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INTERNATIONAL/172: Guatemala - Stimmen für ein menschenwürdiges Leben (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 133, 3/15

Stimmen für ein menschenwürdiges Leben

Radio als Empowerment-Werkzeug in Guatemala

von Patricia Galicia


Guatemala ist ein Land, das gekennzeichnet ist durch einen langen Bürgerkrieg, ständige Gewalt (insbesondere gegen Frauen) und wirtschaftliche Misere. Gegen diese widrigen Umstände kämpfen Frauen an, um in einer von Männern dominierten Gesellschaft gehört zu werden. Alternative Medien haben es Frauen erlaubt, sich frei ausdrücken zu können, und die Aufmerksamkeit auf ihre Herausforderungen in Guatemala gelenkt. Dadurch verändert sich ihre Situation in der Gesellschaft. [1]


Die Bevölkerung des Landes hat langjährige Diktaturen sowie einen 36-jährigen Bürgerkrieg überstanden. Obwohl im Jahr 1996 Friedensverträge unterzeichnet wurden, steigen Armut, soziale Ausgrenzung und Gewalt immer mehr an. Information und Bildung sind grundlegend, damit Personen über ihre Rechte und Freiheiten Bescheid wissen. Marginalisierte Gruppen der Gesellschaft werden jedoch oft von zentralen Informationskanälen ausgeschlossen. In Guatemala werden Frauen auf verschiedene Art zum Schweigen gebracht: Man hat ihnen den Zugang zur Bildung verweigert, indem man den Schulbesuch für sie als unnötig bezeichnete. Aber auch durch Politiken, die sie ausschließen, werden sie mundtot gemacht.

"Medien sind eine Plattform für Diskussion und Aufbau von Wissen, die Leben verändert. Wenn Frauen ihre Situation erkennen, können sie diese auch verändern", schreibt eine Journalistin in Guatemala. Frauen haben große Fortschritte gemacht, das Schweigen zu brechen, sie haben es geschafft, in der Öffentlichkeit gehört zu werden.


Auf der Suche nach eigenen Räumen

Um mit ihrer eigenen Stimme gehört zu werden, verwenden Frauen seit dem Übergang zur Demokratie Mitte der 80er-Jahre alternative Medien. Dies bedeutet, dass sie eigene Programme haben und sich im Rahmen von Kommunikationsprojekten als Teil der sozialen Agenda sehen. Während des letzten Jahrzehnts wurden Medien in Frauenhand deutlich gestärkt und diversifiziert.

Programme senden war eine der ersten Medienaktivitäten, womit sich Frauen beschäftigten. Radioprogramme wie Frauen zu Hause und Frauen in der Gesellschaft markierten den Ausgangspunkt. Hier definierten sich Frauen noch immer als Haushälterinnen, wie die Namen der Programme schon sagen. Neuere Programme zeigen eine Steigerung des Selbstwertgefühls von Frauen durch Namen wie A toda Voz (Mit lauter Stimme). Das erste feministische Radio Voces de mujeres (Frauenstimme) wurde schon vor 22 Jahren gegründet.

Viele der Programme sind in einer der 22 Maya-Sprachen, die von der Mehrheit der Bevölkerung gesprochen werden, produziert. "Wenn wir unsere Radioprogramme in unseren Sprachen gestalten, schaffen wir Vertrauen bei unseren Zuhörer_innen, und es erlaubt uns auch, über beispielsweise die Verwendung von Kondomen auf einem katholischen Radiosender zu sprechen", erklärt Palacios Dilia, der das erste Garifuna-Radioprogramm [2] produziert.

Nachdem die Nachrichtenagentur CERIGUA Reporterinnen als Korrespondentinnen mit einbezogen hatte, begannen die Stimmen der Frauen lauter zu werden. Kurz danach entstanden auch Netzwerke von Frauen in den Medien. Es wurden lokale Kulturinitiativen gegründet, wie der Verband der Maya Nutzij-Journalistinnen. Der Verein Women Creating Development hat sogar ein TV-Programm namens Frauen überwinden Grenzen gegründet. Die Publikationen aller dieser Medienverbände wurden über lokale Kabelkanäle von Community Radios oft in mehrsprachigen Gebieten und von den Frauen im Medienbeobachtungszentrum übertragen.

Heutzutage gibt es sogar einige feministische Medien wie die Zeitung La Cuerda (Die Leine) und verschiedene Radiosender wie Voces de Mujeres oder solche für Frauen der öffentlichen Universität. Via Telefonverbindung werden sogar Voces de Mujeres und Mujeres Abriendo Camino (Frauen machen Wege) in ein wöchentliches Programm von Migrantinnen, die in Los Angeles leben, ausgestrahlt. Die wechselnden Namen und die Vielzahl der Programme spiegeln die Ebenen des Empowerment, das Frauen im Laufe der Zeit erreicht haben, wider.


Entwicklungsmöglichkeiten erstellen

Laut dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) in Guatemala gibt es bestimmte Faktoren für die Entwicklung einer Gesellschaft: Die Menschen müssen in der Lage sein, im Einklang mit ihrem gesellschaftspolitischen Umfeld zu sein. Frauen, die ihre Rechte durch die Teilnahme an alternativen Medien ausüben, beteiligen sich auch am Prozess der Entwicklung in ihren Gesellschaften. Sie beeinflussen dadurch die Transformation ihrer Umgebungen auf mehreren Ebenen:

1. Sie erzeugen und verbreiten Informationen

Sie stellen Fragen von nationalem Interesse wie z. B. Gewalt und Diskriminierung, Menschenrechte, Gesundheit, Bildung oder politische Teilhabe. Sie stellen wirtschaftliche Fragen inklusive der Ausgleichszahlungen an die Opfer des bewaffneten Konflikts, sie behandeln Themen wie Freihandelsabkommen, Verabschiedung neuer Gesetze oder Änderungen von alten Referenden über Mega-Projekte und Klimawandel usw. und berichten über frauenspezifische Themen wie Familienbetreuung, Sexualität, Abtreibung, Gleichberechtigung, häusliche Gewalt, Zugang zur Justiz, politische Partizipation und die Frauenbewegung.

2. Sie fördern die Autonomie des Denkens und mobilisieren Menschen

Durch die Auseinandersetzung mit diesen Fragen erzeugen Frauen Meinungsströmungen und üben sozialen Druck aus.

3. Sie legen mehr Gewicht auf die Themen und schaffen politischen Druck

Feministische Medien machen Wirklichkeiten sichtbar, die oft als Privatsache betrachtet werden. Die Berichterstattung über Fälle von Gewalt gegen Frauen wird durch diese Medien verstärkt. Dies wiederum hat den Druck auf die Behörden und die Justiz erhöht. Zivilgesellschaftliche Organisationen schätzen alternative Medien sehr, da die übertragenen Nachrichten oft marginalisierte Gruppen der Gesellschaft erreichen.

4. Sie entwickeln ihre eigenen Sichtweisen und neue Arbeitsfelder für Frauen

Journalistinnen entwickeln den Mut zu sagen, was sie denken. Das schafft Selbstvertrauen und die Fähigkeit, in verschiedenen Bereichen kompetent zu agieren. Diese Journalistinnen sind zu wichtigen Informationsquellen für andere Medien und Organisationen aufgrund ihres Wissens, ihrer Kontakte zu anderen sozialen Akteur_innen und führenden Persönlichkeiten.

5. Sie fördern und unterstützen Aktivitäten der Zivilgesellschaft
6. Sie beeinflussen politische Prozesse

Frauenmedien haben auch einen Einfluss auf politische Wahlen. Sie erklären den Wahlprozess, motivieren Frauen, aktiv zu wählen, und moderieren Foren mit Kandidat_innen. Die Medien sind auch als Wahlbeobachter_innen tätig.

Zusammenfassend kann man sagen: Informationen, die von Frauen für Frauen erzeugt werden, ermöglichen es, über das eigene Lebensumfeld zu reflektieren. Für Frauen, die in alternativen Medien tätig sind, ist es ein persönlicher Entwicklungsprozess. Eine Journalistin beschreibt ihre Erfahrungen: "Durch mehrfache Verbindungen mit Menschen und unterschiedlichen Realitäten werde ich mir über den Wert meiner Arbeit und ihrer Auswirkung auf die Gesellschaft bewusst. Ich kann dazu beitragen und etwas ändern. Es ist eine Verantwortung, und ich bin ein Produkt dieses Prozesses."

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Anmerkung:
[1] Dieser Artikel erschien erstmalig auf Englisch in Digital Development Debates (www.digital-development-debates.org).
[2] Garifuna sind eine Volksgruppe in Zentralamerika und den USA.

Zur Autorin: Patricia Galicia studierte Kommunikation und Bildung mit dem Schwerpunkt Gender Studies. Sie ist die Gründerin von Red Mujeres al Aire, einer Vereinigung von Frauen im Rundfunk. Sie fördert den Aufbau von Radioproduktion von Frauen mit verschiedenen ethnischen Hintergründen aus den verschiedenen Regionen von Guatemala.

Übersetzung aus dem Englischen: Tania Pilz

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 133, 3/2015, S. 12-13
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
Sensengasse 3, A-1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org
 
Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. November 2015

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