänger. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass sich Terroristen und andere 'Gewalt-Bilder produzierende Instanzen' dieser Mechanismen nicht erst seit dem 11. September bewusst sind und gezielt das Zusammenspiel zwischen medialen, gesellschaftlichen, ökonomischen, politischen, ideologischen und mythologischen Faktoren für ihre Zwecke nutzen. Die Erforschung der gesellschaftlichen Funktionen der medialen Produktion von "Krisen" und des "Krieges der Bilder" erweisen sich daher als ein genuines Forschungsfeld der Medienwissenschaft und benachbarter Disziplinen.

Folgen wir nun dieser Spur anhand einer exemplarischen Krise.


3. Die Klima-Krise - ein Fallbeispiel

Ein Blick auf die Google-Items "Klimakrise" oder "Klimakatastrophe" vermittelt uns einen ersten Eindruck von der medialen Präsenz dieses Krisenszenarios in unseren Gesellschaften. Wir können dort gegenwärtig - je nach terminologischer Akzentsetzung auf "Klimakrise" oder "Klimakatastrophe" - ca. 90.000 oder 180.000 Textbeiträge und bei Bild- und Filmbeispielen ca. 700.000 oder 250.000 Einträge finden. Allein diese Zahlen verdeutlichen, welche Macht wir heutzutage Krisen-Kommentaren und (in sehr viel stärkerer Weise) Krisen-Bildern zuzuschreiben haben. Diese Texte und Bilder erweisen sich häufig als Remediationen aus den Print- oder den (audiovisuellen) Massenmedien. Sie setzen somit den globalen Krisendiskurs im Netz fort und konstituieren trotz durchaus vorhandener (medien-)kritischer Einträge (ca. 7.000 zur "abgesagten Klimakatastrophe" oder ca. 350.000 zur "Lüge der Medienklimakatastrophe") ein mehr oder weniger dominant bestätigendes und ideologisch 'kohärent zu nutzendes' diskursives System. Das Verhältnis zwischen dem Web 2.0 und den Massenmedien gestaltet sich indes durchaus reziprok, denn letztere recyceln ihrerseits Einträge oder Videos des Internets. Die durchaus nicht abwegig scheinende Frage, ob die Klimakatastrophe nicht eher als eine "Medienklimakatastrophe" zu werten wäre, wird allerdings - wenn überhaupt - nur in kleinen und marginalen Zirkeln geäußert, falls nicht bereits zuvor Sorge getragen wurde, derartige Kommentare aus den Medien oder aus dem Netz zu verdrängen. In diesen Tagen erleben wir, wie etwa die Vulkanwolke des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull in eine mediale "Monsterwolke" mutiert, die den "Sommer in einem Ascheregen baden gehen lässt". Aus medienwissenschaftlicher Sicht können und sollten wir die Ergebnisse und Prognosen der Vulkan- und Klimaforschung selbstverständlich nicht in Frage stellen, die Prozesse des medialen Umgangs mit diesen Ergebnissen und deren Vermittlung (inklusive deren potentieller soziale Funktionen) erweisen sich indes als ein genuines Feld unserer Disziplin.

Lassen Sie uns daher einen kleinen Parcours durch den Fächer möglicher medienwissenschaftlich-transdisziplinärer Forschungsachsen unternehmen.

• Klimakrise(n), Meinungsmache und das Streben nach Meinungsführung

Durch alle 'Medienkrisengeschichten' (die, wie wir im übernächsten Abschnitt sehen werden, durchaus in enger Verbindung zu Krisen der Medien stehen können) zieht sich das Streben nach Einflussnahmen und - potentiell - monokausalen 'Erklärungsmustern'. In gewisser Weise ist diesen Geschichten (im doppelten Sinne als Narrationen und Historien) diese Tendenz inhärent, sollen sie doch komplexe, überraschende, den Horizont unserer sozialen, kulturellen, politischen, technologischen, wissenschaftlichen etc. Erfahrungen sprengende, Entwicklungen oder Ereignisse in einen 'vertrauten und emotionalisierenden Rahmen' zurück binden und deren Komplexität reduzieren. Diese Tendenz wird seit einiger Zeit noch durch den so genannten Digitalisierungsschub von Nachrichtensendungen verstärkt, in denen wir nun häufig digital animierte Graphiken etc. vorgeführt bekommen. Um zusätzliche Irritationspotentiale auszuschließen, ergeben sich für die Krisenberichterstatter aus diesem Prozess quasi zwangsläufig Tendenzen zur Monopolbildung und zur Vereindeutigung komplexer Prozesse. Diese Tendenzen sind in unseren institutionell hoch ausdifferenzierten Gesellschaften unausweichlich an spezifische soziale, ökonomische, politische, ideologische und Interessen und Wissenssysteme (im Sinne der Wissenssoziologie) gebunden. Im Falle der Klimakrise oder -katastrophe lassen sich diese etwa an den unterschiedlichen Reaktionen zu mehr oder weniger validen und nachprüfbaren Berichten und Szenarios festmachen, wie wir sie etwa vom Klimarat der Uno, vom IPPC (dem Intergovernmental Panel on Climate Change) und anderen Experten-Institutionen erhalten. Wir können ein mediales Ringen um die Meinungsführerschaft feststellen, bei dem kritische Stimmen längst mit einem ideologischen Stigma belegt zu sein scheinen, Schülerkohorten flächendeckend zu Pflichtbesuchen von Al Gores medial inszeniertem Horrorszenario ins Kino geschickt werden und diese Medien-Klima-Katastrophe und potentiellen 'Lösungsvorschläge' auf allen Ebenen unseres edukativen Systems vom Kindergarten bis in die Hörsäle nachhallen. Die Klimakatastrophe und deren Folgen werden in diesem Sinne zu einem medial konstituierten und abgesicherten 'factum', bei dem Expertenwissen nur sehr begrenzt Gehör finden kann. Aus medien- und kommunikationswissenschaftlicher Sicht scheint in diesem Zusammenhang vor allem der Faktor des so genannten "gatekeeping" erwähnenswert, mit dem wir uns nun kurz befassen wollen.

• Gatekeeper - oder wer steuert die mediale Präsenz der Klimakatastrophe?

Selbst wenn Lewin, White und andere dieses Konzept vor mehr als sieben Jahrzehnten entwickelt und vorgestellt haben, so scheint es als Grundprinzip auch im Zeitalter des Web 2.0 seine Relevanz (noch?) nicht eingebüßt zu haben. Grob gesagt, umschreibt es den Sachverhalt, dass in unseren Mediengesellschaften eine Reihe von sozialen Instanzen, oder wenn wir so wollen, Funktionsträgern die Entscheidungsgewalt über die Verbreitung bestimmter Informationen und damit über die Präsenz von Themen und Inhalten im kollektiven Bewusstsein und Imaginären haben. Im Falle der Massenmedien wären zweifellos Redaktionsleiter und andere 'hohe Funktionäre' dieser Medien zu nennen, die derartige Meinungstrends zu setzen verstehen.

Das Internet hat sich trotz der ihm - besonders in seiner Anfangsphase - zugeschriebenen 'demokratisierenden Tendenzen' diesen Einflussnahmen nicht völlig entziehen können, es recycelt in vielschichtigen Loops massenmedial produzierte Inhalte und hat nur einen begrenzten 'Spiel'-Raum zur medienkritischen Relativierung der gesetzten Trends. Nichtsdestoweniger ergeben sich in unseren Zeiten der medialen Vernetzung einige Optionen der Relativierung oder des Unterlaufens der veröffentlichten Meinung durch Netzformate und alternative Sites.

Abu Ghuraib und die über Mobiltelefone und das Internet ins öffentliche Interesse verrückten 'privaten' (von den Gatekeepern und Machthabern zu verhindernden) Bilder und Informationen können in gewisser Weise als Beispiel für Prozesse der medialen Auseinandersetzung mit der Klimakatastrophe gelten. Die Informationen über unseriöse Einflussnahmen auf Forscher und deren Ergebnisse stammen, wie im Falle der Datenpublikation der Klimaforscher oder der Berechnung der Abschmelzdaten der Himalaya-Gletscher, primär aus Netz-Quellen, die nicht im direkten Einflussbereich der Gatekeeper lagen. So gesehen, können wir - bei allen Bestrebungen auch von Verlagshäusern zur multimedialen Koppelung von Informationen und Nachrichten - dem Internet im Zeitalter der Medienkonvergenz eine gewisse medienkritische und korrektive Funktion nicht absprechen. Halten wir vorläufig fest: Mediale Krisenszenarien nähren sich aus der Unterdrückung und der Propagierung von spezifischen Informationen und Geschichten und sind auch heute noch entscheidend von den Einflussnahmen sowie politischen, sozialen, ökonomischen und ideologischen Interessen der Gatekeeper geprägt. Dies gilt selbstverständlich auch für die so genannte Klimakrise.

• Soziales Gedächtnis - Verfallzeiten der Erinnerung

Bislang haben wir die historische Dimension von Krisen eher implizit angesprochen. Im Rahmen unseres kleinen tour d'horizon empfiehlt sich daher noch ein 'Exkurs' zu diesem Aspekt der medialen Repräsentation der Klimakrise und anderer Krisen.

Historische Faktoren scheinen in diesem Zusammenhang eine doppelte Relevanz zu besitzen. Zum einen mit Blick auf die in den Klimarekonstruktionen und -prognosen angesetzten historischen Zeit-Fenster (selbstverständlich auch mit Blick auf die Erhebungsorte und -verfahren der zu Statistiken zusammengefassten Daten), zum anderen mit Blick auf die Präsenz dieser Befunde, Daten oder 'Krisengeschichten' im Funktions-Gedächtnis unserer Gesellschaften.

Einem Medienwissenschaftler und klimatologischen Laien fällt auf, dass die konstruierten und medial zirkulierenden Entwicklungslinien der Erd- und Klimaerwärmung bzw. der berühmte 'Hockeyschläger' mit dem deutlich sichtbaren, graphisch und ikonisch repräsentierten, steilen Temperaturanstieg seit dem Zeitalter der industriellen Revolution, unter Berücksichtigung anderer historischer 'Daten' oder 'Fakten' einen deutlich anderen Verlauf nehmen würden. In den Medien findet allerdings nahezu keine Diskussion der wissenschaftlichen, historischen und ikonologischen Prämissen dieser Darstellungen statt. Sie haben gemeinhin den Status unhinterfragbarer wissenschaftlicher Axiome und adäquater bildhafter Umsetzungen. In einer historischen Forschungsachse sollten und müssten wir uns gerade als Medienwissenschaftler fragen, warum bestimmte Phänomene keine Erwähnung finden, etwa die der Warmzeit des Mittelalters, die Besiedlung Grönlands ("Grünlands", das im 12. Jahrhundert einen Bistumssitz für eine beachtlich große Bevölkerung hatte und in den heutigen Medien-Bildern auf kahle Felsen und abschmelzendes 'ewiges' Eis fixiert wird), die Höhenmarken von Korallenriffen auf Karibikinseln (etwa auf Bonaire, aus denen hervorgeht, dass sich der Meeresspiegel in den vergangenen sechs Jahrtausenden um ca. sechs Meter gesenkt haben dürfte - und dies in einer Geschwindigkeit, die sich nicht fundamental von den weniger dramatisch gehaltenen Prognosen für den Anstieg des Meeresspiegels in den kommenden Jahrzehnten oder Jahrhunderten unterscheiden dürfte).

Mit anderen Worten, diese Geschichten werden von den Massenmedien entweder 'vergessen', als lästige und zu vernachlässigende Störfaktoren betrachtet, oder gar von Gatekeepern 'eliminiert'.

Ähnlich verhält es sich mit der medialen Repräsentation zentraler inhaltlicher Elemente der Klimakrise und -katastrophe. Die Geschichten über das Waldsterben oder das Ozonloch sind in den vergangenen Jahren klammheimlich von der medialen Agenda verschwunden und wurden durch andere Elemente ersetzt, die nun die Funktion der Stimulation von (Ur-?) Ängsten oder ideologischen Klammern erfüllen, wobei eine kritisch-rationale Distanzierung in den Medien völlig inopportun scheint. Aus medien- und gesellschaftshistorischer Sicht lässt sich prognostizieren, dass nach dem Erreichen eines gewissen 'Sättigungsgrades' (sowohl politisch-institutioneller, aber auch sozial-kultureller Art) die gegenwärtig hoch gehandelten Aspekte, etwa des Ansteigens des Meeresspiegels durch andere ersetzt werden dürften. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, dass sich die in den Medien zirkulierenden Elemente zwar als austauschbar erweisen, die daran geknüpften Funktionen im Funktionsgedächtnis unserer Gesellschaften jedoch erhalten bleiben dürften. Anders gesagt, diese Aspekte erfahren eine schnelle Sedimentierung in den hinteren und fernen Ecken unseres Speichergedächtnisses, wobei sich die Zyklen dieser Umschichtungsprozesse immer stärker zu beschleunigen scheinen. Von den Medien- und Kulturwissenschaften werden diese medial gesteuerten Prozesse des kollektiven Gedächtnisses und des kollektiven Imaginären im Zusammenhang mit der Klimakrise leider immer noch nicht hinreichend zur Kenntnis genommen.

Dieser Prozess ist zweifellos sehr eng mit der Macht der Bilder und dem unstillbaren Hunger von nahezu allen sozialen Gruppen unserer Gesellschaften nach 'neuen' Bildern verknüpft. Eventuelle Widersprüche zwischen den Bildern und Krisenszenarien werden dabei in der Regel ausgeklammert - wie wir es in diesen Tagen am Beispiel der "dunklen Wolken" des isländischen Vulkans erleben, die nicht allein den Flugverkehr lahm legen, sondern - wie alle Vulkanausbrüche - auch zu einer mehr oder weniger spürbaren und zeitlich begrenzten Temperatursenkung führen dürften, die von den Medien dann allerdings als kurzfristige "Wetterveränderung" bezeichnet wird.

In den audiovisuellen Medien besitzen emotionalisierende Funktionalisierungsoptionen und daran geknüpfte denotative und konnotative sowie emblematische 'Ladungen' dieser Bilder einen absoluten Vorrang vor eventuellen 'populär-wissenschaftlichen' Erklärungs-Potentialen. Die Medien und offensichtlich auch wir als Zuschauer oder User fordern 'packende', 'komplexitätsreduzierende' Bilder. Daher empfiehlt sich noch ein kurzer Blick auf die Inszenierungen dieser Bilder.

• Klimakrise und die Macht der Bilder

Im Zeitalter der audiovisuellen Massenmedien und des Internets sind uns Krisen in der Regel erst dann präsent, wenn sie als "Bilder" (begleitet von signifikanten "Tönen") Eingang in das kollektive Bewusstsein und Imaginäre finden oder gefunden haben. Wir kennen die Ikonen dieser Krisen, bei der letzten Finanzkrise etwa die private Habseligkeiten im Karton transportierenden entlassenen Lehmann Brothers Mitarbeiter, bei der Irakkrise im Zusammenhang mit Abu Ghuraib die Folterszenen aus dem amerikanischen Gefängnis, bei der Gesundheitskrise bzw. Schweingrippe die Gesichtsschutz tragenden Menschenmassen in Mexiko oder Patienten auf der Intensivstation und im Falle der Klimakrise Flutwellen auf Pazifikinseln, Politiker vor kalbenden grönländischen Gletschern oder Eisbären auf dünnen Eisschollen der Hudson Bay.

Diese Bilder sollen auf der Grundlage spezifischer Wirkmuster (die denen der Werbung übrigens nicht ganz unähnlich sind) eine enge Verbindung zwischen ihren zeichenhaften Strukturen und Emotionalisierungen beim Rezipienten erreichen. Dieser Sachverhalt muss selbstverständlich nicht bedeuten, dass sie in allen Fällen zielgerichtet konstruiert wurden. In der Geschichte der Krisen- und Katastrophenbilder kennen wir zahlreiche Beispiele für Bilder, die 'zufällig' entstanden (wie die von Abu Ghuraib) und erst im Anschluss an diese zufällige Entstehung und durch ihre Entdeckung von Medienagenten ihre Wirkung in den Netzwerken der Massenmedien und des Internets entfalteten. In diesem Zusammenhang muss selbstverständlich der Bedrohungsgrad der Krise nicht mit den Reaktionen auf die Bilder korrelieren, wie wir z.B. aus den geradezu hysterischen Reaktionen auf die Gesundheitskrise der Schweinegrippe (die im Laufe der vergangenen Monate dann stillschweigend 'heruntergefahren' wurden) und den relativ besonnenen Reaktionen auf die Bilder der weltweiten Finanzkrise ersehen können, wobei in beiden Fällen - wie auch bei der Klimakrise - politische und soziale Faktoren eine wichtige Rolle spielen und gespielt haben.

Generell ist festzuhalten, dass auch die Klimakrise einen großen Bedarf nach geeigneten Bildern - etwa der verhandelnden, 'überfluteten' fiktiven Politiker in einem Wasserbassin als Aktion von Greenpeace-Aktivisten im Vorfeld der Kopenhagener Klimakonferenz -, nach Tsunamis und Wirbelstürmen hat. Dieser Bedarf manifestiert sich in Form von 'Belegen' für die Richtigkeit der zentralen Thesen nicht zuletzt in den Hunderttausenden von Bildern und Videos im Internet. 'Wirklichkeiten' und 'Krisen' sind uns heutzutage - mit Baudrillard gesprochen - primär als medial vermittelte präsent. Trotz aller derzeit gerne in modischer Weise geäußerten Zweifel am 'Wahrheitscharakter' von Krisengeschichten, verfügen geeignete Medien-Bilder immer noch über die Macht als Garanten für den 'Realitätswert' der Krisen-Nachrichten zu stehen. Daran haben auch die - im wahrsten Sinne des Wortes - Vogel- oder Enten-Bilder des ersten Irakkriegs, als die fingierte Nachricht eines ölverschmierten und verendenden Vogels im Persischen Golf für Saddam Husseins 'schmutzigen' Krieg und seine gezielte Öffnung von Ölquellen zur Vernichtung der Umwelt und des Gegners diente, nichts geändert. Das Wissen um die Möglichkeiten der virtuellen Konstruktion oder Veränderung von Bildern hat deren emotionale Auswirkung auf unser Bewusstsein nur bedingt modifiziert oder gar eingeschränkt. Für Psychologen erwiese sich vermutlich die Frage nach möglichen Gründen für diese Beobachtung als relevant. Für Medienwissenschaftler stehen indes die mises en image der (Klima-)Krisen, deren zeichenhafte Konstruktion in Relation zu deren (intendierten oder nicht intendierten) Wirkungsmöglichkeiten im Zentrum des Forschungsinteresses. Es gilt, Wirkungsmechanismen dieser Krisen-Bilder in bestimmten Feldern aufzuzeigen und in fächerübergreifenden Projekten das Zusammenwirken verschiedener medialer, ikonologischer, sozialer, politischer, rechtlicher, ökonomischer und technologischer Faktoren zu rekonstruieren.

Ein Sachverhalt und Prozess, den wir bislang nur implizit angesprochen haben, sollte in diesem Zusammenhang ebenfalls berücksichtigt werden, das Phänomen der Medienkonvergenz und des medialen Umgangs mit Krisen, dem - nach einem Exkurs zur Ökonomisierung der Klimakrise - ein weiteres Sub-Kapitel gewidmet sein wird.

• Mediale Pan-Ökonomisierung der Klimakrise und 'Weltoffenheit' des Menschen

Wie bereits eingangs erwähnt, sind die Berichte in den Medien zur Klimakrise von zahlreichen, nicht zuletzt ökonomischen, Interessen geprägt.(2) Diese Interessen umfassen ein breites Spektrum zwischen politisch gewünschten finanziellen Förderungen spezifischer Umwelt- und Energieprogramme oder spezifischer Institutionen im technologischen Bereich und der 'konkreten Wertschöpfung' aus Meldungen zur Klimakatastrophe. Berechnungen zu den Folgekosten der Klimaerwärmung liegen uns in zahlreichen - in die Billionen Euros gehenden - Varianten vor. Aus medienwissenschaftlicher Sicht dürften wir uns selbstverständlich nicht eine Einschätzung der (volks-) wirtschaftlichen Stimmigkeit dieser Berechnungen anmaßen, allerdings doch eine Randbemerkung zu diesen Pan-Ökonomisierungstendenzen der Klimakrise äußern.

Diese von und in den Massenmedien lancierten Berechnungen werfen ein Licht auf das Zusammenspiel zwischen 'Medien und Märkten' und - wenn wir so wollen - auf die zentrale Rolle, welche die so genannten ökonomischen 'Fakten' in den Diskursen unserer industrialisierten und vernetzten Gesellschaften spielen. Sie implizieren einerseits den Wunsch nach Fixierung eines 'gesellschaftlich-klimatischen Status quo', andererseits den Wunsch nach einer Komplexitäts-Reduktion von Klimaveränderungen in eine rein ökonomische Dimension und eröffnen somit für das breitere, in der Regel uninformierte, Publikum ein zusätzliches Bedrohungs- oder Angstpotential, das auf unser monetär-materielles Stabilitätsbedürfnis anspielt. Konfrontieren wir diesen Mechanismus mit der dem Menschen - von Plessner und anderen Vertretern der philosophischen Anthropologie - zugeschriebenen "Weltoffenheit", oder anders gesagt, seinem Vermögen, sich jeweils neu auf veränderte geographische und klimatische Bedingungen einzustellen (die z.B. nach der zunehmenden Austrocknung der 'Grünen Sahara' vor ca. 7.300 Jahren vermutlich zur Auswanderung seiner Bevölkerung ins Niltal und zur kulturellen Bereicherung der ägyptischen Hochkultur führte), dann wird deutlich, dass so genannte Berechnungen der Kosten der Klimakrise von den Medien (oder deren Gatekeepern) in den allermeisten Fällen zu einer Verstärkung der emotionalisierenden Wirkungen des Klimakrisendiskurses verwendet werden. Eine sachliche Konfrontation der potentiellen ökonomischen Folgen mit grundlegenden Kategorien menschlicher Existenz, etwa der 'Weltoffenheit' und deren Risken und Chancen, unterbleibt aus leicht nachvollziehbaren ideologisch-ökonomischen Gründen.


4. Krisen, Medienkonkurrenz und Medienkonvergenz

In unserem 'digitalen' Zeitalter stellt sich die Frage nach den Beziehungen und Interaktionen zwischen den Medien nicht allein für Vertreter der medienwissenschaftlichen 'Zunft'. Informatik, Geschichts-, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften sind ebenfalls in vielfältiger Weise mit diesen Prozessen und Phänomenen konfrontiert und befassen sich an der Universität Bayreuth - in Kooperation mit der Medienwissenschaft - im Rahmen von bereits bestehenden und noch weiter zu differenzierenden Projekten mit diesen komplexen Prozessen. Auf den ersten Blick scheint eine Verbindung von "Krisen" und Medienkonkurrenz oder Medienkonvergenz weit hergeholt zu sein, auf den zweiten Blick stellt sich dieser Sachverhalt jedoch völlig anders dar.

Wenn der berühmte französische Soziologe und Sozialphilosoph Bourdieu in den 1990er Jahren auf die Konkurrenz von Presse und Fernsehen mit Blick auf die Nachrichtenberichterstattung und insbesondere auf die Rolle des "scoop", der "breaking news", verweist, so indiziert er damit ein Spannungsverhältnis zwischen den Medien, welches im vergangenen Jahrzehnt mit der rapiden Entwicklung des Internets und seiner medialen Möglichkeiten entscheidend bereichert und modifiziert wurde (und auch heute noch wird). Vor dem Hintergrund der eingangs erwähnten vier "Ks" der Katastrophen und des Mottos "bad news are good news" profitieren selbstverständlich alle aktuellen Massenmedien und das Internet immer noch von diesem Grundprinzip 'medialer Wertschöpfung', allerdings haben sich eine Reihe von Verschiebungen ergeben, die wir sehr deutlich anhand der multi- und intermedialen Krisenberichterstattung ersehen können. Bis in die 1990er Jahre wurde das Ringen um die 'erste' oder 'schnellste' Nachricht zumeist zwischen der Presse, dem Hörfunk und dem Fernsehen ausgefochten, wobei sich die Tagespresse aufgrund der spezifischen technologisch-medialen Gegebenheiten von Radio und TV unter Aktualitätsgesichtspunkten schon bald als 'Verlierer' des Rennens um "breaking news" von Krisen aller Art (auch von so genannten Erscheinungen oder Folgen der Klimakrise) erwies. Hatten sich die Print- und AV-Medien entsprechend ihren technologischen und medialen Profilen auf ihre besonderen Möglichkeiten konzentriert (für erstere eher der vertiefende Nachrichtenhintergrund und Kommentar, für letztere eher die aktuelle (live-) Berichterstattung) so ergeben sich durch das Internet völlig neue Optionen für die Krisenberichterstattung, die sich auf das 'traditionelle' Mediengefüge auswirken. Plattformen, Twitter-Kreise 'vor Ort', Blogs etc. produzieren eine unüberschaubare Fülle von 'Amateur'-Nachrichten, die einerseits in vielfältiger Weise auf Meldungen der Massenmedien Bezug nehmen (können), andererseits selbst zum Nachrichtenitem der 'alten' Medien werden (können).

An diese Krisen-Berichte, die wir tagtäglich im Netz über Natur- ebenso wie über politische Katastrophen vorfinden, lassen sich selbstverständlich nicht die Maßstäbe eines seriösen Journalismus anlegen, nichtsdestoweniger gewinnen sie einen immer stärkeren Einfluss auf Krisen-Bilder und Krisen-Geschichten. Dieser Einfluss resultiert nicht allein aus den von den meisten großen Medienhäusern gewünschten Synergieeffekten medialer Konvergenzen (die zwar nicht, wie oftmals angenommen, problemlos zu realisieren sein und gleichsam automatisch zu einer profitableren Nachrichtenübermittlung führen werden), sondern aus den unzähligen Remediationen, Recyclings von Krisenmeldungen im Netz. Die zweifellos gegebene Brisanz mancher dieser Meldungen lässt sich an den Bemühungen mehr oder weniger totalitärer Regime ablesen, bestimmte Bereiche des Internets, die (politische, soziale, ökologische) Krisenmeldungen enthalten, zu kontrollieren oder zu eliminieren. Die Beschleunigung der Krisen-Nachrichten und der Entwicklung der Netzstrukturen lässt dieses Kontrollunterfangen indes oftmals scheitern.

Die durch das Internet erfolgte Beschleunigung der Verbreitung von Krisen-Nachrichten führt uns im Zusammenspiel mit der so genannten Medienkonvergenz zu weiteren medienwissenschaftlich-transdisziplinären Frageachsen, die wir in den Feldern der technologischen Entwicklungen (d.h. von Hard- und Software und sozialen Nutzungsformen), der historischen Ausdifferenzierungen (bestimmter medialer 'Profile') der Ökonomie der Krisenverwertung ('quer' durch 'konvergente' Medien), der Medien- und Verwertungsrechte von Krisen-Bildern, -Tönen und Texten, der medialen Interaktionen und der sozialen Funktionen vernetzter Krisenrepräsentationen zu realisieren hätten. Mediale Inszenierungen von "Krisen" wären in diesem Sinne ein relevantes Forschungsfeld, das selbstverständlich auch den Bereich der Sport-Medien einschlösse (um auf einen weiteren medienbezogenen Forschungsschwerpunkt der Universität Bayreuth hinzuweisen).


5. Krisen in den Medien, Krisen der Medien, Wege aus den Medien-Krisen

Die vorangehenden Aphorismen sollten unsere Aufmerksamkeit auf das Zusammenspiel von 'realen' Krisen und 'medialen' Konstruktionen und dessen vielschichtige Dimensionen richten. Medien profitieren von Krisen, Medien schaffen Krisen und die Rezipienten/User lassen sich immer wieder auf die medialen Krisenszenarien ein. Die Inflation von Krisen bedingt eine Beschleunigung des déjà-vu oder Wiedergänger-Effekts von Bildern und Kommentaren, die wir bereits Hunderte von Male gesehen, gehört und gelesen zu haben glauben. In der Wiederholung verschieben diese (Kriegs- und?) Krisen-Bilder (insbesondere gerne bei den so genannten privaten Sendeanstalten) unmerklich die Grenzen des Zeigbaren, so dass manche Vertreter der Medienwissenschaft diesen Prozess bereits mit einer Zunahme der 'Pornographie von Gewaltdarstellungen' in Verbindung bringen. Trotz ihrer permanenten Redundanzen und outrances hat der Wirkmechanismus dieser krisenhaften Darstellungen auch im Zeitalter des Web 2.0 und der intermedialen Vernetzungen offensichtlich nichts von seiner Kraft eingebüsst. Aufgrund bestimmter grundlegender psychischer Dispositionen scheinen Produzenten und Rezipienten immer wieder bereit, sich von 'neuen' audiovisuellen Krisenszenarien fesseln und beunruhigen zu lassen, um den 'Kitzel des Anderen, des potentiell Zerstörerischen und Monströsen' lustvoll zu erfahren. Die Inhalte dieser Szenarien sind dabei relativ variabel, und die medialen, psychischen, sozialen, ökonomischen, ideologischen, politischen Funktionsmuster relativ konstant. Mit anderen Worten, die Aufmachung oder Verpackung der Krisenmeldungen erweist sich in der Regel als entscheidender als deren 'Inhalt'.

Die bereits konstatierte Beschleunigung dieser Prozesse und der Verfallszeiten von Krisen kann in gewisser Weise auch als Indiz für die so genannte Krise der Medien gedeutet werden. Seit mehr als vier Jahrzehnten zieht sich durch den Diskurs der Presselandschaft die Rede vom "Pressesterben", vom "Untergang der Tageszeitungen" oder neuerdings die reißerische, im medienwissenschaftlichen Kontext allerdings obsolete Frage nach dem "Wer frisst wen in der digitalen Gesellschaft?", um den selbsternannten 'Experten' für das Internet und für digitale Medien, Schirrmacher, zu zitieren. Dieser Diskurs zur Medienkrise bildet (übrigens durchaus vergleichbar zur jahrzehntelang postulierten Krise der "Filmwissenschaft") den Ausgangspunkt für tatsächliche oder suggerierte 'positive' oder 'neue' Entwicklungstendenzen, die in unseren Tagen ihren Ausdruck sowohl in relativierenden Äußerungen der Zeitungsverleger wie z.B. "wir können nicht von einer echten Medienkrise sprechen" (wobei sich natürlich die Frage aufdrängt, was wir unter einer "echten" Krise in Relation zu einer "unechten" Krise zu verstehen hätten) als auch neuen multimedialen Geschäftsmodellen finden, bei denen Tageszeitungen neue Kooperationsformen mit Internetprovidern suchen und verstärkt audiovisuelle Präsenz im Netz zeigen. "Paid Content" soll derzeit durch Applikationen des mobilen Internets und mobile Endgeräte wie iPods oder iPads zur akzeptierten Form der Internetnutzung und damit zum ökonomischen Rettungsanker der darbenden Printmedien werden. Mit Blick auf unser Thema der Krisenberichterstattung in den Medien ist festzuhalten, dass die bisweilen verzweifelte Suche nach 'neuen' Krisenthemen, die von der Konkurrenz noch nicht völlig ausgeschlachtet sind und (noch) ökonomischen Profit (auch im Sinne der eingangs angesprochenen Ökonomie der Aufmerksamkeit) versprechen, zu kurzfristig angelegten Krisen-'Bewältigungs'-Mechanismen führt, die ihren Niederschlag bereits in Begriffen wie "Medienklimakrise" gefunden haben. Der Terminus der "Medienklimakrise" verweist somit deutlich auf den aktuellen Zustand von Teilen der Medienlandschaft.

An diesem Zustand ändern leider auch vereinzelte Bemühungen der Print- und Massenmedien um Qualitätssicherung nur wenig.

Doch welche Wege könnten uns aus der Medien-Klima-Krise führen? Unter sozialen und ökonomischen Gesichtspunkten wäre Sorge dafür zu tragen, dass die Bandbreite des Angebots der Presselandschaft in Deutschland und anderenorts erhalten bliebe. Dafür werden sich neue Formen der Vernetzung im Zeitalter der Medienkonvergenz als essentiell erweisen. Darüber hinaus wäre dem kurzfristig orientierten Populismus medialer Krisenberichterstattung Einhalt zu gebieten. Faktoren wie Qualität und die Rückbesinnung auf genuine technologisch-apparative Optionen der Verbundmedien hätten eine stärkere Rolle zu spielen. Es wäre ratsam, wenn sich Printmedien in Bezug auf deren Aktualitätsprofile noch deutlicher von den Online-Portalen und Auftritten von (zumeist eigenen) Websites absetzen und die Leser/User/Rezipienten ihr Nachrichtenkonsumverhalten nicht ausschließlich auf - häufig fehlerhafte und Risiko beladene - Instant-News richten würden. In Anlehnung an Arnheim, der für das Hörspiel einmal ein brillantes "Lob der Blindheit" formulierte, könnten wir als einen der möglichen Wege aus den Medien-Krisen ein "Lob der Langsamkeit" postulieren. Eine mediale Entschleunigung, die unseren Blick auf Krisen-Bilder und Töne auf mediale Konstruktionsmechanismen frei gäbe, von denen wir oben einige beschrieben haben. Diese entschleunigte Berichterstattung, würde den Medien Optionen selbstreflexiver Perspektiven auf eigene Mechanismen der 'Krisen-Konstruktion' eröffnen, die sie damit auch den Rezipienten transparent machen würden. Sie würde den 'traditionellen' Massenmedien und den öffentlich-rechtlichen Medien die Chance eröffnen, sich durch eine professionelle, qualitativ fundierte und in einem zeitlichen décalage überprüfte und überprüfbare Berichterstattung von den instant news der schnelleren Internet-, Twitter-, etc. Konkurrenz zu unterscheiden und damit ihr mediales Profil zu schärfen. Eine derartige selbstreflexive Perspektive ist bei unseren Medien - wenn überhaupt - nur erstaunlich schwach ausgeprägt. Medien berichten über Krisen und konstruieren Krisenszenarios, sie informieren uns jedoch in aller Regel nicht über die Konstruktionsmechanismen dieser Szenarios und deren vielschichtige technologische, ökonomische, historische oder juristische Dimensionen. Im besten Sinne eines Medien-Spiegels gälte es, dieses Tabu zu durchbrechen. Der Medienwissenschaft käme und kommt in diesem Zusammenhang nicht allein die Rolle der Anleitung zu einer Professionalisierung des medialen Krisenmanagements, der Kriseninterventionskräfte (wie es heute bereits an einigen Hochschulen geschieht) oder der Nachrichtensteuerung zu; sie hätte ihre Forschungs- und Erkenntnisinteressen vor allem auch auf eine transdisziplinär anzulegende Untersuchung der medialen Konstruktion und gesellschaftlichen Funktion von Krisen zu richten.


6. Epilog: Krisen in den Medien und medienwissenschaftlich-transdisziplinäre Forschungen an der Universität Bayreuth

Unsere kleine Bestandaufnahme der Krisen in den Medien und der Medien-Krisen sollte verdeutlichen, dass das Fach Medienwissenschaft eine Untersuchung dieser Krisen Erfolg versprechender Weise nur im transdisziplinären Verbund mit anderen Fächern leisten kann. Zu diesen Fächern zählen selbstverständlich die Disziplinen der Geistes-, Kultur- und Literaturwissenschaften, die uns auf die kulturell-historischen 'Funktionsprofile' von Krisen lenken, aber auch die Disziplinen der Informatik, der Rechts- und Wirtschaftswissenschaft, die eine genuine Bereicherung unserer wissenschaftlichen Annäherungen bedeuten. Das junge Fach Medienwissenschaft beschreitet diesen Weg in Lehre und Forschung im Rahmen des Master- und Promotionsprogramms "Medienkultur und Medienwirtschaft". Es wird diesen in den kommenden Jahren konsequent weiter verfolgen und in Form von fächerübergreifend angelegten Projekten konkretisieren.


Professor Dr. Jürgen E. Müller hat die Professur für Medienwissenschaft inne.



Anmerkungen:

1) Nach dem Abschluss der Arbeiten an diesem Artikel ist in Bezug auf den medialen Umgang mit dem Ausbruch des Eyjafjallajökull das seltene - und durchaus wünschenswerte - Phänomen einer selbstreflexiven und kritischen Bestandsaufnahme festzustellen, das sich z.B. im Focus-Titel "Nur Staub aufgewirbelt? Der Mensch zwischen Angst und Hysterie. Die Vulkan-Bilanz" manifestiert. Die "Vulkan-Krise" wurde inzwischen von der "Griechenland-Finanz-Krise" und der "Ölkrise" (im 'neueren' Sinne einer "Ölpest") im Golf von Mexiko abgelöst.

2) Wobei es sinnvoll schiene, das Konzept der "Ökonomie" im Spannungsfeld zwischen Volks- und Betriebswirtschaft sowie 'neuen' Medienökonomien anzusiedeln.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. 1: Triumphbogen des Marc Aurel in Rom (Detail)
Abb. 2: Bayeux: La tapisserie de Bayeux (11. Jahrhundert)
Abb. 3: Luther: Thesenanschlag an der Schlosskirche zu Wittenberg
Abb. 4: Zugunglück aus der französischen Zeitschrift Illustration,
L'accident de la gare de Montparnasse (24.10.1895)
Abb. 5: Kanzlerin Merkel vor grönländischen Eisbergen
Abb. 6: Ausbruch des isländischen Vulkans Eyjafjalla 14.4.2010
Abb. 7: 'Der letzte Eisbär'
Abb. 8: Ölverschmierter Vogel

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Quelle:
spektrum 1/2010, S. 30-38
Herausgeber: Der Präsident der Universität Bayreuth
Redaktion: Pressestelle der Universität Bayreuth, 95440 Bayreuth
Tel.: 09 21/55-53 23, -53 24, Fax: 09 21/55-53 25
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Internet: www.uni-bayreuth.de

"spektrum" erscheint dreimal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. August 2010