Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → FAKTEN

INTERNATIONAL/087: Bolivien - Wellenkraft für mehr Rechte, Quechua-Frauen machen Radio (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. November 2012

Bolivien: Wellenkraft für mehr Rechte - Quechua-Frauen machen Radio

von Jenny Cartagena T.


Trifonia Tordoya, ihre zwei Töchter und ihre Nichte bei der letzten Ausstrahlung ihrer Radiosendung - Bild: © Jenny Cartagena T./IPS

Trifonia Tordoya, ihre zwei Töchter und ihre Nichte bei der letzten Ausstrahlung ihrer Radiosendung
Bild: © Jenny Cartagena T./IPS

Cliza, Bolivien, 29. November (IPS) - Es ist die vorerst letzte Sendung von Ruth Rojas. "Atispa mana atispa ñawpajman rinanchis tiyan", spricht sie auf Quechua ins Mikrofon. Übersetzt bedeutet das so viel wie: "Wenn es uns auch schwer fällt - wir müssen vorangehen." Rojas ist Moderatorin einer Radiosendung über Politik und Kultur von und für Quechua-Frauen im bolivianischen Bundesstaat Cochabamba.

Die Sendung macht sie gemeinsam mit anderen Frauen aus insgesamt vier Generationen. Produziert wird in einem kleinen Tonstudio von 'Radio Ecológica' in der Gemeinde Cliza. Die zweistündige Sendung dreht sich um die Rechte der Frauen und um eine Reihe von Themen, die für Indigene sowie für Frauen relevant sind: Demokratie, das Gesellschaftssystem, Geschlechtergerechtigkeit.

Im ganzen Bundesstaat haben sich in den vergangenen Jahren Bürgerradios etabliert. Die Inhalte werden von Frauen bestückt, die weder eine Sprechausbildung haben noch gelernt haben, wie man Radiosendungen produziert. Ihr Ziel ist es, andere Frauen über ihre Rechte aufzuklären und ihnen damit das Rüstzeug auf den Weg zu geben, diese auch einzufordern.

Zu Anfang stand ein Projekt der nichtstaatlichen 'Gemeinschaft für Sozialstudien und öffentliche Aktion', das sich vor allem an Quechua-Frauen richtete. Deren Wissen sollte gesammelt und gebündelt werden, um auf dieser Grundlage in einen interkulturellen politischen Dialog über indigene Rechte zu treten.

Drei Jahre lang wurden die Vorsteherinnen von 20 zivilgesellschaftlichen Organisationen dabei unterstützt, herauszufinden, was für sie wichtig ist, welche gesellschaftlichen und politischen Konzepte für sie relevant sind und was diese für sie bedeuten. Dazu gehörten Demokratie, Legitimität, Autonomie, Gewalt, Exklusion, Diskriminierung, Transparenz, Korruption und Gerechtigkeit.


"Geschlecht" und "Exklusion" sind auf Quechua unbekannt

"Wir wussten gar nicht, was Exklusion bedeutet", erzählt die 63-jährige Trifonia Tordoya. "In der Quechua-Sprache existiert der Begriff gar nicht. Wir haben dann untereinander darüber diskutiert und schließlich eine gemeinsame Definition entwickelt", sagt die Mutter von Ruth und Tania Rojas.

Auch über den Begriff "Geschlecht" dachten sie lange nach. "Auf Spanisch hatten wir das Wort schon gehört, aber wir wussten nicht genau, was es bedeutet", berichtet Norah Claros, die mit Tordoya an dem Projekt teilgenommen hat. Schließlich einigten sie sich darauf, den Begriff auf Quechua mit "Qhari-Warmi" zu bezeichnen, übersetzt bedeutet das "Mann-Frau". In der Quechua-Kultur ist es üblich, Gegensätze nicht als solche zu sehen, sondern als miteinander im Einklang zu betrachten.

Die Frauen nahmen an, dass man nur dann seine Rechte einfordern kann, wenn man diese auch kennt. Also wollten sie die von ihnen entwickelten Konzepte und Definitionen auch anderen Frauen zugänglich machen. Die Teilnehmerinnen des Projektes entschieden sich für unterschiedliche Herangehensweisen. Einige erarbeiteten Theaterstücke, andere Workshops. Tordoya plante ein Radioprogramm und überzeugte ihre beiden Töchter sowie ihre 13-jährige Enkelin Madeleine Pereira sie zu unterstützen.


Hörer fordern weitere Ausstrahlung der Sendung

Das Radioprogramm der vier Frauen aus der ländlichen Gemeinde Villa El Carmen kam bei den Zuhörerinnen so gut an, dass sie ihre zunächst geplanten 15 Sendungen um sechs erweiterten. "Wir haben immer mehr Zuhörerinnen bekommen - und immer mehr Anrufe", berichtet Roger Araoz, Leiter der Radiostation, in deren Programm die Sendung der Frauen ausgestrahlt wurde. "Die Hörer wollen, dass das Programm weiter läuft, weil die Macherinnen gut erklärt haben, welche Rechte Frauen haben und sich mit konstruktiver Kritik an die Politik gewendet haben."

Da sich Bürgerradiostationen nirgends melden müssen, gibt es keine offiziellen Zahlen darüber, wie viele es davon in Bolivien gibt. Die meisten haben nur eine geringe Reichweite und strahlen ihr Programm aus, ohne eine offizielle Lizenz beantragt zu haben. Schätzungen zufolge reicht ihre Zahl an etwa 2.000 heran.

Viele der Radiomacher sprechen eine der drei in Bolivien meistgesprochenen Indigenen-Sprachen - Quechua, Aymará oder Guaraní, teilweise werden die Sendungen in mehreren Sprachen ausgestrahlt. 60 Prozent der 10,6 Millionen Einwohner Boliviens verstehen sich als Indigene und gehören einer von 36 ethnischen Gruppen an. (Ende/IPS/jt/2012)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=101956

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 29. November 2012
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Dezember 2012