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FILM/014: "Dwaal Net Rond" - Dokumentarfilm über die Rechtlosigkeit von Farmarbeitern in Namibia (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 1, Januar/Februar 2016

"Dwaal Net Rond" - Namibias Vergessene

von Katrin Mauch


Die Rechtlosigkeit von Farmarbeitern in Namibia dokumentiert der neue Film "Dwaal Net Rond". Der Regisseur und Autor Thorsten Schütte gibt ihnen eine Stimme.

Erleiden namibische Staatsangehörige einen Unfall, infolge dessen sie erwerbsunfähig werden, fängt sie eine staatliche bedingungslose Erwerbsunfähigkeitsrente auf. Laut der namibischen Gesetzgebung treten 60-Jährige offiziell ins Rentenalter ein und können ohne Bedürftigkeitsprüfung eine staatliche Pension von mittlerweile 1.000 Namibia-Dollar beziehen. Es scheint, als habe Namibia ein vergleichsweise ausgereiftes soziales Sicherungssystem, das tendenziell den von Armut gefährdeten Gruppen, wie älteren oder erwerbsunfähigen Menschen, weiterhin ein Leben in Würde verspricht.

Immanuel Xuagub hat aber eine andere Geschichte, nämlich die eines erwerbsunfähigen Farmarbeiters, der sich nach einer Vielzahl von Behördenläufen nach wie vor im alltäglichen Überlebenskampf befindet. Warum bezieht Immanuel Xuagub keine Rente? Wieso fängt ihn das System nicht auf?


Institutionelle Hindernisse

Der kürzlich erschienene Dokumentarfilm "Dwaal Net Rond - The Forgotten" des deutschen Regisseurs und Autors Thorsten Schütte erzählt Immanuel Xuagubs Geschichte. Er deckt erschreckende, doch gern übersehene Wahrheiten auf: Rechte zu besitzen, ist das eine - Recht zu bekommen, etwas ganz anderes. So zeigt der Film kafkaesk und detailliert, welche Hindernisse dem Landarbeiter im Wege stehen, als er versucht, die ihm zustehenden staatlichen Hilfeleistungen zu beantragen. Einerseits liegt die Problematik im fehlenden Wissen: Wo stellt man einen Antrag auf Erwerbsunfähigkeitsrente? Schließlich wurde er nach einem Arbeitsunfall entlassen. Er fragt sich: Wie bekomme ich Unterstützung, damit meine Kinder in der Schule bleiben können? Wer spricht dieselbe Sprache wie ich? Andererseits fehlen ihm schlicht die finanziellen Voraussetzungen, um überhaupt Zugang zum System zu finden: Immanuel Xuagubs Mittel reichen nicht mal für einen Anruf bei den Behörden, wie soll er dann erst die Fahrt dahin finanzieren oder von dort aus weiter zum Arzt kommen, der sich in einer 120 km weit entfernten Stadt befindet?


Rechtlosigkeit und Erbe der Apartheid

Immanuel Xuagubs Geschichte ist kein Einzelfall. "Farmarbeiter sind die am meisten vernachlässigten Bürger in Namibia", erklärt der Menschenrechtsaktivist Uhuru Dempers im Film. Soziale Sicherungssysteme werden aufgebaut, Landreformen durchgeführt - doch diejenigen, denen die Prozesse zugute kommen sollten, bleiben nach wie vor, wie der Film so treffend tituliert, die Vergessenen. War beispielsweise unter dem Apartheidregime gerade Farmarbeiter/innen der Zugang zur Schulbildung weitestgehend versagt, ist heute Lese- und Schreibfähigkeit eine der Voraussetzungen, um sich überhaupt für die Vergabe von Land gemäß der namibischen Landreform zu bewerben. Die mittellosen Farmarbeiter/innen bleiben also vorwiegend im Strudel ausgrenzender Armut gefangen, hatten doch bei einer 2006 erhobenen Studie des Labour Resource und Research Institute (LaRRI) über die Arbeits- und Lebensbedingungen von Farmarbeitern in Namibia gerade einmal 43 Prozent der 345 Befragten eine Grundschulbildung.


Strukturelle Armut

Hier zeigt sich die strukturelle Armut von Farmarbeitern: Um ihre eigene Lebensgrundlage zu sichern - da der Mindestlohn erstens zu gering ist und zweitens mehrheitlich nicht bezahlt wird - ist es für sie unabdingbar, eigenes Vieh zu halten. Zur Viehhaltung benötigen sie Land und hängen somit von der Gunst ihrer Arbeitgeber ab, ihnen Land zur Verfügung zu stellen. 90 Prozent der befragten Landarbeiter/innen der LaRRI Studie lebten zum Zeitpunkt der Befragung auf der Farm, auf der sie angestellt waren - an dieser Situation hat sich auch zehn Jahre später kaum etwas geändert. Erreichen Farmarbeiter/innen nun das Rentenalter, werden erwerbsunfähig oder aus sonstigen Gründen entlassen, verlieren sie nicht nur ihre Arbeit, sondern auch ihr Zuhause. Denn sie haben keinen gesetzlichen Anspruch, weiterhin auf der Farm ihrer Arbeitgeber zu wohnen. Auch Immanuel Xuagub sieht sich nach seiner Erwerbsunfähigkeit mit einem Räumungsbefehl des Ministeriums für Land und Umsiedlung konfrontiert - den er selbst nicht lesen kann. "Wenn sie mir wenigstens einen anderen Ort geben würden, an den ich ziehen kann", sagt er.


Aufklärung und Kritik

Der Regisseur Thorsten Schütte begegnete Immanuel Xuagub 2009 während der Dreharbeiten seines vorangegangen Films "Land matters". Ging es in dem Film noch um den Wandel der mit der Landreform einhergehenden Landrechte und -nutzung, konzentriert sich Schütte in "Dwaal Net Rond - The Forgotten" nun auf die Vernachlässigung der Farmarbeiter/innen im Zuge dieses Prozesses. Der neue Film entstand mit der Absicht, ihn zu Aufklärungszwecken im namibischen Kontext zu nutzen. Mit dem Film soll einerseits ein Medium geboten werden, um die institutionellen Zugänge für Farmarbeiter/innen zu erhöhen, ihnen ihre Rechte nahezubringen und sie dazu anzuhalten, die Wege hierfür zu gehen und auszuschöpfen. So wurde der Film beispielsweise im namibischen Fernsehen ausgestrahlt und während einer zweiwöchigen Kampagnenrundreise, unterstützt durch die Friedrich-Ebert-Stiftung, im Süden Namibias gezeigt.

Gleichzeitig soll der Film vor Augen führen, welche inhärenten Zugangsdefizite das derzeitige soziale Sicherungssystem sowie die Landreform aufweisen. Im Anschluss an die Ausstrahlungen von "Dwaal Net Rond" im namibischen Fernsehen debattierten unter anderen Vertreter/-innen des Ministeriums für Land und Umsiedlung sowie der Minister für Armutsbekämpfung und soziale Wohlfahrt, ein. Dr. Zephania Kameeta, über die Situation der Farmarbeiter/innen und griffen somit die drängenden Fragen auf.

Denn in einigen Fällen kann der Film sicher als Spiegel für die Angestellten in Ministerien, Behörden und Ämtern in Bezug auf ihre oftmals herablassende Art im Umgang mit Menschen wie Herrn Xuagub dienen.

Darüber hinaus bietet "Dwaal Net Rond - The Forgotten" auch für das deutsche Publikum einen sehr direkten Zugang zur Thematik. Charakteristisch für den Film ist, dass er bewusst auf dramaturgische Stigmatisierung verzichtet. Vielmehr ist er so ehrlich, wie er nur sein kann und konfrontiert den Betrachter auf diese Weise mit Immanuel Xuagubs Lebensrealität.


Stimmen von Farmarbeitern

Farmarbeiter werden so nicht zu einer stummen Gruppe oder zu Objekten, sondern sie erhalten Raum, ihre Stimmen zu erheben und wahrgenommen zu werden. Ein Feature über den Film wird demnächst in einem Sammelband zur Situation von Farmarbeiter/innen im südlichen Afrika erscheinen, den die Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika (KASA) herausgibt. Ausgehend von ihrer Studie "Aufstand im Paradies" über den Farmarbeiterstreik 2012 im Western Cape beschloss die KASA, sich intensiver mit der Problemlage der Farmarbeiter/innen in ihren Schwerpunktländern Namibia, Südafrika, Sambia und Simbabwe zu beschäftigen.

Eine aktuelle Studie der internationalen Arbeitsorganisation ILO zur Situation in Südafrika zeigt, wie relevant dieses Thema inzwischen für die Debatte um die Landfrage geworden ist. Im KASA-Sammelband wird es einerseits um die Bestandsaufnahme der strukturellen Probleme von Farmarbeiter/innen gehen, andererseits aber auch um Möglichkeiten, ihre schwierigen Lebensbedingungen grundlegend zu verbessern. In der weiteren Beschäftigung mit dieser Aufgabe soll auch die Rolle des fairen Handels besonders mit Bezug auf Wein aus der südafrikanischen Provinz Westkap näher beleuchtet werden. Auch dazu sind Veröffentlichungen geplant, die unter anderem auf Studien aus Südafrika basieren, die die KASA in Auftrag gegeben hat. Der Film "Dwaal Net Rond" leistet somit einen wichtigen Beitrag zur Dokumentation und visuellen Auseinandersetzung mit den existentiellen Schwierigkeiten von Farmarbeiter/innen über 20 Jahre nach der Ende der Apartheid und der demokratischen Wende in Südafrika und Namibia. KASA organisiert den Filmverleih und bietet Zugang zu den hier genannten Studien.


Die Autorin ist Mitarbeiterin der KASA und schreibt derzeit ihre Masterarbeit an der Universität Marburg, welche mitunter die Wirkungsmechanismen bedingungsloser und universaler Transferzahlungen am Beispiel Namibias behandelt.

KASA-Kontakt und Filmverleih: kasa@woek.de
http://woek.de/web/cms/frontcontent.php?idcat=281

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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
45. Jahrgang, Nr. 1, Januar/Februar 2016, S. 36-37
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
Königswinterer Straße 116, 53227 Bonn
Tel.: 0228 / 46 43 69, Fax: 0228 / 46 81 77
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. April 2016

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