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INTERNATIONAL/048: China - Tibetisches Radio verbindet Minderheiten mit dem Rest der Welt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 20. Februar 2012

China: Tibetisches Radio verbindet Minderheiten mit dem Rest der Welt

von Poppy Moore


Schanghai, China, 20. Februar (IPS) - Zu dem Bezirk Motuo im äußersten Südosten von Tibet führen keine Straßen. Eine Post und eine Zeitung gibt es ebenfalls nicht in dieser Himalaja-Hochgebirgsregion, die die Hälfte des Jahres aufgrund von Schnee und Eis völlig nach außen isoliert ist. Und doch wissen die lokalen ethnischen Minderheiten über den Rest der Welt Bescheid. Ihr Wissen verdanken sie einem tibetischen Lokalradio.

Die Station MCRS sendet ihre Programme täglich in tibetischer Sprache auf der Frequenz 106.0 Megahertz. Die meisten Bewohner von Motuo gehören den Ethnien Monpa und Lhoba an. "MCRS ist die wichtigste Informationsquelle für diejenigen, die kein Mandarin verstehen", meint Ai, ein ethnischer Tibeter, der als Techniker für den Sender arbeitet.


Seit 30 Jahren auf Sendung

Der 1982 in der autonomen Region Tibet gegründete Radiosender wird von der chinesischen Regierung gebilligt. Er gehört zu den wenigen Kanälen, die Nachrichten und Unterhaltung für die Minderheiten in China in deren eigenen Sprachen verbreiten. Die staatlichen Sender richten sich bisher an fünf von 46 Ethnien der Volksrepublik.

MCRS übersetzt nicht nur Nachrichten und Showprogramme des staatlichen chinesischen Rundfunks, dem 'China National Radio', 'China Radio International' und 'China Central Television', sondern produziert auch eigene Nachrichten- und Informationsprogramme, die genau auf die Interessen der Bevölkerung in dem Bezirk zugeschnitten sind.

Die meisten Menschen in Motuo, was auf Tibetisch 'versteckter und geheimnisvoller Lotus' bedeutet, leben von der Landwirtschaft. "Die Programme helfen den Bauern, Wissenslücken zu schließen. Ihnen wird zum Beispiel erklärt, wie sie ihre Maschinen reparieren können", berichtet Ai. "Sie sind sehr begierig, ihre technischen Kenntnisse zu verbessern."

Da Radios preisgünstig sind und überallhin mitgenommen werden können, können die Bauern MCRS auch bei der Arbeit an einsamen Berghängen hören. Obwohl der Sender mit staatlichen Mitteln finanziert wird, ist es nicht einfach, den Betrieb aufrecht zu erhalten. "Wir arbeiten unter bescheidenen Bedingungen", erläutert der Leiter der Senders, Gao Jianling. Nur fünf bis sechs Mitarbeiter seien dort tätig, und nicht alle hätten eine Ausbildung außerhalb des Bezirks absolviert.

Wegen der geografischen Abgeschiedenheit ist es zu teuer, in Motuo Zeitungen zu drucken oder sie von anderswo anzuliefern. Gao bedauert, dass MCRS noch nicht in der Lage ist, eigene, wirklich unabhängige Programme zu produzieren. Wie die nationalen Medien stehen auch die Radiosender unter der Kontrolle der mächtigen Kommunistischen Partei Chinas.

Medien, die die Regeln der staatlichen Aufsichtsbehörde für Radio, Film und Fernsehen nicht befolgen, müssen mit strengen Strafen rechnen. Verboten sind etwa Diskussionen über das Thema Demokratie, den Dalai Lama, die Unabhängigkeit Tibets und die blutige Niederschlagung der Studentenunruhen auf dem Tiananmen-Platz 1989.


Repressalien gegen uigurische Journalistin

2008 verlor Mehbube Ablesh vom Volk der Uiguren ihre Stelle bei einem Radiosender in Xinjiang und wurde wegen ihrer Kritik an den lokalen Behörden inhaftiert. Seitdem habe niemand wieder etwas von der Frau gehört, berichtete Radio Freies Asien (RFA), das von der US-Regierung unterstützt wird und seine Programme in neun asiatischen Ländern verbreitet, in denen die Medien staatlichen Beschränkungen unterliegen.

Trotz der Zensur nutzen unabhängige Organisationen das Radio, um unterdrückte Bevölkerungsgruppen in China mit Informationen zu versorgen. Die Unabhängigkeitsbewegung von Ost-Turkestan, die sich für eine Abspaltung des Gebietes von der Provinz Xinjiang einsetzt, betreibt zwei Radiosender auf ihrer von Peking geblockten Website.

Auch die Internet-Plattformen von RFA und 'TibetOnline.tv' werden von China blockiert, sind aber über einen Proxy-Server zugänglich. RFA informiere Tibeter über Ereignisse in anderen Teilen der Region, erklärte der in den USA lebende verantwortliche Redakteur Dan Southerland in einem Telefoninterview mit IPS. RFA berichtet in drei tibetischen Dialekten - Uke, Amdo und Kham.


Hörer nutzen Satellitenempfang

Obgleich es keine Erhebungen über die Hörerschaft gibt, ist sich Southerland sicher, dass die Radioprogramme eine "signifikante" Zahl von Menschen in der autonomen Region erreichen. Die meisten Hörer nutzten den Satellitenempfang, auch wenn die Regierung ständig versuche, die Signale zu stören.

"Wir wollen die Menschen so exakt wie möglich informieren. Das ist sehr schwierig", sagt Southerland. "Unsere Informanten haben oft große Angst. Sie sprechen zwei Minuten mit uns und legen dann wieder auf." Ihre Furcht ist offenbart nicht unbegründet. Ein Mönch wurde allein deshalb festgenommen, weil er sich als RFA-Hörer geoutet hatte.

In den staatlichen chinesischen Medien dürfe man beispielsweise nicht über den Dalai Lama sprechen, betont Southerland. RFA berichte dagegen über alle seine Reisen. Und die Menschen würden darum bitten, die Stimme des Dalai Lama zu hören. Das sei sehr berührend.

Auch in anderen Teilen Chinas ist das Internetradio bereits eine beliebte Informationsquelle. "Unser Radiosender ist wie eine Denkfabrik für unser Publikum", sagte Xiaodai, ein Uigure aus der Provinz Xinjiang. Seine Organisation gründete 2008 ohne Genehmigung der Regierung sogar ein Radioformat für Homosexuelle, das von Freiwilligen betreut werde. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:
http://www.rfa.org/english/
https://www.facebook.com/pages/Tibetonlinetv/124847850381
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=106779

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Februar 2012