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INTERNATIONAL/154: Irak - Fernsehkanal unterstützt Kampf gegen den IS (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 18. November 2014

Irak: Fernsehkanal unterstützt Kampf gegen den IS - Flüchtlinge sollen Brigaden in Mossul verstärken

von Karlos Zurutuza


Bild: © Karlos Zurutuza/IPS

Hani Subhi, Ansagerin beim einzigen TV-Kanal Mosuls, der zurzeit von Erbil aus sendet
Bild: © Karlos Zurutuza/IPS

Erbil, Irak, 18. November (IPS) - Der einzige Fernsehkanal der irakischen Stadt Mossul, die im Juni von der islamistischen Terrormiliz IS eingenommen wurde, sendet jeden Abend um 21.00 Uhr eine Nachrichtensendung. Und dienstags, donnerstags und samstags strahlt er ein Live-Programm aus. Möglich ist dies nur, weil der Sender nach Erbil in der Kurdenregion ausweichen konnte.

"Wir sind noch auf Sendung, weil es uns gelungen ist, bei unserer Flucht eine Kamera und eine Satellitenschüssel mitzunehmen", sagt Akram Taufiq, der Geschäftsführer des Kanals 'Ninivehs Zukunft'. Er räumt ein, von der Eroberung der Stadt durch den IS völlig überrascht worden zu sein. "Die Kämpfer brauchten nur drei Tage, bis sie ganz Mossul unter ihrer Kontrolle hatten", berichtet er von seinem Büro in einem Wohnviertel am Rand von Erbil aus.

Der 56-jährige Journalist hat Jahrzehnte lang fürs Fernsehen gearbeitet. Unter Saddam Hussein war er elf Jahre lang für das staatliche Fernsehen seines Landes tätig. Nach dem Sturz des ehemaligen Staats- und Regierungschefs wurde er Chef des öffentlichen Senders 'Sama al Mosul' ('Mossuls Himmel'). Er blieb in dieser Position, bis die IS-Extremisten im Juni die Stadt unter ihre Kontrolle brachten und dort ein islamisches Kalifat ausriefen.


Freiwillige halten Sendebetrieb aufrecht

Für Ninivehs Zukunft arbeitet Taufiq, wie alle anderen Mitarbeiter auch, ehrenamtlich. Den Sendebetrieb kann das Team aufgrund der begrenzten Mittel nur mit Müh und Not aufrecht halten. In einem Nebenraum sieht die Ansagerin Hani Subhi die neuesten Nachrichten durch, die Mossul betreffen. Unter anderem geht es um ein kürzlich eingerichtetes Trainingslager für mehr als 4.000 Freiwillige, die sich der 'Niniveh-Polizei' angeschlossen haben. Wie Subhi erklärt, handelt es sich ausschließlich um Flüchtlinge aus Mossul.

"Wir trauen niemandem, der aus Mossul kommt. Alle, die sich der Truppe anschließen wollen, könnten Spione des IS sein", meint Taufiq. Die Niniveh-Polizei werde künftig mit den Mossul-Brigaden zusammenarbeiten, die in der Stadt Sabotageakte gegen den IS verübten. Wie der Journalist berichtet, gehören die live zugeschalteten Anrufe aus Mossul zu den Höhepunkten des Programms. Es kommt vor, dass sich an einem einzigen Tag rund 1.700 Personen bei dem Sender melden. Leider fehlt die Zeit, mit allen zu sprechen.

Der erste Anrufer, der es an einem dieser Dienstage in die Sendung schafft, ist der ehemalige Polizist Abu Omar, der sich verstecken muss, weil Angehörige des früheren Sicherheitsapparats zu den Hauptzielscheiben der IS geworden sind. "Ich kann es kaum erwarten, dass die Niniveh-Polizei in die Stadt kommt", sagt er. "Ich werde der erste sein, der ihr hilft, diese Bastarde zu töten."

Hassan aus Tal Afar, einer Turkmenen-Enklave westlich von Mossul mit einer großen Schiiten-Gemeinde, erklärt, dass auch sein Volk ständig von "diesen Vandalen" bedroht wird. "Denn wir sind keine Araber, viele von uns sind keine Sunniten", sagt Hassan. Er hofft, noch miterleben zu dürfen, wie die "Besatzer" aus dem Dorf verjagt würden.

Abu Younis aus Mossul berichtet über die schwierigen Lebensbedingungen. "Wir sind von Generatoren abhängig, weil es nur alle vier Tage für jeweils zwei Stunden Strom gibt." Auch die Wasserversorgung sei unregelmäßig, erzählt er. Am schlimmsten sei jedoch der völlige Mangel an Sicherheit. "Menschen verschwinden auf mysteriöse Weise oder aber sie werden am helllichten Tag hingerichtet. Die Stadt ist ein riesiges Freiluft-Gefängnis geworden."


Extremisten wollen Massenflucht aus Mossul verhindern

Der aus Mossul stammende Journalist Bashar Abdullah, Nachrichtenchef bei Ninivehs Zukunft, hat seine Frau und seine beiden Kinder Ende Oktober in die Türkei gebracht. Er sei in Erbil geblieben, um weiter zu arbeiten. Abdullah schließt nicht aus, bald wieder nach Mossul zurückzukehren. In welchem Zustand sein Haus ist, weiß er nicht. "Die Dschihadisten drohen damit, dass jeder, der die Stadt verlässt, sein Haus verliert. Damit wollen sie eine Massenflucht der Stadtbevölkerung verhindern."

Aus einem im November verbreiteten Bericht des internationalen Vertriebenenzentrums IDMC geht hervor, dass fast drei Millionen Iraker vertrieben worden sind. Mehr als eine halbe Million von ihnen stammen aus Mossul.

Atheel al Nujaifi ist wohl die bekannteste Persönlichkeit aus der zweitgrößten Stadt des Iraks. Bevor der IS auf der Bildfläche erschien, war er Gouverneur der Provinz Niniveh. Heute ist er einer der treibenden Kräfte hinter dem Fernsehkanal. Sein Büro befindet sich im selben Gebäude.

Bild: © Karlos Zurutuza/IPS

Atheel al Nujaifi, ehemaliger Gouverneur der irakischen Provinz Ninive
Bild: © Karlos Zurutuza/IPS

Wie er berichtet, hatten viele Bewohner in Mossul die IS-Islamisten zunächst mit offenen Armen empfangen. "Von Anfang an versuchte ich die Menschen in meinem Umfeld davon zu überzeugen, dass wir nichts mit dem IS gemein haben. Spätestens eine Woche nach der Ankunft der Kämpfer war jedem in Mossul klar, den Milizen auf den Leim gegangen zu sein."

Im April 2013 hatte Nujaifi an seinem Amtssitz in Mossul einen Reporter von IPS empfangen. Wenige Meter entfernt fanden Massenproteste gegen die schiitische Regierung in Bagdad statt, der eine Ausgrenzung der sunnitischen Bevölkerung vorgeworfen wurde. Nujaifi ging regelmäßig zu diesem Platz, um den Demonstranten Unterstützung zu signalisieren und flammende Reden gegen den damaligen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki zu halten.

In Erbil bekräftigt er nun, dass der Fernsehsender den Menschen in Mossul deutlich machen wolle, dass sie noch eine Regierung hätten, auch wenn sich diese im Exil befinde. "Der Islamische Staat hat uns unsere Revolution gestohlen", erbost sich Nujaifi, nachdem sein TV-Team das Büro verlassen hat. Am nächsten Tag wird die Arbeit weitergehen. (Ende/IPS/ck/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/11/fighting-the-islamic-state-on-the-air/

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IPS-Tagesdienst vom 18. November 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. November 2014