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BERICHT/200: Journalisten in Not (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 11/2011

MEDIENSPIEGEL
Journalisten in Not

Von Klaus Harpprecht


Unser Mit-Herausgeber erhielt kürzlich nach 1966 zum zweiten Mal den Theodor-Wolff-Preis, nun für sein Lebenswerk. In der Dankesrede formulierte er seinen Vorschlag, wie die Einkommensschere im Journalismus etwas geschlossen werden könnte.


Es gibt Journalisten in Not, weiß Gott, junge, die darum bangen, ihre Miete bezahlen zu können und es nicht wagen, an die Gründung einer Familie zu denken, alte, die mit ihrer Rente dahin kümmern. Der Journalismus insgesamt ist in Not. Es steht nicht gut um unser Gewerbe in diesen Zeiten der elektronischen Revolution. Dennoch: Das gedruckte Wort, das schön gebundene Buch à la "Andere Bibliothek", aber auch die gedruckte Zeitung, die anspruchsvollen Zeitschriften werden überleben, gewiss in veränderter Form - aber sie werden in einem halben Jahrhundert, womöglich einem ganzen noch existieren. So rasch rennt die Menschheit Guttenberg, Luther, Calvin, der St. James-Bible nicht davon. Einige Zeitungen von hoher Qualität wird es auch künftig geben, bessere womöglich, vor allem sehr viel teurer als heute, auch eine gewisse Boulevard-Presse, deren einziger moralischer Auftrag es ist, die Blätter von Gewicht und Niveau zu subventionieren, wohl auch einige regional fest verwurzelte Zeitungen.

Die Rettung setzt freilich voraus, dass sich alle Beteiligten in einem neuen Geist der Solidarität zusammenfinden - im besten Fall mitsamt den Aktionären, aber auch gegen sie, wenn es nicht anders geht. Die Einkommensschere klafft sperrangelweit auseinander, auch in unserer Zunft, und sie ist nicht immer durch Leistung und Talent gerechtfertigt. Tarifpolitische Regulierungen können die geforderte Solidarität nicht erzwingen. Sie sollte innerhalb der Betriebe, der Konzerne, vielleicht auch in regionalen Bereichen verabredet werden. Das Verfahren wäre einfach: Wer das Glück hat, zwischen 150.000 und 250.000 Euro im Jahr zu verdienen, zahlt in die Solidaritätskasse 5% des Gehaltes ein, zwischen einer viertel und einer halben Million 10%, bis zu einer Million 12%, darüber 25%. Mit den verbleibenden Bezügen lässt sich immer noch ganz hübsch leben und sogar ein Häusle bauen.

Der Gewinn aus dem Solidaritätsfonds dient der Aufstockung der Honorare zu einem Normalsatz von zwei Euro pro Zeile und der Anhebung der niederen Redaktions- und Sekretariatsgehälter. Er hilft bei der Korrektur einer unverantwortlichen "Ausdünnung" der Redaktionen und der Technik. Er unterstützt die Einrichtung von "Kitas", die es den Kolleginnen mit Kindern ersparen, sich in eine Halbtagsarbeit abdrängen zu lassen. Entsprechende Regelungen sollen für die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten gelten, die Quotenkönige und vor allem ihre lukrativen Produktionsbetriebe nicht schonend. Es müssen für die Gala-Talkshows keine gläsernen Kathedralen gebaut werden. Dringend verlangen die brutal gekürzten Radio-Honorare eine Aufbesserung. Der Ausbeutung kleiner Produktionsfirmen müssen Grenzen gesetzt werden. Nebenbei: Parteien und Regierungen sollten aus den Gremien verschwinden - und dies besser heute als morgen.


Klaus Harpprecht (* 1927) ist Mit-Herausgeber der Neuen Gesellschaft/Frankfurter Hefte, war u.a. Berater von Willy Brandt. Bei S. Fischer erschien zuletzt: Arletty und ihr deutscher Offizier.


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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 11/2011, S. 58
Herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Siegmar Gabriel,
Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka, Thomas Meyer und Peter Struck
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. November 2011