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INTERNATIONAL/027: China - Mikroblogger umgehen staatliche Internet-Zensur, Regierung unter Druck (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. August 2011

China: Mikroblogger umgehen staatliche Internet-Zensur - Regierung unter Druck

Von Gordon Ross


Peking, 10. August (IPS) - Mit aller Macht versucht die chinesische Regierung, den Zugang der Bevölkerung zum Internet einzuschränken. Gegen die wachsende Schar von Mikrobloggern, die Kurznachrichten in SMS-Länge posten, kann Peking aber nur wenig ausrichten. Nach dem Zugunglück in Wenzhou am 23. Juli haben viele Blogger blitzschnell Trauerbotschaften und Kritik an der Regierung weltweit verbreiten können.

Die unter dem Namen 'weibos' bekannten Mikroblogs sind in der Volksrepublik mittlerweile eine beliebte Informationsquelle und ein reges Forum für öffentliche Debatten. Plattformen wie 'Twitter' und 'Facebook' sind in China nicht frei zugänglich. Auf den 'weibos' können Nutzer ebenfalls Nachrichten weiterleiten und diese kommentieren. Die Inhalte sind nicht nur witzig, sondern auch zunehmend politisch.

In dem riesigen Land mit mehr als 1,3 Milliarden Einwohnern surfen inzwischen etwa 500 Millionen Menschen im Internet. Mehr als die Hälfte von ihnen hat Konten bei Mikroblogs. Zwei Unternehmen sind in diesem Bereich zu Marktführern geworden: 'Sina Holdings' mit 140 Millionen Nutzern und 'Tencent Inc.' mit mehr als 200 Millionen Mitgliedern. Auf den 'Tencent'-Plattformen tummeln sich vor allem jüngere Leute, während Sina auch eine etwas ältere Klientel anzieht, die den gebildeten, einkommensstarken Schichten angehört.

Behörden und staatliche Unternehmen haben mittlerweile ebenfalls Mikroblog-Konten - sogar das offizielle Organ der Kommunistischen Partei, 'People's Daily', äußert sich in kurzen Postings. Die meisten Nutzer sind allerdings normale Bürger, die im Internet Informationen und Meinungen austauschen wollen.

"Immer mehr Leute sagen ihre Meinung über Justiz, Korruption und die Lebensbedingungen im Land", erklärte Jiang Shenghong von der Akademie für Sozialwissenschaften in Tianjin. "Soziale Netzwerke im Internet, vor allem 'weibos', sind immer wichtiger geworden. Informationen können schnell, zeitnah und relativ frei weitergegeben werden."


Proteste gegen Vorgehen der Behörden nach Zugunglück

Wie viel Einfluss die Mikroblogs haben, zeigte sich kürzlich nach dem Zugunglück in Wenzhou, bei dem 40 Menschen getötet und fast 200 verletzt wurden. Der Umgang der Behörden mit der Katastrophe hat bei vielen Chinesen Wut ausgelöst. Binnen fünf Tagen liefen in den Mikroblogs etwa 26 Millionen Kurzmitteilungen zu dem Unglück auf. In manchen Postings wurde der Regierung vorgeworfen, das Leben von Menschen zu gefährden, um die wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben.

Die staatlichen Medien hatten zunächst nur über gerettete Babys berichtet und gingen erst später auf die Reaktionen aus der Bevölkerung ein. In der ersten Augustwoche wurden alle Medien angewiesen, zu dem Thema nur noch Nachrichten der amtlichen Agentur Xinhua zu veröffentlichen. Einige Zeitungen hielten sich jedoch nicht daran.

Die Regierung hat indes klammheimlich einen Stab anonymer Kommentatoren eingesetzt, die in den 'weibos' die Linie der Kommunistischen Partei verteidigen. Wie internationale Medien berichteten, werden diese Helfer dafür bezahlt, Blogs, Nachrichtenseiten und Chatrooms zu infiltrieren.

In den meisten Fällen handele es sich um Studenten, die sich damit etwas hinzuverdienen oder ihre Chancen auf eine Parteimitgliedschaft verbessern wollten. Andere 'Kommentatoren' seien Beamte oder andere Linientreue, die sich als gute Patrioten zeigen wollten, hieß es. Ihre Zahl soll inzwischen in die Zehntausende gehen. Im vergangenen Jahr berichtete die staatliche 'Global Times', dass die Behörden in der Provinz Gansu 650 Helfer in Vollzeit einsetzen wollten, um "die öffentliche Meinung zu kontroversen Themen zu steuern."


Mikroblogs überfordern staatliche Zensur

Die von der Regierung errichteten Hindernisse können die kritischen Internet-Nutzer allerdings nicht abschrecken. Die Flut der Kommentare zu dem Unglück von Wenzhou überforderte die staatlichen Zensoren, die die meisten Nachrichten durchgehen ließen. Die Kurzmitteilungen verbreiteten sich zu schnell, um vollständig überwacht zu werden. Da viele Postings als Screenshots gespeichert wurden, riskierte die Regierung, sich durch ein massenhaftes Löschen von Kommentaren weiter ins schlechte Licht zu setzen.

Der Druck seitens der Internet-Gemeinde zwang die Behörden in Wenzhou schließlich dazu, sich dafür zu entschuldigen, dass Rechtsanwälte zunächst keine Klagen von überlebenden Opfern und Hinterbliebenen ohne Zustimmung der Regierung annehmen durften. Weibo-Nutzer warfen den Behörden außerdem vor, dass sie die Hintergründe des Unglücks verschleiern wollten, indem sie das Wrack vergruben. Daraufhin wurden die Überreste des Zuges wieder ausgegraben und für Untersuchungen bereitgestellt. (Ende/IPS/ck/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. August 2011