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DOKU/002: BRAND-Trilogie - Gegenwart der Dörfer und Bepreisung von Natur (Frauke Tomczak)


BRAND II - Gegenwart der Dörfer und Bepreisung von Natur

Texte zum Film von Frauke Tomczak


Der Titel von Brand II steht programmatisch nicht nur für seinen Inhalt, sondern auch für seine Form. Der doppeldeutige Begriff der "Bepreisung" meint genau nicht "bepreisen" im Sinne von loben und dank sagen, sondern einer Sache einen Geldwert zuordnen, um sie als Objekt des ökonomisierten Handels in bare Münze zu verwandeln - anders gesagt: sie zu kapitalisieren. So und richtig gelesen bedeutet der Titel: Die Kapitalisierung der Natur zerstört sie selbst und die Gegenwart der Dörfer.

Diese verbogene Dialektik ist uns seit 300 Jahren, verstärkt mit der Industrialisierung, als Notwendigkeit der Fortschrittsgeschichte verkauft worden. Wir wissen längst, spätestens aber seit Walter Benjamins "Geschichtsphilosophischen Thesen", dass sie nicht stimmt, sondern im Gegenteil eine horrende Spur der Zerstörung hinter sich lässt: "Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat, so dass der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trüm- merhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir Fortschritt nennen, ist dieser Sturm." [1]

Nein, dieses Theorem ist keineswegs zu groß, um die Prozesse im Rheini- schen Braunkohlenrevier zu fassen und zu begreifen. Es trifft sie im Gegenteil genau, bringt sie auf den Punkt.

Brand II arbeitet diese Spur der Zerstörung mit dem Mittel der Kontrastmontage heraus, teils im Medium des Bewegtbildes selbst, teils durch den bewusst eingesetzten Kontrast zwischen Bild- und Tonspur. Er macht dabei Widersprüche namhaft, die weit über die Konkreta, die zu sehen, zu hören sind, hinausgehen.


Zerbrochene Tassen im Hausmuseum Otzenrath-Hochneukirch - Videostill: © 2017 by Susanne Fasbender

Verlorengegangene Erinnerungen und zerbrochene Träume
Videostill: © 2017 by Susanne Fasbender

Der Auftakt ist wiederum als lange Kamerafahrt gestaltet, die uns bereits verlassene Anwesen zeigt, auch die Front eines Gehöfts, des Fuhrmannshofes, bewachsen mit Jahrzehnte altem Efeu. Auf der Tonspur erzählt Inge Broska, Gründerin des "Hausmuseums Otzenrath-Hochneukirch", von ihrer lebenslangen Konfrontation mit der Zerstörung: 50 Jahre - 50 Dörfer. Im letzten Drittel des Films wird Susanne Fasbender in einem frappierenden Bild das restlose Verschwinden von inzwischen 80 Dörfern und Ansiedlungen anschaulich machen. Auf ein und derselben Landkarte des betroffenen Gebietes entstehen in der zeitlichen Abfolge ihrer Zerstörung nach und nach Kreise und andere kartografische Zeichen für umgesiedelte menschliche Ansiedlungen. Im Zwischenschnitt bekommen wir zu vielen von ihnen konkrete sinnliche Bilder ihrer Existenz zu sehen: Fotos der Ortschaften, alte Kupferstiche, Privatfotos ihrer Bewohner in Alltagssituationen. Erfahrbarer könnte der Nachvollzug der Bedeutung historischer Zeit und räumlicher Präsenz mit beides bewohnenden Menschen und ihr als notwendig nur postuliertes Verschwinden nicht umgesetzt werden.

Die Bemerkung von Konrad Goebels, einer der Erben des Fuhrmannshofes lässt aufhören, weil er die existentielle Dimension des Verschwindens transportiert. Auf die Frage, wie lange seine Familie schon in der Region lebe, antwortet er "schon immer, immer". Und Inge Broska erzählt von der symbolischen Geste alter Menschen beim endgültigen Verlassen des Hauses: Nach dem letzten Fegen des Ein- gangs lassen sie Handfeger und Besen auf der Schwelle zurück "wie ein Besteck, das man abgibt." "Den Löffel abgeben" ist ein idiomatischer Ausdruck fürs Sterben.

All diese Konkreta stehen in Brand II aber nicht für eine gefühlsduselige Nostalgie, sondern um die Tiefe dieses eben existentiellen Einschnitts begreifbar zu machen, den nicht nur die erzwungene Umsiedlung, sondern das Wissen um die restlose Vernichtung dessen, was das Wort "Zuhause" mit all seinen bis in die Sprache, bis in die Tradition der Gewerke und einige jahrhunderte alte Familiengeschichten besser trifft, als der hoch aufgeladene und politisch leider missbrauchte Begriff "Heimat".

Die Frage wofür? rückt diese Vernichtung beispielhaft ein in den jammer- vollen Blick zurück auf eine Anhäufung von Trümmern von Walter Benjamins verzweifeltem Engel der Geschichte: für eine Technologie, der Braunkohleenergiegewinnung, von der wir inzwischen definitiv wissen, dass sie längst abgewirtschaftet hat, weil sie nachweislich als eine der großen CO2- Produzenten im obersten Bereich der Agenda der Naturzerstörung steht. Wie ist diese Ohnmacht des Wissens zu erklären?


In der Grube Garzweiler untergegangene Orte auf Landkarte - Videostill: © 2017 by Susanne Fasbender

Topographie der Zerstörung
Videostill: © 2017 by Susanne Fasbender

In einem kurzen und bündigen, aber sehr erhellenden Überblick über die Geschichte der Rheinischen Tagebaue gibt Brand II Aufschluss über die Verflechtung von Rechtsebene, politischer Verfügung und technologischem Starrsinn, weil noch profitabel, und gibt damit weniger auf die Frage wofür? als auf die Geschichte der Machtverflechtung, die ihr zugrunde liegt, eine Antwort. 1947, also zwei Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges, wurde der Enteignungsparagraph reaktiviert, den die Nationalsozialisten im Jahr 1937 im Bergrecht ausgebaut hatten: betraf er vormals nur Landflächen, wurde er 1937 um Wohn- und Wirtschaftsgebäude, also die Dörfer, erweitert. 1950 wurde die Kommission für das Rheinische Braunkohlenrevier, der Braunkohlenausschuss, eingesetzt. Ihm werden im nächsten Bild Willi Hoffmann, der aus dem Ort Etzweiler umsiedeln musste und Peter Jansen, Bürgermeister der Stadt Erkelenz, zu der die Umsiedlungsorte für Garzweiler 2 gehören, überzeugend vorwerfen, mit willfährigen Politikern besetzt zu sein. 100 Jahre später, 2047, soll das Großprojekt der Vernichtung der gesamten Region für den Braunkohleabbau zwecks Verfeuerung fossiler Brennstoffe zur Stromerzeugung abgeschlossen sein.

Wie gesagt: heute wissen wir, dass diese Form der Energiegewinnung tödlich ist für unseren Planeten und für alle Generationen nach uns. "Ein Großteil der Braunkohleenergie geht in den Braunkohleabbau zurück." - schneidet Susanne Fasbender die Stimme einer Waldaktivistin ein kurz vor der langen Filmpassage zur Entwidmung des Immerater Doms.

Gemeint ist der Energieaufwand für die Produktion und den Einsatz der Großtechnik, der Riesenbagger zum Freischaufeln der Grube von gigantischen Dimensionen, für den Einsatz von Menschen und Material. Ein Selbstlauf der Technik? Womöglich auch das. Doch ein eklatanter Widerspruch wird sofort übersichtlich: dem Zwang zur Flexibilität und Dynamisierung, der den Betroffenen zugemutet wird, ein Zwang, der bis an die Grenze der Existenzvernichtung geht, ja sie gar achselzuckend in Kauf nimmt, steht auf der Seite des Kapitals und der Produktionsweise eine Starre gegenüber, die sich nicht einmal in korrigierender Weise zu bewegen genötigt sieht, wenn die angewandte Technologie nicht nur überholt ist, sondern sich als gefährliche Quelle der Menschen- und Naturvernichtung erwiesen hat. Wiederum Jutta Kill und Prof. Dr. Clive L. Spash (vgl Teil 1) machen in einem Zwischenschnitt deutlich, wie RWE am Handel mit Emissionszertifikaten, die zum Verständnis: etwas anderes sind als die Verschmutzungsrechte, Milliarden gemacht haben. Der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit mit seiner desaströsen Spur der Vernichtung verläuft gegenwärtig zwischen den unterschiedlichsten Fronten. Das offenbart Brand II auf eindringliche Weise.


Abriß des 'Immerather Doms' - Foto: © 2018 by Susanne Fasbender

Am Kohlebrand gescheitertes Himmelstreben
Foto: © 2018 by Susanne Fasbender

In den langen Sequenzen, die der Entwidmung des gerne so genannten "Immerather Doms", eigentlich Kirche St. Lambertus, Raum geben, sehen wir weinende Frauen. Wir erleben wiederum in einer Kontrastmontage von Ton und Bild den Gegensatz von feierlich-sphärischem Gesang des Kirchenchors, den wir hören und den Bildern realer Zerstörung und bereits vollzogener Verwüstungen, die wir sehen. Das Erlebnis beider Bedeutungen von "Bepreisung".

In vorausgegangenen Filmpassagen haben wir von den diversen Taktiken der RWE erfahren, die im Abbaugebiet lebenden Menschen zu zermürben: durch eine kafkaeske juristische Prozessmaschinerie, durch reale ökologische Probleme: das Abpumpen von Grundwasser, durch ökonomische Finessen: den Ankauf einiger Häuser mit guten Preisen für die ehemaligen Besitzer einerseits und andererseits die Androhung gegenüber denjenigen, die sich als besonders hartnäckig in ihrem Widerstand erweisen, mit der per Gesetz möglichen Enteignung.


Kreuzung mit Stopschild vor Immerath - Videostill: © 2017 by Susanne Fasbender

Als die Menschen noch glaubten, eine Wahl gehabt zu haben ...
Videostill: © 2017 by Susanne Fasbender

Brand II "Gegenwart der Dörfer und Bepreisung von Natur" führt mit all seinen Konkreta der Geschichte des Verschwindens, der Vehemenz, Einigkeit und Ausdauer des Widerstands dagegen und den emotionalen und seelischen Folgen für die Betroffenen auf eindringliche, erklärende und bewegende Weise vor Augen, dass die zerstörerische Ausbeutung und Vernichtung der Natur und die würdelose Instrumentalisierung der Menschen zwei Seiten ein- und derselben Medaille sind und was sie bedeuten. "Die Zerstörung der Natur ist jetzt einfacher möglich, denn sie ist bepreisbar geworden. Man kann Zerstörung kaufen". Das Statement von Jutta Kill zur davor im Film erklärten Bepreisung von Natur, wie sie seit dem Kyotoprotokoll spezifiziert wurde, wird zum Resümee. Susanne Fasbender rahmt es durch das Stück "Hosiannah Rockefeller" von Kurt Weill / Bertolt Brecht, gespielt vom Ensemble "Lebenslaute". Es tritt bewusst an Orten auf, die durch von Menschen gemachte Zerstörung gezeichnet sind. Wir erinnern uns an die atemberaubende Schönheit des riesigen uralten Magnolienbaums in Blüte, den wir zu Beginn gesehen haben. Er existiert nur mehr im Film.

Dr. Frauke Tomczak ist Literatur- und Filmwissenschaftlerin, Autorin und Dozentin. Sie hat über Jahre thematisch ausgerichtete Filmreihen organisiert, kuratiert Kulturkooperationen, zuletzt eine Reihe zum 100. Geburtstag von Heinrich Böll und kuratiert seit fünf Jahren die Lyrikreihe im onomato Künstlerverein in Düsseldorf.


Fußnote:

[1] Walter Benjamin, "Über den Begriff der Geschichte", in derselbe "Illuminationen. Ausgewählte Schriften", Frankfurt/Main, 1977, S. 255.

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Quelle:
© 2017 by Frauke Tomczak
Mit freundlicher Genehmigung der Autorin


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Mai 2018

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